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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 118 - No. 130 (2. October - 30. October)
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Heidelberger Kamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 121.

Freitag, den 9. October

1868.

Zwei Abende in einem ungariſchen
Edelhofe.

Von Robert Schild.

Schluß.)
Von dieſem Augenblicke an war es ſichtlich das
Bemühen der übrigen Geſellſchaft, mich für die er-
littene Kränkung zu entſchädigen. Da gab es nicht
Einen, der nicht unter irgend einem Vorwand Ge-
legenheit ſuchte, an mich heran zu kommen und mir

eine Aufmerkſamkeit zu erweiſen, ohne das un-
angenehme Ereigniß auch nur mit der leiſeſten An-
Als ſie wahrnahmen, daß

ſpielung zu berühren.
ich meine Verſtimmung überwunden hatte, wurden
auch ſie immer unbefangener, und nach einer hal-
ben Stunde war jede Spur einer Störung verlöſcht.
Die Verſammlung hatte ſich wieder in Gruppen
getheilt, und die Unterhaltung hörte auf, eine all-
gemeine zu ſein. ö
Ich konnte nicht umhin, mich nach dem armen
Miklos zu erkundigen.
„Er iſt unlängſt ein Opfer ſeiner verſpäteten
Reue geworden“, erklärte der Pfarrer. „Als er
ſah, welche Wendung die Dinge in unſerem Vater-
lande genommen und welche Rolle ihm jetzt beſchie-

den ſein konnte, wenn er in ſeiner Jugend weniger

leichtſinnig gelebt hätte, verfiel er in Trübſinn und
verſchwand zuletzt. Man vermuthet, er habe frei-
willig den Tod geſucht — einer von den Vielen,
denen nur der Zwang zur Thätigkeit fehlt, um
ihre Talente und ihre Glücksgüter für ſich und An-
dere heilbringend anzuwenden, und die das Ende
Szechenyi's — parodiren, nachdem ſie ſein Leben
nachzuahmen verſäumten“.
Da ich auch den alten Haiduken vermißte und
nach ihm fragte, fuhr der junge Geiſtliche fort:
„Sehen Sie da im Kleinen ein Bild unſerer Zu-

ſtände. Der ſiebzigjährige Greis, der ſein halbes

Leben lang in dieſem Hauſe diente, hat es kürzlich
verlaſſen. Durch und durch Sldvake, mißfiel ihm

das Hinneigen ſeiner Herrſchaft zum Magyarismus.

Er kehrte in ſein Dorf zurück, in der feſten Ueber-

zeugung daß es nun bald zum Losſchlagen kommen

werde. Ich ſelbſt“ — ſetzte er mit gedämpfter
Stimme hinzu — „bin wahrſcheiulich zum letzten
Male hier. Herv und Frau von Mikony ſind Pro-

reich war.

teſtanten, und mein Biſchof hat es bereits übel ver-
merkt, daß ich meinem anders glaubenden Wohl-
thäter anhänge. Wir Alle ſind einig, wo es das-
große Ganze gilt, aber unſere Nebenintereſſen ſpal-
ten uns wieder, und ſo bieten wir unſern Gegnern
immer eine verwundbare Seite, wenn wir am ſtärk-
ſten ſein ſollten. — Betrachten Sie den Advocaten.
Er hatte unter dem öſterreichiſchen Regime eine
ſehr einträgliche Praxis. Dieſe gab er vor einigen

Wochen auf, um ſich in ein Comitatsamt wählen

zu laſſen, dem er nicht gewachſen iſt, das ihn nicht.
nährt, wohl aber zu einem Aufwande nöthigt, der
ſein Vermögen endlich zerrütten muß. Er ſieht-
dies ein, glaubt aber, dem Vaterlande ein unver-
meidliches Opfer zu bringen. Und ſo ſind die
Meiſten, voll guten Willens, doch nicht geeignet,
dem Allgemeinen wirklich zu nützen. Wer die Ver-
hältniſſe beſonnener beurtheilt, wie ich, muß ſchwei-
gen, um nicht ſeine gute Geſinnung angezweifelt zu
ſehen. Auch die Vaterlandsliebe kann in Terroris-
mus ausarten.“ ö
Andere Herren, die ſich uns näherten, unter-
brachen ein Geſpräch, das für mich ungemein lehr-
Der redliche, einſichtsvolle Pfarrer ge-
fiel mir ſo wohl, daß ich ihn bat, ihn beſuchen zu
dürfen. „Ich werde mich freuen, mit Ihnen allein
zu ſein“, flüſterte er und drückte mir warm die
Hand. ö ö
Der Advocat hatte ſchon eine gute Weile, wie
ich bemerkte, mich in Kreiſen umgangen, als warte
er nur, bis ich mit dem Geiſtlichen zu Ende ſei,
um mich anzureden. ö
Als er mich einen Augenblick allein ſah, ſchritt
er haſtig auf mich zu, ergriff meine beiden Hände,

und überraſchte mich mit dem Ausrufe: „Bleiben

Sie unter uns! Werden Sie Einer der Unſern.

Wir haben Sie kennen gelernt, Sie genießen unſer
„volles Vertrauen.

Wir brauchen Männer, wie Sie
ſind. Es wird nicht ſchwer halten, Ihnen das In-
digenat (Bürgerrecht) zu verſchaffen. Kaufen Sie
ſich an: wenn auch nur ein Häuschen. Die kleinſte
Realität genügt, um Sie wahlfähig zu machen. Sie

können in Ihrer früheren Heimath kaum wärmere

Freunde haben, als Sie in der neuen gefunden,
haben und noch finden ſollen.“
Die Umſtehenden, welche dieſe Worte gehört hat-
ten, drangen nun ebenfalls in mich und unterſtütz-
ten den Vorſchlag des Advocaten. Es wäre ſehr
 
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