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Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI Kapitel:
No. 105 - No. 117 (2. September - 30. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0460

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Aufpaſſer beſtellt geweſen — kann ſein, ich glaub'
es aber kaum. Dienſtwillige Herzen hat es in
ſolchen Fällen überall und übergenug.
Um Mitternacht gab's eine große Pauſe. Die
Paare letzten ſich, je nach ihrem Naturell, an einem
guten Trunk oder an einem Spaziergang in der
kühlen Herbſtnacht. Michel und Lene waren von
den Letzteren. Sie gingen durch den großen Gar-
ten, dann den langen Baumhof hinab. Die alte
Schaffnerin, die Ann⸗Beth, war ihnen leiſe nach-
geſchlichen. Die will Wunderdinge gehört und ge-
ſehen haben. Und ein Lied war durch die Nacht
erklungen — leiſe, leiſe! Aber die Alte wollte dar-
auf ſchwören, Michels Stimme erkannt zu haben.
Jedes Wort hat ſie verſtehen können und hat mir

in viel ſpäten Jahren das Liedlein ſo oft geſungen

und wieder geſungen, daß ich's bis heutigen Tag
nicht vergeſſen habe. Auch hab' ich mir's aufge-
ſchrieben, da mir die Verſe ſehr rührend vorkamen.
Weiß kun Einer von euch eine ſchöne Weiſe dazu,
ſo kann er's gleich ſeiner Liebſten zum Troſte ſin-
gen, wenn anders die Meinung dabei eine rechte iſt.
Damit langte der Jürgen aus einer alten Truhe
ein vergilbtes Blättchen, worauf folgendes Lied ge-
ſchrieben ſtand:

„Wie wird mir denn geſchehen,
Wenn ich Dich meiden ſoll?
Darf ich Dich nicht mehr ſehen,
Viel lieber ſterben wollt.

Laß es Dich nimmer kränken,
Dein harr' ich Tag und Stund,
Von Deinem Angedenken
Iſt all' mein Herz verwund't.

Wenn ich des Nachtes ſchlafe,
Bin all' im Traum bei Dir,
Und wenn ich dann erwache,
Find' ich Niemand bei mir.
So ſag' ich Dir fürwahre,
Du Herzallerliebſte mein:
1

Wart' mir doch nur ein Jahre —
Mein eigen ſollſt Du ſein!“

Am andern Morgen, fuhr der Todtengräber
fort, fand man Lenens goldene Miederfeſſel auf
der Steinbank unter den hohen Kiefern am Teich.
Joſt war überraſcht — er ſann lange. Aber
konnte nicht Alles Neid, Verleumdung ſein? War
das nicht ſogar wahrſcheinlich? Michel, der ſtarke,
wohlbewanderte, in der Wirthſchaft nicht leicht zu
erſetzende Oberknecht ſtand ſicher manchem Unbe-
rufenen im Wege. Und auch Lene — ſie war

ſtörriſch, eigenwillig, ſie war leichtſinnig; zum

Glauben an wirkliche Untreue hatte ſie niemals
Veranlaſſung gegeben.
Genug, Michel blieb im Hauſe nach wie vor.

Nur beſchloß Joſt, fortan auf ihn ein ſchärferes

Auge zu haben, auch die Lene ſorgfaͤltig zu beob-

achten. Die Folge war, daß die Leutchen ihr We-

ſen nur um ſo behutſamer trieben, daß die Klagen

der Ann⸗Beth — begründet oder nicht — immer

dringlicher, Joſt's Mienen immer düſterer, ſeine
Launen immer quälender wurden.
Zu dieſer Zeit fand es Joſt nöthig, an dem
Mühlenwerk eine Hauptreparatur vorzunehmen.
Steine, Bretter, Eichenbalken wurden herbeigeſchafft.
Das rührige Treiben der Handwerksgeſellen, Tag-
löhner und Fuhrleute zerſtreute ihn, und man ſah
ihn in dieſer Zeit heiterer als je. Es ſchien wie-
der beſſer zu werden zwiſchen ihm und der ſchönen
Lene. Eines Tages — es war in der Zeit vor
Weihnachten — ſollte ein ſchwerer Eichbaum, der
ſo eben angefahren war, abgeladen werden. Der
Stamm war zur Hauptwelle des neuen Getriebes
beſtimmt. Die Räder an der einen Seite des

Wagens mußten niedergelegt werden, um dann auf

der ſchiefen Bretterfläche die Laſt langſam herab-
gleiten zu laſſen. Bei der Vorderachſe, wo das
Wurzelende des Baumes ruhte, ſollte der Anfang
gemacht werden. Michel ſtellte die Winde unter:
die Achſe hob ſich, das Rad wurde leicht weggezo-
gen. Ebenſo bei der Hinierachſe. Nun ſtemmte
ſich Michel mit einigen Knechten rückwärts gegen
den Baum; Andere ſteckten Hebebäume unter, um
das Wegziehen der Runghölzer zu erleichtern. Freu-
dig erregt, wie er die ganze Zeit her geweſen war,
eilt Joſt, ſelbſt mit Hand anzulegen. Er ſtemmt
ſich neben Michel unter. Der eine Rungſtab wird
weggezogen. Wuchtiger drückt die Laſt. Jetzt der
andere. „Michel!“ keucht Joſt, „um aller Heili-
gen willen, Michel!. Steh' feſt bei mir! — —“
Fuhr dem nun der Satan durchs Hirn — oder
war's Ungeſchick — oder wurde ihm die Laſt wirk-
lich unerträglich — genug, er ſprang zur Seite!
Die erſchreckten Knechte ebenfalls. „Michel!“ preßte
Joſt noch einmal aus tiefſter Bruſt hervor. Das

Wurzelende fuhr nieder — Joſt war zermalmt! —

Ob Michel vorſätzlich — handelte, weiß Nie-
mand. Alle, außer der Lene, ſind längſt todt.
Den Joſt begrub mein Vater neben dem Haupt-
portal an der Kirche des Todtenhofes.
Aber als im nächſten Frühjahr die Lerchen er-
wachten und die Leute ſangen: „Chriſt iſt erſtan-
den!“ da hielt der Michel Hochzeit mit der ſchö-

nen Lene.
(Fortſetzung folgt.)

Die Union⸗Paeiſie⸗Eiſenbahn.
Ueber die größte Eiſenbahn der Welt, welche
den atlantiſchen mit dem ſtillen Ocean verbinden
ſoll, bringt die „Newyorker Handels⸗Zig.“ folgende
ſpecielle Mittheilungen: ö
Die Union⸗Pacific⸗Eiſenbahn rückt ſehr raſch
 
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