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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 66 - No. 76 (3. Juni - 28. Juni)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

X 73.

Freitag, den 19. Juni

1868.

In einem Spielſaale in Callao.
(Von einem deutſchen Seemanne.)
— (Schluß.)

An dem großen Tiſche ging es ſehr lebhaft her.
Man ſpielte an demſelben ein Spiel, welches un-
ſerem deutſchen Landesknecht ſehr ähnlich iſt, und
pointirte ſowohl mit. Gold⸗,‚ als auch mit Silber-
ſtücken. Die letzteren, beſonders aber amerikaniſche
Halbdollarsſtücke, waren am häufigſten, bei der Ge-
ſellſchaft, die größtentheils aus Matroſen der im
Hafen ankernden amerikaniſchen Fregatten beſtand,
wohl natürlich war. Ich erregte daher einiges Auf-
ſehen, als ich einen goldenen Adler (5 Dollar) auf
den Tiſch warf und auf die Frage des Croupiers,
ob er wechſeln ſolle, ruhig „nein“ ſagte. Jeder
der Spielenden hatte eine Waffe neben ſich liegen,
dieſer eine Piſtole, jener ein großes Meſſer, der
Bankhalter gar zwei Revolvers. Ich gewann und
verlor abwechſelnd, aber meine neuen Matroſen
hatten bald ihren letzten Realen der Bank bezahlt;
nur der Hamburger hatte Glück. Er hatte viel-
leicht eine halbe Stunde geſpielt und mochte gegen
achthundert Dollars gewonnen haben, als ſich an
dem Spieltiſche in der Nähe des Ausganges, wo
meine Kameraden Platz genommen hatten, laute,
zornige Stimmen vernehmen ließen. Das Spiel
war im Nu unterbrochen und Alles ſtrömte dem
Ausgange zu. Ich wurde durch den Schwall mit-
gezogen und ſtand bald neben meinen Reiſegefähr-
ten, die mit einigen Amerikanern in Streit gerathen
waren. Die geringfügige Urſache des Streites, der
ſehr gefährlich zu werden drohte, beſtand darin, daß
einer der Hankees, ein Schiffszimmermann, ſeinen
großen eiſernen Cirkel mitgebracht, und neben ſich
auf den Tiſch gelegt hatte. Hiebei mag er nun den
ihm zunächſt Sitzenden mit der Spitze des Cirkels
berührt haben, was zur Folge hatte, daß ihm der
Andere eine ſchallende Ohrfeige verſetzte.
Mit dem Ausrufe: Jou goddamnad son of a
bitch (du gottverdammter Hundeſohn) fiel der Ame-
rikaner über ihn her und nur dem energiſchen Ein-
ſchreiten der ganzen Geſellſchaft gelang es, den An-
gegriffenen, einen feſten Engländer, vor unmittel-
barer Gefahr zu reiten. Doch Bruder Jonathan
iſt ſehr zähe und beſonders auf John Bull ver-

ſeſſen. Kaum war daher der Letztere wieder aus

dem ihn umgebenden Kreiſe getreten und auf dem
Wege in das Tanzlokal, als der jetzt ganz wüthende
Zimmermann auf ihn zuſprang und ihn zu Boden
riß. Da der Amerikaner noch immer ſein gefähr-
liches Werkzeug in der Hand hatte, ſo verſuchten
wir ihm dieſes wenigſtens zu entreißen, aber ver-
gebens. Die von uns vorhergeſehene Kataſtrophe
trat ein. Der Engländer raffte ſich auf, jetzt eben-
falls zur Wuth angeſpornt, und warf ſich auf ſei-
nen Gegner. Beide rollten zur Erde. Plötzlich
hörten wir einen furchtbaren Schrei, und der Ame-
rikaner erhob ſich allein wieder, mit leeren Händen.
Ein Blick auf den in den letzten Zuckungen liegen-
den Gegner zeigte uns, daß der ſpitze Cirkel in
ſeine Bruſt eingedrungen und auf dem Rücken wie-
der herausgekommen war. War hier ein Mord ge-
ſchehen oder war der Cirkel zufällig in die Bruſt
des Engländers gefahren? Ich habe nie mehr et-
was davon gehört und weiß nur ſo viel, daß ich
bald darauf mit meinen Kameraden auf der Straße
ſtand. Die Muſik im Tanzlokale dauerte fort, als
wenn nichts vorgefallen wäre. Da uns aber nach
dem ſoeben Geſehenen ernſte Bedenken über das
Schickſal meines Hamburger Matroſen aufſtiegen,
der, wie ich wußte, mit einer für ihn bedeutenden
Geldſumme noch im Innern des Hauſes war, ſo
beſchloß ich zu warten und trat unter eine dicht
bei dem Hauſe ſtehende Gaslaterne. Ich hatte die
Freude, den Hamburger bald herauskommen zu
ſehen. Er kam direct auf unſere Gruppe zu und
ſagte: ö
„Es iſt gut, Herr, daß ich Sie noch treffe. Ich
wollte Sie bitten, mir dieſe 700 Dollars aufzu-
heben, damit ich ſie nicht verliere. Wenn ich mor-
gen früh nicht zum franzöſiſchen Conſul komme, ſo
befördern Sie das Geld an meine Mutter in Sanct
Pauli.“
„Seid nicht verrückt, Jan. Warum ſolltet Ihr
denn nicht zum Conſul kommen?“
„Weil heute in dem Hauſe dieſes Amerikan ers
keines Menſchen Leben ſicher iſt.“ ö

„Nun ſo kommt mit mir in die Fonda de la

California. Ich werde hineingehen und dem Mr.

Collins ſagen, daß er morgen früh zu mir kommen

ſoll, um ſein Guthaben abzuholen.“

„Gehen Sie jetzt nicht hinein, Herr, der Col-
lins iſt mit einer ſeltſamen Arbeit beſchäftigt und
 
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