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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

X 46.

Mittwoch, den 15. April

1868.

Zur Geſchicht der Annexion Hannovers.

(Schluß.)

Wer es nach der Annexion ehrlich mit dem
Welfenhauſe meinte, mußte dem Könige offen ſa-
gen: „Sie haben nur zwei Alternativen, entweder
Sie gehen mit der ganzen königlichen Familie nach
England, leben dort als engliſcher Prinz, laſſen
den Kronprinzen die Welt kennen lernen, fügen ſich
in das Unvermeidliche und ermahnen Ihre früheren
Unterthanen, daſſelbe zu thun.“ Dann war es
leicht, der königlichen Familie den Grundbeſitz zu
erhalten, für die Armee, für die königlichen Diener
konnte unendlich viel geſchehen; oder: „Sie bleiben
auf dem Continente, ſelbſt in Wien, und ſetzen ſich
an die Spitze der national-deutſchen Bewegung, ſa-
gen den früheren Unterthanen, ich bin beſiegt, ich
glaubte am Bunde feſthalten zu müſſen, damit auf
die Weiſe Deutſchland machtgebietend einig blieb:
es iſt mir nicht gelungen.“
„Deutſchlands Zukunft, Deutſchlands Schwer-
punkt liegt jetzt im norddentſchen Bunde. Ihr
meine früheren Unterthanen habt nicht aufgehort,

Hannoveraner zu ſein, um Preußen zu werden.

Deutſche ſollt ihr ſein.“
Ich räume ein, daß dazu eine faſt übermenſch-
liche Selbſtverleugnung gehorte, aber wie klug wäre
es geweſen, die alte Königsfamilie mit der Natio-
nalitätsfrage, die in Deutſchland immer größere
Proportion annehmen wird, zu identificiren.
Die Politik, die keinen höheren Zweck verfolgt,
ſinkt immer mehr oder weniger zur Intrigue herab;
Vaterlandsliebe ſoll immer der moraliſche Hebel,
das Wohl des Vaterlandes der Zweck ſein.

Ich als Deutſcher kenne nur eine Vaterlands-
liebe, und das iſt die deutſche. Mit Leuten, die
im Auslande Heil ſuchen, die die Deutſchen in
einen blutigen Krieg verwickelt, ſie beſiegt ſehen
wollen, um ihre Pläne zu erreichen, habe ich nichts
gemein.
Zu ſolchen Gedanken konnten ſich die Rathgeber
des Königs nicht erheben. Nichts als Haß, Egois-
mus, Rache konnte in ſolchen Seelen wurzeln. Was
thaten ſie? Sie ſuchten auf alle Weiſe dem Könige

und den Hannoveranern vorzuſpiegeln, daß das,
was dort begründet, unhaltbar ſein müſſe, daß es
nur der erſte Akt eines Krieges ſei, daß Frankreich
mit Oeſterreich ſich verbinden, Preußen ſchlagen
und beide Mächte Deutſchland reconſtruiren wür-
den. Man ging ſo weit, in Holland und ſpäter
in der Schweiz Werbungen zu veranſtalten, und
da die literariſchen Rathgeber Geld verdienen muß-
ten, ſo wurde in Paris ein Blatt begründet, wel-
tes ganz munter Vaterlandsverrath predigt, ſehr
viel Geld koſtet, ſehr wenig geleſen wird und
der Sache des Königs bedeutend mehr Schaden als
Nutzen bringt.“
Dieſe ſeine Anſichten bethätigte Graf Münſter
dadurch, daß er ſich zunächſt den welfiſchen Agita-
tionen gegenüber ſtark ablehnend verhielt, aber in
entſchiedenſter Weiſe an die Spitze der Bewegung
trat, deren Zweck es war, für Hannover Alles zu
conſerviren, was irgend gut und zweckmäßig war,
und den Uebergang möglichſt zu vermitteln, der
für Hannover natürlich recht ſchwer wurde. Daß

derſelbe noch erſchwert wurde durch die großen Miß-

griffe, welche im erſten Jahre von preußiſcher Seite
geſchahen, ſpricht auch Graf Münſter offen aus.
Die Mißſtimmung in Hannover wurde immer grö-
ßer, wozu das Verhalten der Particulariſten im
Reichstage nicht wenig beitrug. In Berlin machte
dies Verhalten ebenfalls viel böſes Blut, und es
wuchs die Beforgniß im Lande, daß von Berlin
aus die Provinz Hannover organiſirt würde, ohne
weiter auf berechtigte Eigenthümlichkeiten oder der-
gleichen Rückſicht zu nehmen. ö
„Ich entſchloß mich daher im April — ſchreibt
Graf Münſter — obgleich ich wußte, daß ich mich
manchen ungerechten Verdächtigungen ausſetzte, nach
Berlin zu gehen, um zu verſuchen, ob ich bei den
maßgebenden Perſönlichkeiten, die mir meiſtens be-
kannt waren, nicht eine beſſere Stimmung für Han-
nover im Allgemeinen und für einzelne Perſonen,
die beſonders hart betroffen waren, bewirken könne;
vor Allem lag es mir am Herzen, daß der Vertrag
mit dem Könige und ein ſo günſtiger Vertrag als
möglich abgeſchloſſen würde. In Berlin fand ich
allerdings, daß in mancher Hinſicht die Anſchauun-
gen über hannoverſche Verhältniſſe nicht ſo waren,
wie ich als Hannoveraner wünſchen mußte, ich kann
aber der Wahrheit gemäß nur ſagen, daß ich über-
all, namentlich bei dem Grafen Bismarck und dem
 
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