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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 27 - No. 39 (1. März - 29. März)
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geidelberger Zamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

MN 39.

Sonntag, den 29. März

Die Nachbarn.

(Fortſetzung.)

„Ich muß Ihnen uämlich ſagen, daß ich dieſe
für völlig liebe und rechtliche Leute, aber von einer
Art fixer Idee beſeſſen, halte. Ich würde als
Hausfreund und Unparteiiſcher der jungen Lady
gern ſelbſt einmal in's Gewiſſen reden, aber —
und hier kommt ein neues Sympton des angedeu-
teten Zuſtandes — ſie haßt mich, und nur, wie
ich ſicher vorausſetzen kann, weil die Baumbachs
nicht wohl auf mich zu ſprechen ſind. Ich halte
es für meine Pflicht, Ihnen dies mitzutheilen,
damit Sie um Mr. Quentins willen noch einmal
ſelbſt ein dringendes Wort zu ihr reden. Sie tre-
ten ihr ſchon in der nächſten Stunde als gleichbe-
rechtigter Sohn des alten Herrn entgegen und ſo
darf ſie Ihrem Drängen keinen ſelbſtſüchtigen Grund
unterlegen. Nützt aber auch dieſe Zuſprache und
die Appellation an ihre Sorge üm das Leben ihres
Vaters nichts, ſo darf man ſie allerdings kaum
anders als krank betrachten. Und damit wäre auch
der Nachbarſchaft gegenüber, von welcher doch das
Mädchen ruhig alle Glückwünſche entgegengenom-
men, ihre jetzige Zurückweiſung erklärt.“
Heinrich ſah während der ganzen Rede den
Blick des Sprechenden auf ſich gerichtet, als wolle
dieſer damit in jede Falte ſeines Innern eindrin-
gen, und es ward dem jungen Manne, als müſſe
er einen noch beſtimmteren Sinn in den Worten
ſuchen, als dieſe thatſächlich ausgedrückt, als ſehe
er dahinter eine entſetzliche Gefahr für Loo wie
den Kopf eines Ungeheuers auftauchen, und doch
wäre es ihm jetzt unmöglich geweſen, dieſen Vor-
ſtellungen ſchon eine beſtimmte Form zu geben. Er
fühlte im Augenblicke nur, daß der Mann vor ihm
ſeine Baſe ebenſo haßte, als er meinte, von ihr ge-
haßt zu werden, daß dieſer ihre genaue Beziehung
zu den Baumbachs durchſchaute, aber ſich noch nicht
klar war, welche Stellung Heinrich in den geſamm-
ten Verhältniſſen einnahm, und daß er ſelbſt die
vollſte Harmloſigkeit zur Schau tragen mußte, wenn
er ſich einen freien Blick und erforderlichen Falls
eine freie Hand in Dem, was ſich gegen das Mäd-
chen vorbereiten mochte, bewahren wollte.

Alles dies aber war in Sekundenſchnelle durch

ſein Gehirn geſchoſſen, und der Doktor hatte kaum
ſeine Rede geendigt, als auch Heinrich ruhig den

Kopf hob und langſam erwiederte: „Sie muthen
mir etwas ganz Unmögliches zu, Sir — nach einer
ſo beſtimmten Abweiſung, wie ich ſie erfahren, kann
ich mich nicht hinter Mr. Quetins Geſunndheit

ſtecken, um einen neuen Anlauf zu nehmen, der
vorausſichtlich ebenſo fruchtlos ſein würde, als der
erſte.
Dinge gehen zu laſſen, wie ſie eben gehen; ich bin
noch ſo fremd in den Landesverhältniſſen wie in

dem allgemeinen Familienleben, daß ich eigentlich-
nur meines Pathen Freundlichkeit zu erkennen udd-

mich daran zu halten vermag. Uebrigens darf ich
Ihnen wohl auch nicht erſt ſagen, daß nach dem
heute Vorgefallenen mein Verhältniß zu der jungen

Lady ſich nicht ſo geſtalten wird, daß es eine gegen-

ſeitige vertrauliche Ausſprache ermöglichte.“

Er wandte den Kopf und blickte in's Weite;
aber er hatte die Genugthuung gehabt, zu ſehen,

wie Hadley's Blicke ihren forſchenden Charakter
verloren und ein Ausdruck von innerer Beruhigung,
dem ſich gleichzeitig eine Art mitleidiges Zucken der
Mundwinkel beimiſchte, ſich über ſein Geſicht ver-
breitete. Heinrich durfte jetzt hoffen, daß Jener
ihn, was auch geſchehen mochte, als ungefährlich
außer Acht laſſen würde.
Nur ein unbeſtimmtes Brummen hatte der
Doktor als Antwort hören laſſen und dann ſeinem
Geſellſchafter halb den Rücken gekehrt, und ſo ſaßen
Beide wortlos, der junge Mann über Hadley's

Worten grübelnd, und der Andere wie mit einer

ihn überkommenden Müdigkeit kämpfend, bis Quen-
tin unter dem Portico erſchien und ſie nach der
Office des Friedensrichters rief. ö
Das Zimmer, in welches die kleine Geſellſchaft
trat, ſchien beweiſen zu ſollen, mit wie wenig Aeu-
ßerlichkeiten ſich ein gerichtlicher Akt vollziehen laſſe.
Zwei hölzerne Bänke, an den kahlen, ſchmutzigen

Kalkwänden hinlaufend, ein roher Tiſch für die

nothwendige Schreiberei und zwei dazu paſſende
Stühle bildeten die geſammte Ausſtattung. Hinter
dem Tiſche ſaß der Friedensrichter, das eben auf-
geſetzte Dokument nochmals durchblickend, während
eine Hinterwaldsfigur, unweit von ihm, ſich als
zweiter Zeuge für die Verhandlung präſentirte.

Als Quentin, den beiden Uebrigen voran, die

ö 868.

Ich kann nichts Anderes thun, als die
 
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