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Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI Kapitel:
No. 144 - No. 155 (2. December - 30. December)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0612

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— 600 —

die erſte Perſon war, an welche Mamſell Walter
ſich wendete.
„Mag er beſcheiden ſein oder nicht, er belei-
digte mich aufs gröblichſte, und ich glaube, er war
im höchſten Grade betrunken!“
„Wie? Ein ſo ſolider junger Mann ſollte ſo
früh am Tage ſchon betrunken geweſen ſein?“
„Nun dann hat er den Verſtand verloren!“
rief die Zofe.
„Aber mein Gott, Mamſell Walter, auf welche
Weiſe hat er ſie denn beleidigt? Was hat er denn
geſagt oder gethan?“ ö ö
„Das können Sie ſich ſelbſt denken!“ entgeg-
nete die Gefragte, indem ſie mit dunkelglühendem
Geſicht zum Laden hinausrauſchte; denn ſie hatte
natürlich keine Luſt, die ſchlichten Wahrheiten, welche
Karl Stillfried ihr geſagt, zu ihrem eigenen Nach-
theil zu wiederholen.
Und die hübſche kleine Putzmacherin war ganz
beſtürzt über die ihr zu verſtehen gegebene That-
ſache, daß der ſchöne junge Mann einen ſo abſcheu-
lich ſchlechten Geſchmack gehabt hatte, einer alten,
dicken, widerlich aufgeputzten Kammerzofe auf zu-
dringliche Weiſe den Hof zu machen.
„Ja, dann muß er wirklich den Verſtand ver-

loren haben!“ ſagte Louiſe, indem ſie ſich wieder-

hinter den Ladentiſch zu ihrer Arbeit verfügte.
Diieſe Converſation ward mit geringen Verän-
derungen in wenigſtens einem Dutzend Kaufläden
wiederholt, ſo daß im Verlauf von zwei Stunden
wenigſtens die eine Hälfte von Karl Stillfried's
Bekannten unter dem handeltreibenden Publikum
in dieſem Stadttheile überzeugt war, es müſſe mit
dem Verſtande des jungen Mannes höchſt bedenk-
lich ausſehen.

Drittes Capitel.

Der Knabe Karl fängt an, mir fürchter-
lich zu werden.

Mittlerweile betrat Karl Stillfried den Schau-
platz ſeiner Berufsthätigkeit.
„Herr Stillfried“, ſagte der dritte ſeiner Chefs,
ihm entgegenkommend, „Sie haben ſich heute etwas
verſpätet; da Sie aber ſonſt im höchſten Grade
pünktlich ſind, ſo will ich weiter nichts darüber
ſagen. Vor allen Dingen packen Sie hier dieſe
ausgewählten Brocat- und Moiréeſtoffe ſorgfältig
zuſammen! Dieſelben ſollen heute Nachmittag zur
Anſicht an unſere geſchätzte Abnehmerin Fräulein
Helene Ehrenreich befördert werden. Höchſt ange-
nehm wäre es mir, wenn Sie das Packet ſelbſt
hintragen wollten. Ich weiß wohl, daß ich dies
eigentlich nicht von Ihnen verlangen kann, aber
wir möchten eine ſo werthvolle Sendung unſerm
neuen Markthelfer nicht gern anvertrauen. Ueber-
dies würde Fräulein Ehrenreich es auch als eine

große Aufmerkſamkeit betrachten, wenn Sie ſelbſt
kämen, und ſie iſt eine unſerer einträglichſten Kun-
den. Ihre Dienerin war heute morgen da und
machte eine bedeutende Beſtellung, während ſie zu-
gleich den Wunſch ausſprach, daß dieſe Seidenſtoffe
ihrer Herrin dieſen Nachmittags zur Anſicht zuge-
ſendet werden möchten. Wenn Sie daher nichts
dagegen einzuwenden haben, ſo wäre ich Ihnen
dankbar, wenn Sie damit hingehen wollten.“
„Mit dem größten Vergnügen werde ich das
thun, Herr Meyerheim!“ antwortete Karl Still-

fried mit heiterer Miene; denn er war in ſeinem

Innerſten erfreut, daß er endlich einmal im Stande
war, eine höfliche Antwort zu geben, die zugleich
mit der Wahrheit übereinſtimmte.
Der arme junge Mann! Er hatte ſchon an-
gefangen zu fürchten, daß es ihm niemals wieder
möglich ſein werde, den Mund aufzuthun, ohne
Jemand zu beleidigen oder ſich einen Feind zu
machen. ö
„Nun das freut mich!“ ſagte Herr Meyerheim.
„Wiſſen Sie übrigens, Sie kleiner Adonis, daß
Fräulein Ehrenreich es höchſt wahrſcheinlich vor-
zugsweiſe gern ſehen wird, wenn gerade Sie ihr
die Sachen bringen? Ich habe bemerkt, daß ſie,
wenn ſie hierher in den Laden kommt, allemal von
Ihnen bedient ſein will. Verſucht es einer von
uns alten Knackſen und iſt er gegen ſie auch noch
ſo höflich, ſo macht ſie ein verdrießliches Geſicht,
findet an nichts, was wir ihr vorlegen, Gefallen,
ſondern ſteht auf und ſagt, ſie werde wiederkom-
men. Ach ja, es iſt etwas Schönes, fünfundzwan-
zig Jahre alt zu ſein und einen Kopf voll ſchöner
brauner Haare zu haben!“ ſagte Herr Meyerheim
und fuhr ſich mit der Hand über ſein ſpiegelndes,
„marmorkahles Haupt“, wie Profeſſor Momma, der
Erfinder des bekannten Haarbalſams, ſagt.
Karl Stillfried erröthete beſcheiden, antwortete
aber der Wahrheit gemäß:
„Ja, das iſt wahr!“ ͤ ö
Herr Meyerheim blickte, durch dieſe Antwort doch
ein wenig überraſcht, auf und ſagte bei ſich ſelbſt:
„Der eingebildete Narr! Für ſo eitel hätte ich
ihn nicht gehalten! Doch nein, er kann es nicht
ſein, denn er erröthet ja über die Vermuthung, daß
eine Erbin Gefallen an ihm finde! Ich habe ihn
wahrſcheinlich nicht recht verſtanden.“
Dann ſetzte er laut hinzu:
„Uebrigens habe ich Ihnen auch noch etwas
mitzutheilen, Herr Stillfried! Aber, wohl gemerkt,
die Sache iſt noch ein Geheimniß. Kommen Sie
einmal mit hierher!“
Der junge Mann folgte ſeinem Principal in
ein Verſteck hinter einigen auf Lattengeſtellen hän-
genden Damenmänteln und Herr Meyerheim fuhr fort:
„Ich wünſchte nämlich mir das Vergnügen zu
machen, der erſte zu ſein, der es Ihnen ſagte, und
 
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