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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 105 - No. 117 (2. September - 30. September)
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Heidelberger Familienblütter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

114.

Mittwoch, den 23. September

1868.

Die Roſe auf dem Kirchhof.

Weſtfäliſches Haidebild aus dem Anfange dieſes Jahrhunderts
ö von Joſef Seiler.

(Fortſetzung.)
ö 3.
Michel war nun Angermüller. Das, dünkte
der Lene gleich, das war der Rechte. Der fing
ein ganz ander Leben auf der Mühle an, als der
einſiedleriſche, trübſinnige Joſt. Muntere Geſellen
und Freunde zog er in's Haus von allen Orten
und Enden. Gelag' und Feſte gab's in der Mühle,
nicht wie ſonſt etwa, alle Jahr zu Erntebier und
Faſtnacht. Nein, Geburts⸗ und Namenstage, Weih-
nacht und Sylveſter, Sankt Nikolaus und Wal-
burga wurden höoͤchlich gefeiert auf der Angermühle.
Der Ruf von der Freigebigkeit des neuen Herrn
verbreitete ſich bald weit hinaus, und wo eine
Truppe Gaukler oder Muſikanten durch's Städt-
lein zog, da vergaß ſie gewiß nie, in der Mühle
vorzuſprechen. Und Michel hätt' es ſeiner Ehre
zu nahe gehalten, wären die Leute, außer einem
reichlichen Geldgeſchenke, nicht auch jedesmal mit
Zehrung und Nachtlager bewirthet worden. Und
nun erſt das Erntefeſt! Zu des haushälteriſchen
Joſt ſeinen Zeiten ward es immer zwar anſtändig
nach Sitt' und Brauch, doch ohne allen unnützen
Prunk und Aufwand gefeiert. Aber der Michel,
ja der griff das Ding viel anders an. Drei Tag
und drei Nächte wurde gezecht, getanzt und ge-
ſchwärmt. Alle Vornehmen des Städtchens, alle
guten Freunde der Nachbarſchaft wurden eingeladen.
Hämmel und Schweine wurden geſchlachtet, des
Federviehes nicht zu gedenken. Eine eigene Köchin
hatte er ſich kommen laſſen — die alte Ann⸗Beth
war längſt verabſchiedet worden. Der Ball am
letzten Tage wurde, damit er recht glänzend aus-
fiele, im goldenen Einhorn, dem damaligen Gaſt-
hauſe des Städtchens, gehalten. Die Muſik dazu
verſchrieb der Michel aus der vier Stunden ent-
fernten Kreisſtadt. Ich war damals nach ein grü-
nes Bürſchlein, aber das weiß ich mich noch zu
erinnern: im Jahre die beiden größten Feierlichkei-
ten waren, wenn der Michel Erntefeſt hielt und
wenn der Fürſtbiſchof — damals unſer Landesherr
— das Städtchen auf der Firmreiſe oder ſonſtwie
heimſuchte. Es fehlte nur, daß zum Erntefeſt auch

die Glocken geläutet wurden, ſo hätte es uns Bu-
ben ſchier einerlei gedäucht.

Das war nun der eitlen Lene recht ihr Weſen.
So hatte ſie ſich's immer gedacht und ſo war's
ihr nun geworden. Sprach hier und da eine Freun-
din aus alter Zeit oder ſonſt eine gute Bekannte
mit ihr über ihr ſo glänzendes Loos, ſo vergaß die
Lene niemals am Ende des Geſprächs hinzuzu-
fügen: „Michel kann es ja; — wir ſind ja reich
genug.“ ö
Auch das Innere der Mühle wurde von Grund
auf renovirt. Neue Möbel, Spiegel, Fenſter ka-
men an die Stelle des alten Geräthes, an das der
ſelige Joſt, als von den Vätern überkommenes Gut,
nie zu rühren gewagt hatte. Weit entfernt, ſich
ſelbſt noch um die Wirthſchaft zu kümmern, hielt
der Michel ſich nun Verwalter und Werkführer.
Seine eigene Zeit brachte er, wenn nicht in der
Mühle ſelbſt Feſte gegeben wurden, im goldenen
Einhorn zu. Da dauerte es denn auch gar nicht
lange, daß er ſich Ruf als großer Spieler und —
Trinker erwarb. Weil aber bald der kurze Weg
von der Mühle zum Städichen dem reichen Herrn
zu beſchwerlich wurde, ſo beſchaffte er aus der
Kreisſtadt einen theuern Kutſchwagen und ließ ſich
nun alle Sonntage zur Kirche mit ſeiner ſchönen
Frau, die in Sammet und Seide prunkte, an den
Werktagen aber ſeine werthe Perſon allein in's
Wirthshaus fahren. Ein ſchmucker, rothwangiger
Mühlenburſch war zum Kutſcher und Bedienten
liverirt worden.

Lene — wollte es ihr auch manchmal eigen zu
Muthe werden, wenn ſie die bedeutenden Geldſum-
men bemerkte, die Michel täglich verſchwendete, und
dagegen an des ſeligen Joſt emſige Sparſamkeit
gedachte — Lene tröſtete ſich noch immer mit der
Ueberzeugung: ſie ſeien reich genug! ö

Ein Glück, daß die alte Marthe zu dieſer Zeit
des höchſten Flors ihres Schwiegerſohnes geſtorben
iſt. Sie ſagte ſich noch auf ihrem Todtenbette mit
mütterlichſtolzem Behagen: ſie laſſe ſchön Lenchen
als die reichſte Frau der gaͤnzen Umgegend zurück.
Der aufgeblaſene Michel ließ ihr ein ſtattliches
Seelenamt halten und ein hohes Steindenkmal mit
goldenen Buchſtaben darauf errichten, welches an-
noch auf unſerem Kirchhofe zu ſehen iſt. Wie ge-
ſagt, es war ein Glück, daß die Alte dazumaken
 
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