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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 15 - No. 26 (2. Februar - 28. Februar)
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geidelberger gamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 24.

Sonntag, den 23. Februar

1868.

Die Gräfin Chorinsly.
Von —x.
„De mortuis nil nisi bene.“

Iſt es ſchon tadelnswerth und geradezu ver-
werflich, die Privatverhältniſſe des Rächſten unnö-
thiger Weiſe vor den Augen der ſchmäh-⸗ und ſkan-
dalſüchtigen Menge bloszulegen, lächerlich zu machen
oder gar in entehrender Weiſe herabzuſetzen, ſo iſt
es noch weit verwerfllicher, ja geradezu niederträch-
tig, den Sarkophag der ſchuldlos Verſtorbenen mit
dem Geifer der Verleumdung zu beſpritzen.
So brachten ſ. Z. mehrere Journale „aus ganz
zuverläſſiger Quelle“ die Nachricht, daß die ermor-
dete Gräfin Mathilde Chorinsky ein verbotenes
Verhältniß gehabt und am 13. November 1866
im Münchener Gebärhaus einem unehelichen Kinde
das Leben gegeben habe.
Dieſe Anſchuldigung wurde bereits von Dr.
R. in der „Köln. Ztg.“ als gewiſſenloſe Verleum-
dung gebührend zurückgewieſen. Offenbar wurde
der „verbotene Umgang“ der unglücklichen Gräfin
mit dem vermeintlichen Hofmeiſter der Chorinsky'⸗
ſchen Kinder nur ausgeklügelt und in die Welt ge-
ſchrieben, um den Gatten der Ermordeten in einem
beſſern charakteriſtiſchen Lichte erſcheinen zu laſſen.
Bekannt nun iſt bereits, daß ſeit 15 bis 18 Jah-
ren kein Hofmeiſter im ſchwiegerelterlichen Hauſe
der Gräfin Chorinsky, geb. Rueff, mehr anweſend
war, da ſämmtliche Kinder des Statthalters in
Niederöſterreich längſt aus den Kinderſchuhen ge-
treten und erwachſen ſind, — bekannt endlich iſt
auch, daß die unglückliche Gräfin und Gattin im
Winter 1866 faſt drei Monate an einem hartnäcki-
gen Halsleiden litt und dieſe ganze Zeit über das
Zimmer und auch das Bett huͤten mußte. Später
ging ſie, jedoch ohne beſondern Erfolg für die He-
bung ihres Halsleidens auf kurze Zeit in das ober-
baieriſche Bad Reichenhall.
Vor dieſem Uebelbefinden ſoll nun die Gräfin
Chorinsky in geſegneten Umſtänden geweſen ſein.
Nun ſcheint aber die Gräfin Chorinsky bis Herbſt
1866 im ſchwiegerelterlichen Hauſe geweſen zu ſein,
wo die Folgen des ihr angedichteten Umganges mit
dem gleichfalls erdichteten Hofmeiſter unmöglich un-
bemerkt geblieben wären. Auch hätte die Familie

Chorinsky, die ſich ja zu dem älteſten und reichſten
öſterreichiſchen Adel, und die Fürſtenfamilien Schwar-
zenberg, Dietrichſtein und Lobkowitz zu Verwandten
zählt, für Veröffentlichung jenes verbotenen Verhält-
niſſes ihrer Schwiegertochter um ſo gewiſſer und
eifriger geſorgt, als ja bekannt iſt, daß die bürger-
liche Abkunft derſelben den gräflichen Eltern und
fürſtlichen Vettern vom erſten Anfange des ver-
wandtlichen Verhältniſſes an bis zur Stunde un-
freiwilligen Hinſcheidens der Gemordeten ein Dorn.
im Auge war. Doch ſelbſt wenn dieſe meine Ver-
muthung unbegründet und falſch wäre, iſt es faſt
unmöglich, daß die Verſtorbene am 13. November
1866 im Münchener Gebärhauſe geboren habe, es
müßte denn die ſonſt nicht ſo robuſt ſcheinende
Frau am 13. geboren und am 15. Novbr. 1866
ſchon wieder durch die Straßen Münchens gewan-
delt ſein; denn gerade am 15. November 1860 er-
eignete ſich nachſtehender Vorfall, der zur Ehreu-
rettung der unſchuldig gemordeten und im Grabe
noch verleumdeten Frau hiemit der Offentlichkeit
übergeben werden ſoll. ö
Es war Ende Oktober 1866, als Schreiber
dieſer Zeilen damals zu München bisweilen einer
Dame begegnete, deren Haltung und Tracht of-
fenbar das Gepräge der Fremde an ſich trug.
Sie war von mittlerer Größe und ging, wenigſtens
ſo oft ich ihr zu begegnen die Freude hatte, ver-
ſchleiert. ö ö ö

Freude nämlich brachte mir, ſo oft ich ſie ſah,
ihr Erſcheinen. In eleganter, feiner und äußerſt
geſchmackvoller Kleidung ſchritt ſie ungeſucht vor-
nehm, und eben deßhalb unwillkürlich anziehend
durch die Straßen der baieriſchen Metropole. Dabei
lag über das ganze Weſen der reizenden Fremden
der Schleier des Geheimnißvollen — der Hauch
einer gewiſſen Wehmuth ausgebreitet, was unwi-
derſtehlich die Sympathie und die Neugierde des

pyſychologiſchen Beobachters wach rief und ihn ruhe-

los antrieb, das Geheimniß zu durchdringen und
den Grund der Wehmuth kennen zu lernen, die
offenbar das zarte Herz, die weiche Seele der ſo
edlen Erſcheinung belaſtete.

Wie gerne hätt' ich der myſterißſen Dame iw's

offene Auge geblickt, wie gerne ihre Züge durch-

forſcht, um dort die Gedankenfülle ihres Geiſtes zu

errathen und hieraus zu erkeynen, ob mehr Sorge
 
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