Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
. 118.
Freitag, den 2. October
1868.
Zwei Abende in einem ungariſchen
Edelhofe.
Von Robert Schild.
(Fortſetzung.)
Im Vorzimmer war eine Zigeunermuſikbande
aufgeſtellt und überraſchte die Verſammlung mit
den elektriſirenden Klängen dieſes nationalen Mar-
ſches. Stürmiſcher Jubel unterbrach ſchon die erſten
Tacte der Muſik; Becher klirrten und Einzelne von
den Gäſten hielten es nicht auf ihren Stühlen aus:
ſie ſprangen auf, rannten in's Vorzimmer und
ſtellten ſich, als wären ihnen die lärmenden In-
ſtrumente noch nicht laut genug, ganz nahe um die
Muſikanten, ſchlugen ſich Hüften und Stirne,
ſchwenkten die Servietten, gaben mit den Ferſen
den Tact, und ſangen, Arm in Arm, die Melodie
des Tonſtückes erſt ſummend, dann immer kräftiger
mit. Der Marſch mußte zweimal wiederholt wer-
den.
ſiasmus geſehen. Auch im Saale ſelbſt ging es
nicht weniger lebhaft her. Meine Tiſchnachbarn
rechts und links waren ebenfalls aufgeſtanden und
hinausgegangen. Ich folgte ihnen bis unter die
Thür, von wo ich den Saal und das Vorzimmer
überſehen konnte. Die Zurückgebliebenen trommel-
ten mit den Beſtecken auf den Tellern, ſogar der
alte Huſarenmajor umarmte den geiſtlichen Herrn,
der aber ängſtlich nach ſeinem violetten Collar griff,
welches durch dieſe Begeiſterung in Unordnung zu
gerathen drohte. Einige junge Männer riſſen die
alten Säbel von den Wänden und ſchickten ſich an,
eine Art Waffentanz aufzuführen, als — die Köchin
im Vorzimmer erſchien und den Muſikanten inne-
zuhalten gebot. Die Geſellſchaft machte Miene, ſich
dieſem Eingriff in ihr Vergnügen gewaltſam zu
widerſetzen; aber Herr von Mikony bat und be-
ſchwor die Gäſte, auf die eben an die Reihe kom-
mende Mehlſpeiſe Rückſicht zu nehmen, welche —
und mit ihr der gute Ruf der Köchin — in Gefahr
käme, zu Grunde zu gehen, wenn ſie länger ſtehen
bliebe. Nur nach und nach ließen die Herren ſich
beſchwichtigen, ſie kehrten zu ihren Sitzen an den
Tiſch zurück und die Muſik verſtummte.
Von dieſem Augenblicke an ward die Unterhal-
tung lebhafter und allgemeiner. Herr von Mikony
Ich hatte lange nicht einen ähnlichen Enthu-
erhob ſich, brachte nach einer langen, deutſchen Rede,
die ſich um den Dank für das Erſcheinen ſo wer-
ther und hochanſehnlicher Gäſte drehte, deren Ge-
ſundheit aus und ſtieß mit jedem Einzelnen an.
Der geiſtliche Herr erwiderte im Namen der Uebri-
gen mit einer lateiniſchen Anſprache, worauf das
Toaſtiren kein Ende nahm. Jeder wußte etwas
Verbindliches zu ſagen und jede Rede wurde bei-
fällig aufgenommen. ö ö
Als eine weiſe Vorſicht, um das Zutrinken mit
ſo Vielen für die Ungewohnten minder gefährlich
zu machen, muß ich den Gebrauch loben, daß man
die Gläſer nur bis kaum zur Hälfte füllt. „Len
quaterku! (Nur ein Viertelgläschen!)“ lautet die
unabweisliche Aufforderung, die, wenn man ihr
folgt, wie man muß, uns allmälig zu dem Tropfen
führt, bei dem das Zuviel anfängt. ö
Die Diener brachten immer friſchen Wein. Die
Muſikanten ſpielten nationale Weiſen, welche das
„Weinend freut ſich der Ungar“ auch dem Fremden
verſtaͤndlich machen. Man plauderte nicht mehr
mit ſeinem Nachbar allein, ſondern rechts und links
über den Tiſch, erzählte Anekdoten, Jagdabenteuer,
ſcherzte, lachte, oft redeten Alle zugleich und in
vier Sprachen — es war endlich ein unverſtänd-
liches Chaßs von Stimmen, eine tolle Luſtigkeit —
immer mit Ausnahme des geiſtlichen Herrn oben,
der, ungeachtet er ſein Glas von fünf zu fünf Mi-
nuten dem hinter ihm ſtehenden Candidaten zum
Füllen reichte, nicht einen Augenblick aus ſeiner
nüchternen Anſtandsrolle fiel.
Die Mahlzeit war nach etwa drei Stunden vor-
über und der ſchwarze Kaffe wurde herumgereicht.
Alle holten ihre Pfeifen hervor, ich meine Cigar-
rentaſche. Als dies der Wirth vom Hauſe bemerkte,
kam er flugs auf mich zu und führte mich zu einem
Seitentiſchchen, auf welchem zwiſchen Pfeifen mit
langen und kurzen Röhren, ein großes thönernes
Fäßchen ſtand, voll der herrlichſten Tabacksblätter,
und daneben die Vorrichtung zum Schneiden.
„Von meiner eigenen Pflanzung“, bemerkte Herr
von Mikony, indem er mich mit einer Handbewe-
gung aufforderte, mich von dem Taback zu bedie-
nen. „Von meiner eigenen Pflanzung“, wieder-
holte er mit wohlgefälligem Lächeln — „und“, ſetzte
er hinzu — „noch vom Jahre 1846. Sie müßten
weit reiſen, um ſo alte Blätter zu finden, ſo alte
und ſo gute darf ich ſagen, denn was jetzt gebaut
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
. 118.
Freitag, den 2. October
1868.
Zwei Abende in einem ungariſchen
Edelhofe.
Von Robert Schild.
(Fortſetzung.)
Im Vorzimmer war eine Zigeunermuſikbande
aufgeſtellt und überraſchte die Verſammlung mit
den elektriſirenden Klängen dieſes nationalen Mar-
ſches. Stürmiſcher Jubel unterbrach ſchon die erſten
Tacte der Muſik; Becher klirrten und Einzelne von
den Gäſten hielten es nicht auf ihren Stühlen aus:
ſie ſprangen auf, rannten in's Vorzimmer und
ſtellten ſich, als wären ihnen die lärmenden In-
ſtrumente noch nicht laut genug, ganz nahe um die
Muſikanten, ſchlugen ſich Hüften und Stirne,
ſchwenkten die Servietten, gaben mit den Ferſen
den Tact, und ſangen, Arm in Arm, die Melodie
des Tonſtückes erſt ſummend, dann immer kräftiger
mit. Der Marſch mußte zweimal wiederholt wer-
den.
ſiasmus geſehen. Auch im Saale ſelbſt ging es
nicht weniger lebhaft her. Meine Tiſchnachbarn
rechts und links waren ebenfalls aufgeſtanden und
hinausgegangen. Ich folgte ihnen bis unter die
Thür, von wo ich den Saal und das Vorzimmer
überſehen konnte. Die Zurückgebliebenen trommel-
ten mit den Beſtecken auf den Tellern, ſogar der
alte Huſarenmajor umarmte den geiſtlichen Herrn,
der aber ängſtlich nach ſeinem violetten Collar griff,
welches durch dieſe Begeiſterung in Unordnung zu
gerathen drohte. Einige junge Männer riſſen die
alten Säbel von den Wänden und ſchickten ſich an,
eine Art Waffentanz aufzuführen, als — die Köchin
im Vorzimmer erſchien und den Muſikanten inne-
zuhalten gebot. Die Geſellſchaft machte Miene, ſich
dieſem Eingriff in ihr Vergnügen gewaltſam zu
widerſetzen; aber Herr von Mikony bat und be-
ſchwor die Gäſte, auf die eben an die Reihe kom-
mende Mehlſpeiſe Rückſicht zu nehmen, welche —
und mit ihr der gute Ruf der Köchin — in Gefahr
käme, zu Grunde zu gehen, wenn ſie länger ſtehen
bliebe. Nur nach und nach ließen die Herren ſich
beſchwichtigen, ſie kehrten zu ihren Sitzen an den
Tiſch zurück und die Muſik verſtummte.
Von dieſem Augenblicke an ward die Unterhal-
tung lebhafter und allgemeiner. Herr von Mikony
Ich hatte lange nicht einen ähnlichen Enthu-
erhob ſich, brachte nach einer langen, deutſchen Rede,
die ſich um den Dank für das Erſcheinen ſo wer-
ther und hochanſehnlicher Gäſte drehte, deren Ge-
ſundheit aus und ſtieß mit jedem Einzelnen an.
Der geiſtliche Herr erwiderte im Namen der Uebri-
gen mit einer lateiniſchen Anſprache, worauf das
Toaſtiren kein Ende nahm. Jeder wußte etwas
Verbindliches zu ſagen und jede Rede wurde bei-
fällig aufgenommen. ö ö
Als eine weiſe Vorſicht, um das Zutrinken mit
ſo Vielen für die Ungewohnten minder gefährlich
zu machen, muß ich den Gebrauch loben, daß man
die Gläſer nur bis kaum zur Hälfte füllt. „Len
quaterku! (Nur ein Viertelgläschen!)“ lautet die
unabweisliche Aufforderung, die, wenn man ihr
folgt, wie man muß, uns allmälig zu dem Tropfen
führt, bei dem das Zuviel anfängt. ö
Die Diener brachten immer friſchen Wein. Die
Muſikanten ſpielten nationale Weiſen, welche das
„Weinend freut ſich der Ungar“ auch dem Fremden
verſtaͤndlich machen. Man plauderte nicht mehr
mit ſeinem Nachbar allein, ſondern rechts und links
über den Tiſch, erzählte Anekdoten, Jagdabenteuer,
ſcherzte, lachte, oft redeten Alle zugleich und in
vier Sprachen — es war endlich ein unverſtänd-
liches Chaßs von Stimmen, eine tolle Luſtigkeit —
immer mit Ausnahme des geiſtlichen Herrn oben,
der, ungeachtet er ſein Glas von fünf zu fünf Mi-
nuten dem hinter ihm ſtehenden Candidaten zum
Füllen reichte, nicht einen Augenblick aus ſeiner
nüchternen Anſtandsrolle fiel.
Die Mahlzeit war nach etwa drei Stunden vor-
über und der ſchwarze Kaffe wurde herumgereicht.
Alle holten ihre Pfeifen hervor, ich meine Cigar-
rentaſche. Als dies der Wirth vom Hauſe bemerkte,
kam er flugs auf mich zu und führte mich zu einem
Seitentiſchchen, auf welchem zwiſchen Pfeifen mit
langen und kurzen Röhren, ein großes thönernes
Fäßchen ſtand, voll der herrlichſten Tabacksblätter,
und daneben die Vorrichtung zum Schneiden.
„Von meiner eigenen Pflanzung“, bemerkte Herr
von Mikony, indem er mich mit einer Handbewe-
gung aufforderte, mich von dem Taback zu bedie-
nen. „Von meiner eigenen Pflanzung“, wieder-
holte er mit wohlgefälligem Lächeln — „und“, ſetzte
er hinzu — „noch vom Jahre 1846. Sie müßten
weit reiſen, um ſo alte Blätter zu finden, ſo alte
und ſo gute darf ich ſagen, denn was jetzt gebaut