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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 66 - No. 76 (3. Juni - 28. Juni)
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hHeidelberger Familienblätter.

Belletriſtiche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Mittwoch, den 3. Juni

1868.

Zu ſpät.

Eine Föhngeſchichte.

„Der Zug wird heute aufbrechen, Signor Te-
desco.“
Ich war der „Signor Tedesco“, welchen der

Sprechende meinte, und der Zug, ein buntes Ge-

miſch von Fuhrwerken, Laſtthieren und verſchiede-
nen Geſellſchaftsklaſſen und Nationalitäten ange-
hörenden Reiſenden, welche mehrere Tage lang am
Fuße des St. Gotthardspaſſes aufgehalten worden
waren.
Es war zu Anfang des Frühlings. Der Schnee

ſetzte ſich unter der Einwirkung der Sonne zuſam-

men; an dunklen Tagen aber war die Kälte noch
ſehr fühlbar und es hatte wieder von Friſchem ſehr
ſtark geſchneit, ſo daß die ſchwierige Gebirgsſtraße
nicht zu paſſiren war.
Das ſchöne, freundliche Dorf Airolo, welches

in ſeinem Kaſtanienwäldchen gerade unter den über-

hängenden Granitmaſſen lag, welche da, wo die
weiße Schneedecke hinweggethaut war, wie Gold und
Silber glitzerten, wimmelte von Reiſenden.

In keinem der beiden Gaſthöfe war mehr ein

einziges Zimmer frei und Mancher hatte ſich ge-
nöthigt geſehen, in den Bauernhäuſern ein Unter-
kommen zu ſuchen, ſo gut es eben zu haben war.
„Nun, dann wünſche ich Allen glückliche Reiſe,
weiter kann ich nichts ſagen, Beppo“ lautete meine

halb gleichgiltige Antwort, während ich fortfuhr,

meine Farben zu reiben und zu miſchen.
„Sie wünſchen alſo nicht Ihre Rechnung zu
haben?“ ſagte der Kellner wieder, indem er die

Augen vor Ueberraſchung weit aufriß. „Der Wirth

war ſo feſt uberzeugt, daß Sie die übrigen Herr-
ſchaften begleiten würden, daß er Ihre Rechnung
ausgezogen hat und mir auftrug, Sie zu fragen,
ob Giorgio den Schlitten anſpannen ſoll.“
„Wie mir ſcheint,“ entgegnete ich lachend, „habt
Ihr Euch vorgenommen, mich hinauszumaßregeln,
mag ich nun wollen oder nicht. Es iſt aber eben
ſo wenig meine Abſicht, heute mit aufzubrechen, als
ich werde noch eine Woche bleiben, wenn ich nicht
geradezu mit Gewalt hinausgeworfen werde.“
Natürlich machte Beppo einen Kratzfuß, zuckte
die Achſeln und verſicherte mir, das Hotel zur Poſt

Alpen zu paſſiren.

mich da drüben in den Teſſin zu ſtüͤrzen, ſondern

betrachte meine Gegenwart nur als eine Ehre, der
Wirth und die Wirthin würden ſich ungemein
freuen, zu hören, daß ich noch dabliebe, und er
wolle ſich beeilen, mein Mittagseſſen zu beſtellen,
was unter den gegenwärtigen Umſtänden keine über-
flüſſige Vorſicht war.
Ich war ſeit ſechs Tagen in Airolo und durch-
aus nicht geſonnen, es ſo ſchnell wieder zu ver-
laſſen.
Ein großer Theil meiner Winterarbeit in Rom
beſtand aus bloßen Skizzen und Entwürfen —
Umriſſen, die in Bezug auf Ausführung der De-
tails Studium und Sorgfalt erforderten, und mein
altes Atelier in der Via San Barbara war immer

zu voll von munteren Freunden geweſen, die ſich

fortwährend einfanden, um mit mir zu plaudern,
oder mir römiſche Stadtneuigkeiten zu erzählen, ſo
daß von anhaltendem, ungeſtörtem Arbeiten keine
Rede ſein konnte.
Airolo dagegen war ein famoſer Platz zum Ar-
beiten. Mein Zimmer hatte ein ſchönes Fenſter
nach Norden und es gab nichts, was die Aufmerk-
ſamkeit eines Malers von ſeiner Leinwand und ſei-
nen Farben abgelenkt hätte. ö
Ueberdies ſtieß ich auf meinen Streifzügen un-
ter den Ausläufern der Alpen auf ſo manche herr-
liche, wildromantiſche Winterlandſchaft und ſah die
Natur in einer neuen Geſtalt. Dergleichen Flächen
makelloſen Schnees und zerklüfteten Eiſes ſind für
einen Künſtler ſehr werthvoll und meine Mappe
ward ebenſo wie mein Gedächtniß jeden Tag reicher.
Deswegen hatte ich durchaus keine Eile, die
Auf einige Wochen mehr oder
weniger kam für mich durchaus nichts an und nach
Berlin kam ich jedenfalls noch Zeit genug zurück.
Der Menſch iſt aber einmal ein geſelliges Thier
und als ich nach einer Weile, meine Cigarre rau-
chend, unter dem Eingangsthor ſtand und das bunte
Leben und Treiben ſah, welches dem Aufbruch des
Zuges voranging, konnte ich nicht umhin, faſt zu
wünſchen, daß ich auch mit zur Zahl der Abreiſen-
den gehören möchte.
Es war ein munteres, anregendes Schauſpiel.
Die Maulthiere und Packpferde, etwa vierzig
an der Zahl, waren alle ſo ſchwer beladen, als die
ſteile Straße und das raſche Fortkommen auf der-
ſelben geſtatteten.

Die Führer waren Italiener und deutſche
 
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