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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 92 - No. 104 (2. August - 30. August)
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Heidelberger gamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

W101.

Sonntag, den 23. Auguſt

1868.

Franz Alzeyer.

Eine Geſchichte aus den Befreiungskriegen von Paul Heyſe.

(Fortſetzung.)
Fritz ſchien es ganz zu überhören. Siehe, ſagte
er, von dieſem Balkon aus hab' ich euch vor Jahr
und Tag abmarſchiren ſehn in der Frühe, und blieb

ganz guter Dinge dabei; denn nur einen Tage-

marſch wollt' ich euch Vorſprung laſſen und die
Nacht zu Rathe halten, daß ich vor Morgengrauen
bei euch wäre. Und ich ſpielte meine Rolle, wie
ich meinte, auf's Beſte, war im Hauſe wie ſonſt
bei meinen Geſchäften, auch zu Tiſche nicht anders
als ſonſt. Was ich vorhatte, wußte kein Menſch,
nicht einmal die — Schweſter, wollte er ſagen,
ſchluckte das Wort aber hinunter und ſagte nach
einer Pauſe: Ich muß es doch nicht klug angefan-
gen haben. Denn wie ich zwiſchen Elf und Mitter-
nacht mein Bündel faſſe und die Thür leiſe auf-
mache, um hinabzuſchleichen auf den Socken — die
Schuhe trug ich in der Hand, — da ſeh' ich unten
im Flur den Vater ſtehn, und der Mond ſchien ihm
gerade auf's Haupt und die Narbe war ſchwarz,
wie geronnenes Blut, und er ſtand in ſeiner Uni-
form und auf den Stock geſtützt, ſo ſteif und ge-
laſſen, wie eine Schildwach auf Poſten. Ich bin
einen Augenblick unſchlüſſig worden, hernach hab'
ich gedacht, es iſt vielleicht beſſer ſo, als wenn's
heimlich und hinter ſeinem Rücken geſchähe. Alſo
bin ich die Treppe hinuntergegangen und habe ſtracks
und geradewegs an ihm vorbeigehen wollen, auch
gute Nacht zu ihm ſagen, aber einen Ton aus der
Kehle zu bringen, war mir unmöglich. Und wie
ich eben vorüber will, haͤlt er mir ſeinen Stock vor
und ruft ganz laut: Oui vive? Da ſtand ich ſtill,
ſah ihn feſt an und ſagte: Sie werden mich nicht
zurückhalten, Vater; Sie haben keine Macht dazu;
treiben Sie mich nicht weiter in die Verzweiflung,
denn es gibt, ein Maß und ein Ziel in Allem und
auch im Befehlen und Gehorchen — und was ich
ſonſt noch ſagte, um in Gutem von ihm loszukom-
men. Bei alle dem hatte er immer ſeinen Stock
querüber gegen das Treppengeländer geſtemmt und
ſagte keine Silbe.
Stille, oder die franzöſiſche Uniform, oder all' die

Bitterkeit, die ich in der Kirche hinabgewürgt hatte

Und war es dieſe kaltblütige

— auf einmal packt mich's wie Wahnſinn, daß ich

ſeinen Stock mit der Fauſt wegſchlage und den Fuß
auf die Treppe ſetze. Und in dem Augenblick fühl'
ich einen Schlag auf meinen Nacken, ich weiß nicht,
ob mit der Hand, oder mit dem Stock, und beſin-
nungslos, wie ich war, ſchlug ich blindlings zurück

mit der Fauſt, in der ich die Schuhe trug, und

fühle mich gepackt und zurückgezerrt und ſchreie noch:
Vater, Gott verzeih's Ihnen und mir! und will
ihn von mir ſtoßen, da verliert er das Gleichgewicht
und ſtürzt die Stufen hinunter, die acht oder zehn,
und mit dem Kopf gegen die Mauer, daß er mit
einem dumpfen Aechzen liegen blieb.
Die Stimme verſagte dem Fritz, als er ſo weit
gekommen war; ſein Freund hörte, wie er die Zähne
zuſammenpreßte, daß ſie knirſchten, und indem fing
draußen eine Schaar junger Leute, die wohl vom
Feſtwein angeregt ſein mochten, das Schiller'ſche
Reiterlied an zu ſingen, und dazwiſchen Vivatrufen
und Freudenſchüſſe, und Alles hallte ſchauerlich wie-
der zwiſchen den Wänden des niedern Dachzimmers.
Erſt als der Schall ſich entfernt hatte, fing der
Fritz wieder an:
Ich hab' ihn aufgehoben und in ſein Zimmer
hinuntergebracht; es war ihm nicht Viel geſchehen,
nur daß er plötzlich ganz ſanft geworden war und
mir weder ein böſes Wort noch einen unfreund-
lichen Blick gab. Ich zündete ihm ſein Licht an
und ſtellt' es auf den Tiſch, während er wie ab-
weſend im Lehnſtuhl ſaß. Da ſah ich erſt auf ſei-
ner kahlen Stirn dicht unter Der Narbe die rothe
Spur; alle Nägel, mit denen meine Schuhe be-
ſchlagen waren, hatten ſich eingedrückt; es blutete
nicht, aber es brannte mir in die Seele, das ent-
ſetzliche Mal. Und wie ich ſo hinſtarre, fallen mir
die Worte wieder ein, die der Pfarrer am Morgen
von der Kanzel herab geſprochen, daß es ein heiliger
Krieg ſei, in den wir auszögen, und daß ſich hei-
ligen müſſe, wer hoffen wolle, den Sieg davon zu
tragen. Und da war mir's auf einmal klar, daß ich
Kampf und Sieg verſcherzt hatte, denn ich hatte die
Hand gegen den eigenen Vater aufgehoben ünd
meine gute Sache entheiligt. Und ich wußt' es
wohl, jetzt konnte ich frei hinausgehen, Niemand
hielt mich; aber die Schuhe, die das Mal zurück-
gelaſſen auf dieſer Stirne, waren unwürdig, eine
Siegesbahn zu wandeln, und kein Schlachtenlärm
und Victoviaſchießen konnte die Stimme in mir
 
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