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Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI Kapitel:
No. 78 - No. 91 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0364

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— 354 —

ſo ſchnell wieder aufgegeben worden war, ſich nach
der Favorite bei Raſtatt zurückgezogen hatte.
Noch fehlte aber ein wichtiger Beſtandtheil der
Verfaſſung — das Wahlgeſetz. Auch hiezu hatte
Nebenius einen Entwurf vorgelegt. Aber der war
von dem Großherzog mit andern wichtigen Papie-
ren in eine Kiſte gelegt worden, und als Herr v.
Reizenſtein um Herausgabe deſſelben bat, fühlte ſich
der Fürſt nicht bei hinreichenden Kräften, die Kiſte
ſelbſt aufzuſchließen und nach dem Entwurf zu
ſuchen. „Daß er ſich aber eher en mille morceaux
zerſtückeln laſſen würde, als irgend jemand Anderm

als ſich ſelbſt eine ſolche Operation anzuvertrauen‚,

wiſſen Sie eben ſo gut als ich ſelbſt,“ ſo ſchrieb
der Miniſter am 1. December an Nebenius und
bat ihn, ſich nochmals an den Entwurf des Wahl-
geſetzes zu machen und die Sache möglichſt zu be-
ſchleunigen. Nebenius hatte aber ſein Concept ein-
gereicht und nur noch unbrauchbare, unzuſammen-
hängende Notamina zurückbehalten. Mit dem ihm
eigenen Fleiß machte er ſich jedoch ſofort an die
Arbeit und vollendete in wenigen Tagen das Wahl-
geſetz, das er ſelber beſſer und vollſtändiger nennt,
als den erſten Entwurf, in der Form, in welcher
es am 23. Deebr. 1818 publicirt wurde.
Als dies geſchah, wandelte Großherzog Karl
nicht mehr unter den Lebenden. Die Veröffent-
lichung der Wahlordnung war eine der erſten Re-
gierungshandlungen ſeines Nachfolgers.
Die Verfaſſung aber ſchlug raſch feſte Wurzeln
in dem politiſchen Leben des badiſchen Staates, und
die Kämpfe, welche ſchon auf dem erſten Landtage
entbrannten und ſich nachher eine lange Reihe von
Jahren hindurch wiederholten, haben nur dazu ge-
dient, ſie dem badiſchen Volk immer lieber und
werther zu machen. Ihr fünfzigjähriges Jubiläum
wird gewiß im ganzen Lande mit freudigen und
dankbaren Gefühlen begangen werden.

Die Shoddies.)

In einem Lande, das ſeiner Bevölkerung eine
ſo verſchwenderiſche Fülle von Hilfsmitteln zur Be-
reicherung darbietet, wie dieß in den Vereinigten
Staaten der Fall iſt, wo obendrein der Gewerbs-
thätigkeit wie der Speculation ſich der uneinge-
ſchränkteſte Spielraum öffnet, begegnet man weit
häufiger als irgendwo ſonſt in der Welt jener Gat-
tung von Emporkömmlingen, die in fabelhaft kurzer
Zeit ſich aus der dunkelſten Miſere des Daſeins
zu der beneidenswerthen Stellung über Millionen
gebietender Nabobs aufgeſchwungen haben. Eine
glückliche, praktiſche Idee iſt in der Union weit
leichter und raſcher auszuführen und zu verwerthen,

Aus der „Neuen Fr. Preſſe“.

als in dem altersſchwachen Europa, deſſen ohnehin
meiſtens zaghafte, allen.Dingen gegenüber ſich mit
Bedenken verclauſulirende und in Folge davon jede
Sache nur halb vollbringende Staatsbürger ſich zum
Veberfluſſe bei jeglichem Schritte in ihren Unter-
nehmungen durch bevormundende Vorſchriften ihrer
reſpectiven Regierung aufgehalten ſehen. Wo Zünfte,
privilegirte Geſellſchaften und Bureaukratenweisheit
darein zu reden haben, wenn ein Geſchäftsmann
oder wer immer ſonſt ſich zu einer praktiſchen That
anſchicken möchte, da fällt gewöhnlich die Specula-
tion in den Brunnen, bevor es ihr noch vergönnt
ward, in's Leben zu treten, oder geſchah dieß Letz-
tere, ſo kann ſie ihren Flug nur ſelten anders als
mit beſchnittenen Flügeln unternehmen. Nächſt den
Officiöſen Amerikas wiſſen nur eigentlich diejenigen
Belgiens den Werth der Zeit des Bürgers zu
ſchätzen; dagegen ſind es vorzugsweiſe die Herren
Bureaukraten der deutſchen Race, welche es auf dem
Gewiſſen haben, daß ſo häufig auf ihrem verwahr-
loſten, beſchwerlichen Inſtanzenwege das ohnehin
ſchwache Beförderungsmittel des Unternehmungs-
geiſtes in Trümmer geht.
Wie geſagt, in der Union iſt das anders; ein
Jeder wagt und ſpeculirt auf eigene Fauſt, ohne
auf eine gnädigſt höheren Orts zu erfließende Per-
miſſion monatelang vergeblich warten zu müſſen,
und daher kommt es denn auch, daß er nur ſelten
den Augenblick verpaßt, ſich zu bereichern, voraus-
geſetzt, ſein Unternehmen war nicht von vornherein
völlig kopflos erſonnen, was dem praktiſchen Hankee
nicht ſo leicht begegnet. So ſehen wir denn in den
Vereinigten Staaten mehr reiche Parvenus als in

anderen Ländern, ſogenannte ſelbſtgemachte Leute,

die in zwei oder drei Jahren Das erreichen, was
höchſtens unter beſonders günſtigen Umſtänden und
ausnahmsweiſe ein Europäer, wenn er auch ſeines
Glückes eigener Schmied geweſen, im Verlaufe von
25 bis 30 Jahren zu erlangen im Stande war,
das heißt noch zu jener Zeit, da die politiſchen und
ſocialen Zuſtände Europas die Wohlfahrt ſeiner
Völker nicht ſo zerrüttet hatten wie jetzt. Und

nicht etwa ausſchließlich das Börſenſpiel iſt es, was

den unternehmenden Yankee ſo häufig binnen kür-
zeſter Friſt in die Höhe bringt; denn wir ſehen
hier Nabobs auf allen Gebieten des Handels, der
Induſtrie und des Gewerbeſtandes, ehrliche Leute,
die ihren raſch erworbenen Reichthum nur ihrer
Rührigkeit, Elaſticität und Ausdauer, der Spring-
kraft ihres Geiſtes, der ſcharfſinnigen Ausbeutung
jener günſtigen Conjuncturen verdanken, wie ſie
kein Land der Welt glücklicher und mannigfaltiger
darzubieten vermag, als die noch in ihrer Entwick-
lung begriffene Union.
Es läßt ſich indeſſen nicht leugnen, daß auch
auf unehrlichem Wege in den Vereinigten Staaten
große Kapitalien erworben worden ſind und noch
 
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