Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI chapter:
No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0555

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

137.

Sonntag, den 15. November

1868.

Die sletzte Montanini.

Eine italieniſche Geſchichte, nach alten Papieren erzählt
von ö
Berthold Rödiger.

(Fortſetzung.)
Mittlerweile aber hatten ſich die Dinge bedeu-
tend geändert. Den alten Herrn von Saligny
konnten ſeine Forſchungen nach dem Steine der
Weiſen nicht ſein Vaterland vergeſſen machen und
je mehr er ſich in ſeine Einſamkeit verſchloß und
von aller menſchlichen Geſellſchaft abſonderte, deſto
heftiger wurde in ſeinem Herzen die Sehnſucht nach
Frankreich und der Schmerz, daß er auf fremder
Erde ſterben ſolle. Das Heimweh artete bei dem
alten Manne nach und nach in eine wahrhafte
Krankheit aus und er nahm zuſehends ab. Da
entdeckte ein junger franzöſiſcher Edelmann, der
Vicomte von Chinon, mit Hilfe ſeiner Späher, die
er in alle Welt ausgeſchickt hatte, deſſen Aufent-
halt in Siena. Es war die Liebe, die den Vi-
comte forſchen ließ und ihn auf die Spur der
Flüchtlinge brachte. Er liebte Anna und wünſchte
ſich mit ihr zu vermählen, und da er zu den Edel-
leuten Richelieu's gehörte und einer der Günſtlinge
des allmächtigen Miniſters war, ſo konnte Herr

von Saligny, wenn ſeine Tochter den Vicomte hei-

rathete, unbehelligt und mit voller Sicherheit nach
Frankreich zurückkehren. Anna hatte für den jun-

gen und liebenswürdigen Vicomte von Chinon im-
mer viel Freundſchaft empfunden und jetzt, da ſie

ihren Vater ſo verfallen ſah und ſich ſagte, daß ſie
ihn duich die Heirath retten könne, überzeugte ſie
ſich leicht, daß ſie dieſes Opfer bringen müſſe und
daß ſie, trotz ihrer Neigung für Borſo, mit Chi-
non, der ſie immer mit den ritterlichſten Werbun-
gen und Aufmerkſamkeiten umgeben, glücklich ſein
werde. Ja in der Erinnerung an Chinon wurde

ſie, ohne es zu wollen, zu Vergleichen zwiſchen dem

jungen franzöſiſchen Ritter vom Hofe Ludwigs XIII.
und dem armen unwiſſenden Nobile von Siena
aufgefordert und ſie geſtand ſich, daß ſie Borſo nicht
ſo ſehr liebte, als ſie es in ihrer Einſamkeit ſich
manchmal eingebildet hatte.
Aber Pia erfuhr bald „ was in des Fräuleins
Gemüthe vorging und welche Entſchlüſſe ſie faßte,
und als ſie ihrem Bruder mittheilte, was ſie wußte,

gerieth dieſer in Verzweiflung und ſchwur, lieber
ſeine Geliebte mit eigener Hand umbringen zu wol-
len, als ſie im Beſitze eines Andern zu wiſſen.
Dann wieder faßte er die kühnſten Entſchlüſſe, wie
er nach Frankreich eilen und den Vicomte von Chi-
non entweder im Zweikampfeoder aus dem Hin-
terhalte mit dem Dolche tödten wolle. Pia beru-
higte ihn: es ſei weder die Ermoͤrdung des Fräu-
leins, noch die unmögliche Reiſe nach Frankreich
nothwendig, um an's Ziel zu gelangen. Das ein-
zige Hinderniß ſeines Glückes ſei der Alte; nur
ihm zu gefallen wolle Anna den Vicomte heirathen.
Stürbe der Alte, dann fiele dieſer Beweggrund zur

Heirath weg und das Fräulein wäre dann noch

dazu ganz in ihrer, der Geſchwiſter, Gewalt.
Spät Abends zog Pia eine Kapuze über Kopf
und Geſicht und begab ſich in die Nähe ihrer alten
Wohnung, dem Hauſe der heiligen Katharina ge-
genüber. Sie pochte an eine Thür des Nachbar-
hauſes und verlaugte mit verſtellter Stimme Lo-
renzo Cattena zu ſprechen. Als dieſer herunter
kam, fragte ſie ihn, ob er den Muth habe, ſie vor
die Kirche San Domenico zu begleiten. Lorenzo
ging ſogleich mit ihr und dort auf dem einſamen
Platze, beim Lichte, das vor einer Madonna brannte,
nahm ſie die Kapuze ab und ließ ihn ihr Geſicht
ſehen. In demſelben Augenblicke lag ihr Lorenzo
zu Füßen und umklammerte ihre Kniee. Lorenzo
Cattena war der Sohn des reichſten Bürgers von
Siena, eines Metzgers, der große Länderſtrecken,
Ackerfeld und Weiden beſaß, von Volterra an bis
in die Staaten des Pabſtes. Lorenzo war im Lande
als der ſtärkſte und ſchönſte, aber auch der gewalt-
thätigſte junge Mann bekannt. Sein Vater gab
ihm des Geldes ſo viel als er wollte und dieſes
benützte er, um allein oder in Geſellſchaft von ſei-
nesgleichen die verſchiedenen Länder Italiens zu
durchſtreifen, und in Siena erzählte er ſelbſt und
erzählte man in den Schenken von manchen Ge-
waltthätigkeiten und blutigen Abenteuern ſeiner
Streifzüge. Reich und gewohnt alles durchzuſetzen,
glaubte er, daß Pia Montanini, ſeine Nachbarin,
für ihn nicht zu hoch geboren war. Er verliebte
ſich auf das heftigſte in dieſes eben ſo ſchöne als

ſtolze Mädchen, und als er hochmüthig und belei-

digend von ihr zurückgewieſen wurde, geſtaltete ſich
ſeine Liebe zu ihr nur noch inniger und leiden-
ſchaftlicher. Niemand hätte geglaubt, daß Lorenzo
 
Annotationen