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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [13]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0311

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220

MODERNE KUNST.

Als Herr von Rocholl spät Abends in sein Zimmer zurückgekehrt die
Thür von innen schliessen wollte, drängte sich etwas zu ihm herein.

„Ich bin’s, Papa!“ flüsterte Leo’s Stimme durch das Dunkel. „Ich
muss Dich etwas fragen. Und Papa“, — der eben noch zaghafte Tori
festete sich; —• „wenn Dir etwas an meiner Liebe zu Dir liegt, so . . .“

Sie sprach es nicht zu Ende. Das Uebrige erstickte unter seinen
Armen, die sie plötzlich wie einen Halt suchend umschlangen.

„AuchDu?“ stöhnte er und Leo erschrak über das qualvolle Schluchzen,
das aus seiner Brust quoll. „Auch Du?“

„Oh Papa! Lieber Papa!“

Nun weinte auch sie. Und so standen sie lange in dem dunklen
Raume und hielten sich umfasst und wussten es Beide nicht, was dem
Anderen die Thränen in die Augen trieb.

Leo löste sich sanft aus seinen Armen.

„Soll ich Licht machen, Papa?“ fragte sie besorgt.

Er wehrte fast ängstlich ab.

„Kein Licht! — Wenn Du mich dabei ansähest“, setzte er murmelnd
hinzu, „wenn Du die Schmach des Kampfes auf meinem Gesichte läsest —
denn ich weiss es: es ist eine Schmach! — vielleicht, dass ich dann nicht
könnte! dass ich ..." Er unterbrach sich hastig und zog sie zu dem
Ledersopha im Winkel des Zimmers. Und dort drückte er ihren Kopf
an seine Brust und strich mit zitternden Fingern über ihr Haar. Und es
war ihm, als ströme eine beseligende, stärkende Kraft aus diesem weichen,
warmen Haar in seine Adern hinüber, eine andere Kraft, wie die, von der
Brechtling gesprochen hatte. Dann sank sein Haupt zu dem ihren herab
und seine Lippen flüsterten: „Sage, Kind, hast Du mich lieb? Hast Du
Deinen alten Vater ein wenig lieb, auch wenn ich oft hart und ungerecht
war zu Dir und Euch Allen?“

Leo schmiegte sich fest an ihn und legte ihre Arme um seinen Hals,
wie sie es als Kind so oft gethan.

„So lieb, Papa!“ murmelte Sie. „So lieb!“

„Dann — Du wirst es mir sagen, nicht wahr, was ich thun soll?
Denn ich . . ich ..."

Und in leisen, abgerissenen Sätzen floss es ihm über die Lippen, wie
es gewesen war und was er gelitten hatte diese achtzehn Jahre hindurch.
Und wieder schloss er mit dem verzweifelt fragenden; „Was nun? Nun
ist er wieder da und alles ist verloren!“

Schon längst hatte sich Leo aufgerichtet. Und nun, da er geendet,
hatte sich über ihr Gesicht jener grüblerische Ernst gebreitet, der sie älter
machte, als sie war.

„Was nun?“ wiederholte sie sinnend. „Oh Papa, warum hast Du es
nicht gleich gesagt, damals, als es geschah? Warum hast Du es ängstlich
und scheu versteckt vor uns, als ob es ein Unrecht wäre? Wie anders
wäre dann alles gekommen! Das Geheimniss war zwischen uns und
trennte uns, nicht das Geld, auch nicht das Unrecht. Es war noch kein
Unrecht, es war nur der Gedanke daran. Und wenn dieser Gedanke,
dieser Schatten, den das gedachte Unrecht voraus warf, schon ein solches
Unglück über uns bringen konnte, was, Papa, würde erst das vollendete
Unrecht . .?“

Sie hielt inne. Herr von Rocholl war aufgefahren, wie von der
Wucht ihrer Worte getroffen.

„Das Unrecht!“ rief er. „Wenn ich’s beginge, wenn ich es aus-
führte — oh, ich war nahe daran, Leo, nahe, nahe! Ich hatte es schon
fast beschlossen! . . wir hätten geschwelgt im Ueberflüssigen und gedarbt
am Nöthigsten! Oh Kind! Kind! Lass mich’s nicht ausdenken, schütze
mich vor ihm, ich bin ja so schwach, so schwach! Schon dass ich Dir’s
sagte, dass ich diesen hässlichen Wahn in Deine Seele warf . . .“

Er sank zurück und vergrub sein zuckendes Gesicht in den Händen.
Leo stand auf.

„Und nun muss ich Luft machen, Papa!“ sagte sie und ein heller
Jubelton war in ihrer Stimme. „Und ich werde Dir etwas zeigen, das Dir
vielleicht besser, als ich, sagt, was Du thun musst!“

Sie schritt zum'Tische. Gleich darauf flammte das Licht auf. Und
dann löste Leo sanft ihres Vaters Hände und führte ihn vor den Secretair
zwischen den beiden Fenstern, in dem sich das Geheimniss des Hunger-
looses derer von Rocholl verborgen hatte diese ganzen achtzehn Jahre
hindurch.

Ueber dem Secretair aber an der Wand hing unter einer Glasschei
in einem einfachen Goldrahmen der Stammbaum derer von Rocholl, b e
gonnen und weitergeführt von der Hand der Ahnen.

Und nun standen die Beiden Hand in Hand darunter und Leo ho^
die Lampe hoch empor, dass die Helle auf den Spruch fiel, der über de 111
ersten Namen stand, den Wahrspruch des alten Geschlechts.

„Siehst Du ihn, Papa?“

Herr von Rocholl sah ihn und sprach ihn vor sich hin.

„Gott und die Ehr’ — nichts mehr!“

Ueber sein Gesicht ging ein Leuchten.

„Weisst Du, wo er ist, Leo?“

Auch ihr Gesicht strahlte.

„Ich weiss es! — Morgen, Papa?“

„Morgen!“

—jo- Schluss.

„Weisst Du, Papa, dass ich dann nie, niemals wieder . .?“ hatte C* 1- 1
gesagt. Und nun war sie doch wiedergekommen, sogar mit dem AnF s
richter. Leo hatte sie früh Morgens aus den Federn geholt und vor ih reI

Zusprache im Verein mit der seltsamen Mär von dem Hungerloose

dei'

Rocholls hatte der Groll der Beiden Gekränkten nicht zu widerstehe' 1
vermocht. Sie waren in einer eilends besorgten Droschke auf dem RochoU 5
hofe eingetroffen, da Leo mit dem Einspänner gleich weiter gefahren' va''
nach Amalienruh, zum Phildoctor Hans Seegebusch. Denn der gehöB 1
nun von Rechtswegen zu den Rocholls.

Aber er war nicht mehr in Amalienruh gewesen. Er war bereits ä 111
vergangenen Abend abgereist, wie der Leutevogt Leo berichtet hat te'
unbekannt wohin. Vielleicht stände es in dem Briefe?

Der Brief, den ihr der Mann überreichte, war eigentlich für Mia bestim< llt'
Aber Leo machte sich kein Gewissen daraus, ihn zu erbrechen und zu les£ n'

Dann brach sie in ein jubelndes Gelächter aus.

Hans Seegebusch war nach Berlin gereist, um nun definitiv i 11*
Examen zu steigen. Und kein Augenbrauen in die Höhe ziehen, schri^
er, und kein Stirnrunzeln gestrenger Professoren sollte ihn davon abhalte 11’
dieses Examen zu bestehen.

Dann folgte ein Erguss minder prosaischer Art, in welchem die

ifl

d

jedem Satze mindestens dreimal wiederkehrenden Stichworte „Liebe“ 1111
„Treue“ stets dick unterstrichen waren. Und dieselbe Leo, die einst di e® e
Phantome in Verbindung mit alten Kleidern und Trödlern gesetzt hatt 1,
war indiscret genug weiter zu lesen. Und wieder war’s ihr seltsam waf n’
und freudig um’s Herz, wie gestern Abend, da sie im Hausflur auf
gewartet hatte, und dabei doch seltsam elend und weh zu Muthe.

Kam’s nun daher, dass Mia in ihrer Dachkammer nicht mehr weint e'

Von Amalienruh ging's zum Kruge. Als der Einspänner vor d eItl
selben hielt, war in Leo’s Gesicht keine Spur von der freudigen Erheba 11'’
des Morgens mehr zu finden. Ihre Stirn war finster gefaltet und d 1’ 1
Lippen herbe auf einander gepresst. Kaum, dass sie es über sich gewat 1 ’

5> e

dem erwartungsvoll heraustretenden Stiefonkel die nothdürftigsten
klärungen zu geben. Von dem Hungerloose erwähnte sie nichts.
wollte sich den bitteren Genuss nicht entgehen lassen, das Gesicht 0
Amerikaners bei der jäh auf ihn hereinstürmenden Botschaft zu beobacht e|1’
die ihm Reichthum und Besitz verkündete.

Er gehörte ja zu denen, die ihr Höchstes, ihr Alles im Gelde erblickt el1^

Eine kurze Fahrt war’s dann nur noch bis zum Rochollshof, währ eI1
welcher Leo auf alle leisen, halb neckischen, halb ernsthaften AnnäherunfL
versuche des Geldmenschen nur knappe, abweisende, oft sogar verächth 0' 1
Antworten hatte.

Und als sie jetzt Alle im „Salon“ versammelt waren und Herr

Rocholl unter den erregten, staunenden und fragenden Ausrufen se 1

Zuhörer, die Geschichte der achtzehn Jahre darlegte, hafteten Leo's A US

ve>"

a 1' 1

heiss auf dem Gesichte eines Einzigen, des einst durchgebrannten, ^

bummelten Lieutenants. Und ihre Verwirrung stieg. Denn was sie
diesem Gesichte las, war nichts als Verwunderung, offene, ehrliche
wunderung.

Aber er gehörte doch zu Jenen, die ihr Höchstes, ihr Alles im

erblickten? St

schöP !t

Ver'

Gel de

„Und darum, verzeih’ mir, Fritz!“ endete Herr

Rocholl ersc

und sich in seinen Sessel zurücklehnend. „Deine Rückkehr traf mid 1

wi e
 
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