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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 105 - No. 117 (2. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0435

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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 107.

Sonntag, den 6. September

1868.

Eine Pfandhausſcene.

Nach Charles Deslys.

I.
Steffen war wüthend und ſchritt, wie ein Heide
fluchend, in ſeinem Atelier auf und ab.
In dieſem Zuſtande wilder Aufregung traf ihn
ſein Freund Babylas, der bei ihm eintrat.
„Aber um des Himmels willen, was haſt du
denn, daß du dich ſo gegen das zweite Gebot ver-
ſündigſt?“ rief er erſtaunt.
„Was ich habe?
Kommisbrod und ein Glas Waſſer zum Frühſtück

nebſt allen möglichen gaſtronomiſchen Gelüſten nach

Auſtern, Gänſeleberpaſteten, Schnepfen und Faſa-
nen. Was ich aber nicht habe, iſt das liebe Geld,
welches nöthig wäre, um mir dieſe Genüſſe zu ver-
ſchaffen . . . . Doch du kommſt wie gerufen, denn

ich fordere dich hiemit im Namen unſerer Freund-

ſchaft feierlichſt auf, mich zu einem feinen Reſtau-
rant zu führen.“ ö
„Das iſt mir leider unmöglich.“
„Unmöglich? . . . Wie! wärſt du etwa auch
auf dem Hund und befändeſt du dich gleich mir in
der bejammernswerthen Lage des Tantalus? ...
Leidet dein Portemonnaie etwa auch an der Schwind-
ſucht?“ ö ö
„Nein, im Gegentheil;.
dich.“ ö ö
Und Babylas ließ ſeinen Freund ſechs funkelnde
Goldſtücke ſehen mit dem Porträte des großen
Mannes. ö ö
„Nun?“ entgegnete Steffen, bei dem alle Be-
gierden eines leckeren Gaumens und hungerigen
Magens mit verdoppelter Gewalt erwachten.
„Dieſe Summe iſt zum Auslöſen meiner Uhr
beſtimmt, ein Erbſtück in meiner Familie, wie du
weißt, welches ſeit dem vorvorigen Carneval, alſo
ſeit 13 Monaten und einigen Tagen, im Leihhauſe
ſchmachtet.
Pfandzettel umſchreiben zu laſſen. Aber ein kate-
goriſches „Zu ſpät“ belehrte mich, daß ich den Ter-
min verſäumt habe . .. . Ich machte einen Sprung,
ſo hoch wie der Tiſch, ſo ſehr erſchrak ich über dieſe
fatale Mittheilung: „Seit geſtern werden die ver-
fallenen Pfandobjekte verſteigert,“ fügte der Be-
amte mit einer Ruhe hinzu, die mich empörte.

da, überzeuge

immerhin Ihre Uhr wieder an ſich bringen.

. . . Ein Stückchen hartes

Geſtern war ich beim Kaſſier, um den

„Aber noch gibt es eine Möglichkeit für Sie, Ihre
Uhr zu retten.“
„Welche? ...“ ö ö ö
„Gehen Sie zu Herrn X. . ., vielleicht, ob-
wohl es kaum wahrſcheinlich iſt, hat er Ihre Uhr
noch in ſeiner Verwahrung. Hat er ſie nicht mehr,
ſo iſt ſie bereits im Auktionsſaale; da aber Pre-
tioſen erſt morgen daran kommen, ſo können Sie
Sie
brauchen in dieſem Falle nichts zu thun, als ſelbſt

darauf zu ſteigern.“

„Ich dankte für die gefällige Auskunft, und
ſomit eile ich jetzt in's Leihhaus. Adieunl.“
„Adieu!“ brummte Steffen mißvergnügt, „wie
gerne hätte ich bei den trois fréres provenceaux
geſpeist!“ fügte er ſeufzend hinzu, indem er einen
letzten Blick auf das Portemonnaie ſeines Freun-
des warf, welches dieſer eben wieder einſteckte.
„Mir wäre dies auch nicht unangenehm gewe-
ſen. Aber höre, vielleicht iſt, bis ich hinkomme,
die Uhr ſchon des Teufels, dann hol ich dich ab,
um mit dir der Dahingeſchiedenen einen Leichen-
ſchmaus zu halten.“
„Iſt dies dein Ernſt?“ ö
„Alle Teufel, wenn ich einmal etwas ſage! ..“
„Nimm dich in Acht, mir ſcheint, daß du dich
auch gegen das zweite Gebot verſündigſt. Du
fluchſt wie ein Dragoner; das wird uns Unglück
bringen.“
Babylas lachte und verließ ſeinen Freund. Be-
ſchleunigten Schrittes eilte er in's Pfandhaus.

II.

„Haben Sie meine Uhr noch?“ rief er ganz
außer Athem, indem er ſeinen Zettel einer Art
Mumie von Beamten überreichte, an den ihn der
Kaſſier Tags zuvor gewieſen hatte.
„Sie kommen zu ſpät,“ lautete die Antwort,
„Ihre Uhr iſt verfallen und wird verſteigert. Lau-
fen Sie ſchnell in den Auktionsſaal.“ ö
„Ach, meine arme Uhr,“ ſeufzte Babylas.
„Und die meinige, mein Herr?“ rief in dieſem
Augenblicke in höchſter Angſt ein kleiner Greis, der
dem Beamten ebenfalls einen vom Alter ganz ver-
gelbten Zettel präſentirte. * ö
„Auch zu ſpät,“ entgegnete lakoniſch der Be-
amte. „Gehen Sie in den Auktionsſaal.“

5 O, mein Gott!“ jammerte der Greis, der ohne
 
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