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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 78 - No. 91 (1. Juli - 31. Juli)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletritiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

V91.

Freitag, den 31. Juli

1868.

Eine geheimnißvolle Geſchichte.
Aus dem Franzöſiſchen.
(Schluß.)

Alſo ſprechend, überreichte er dem Greis eine
Pergamentrolle, welche durch ein reich mit Wap-
pen geſchmücktes Siegel zuſammengehalten war.
Die ſeltſame, unſelige Lage machte van Belt un-
ſchlüſſig. Er richtete ſeine Blicke auf den jungen
Mann und wieder auf das Pargament, das in
ſeiner Hand lag. Einen Moment ſpielte er mit
dem Siegel: er überlegte, wie ſein Leben doch nur
eine geringe Sühne ſein könne für die vermeſſene
Pflichtverletzung, deren er ſich ſchuldig zu machen
im Begriffe ſtand, und ſo öffnete er die Rolle.
Fürchterlich mußten ſie geweſen ſein, die Ge-
heimniſſe, die ſich ihm enthüllten, denn er ward
bleich und ſeine Knie zitterten.
Altar ſtützen, als er dem jungen Mann das Per-
gament zurückgab; dann beugte er das Haupt vor
ihm und ſchlug zum zweiten Male die heilige
Schrift auf.
„Ihr wolltet es alſo,“ ſprach der Fürſt. „Raſch
nun, die Zeit drängt!“ — „Erhebt Euch“, fügte
er hinzu, indem er den Arm des jungen Weibes
erfaßte, welches halb ohnmächtig auf den Altar-
ſtufen lag. Sie ſchauerte zuſammen, als habe die
bloße Berührung ihr tödtlichen Schmerz verurſacht;
nun löſte ſie ihr Diamantencollier, reichte es dem
Prieſter und ſagte mit ſchwacher Stimme:
„Für Seelenmeſſen!“
Der Geeis richtete die Einſegnungsworte an die
Verlobten, ließ ſie die Ringe wechſeln und fragte
ſie im Namen Jeſus Chriſtus, ob ſie Mann und
Weib ſein wollten. Bann erhob er die Hände
über ihnen: ö
„So vermähle ich Euch im Namen des Vaters,
des Sohnes und des heiligen Geiſtes, Amen.“
Kaum war das letzte Wort in der Stille ver-
klungen, als ein gräßlicher Schrei den Raum er-
füllte. Der Greis ſah vor ſich: da lag das junge,
ſchöne Weib, eine tiefe Wunde im Herzen, ſterbend
auf den Stufen des Altars, und der Prinz hielt
einen blutigen, noch rauchenden Dolch in der Hand.
In demſelben Moment und ehe van Belt nur
die geringſte Bewegung hatte machen können, ward
er wieder geknebelt; ſie verbanden ihm wieder die

ments mitzutheilen.

Er mußte ſich am

Augen, feſſelten ſeine Hände und führten ihn be-
wußtlos in's Dorf zurück. ö ö
Als er zu ſich kam, fand er ſich vor ſeiner Thür
liegend; noch mit gebundenen Armen, das Diaman-
tencollier in der Hand und ſeine Kleider mit Blut
befleckt. ö
Landleute fanden ihn und brachten ihn voll
Schrecken in's Pfarrhaus. Sie verlangten Aufklä-
rung und er erzählte. Man lief zur Kirche hin-
auf, allein ſie war leer wie immer. Kein Crucifix
auf dem Altar, keine Teppiche auf den Stufen. Nur
die Steinplatten trugen breite Blutſpuren.
Fern am Horizont war ein Schiff mit vollen
Segeln ſichtbar. ö
Van Belt weigerte es, den Inhalt des Perga-
Den ganzen folgenden Tag
blieb er auf ſeinem Zimmer und ließ Niemanden
zu ſich; er ſchrieb, betete viel und überließ ſich ſei-
nen düſteren Betrachtungen. ö
Zwei Tage nach jener verhängnißvollen Nacht
gab ein Bauer einen ſehr ſchweren, an Mynheer
van Belt adreſſirten Korb im Pfarrhaus ab. Der
Prieſter, ein Geſchenk ſeiner Pfarrkinder vermuthend,
wie dies zu beſtimmten Zeiten des Jahres der
Brauch, wollte ſelbſt den Korb öffnen. In einen
Teppich gehüllt, fand er darin ein goldenes Crucifix
und reich gearbeitete kirchliche Gefäße. Der Teppich
trug an einem Ende Blutſpuren.
Van Belt hatte nicht ſo bald den Altarſchmuck
erkannt, als ein ſcharfer, durchdringender Geruch
dem Korb entſtieg. Jetzt fiel ein zuſammengefal-
tetes, verſiegeltes Billet aus dem Teppich zu ſeinen
Füßen, als er plötzlich betäubt zu Boden ſtürzte.
Er war todt. ö
Das Billet enthielt nur die Worte:
Moriturum Caesar salutat. ö
Wenige Tage nach der Beerdigung betrat der
Nachfolger Mynheer van Belts, der junge Herr v.

Korn, Spröͤßling eines der älteſten Adelsgeſchlechter

Deutſchlands, den Schauplatz ſeiner Thätigkeit. Er
kannte die Ereigniſſe nicht, welche van Belts Tod
vorausgegangen; um ſo ſtärkeren Eindruck machte

auf ihn der Bericht des Friedensrichters, welchen

man beauftragt hatte, dem ſchrecklichen Geheimniß,

wenn möglich auf die Spur zu kommen.

Herr v. Korn kannte vielleicht mehr wie man-
cher Andere Mittel und Wege, den Gerichten zur
Entdeckung der Verbrecher zu verhelfen. Sein
 
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