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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 27 - No. 39 (1. März - 29. März)
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Heidelberger Familienblätter.

Bellttriſiſche Beilage zur Heidelberger Zeituug.

M 31.

Mittwoch, den 11. Wärz

1868.

Die Nachbarn.

Chortſetzung.)
Einen Augenblick ſtand er unſchlüͤſſig, ob er

ſich nicht gleich Gewißheit über ſeine Ahnung ſchaf-

fen und ſich ohne Weiteres vorſtellen ſolle; ſeine
Unkenntniß des ganzen Weſens der Familie aber
hielt ihn zurück — beſſer, er richtet ſein erſtes Wort
an den Alten.
Mit einer dankenden Verbeugung, aber einem
halb vertraulichen Lächeln wandte er ſich der bezeich-
neten Richtung zu; als er indeſſen auf dem ſchma-
len Pfade die Einſchließung des Waldes wieder
erreicht, mußte er ſtehen bleiben, um noch einmal
zurückzublicen. Wo er das Mädchen verlaſſen,

hielt es noch immer, den feinen Oberkörper gerade

aufgerichtet, ihm nachblickend; kaum aber mochte
ſie ſeiner Bewegung inne geworden ſein, als ſie
auch plötzlich das Pferd herumwarf und, von den

weiten Sätzen des Hundes begleitet, in entgegenge-

ſetzter Richtung davonſprengte. Sie hing auf dem
haltloſen Rücken ihres Thieres ſo ſicher und gra-
ziös, als habe ſie niemals andere Ritte gekannt,
und mit einem lächelnden, ſinnenden Kopfſchütteln
nahm der junge Mann ſeinen Weg wieder auf.
Schon nach einem viertelſtündigen Marſche öff-
neten ſich die Gebüſche vor ihm; eine weite Ebene
voll eingezäunter Felder zog ſich am Waldesſaume
hin bis zu einem niedern Hügel, welchen der Bach
umſchlang, und oden lag in der prächtigſten Abend-
beleuchtung eines der weißen, vill zähnlichen Ge-
bäude, wie ſie dem jungen Manne, ſeitdem er den

Süden berührt, ſchon hier und da in die Landſchaft

eingeſtreut aufgefallen waren. Unter dem breiten
Portico bemerkte er beim Näherkommen zwei Män-
ner, die in Bequemlichkeit den hereinbrechenden
Abend zu genießen ſchienen, während ſeitwärts an-
gebunden ein geſatteltes Pferd ſtand, und raſch be-
trat er den chauſſirten, wohl unterhaltenen Fahr-
weg, welcher in kurzer Windung ſich nach dem
Hauſe hinauf zog. — Der erſte Blick auf die Da-
ſitzenden, ſobald er die Stufen zum Portico erreicht,
zeigte ihm den Hausherrn. Eine breite Geſtalt mit
ſonngebräuntem Geſichte lehnte, des Rockes entle-
digt, in einem aus Rohr geflochtenen Schaukel-

ſtuhle, die maſſiven Arme breit auf die Seitenleh-
nen gelegt; der Panamahut lag auf den Knieen,
während das dichte, graugemiſchte Haar, nach allen
Seiten hin wie zum Trocknen aufgeſtellt, vom Kopfe
abſtand. Vergebens aber ſuchte der Herantretende
dieſe ſtarken, durchwetterten Züge mit einer Erin-
nerung aus ſeiner Kindheit zuſammenzubringen;
es mochten allerdings achtzehn bis zwanzig Jahre
zwiſchen damals und heute liegen. Sein Geſell-

ſchafter war ein Mann in ähnlichem Alter, aber

mageren, trockenen Geſichts, mit etwas kupfriger
Naſe, trug einen brauen, ſichtlich lange gebrauchten
Strohhut, einen Rock von blauem Baumwollenzeuge,
dazu ein aufgeſchlitztes, aber friſch gewaſchenes
Oberhemd, und hatte beide Ellbogen bequem auf
ſeine Kniee geſtützt. ö
Der junge Mann war raſch die Stufen hinauf-
geeilt. „Mr. Quentin?“ ſagte er ſtehen bleibend.
Die breite Geſtalt blickte auf und richtete ſich dann
langſam in die Höhe. „So heiß ich, Sir!“
„Und ich bin Heinrich Sommer, der ſich zu
Ihren Dienſten ſtellen wollte.“
Eine eigenthümliche Bewegung kam plötzlich in
die ſchwerfälligen Züge. „Heinrich?“ wiederholte
er nach einer Pauſe, in welcher ſeine Augen die
ſtattliche Geſtalt vor ſich überlaufen hatten, „das
wäre der kleine Schmerl, der mir zwiſchen den
Beinen durchkroch? Verdammt will ich ſein, wenn
ich's glaube! Legitimire Dich, Junge, ſage ein
Wort von Dem, was Du von mir ſelber weißt!“
„Ich denke, Pathe,“ erwiederte Heinrich lächelnd,
„Sie entſinnen ſich noch der Guldenſtücke, die ich

bei jedem Beſuche von Ihnen bekam, aber dann

immer ſcharf gegen meine Brüder zu vertheidigen
hatte?“ ö ö
„Er iſt es, bei Gott, er iſt es!“ rief Quentin,
die breite Hand lachend ansſtreckend und die Fin-
ger des Anderen quetſchend; „daß jetzt auch Loo
gerade nicht zu Hauſe ſein muß! Thut aber nichts,
ſie ſoll um ſo mehr die Augen aufreißen, wenn ſie
heimkommt! — Doktor!“ fuhr er gegen den Ne-
benſitzenden fort, „das iſt mein Vetter und Pathe
aus Deutſchland, der hier Farmerei erlernen wird
10u mir altem Menſchen unter die Arme greifen
„Hat ſchon das Zeug an ſich, als könnte er's
ausführen,“ nickte der Angeredete mit einem Aus-

drucke von Schlauheit im Blicke, während ſich ſein
 
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