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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Tamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M49.

Mittwoch, den 22. April

1868.

Das Schloß an der Weſer.

Eine wahrhafte Geſchichte von Eliſe Polko.
Cortſetzung.)

Zu Weihnacht zwar nicht, aber ſieben Jahre

ſpäter kam das „Chriſtkindchen“ wieder! ö
Jene kleinen Atlasſchuhe, die in dem Glasſchrank
der Pfarrerwittwe ſtanden, waren während dieſer
langen Zeit die einzige ſichtbare Erinnerung an den
Beſuch der holdſeligen Prinzeſſin Louiſe im alten
Schloß an der Weſer. Erſt im Jahre 1799 er-
ſchien ſie leuchtend wie ein Stern, bei Gelegenheit
eines großen Manövers, als Königin von Preußen
noch einmal in dem ſtillen Weſerthale. O, wie ſie
ſich noch jenes heitern Sommertages erinnerte! Am
Arme des Königs beſuchte ſie das alte Schloß, die
Capelle, das weiße Landhaus unter den Bäumen
und ſogar das kleine Stübchen der Wittwe. Lachend
erzählte ſie dem hohen Gemahl die Geſchichte der
kleinen weißen Schuhe im Glasſchrank, die die
Pfarrerin mit Stolz zeigte. Das war der letzte
Glanztag des alten Schloſſes. Da wimmelte es im

Schloßhofe von prächtigen Uniformen- und eine Un-

maſſe Volks ſtrömte herbei, um die Maſſen der
Soldaten, die vielen vornehmen Fremden und vor

Allem den geliebten König und die ſchöne Königin

zu ſehen. Das glückliche Königspaar ſah man meiſt
auf der Terraſſe des Schloſſes in traulichem Ge-
ſpräche auf⸗ und niedergehen. Die kleinen Schläfe-
rinnen aus der Capelle ſtreuten Blumen und die
hohe Frau umarmte die Kinder voll mütterlicher
Zärtlichkeit.
Kinder daheim und ich freue mich ſo ſehr auf ſie,“
erzählte ſie ihnen mit einem Lächeln, unendlich
ſtrahlender und glückſeliger, als das Lächeln jener
jungen fröhlichen Prinzeſſin, die damals in kleinen
ſelbſtüberzogenen weißen Schuhen im Saale des
alten Schloſſes an der Weſer tanzte.
A *

*
Jahre vergingen. Im Schloß an der Weſer
war immer noch viel Leben. Bälle wurden zwar
nicht mehr dort gehalten, ſeit der Himmel des Vater-
landes ſich mit ſo ſchweren Wolken umzogen hatte,
aber vornehme Gäſte kehrten doch noch häufig ein.
Als der ſchöne ritterliche Prinz Louis Ferdinand
1803 eine kurze Zeit einen glänzenden Hofhalt auf
dem nahe gelegenen Haus Himmelreich führte, kam

„Ich habe jetzt auch kleine fröhliche

er oft herüber. Zu Wagen und zu Roß zog dann
ein brillanter Schwarm ein und nahm unter der
Linde den Kaffee. Die Frau Amtmann bediente
aber ihre hohen Gäſte ſelber, die heranwachſenden
Mädchen durften nur aus den halb mit Weinblät-
tern zugedeckten Fenſtern der Unterſtube den Mär-
chenprinzen ſehen. Die bloͤnde, faſt vierzehnjährige
Gertrud ſchaute nur ein wenig neugierig auf jene
Gruppe glänzender Cavaliere und ſchöner reich ge-
ſchmückter Frauen, die elfjährige Elſe aber zitterte
und bebte vor Erregung. Ihre glänzenden Augen
verließen den Prinzen nicht. Was kümmerte ſie
ſeine Umgebung — ſie ſah nichts als ihn, den Koͤ—
nigsſohn. Für ſie war er der echte „Märchenprinz.“
Und dieſer Name, den ſie ihm gegeben, paßte ſo
ganz auf ihn! Es lebte vielleicht nie ein Mann,

der einen unwiderſtehlicheren Zauber ausſtrahlte,

als Louis Ferdinand. Seine Schönheit, ſeine wun-
derbare muſikaliſche Begabung, ſein Geiſt, ſeine
glühende Leidenſchaftlichkeit und ſein früher Helden-
tod umziehen ſein Bild mit einer nie verlöſchenden
Aureole. Wer ihn ſah, gab ſich ihm zu eigen.
Einmal, das letzte Mal, als er das Schloß an der
Weſer beſuchte, hatte Elſe, als er vorüberging, das
Fenſter aufgeriſſen und ihm einen Strauß hinaus-
gereicht. Glühend und athemlos kniete ſie auf der
Brüſtung, die dunkeln Locken hingen ihr wirr um's
Geſicht, die großen Augen ſtrahlten vor Begeiſte-
rung. Gertrud war mit einem Schrei in die dun-
kelſte Ecke geflüchtet über die Kühnheit der Schweſter.
Er aber, der Märchenprinz, war ſtehen geblieben,
hatte die Blumen angenommen, der Geberin lächelnd
zugenickt und mit der ſchlanken, weißen Hand Elſe's
Haar geſtreichelt. Das vergaß ſie nie.
„Ich heirathe nur einen Mann, der ſo ſchön
iſt, wie der Prinz Louis Ferdinand,“ erklärte das
Mädchen fortan mit großer Beſtimmtheit.
Wie viel Thränen wurden im alten Schloſſe
geweint bei der Nachricht des Heldentodes des ſtrah-
lenden Königsſohnes bei Saalfeld. Nicht oft genug
konnte der Vater ihnen die tragiſche Geſchichte von
dem Untergang des tapfern Corps erzählen und
Werner, der das Gymnaſium in M. beſuchte und
die Ferien und jeden freien Tag bei ſeiner Mutter
zubrachte, mußte in der Capelle einen Altar auf-
ſtellen zum Gedächtniß des Gefallenen. Und er
wußte das Alles ſo zierlich herzurichten, daß Ger-
trud in ein lautes Lob ausbrach über den geſchick-
 
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