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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0523

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Es ist ein seltsames Zusammentreffen, dass die
beiden Chefs der Deutschen und der Oesterreichischen
Post in demselben Jahre bedeutsame Dienstjubiläen
begehen.

Excellenz von Stephan steht im April dieses
Jahres einViertel-Jahrhundert an der Spitze der Deutschen
Reichspost, die unter seiner Leitung einen ungeheuren
Aufschwung genommen hat. Arn 7. Januar 1831 zu
Stolp in Pommern geboren, trat er 1848 in das Postfach
ein, in dessen Verwaltung er es bereits nach zehn Jahren
zum Postiath, 1865 zum Geheimen und vortragenden
Rath gebracht hatte. 1870 wurde er zum Generalpost-
direktor und zum Chef des Postwesens des Norddeutschen
Bundes ernannt. 1879 zum Staatssekretär des Deutschen
Reichspöstamtes erhoben. begann er das Werk des
inneren Ausbaues, das das deutsche Verkehrswesen an
die Spitze aller ähnlichen europäischen Institutionen
stellte. Auf seine Anregung sind die gesammte Post-
gesetzgebung, der einheitliche Packettarif. die Einführung
der Postkarte, der Anweisungs- und Auftragsverkehr
und die Buchpost zurückzu-
ftihren. Das Aufgehen der
Telegraphie in der Reichs-
post hatte eine Vermehrung
der T elegraphenanstalten von
1700 auf 13000 zurFolge. Das
bedeutendste Werk Stephan’s
aber 'war die Gründung des
Weltpostvereins. Die Zahl
der Poststationen vermehrte
sich unter seiner 25jährigen
Verwaltung von5400äufmehr
als 18000. Die Anerkennung
seiner Verdienste äusserte
sich in seiner Berufung zum
Mitgliede des Preussischen
Herrenhauses und des Staats-
rathes, in seiner Ernennung
zum Ehrendoctor der Uni-
versität Halle und in der
Verleihung des Ehrenbürger-
rechts durch die Städte Stolp
undBremerhaven. DerKunst
und Wissenschaft ist Excel-
ienz von Stephan stets ein
eifriger Förderer und Gönner
gewesen.

Der Leiter der Post in
Niederösterreich, Hofrath
von Kamler konnte sei-n
40jähriges Dienstjubiläum
begehen. Hofrath von Kamler hat sich um die Organisation
der Post in Niederösterreich grosse Verdienste erworben.
Der Ober-Postdirector von Niederösterreich hat seine
Beamtencarriere als schlichter Postexpeditor begonnen,
hat sich also von der Pike auf zu der hohen Stellung
aufgeschwungen, die er gegenwärtig beldeidet. Hofrath
Ritter von Kamler wurde am 12. Juli 1812 in Auspitz in
Mähren geboren und trat ohne jede Protection und ohne
alle Vorbildung \or vierzig Jahren in den Pqstdienst
ein. Dank seiner Fähigkeiten gelang es ihm bald, die
Aufmerksamkeit der maassgebenden Factoren auf sich
zu lenken, und sein hervorragend organisatorisches
Talent bestimmte die Regierung, ihn mit der Einrichtung
aes Postwesens in den occupirten Provinzen Bosnien
und der Herzegowina zu betrauen. Hofrath Kamler ist
der Schöpfer der Militärpost in diesen Ländern, einer
Einrichtung, die sich bekanntlich aufs Beste bewährt.
Seine Verdienste wurden vielfach gewürdigt. Der Kaiser
verlieh ihm das Ritterkreuz des Leopold-Ordens, auf
Grund dessen er in den .erblichen Ritterstand erhoben
wurde. seine Geburtsstadt ernannte ihn zu ihrem Ehren-
bürger.

Dati KiilTrn auf in?it Dülini'.

Eine Wiener Zeitung hatte eine Enquete über den
Scheinkuss auf der Bühne veränstaltet. Inzwischen ist
die akademische Frage zu einer actuellen geworden.
Frau Leuthold vom Raimund-Theater ist vom Director
Müller - Guttenbrunn mit folgendem Briefe entlassen
worden: „Es fällt mir nicht leicht, inmitten der Saison
auf ein erstes Mitglied zu verzichten, aber ich bin zu
der Ueberzeugung gelangt, dass Sie gegenwärtig nicht
in der Lage sind, Ihren schauspielerischen Beruf voll
und ganz auszuübeti, ohne täglich neue Conflicte herauf-
zubeschwören. Als Sie sich verheirathen wollten, erklärte
ich unseren Vertrag in der Voraussetzung für aufrecht,

dass Sie auch als Frau die für Ihren künstleriSchen Beruf
nöthige Freiheit geniessen würden. Nun aber dehnt Ihr
Herr Gemahl seine unzweifelhaften ehelichen Rechte
dahin aus, dass er Ihnen verbietet, auf dem Theater zu
küssen und sich küssen zu lassen. Er sitzt, so oft Sie
spielen, in der ersten Reihe, und sobald eine Scene
kommt, wo Sie geküsst werden sollen, wird er unruhig,
und werden Sie geküsst, springt er auf und verlässt das
Theater; Sie aber alteriren sich darüber, Sie sträuben
sich gegen Küsse, die Sie, im Geiste Ihrer Rolle handelnd,
mit Jubel empfangen und erwidern müssten, Sie bringen
die Mitspieler ausser Fassung und erklären schliesslich
(während der Vorstellung!) nicht weiter spielen zu wollen.
Ich weiss die Gefühle Ihres Herrn Gemahls zu würdigen,
aber ich mnss einen solchen Zustand dennoch als einen
unhaltbaren bezeichnen. Ein Kuss, auf dem Theater ge-
geben, vor taüsend Menschen, ist etwas durchaus Con-
ventionelles, und niemand denkt sich etwas dabei. Wenn
Ihr Herr Gemahl Ihnen heute diesen Kuss verbietet,
kann er Ihnen morgen untersagen, sich umarmen zu
lassen und übermorgen wird er es vielleicht anstössig
finden, dass Sie sich auf den Schooss eines Mitspielers
setzen. Mit solchen Einschränkungen der ktinstlerischen

und persönlichen Freiheit auf dent Theater kann man
unmöglich das Rollenfach der naiven Liebhaberin spielen
und Sie haben ganz Recht, verehrte Frau, wenn Sie
vom Theater abgehen. Ich sehe Sie mit Bedauern
scheiden, aber ich kann nicht umhin, Ihrem Wunsche
zu entsprechen und Ihren Vertrag mit dem Raimund-
Theater für aufgelöst zu erklären. Ihr hochachtungsvoll
ergebener Adam Müller-Guttenbrunn.“

—'A/VV''—

Eine Silberbibliothek.

Durch eine jüngst erschienene Festschrift ist die all-
gemeine Aufmerksamkeit wieder aufeinen interessanten
Bestandtheil der Königsberger Universitätsbibliothek ge-
lenkt worden. Dort befindet sich die sogenannte Silber-
bibliothek des Herzogs Albrecht von Preussen. Die
Sammlung leitet ihren Beinamen von der Eigenart ihrer
aus getriebenem Silber hergestellten Buchdeckel her.
Sie verdankt ihr Entstehen dem Herzog Albrecht und
seiner Gemahlin Dorothea. Die Bände, nur 20 an der
Zahl, tragen im Allgemeinen die für die Buchbinderei
jener. Zeit charakteristische Heftung auf Doppelbünde,
umstochenes Capitäl etc. an sich; besonders bemerkens-
werth sind aber die Deckel, welche, wie auch der Rücker,
aus getriebenem Silber hergestellt sind und dadurch den
Bänden einen unvergänglichen Werth verleihen. Um
das Aufschlagen der Bücher zu ermöglichen, sind die
Deckel mit dem Rücken durch Charniere verbunden.
Der Schnitt, „Goldschnitt“, ist durch Stempel reich ver-
ziert. Nachforschungen tiber die Provienienz dieser Ein-
bände, welche für süddeutsche, speciell Niirnberger Arbeit
galten, haben ergeben, dass sie eine Arbeit des Buch-
bindermeisters Caspar Angeles in Königsberg sind.

Interessant sind auch die Schicksale dieser Bibliothek.
Nachdem dieselbe ein paar Jahrhunderte einen Theil der
Schlossbibliothek gebildet hatte, veranlassten Kriegs-
unruhen zweimal ihre Entfernung aus Königsberg. Das

erste Mal geschah dies irn Jahre 1757, wo sie nach
Cüstrin gebracht wurde und in den dortigen Casematten
sechs Jahre hindurch lag, in Folge der Feuchtigkeit da-
her stark litt. Das zweite Mal war es im Jahre 1806.
wo sie naeh Memel überführt wurde. Im Jahre 1807
wurde sie der königlichen und Universitätsbibliothek ein-
verleibt und bildet seitdem einen hervorragenden Theil
derselben. In Folge misslicher Bauverhältnisse soll dieser
kostbare Schatz aber nur einem kleinen Theile des
Publikums zugänglich sein.

—A/Ww-

Der fräsidentenwechsel in Jrankreich
und die Kunst.

Der plötzliche Rücktritt des Herrn Casimir-Perier
war für viele kleine Existenzen ein harter Schlag. Ein
grosses Kunstverlagshaus, das vom Staate den Auftrag
erhalten hatte, sechs Tausend Oeldruckbiidnisse des
gewesenen Präsidenten anzufertigen, damit sie an die
Bezirks- und Kreishauptorte vertheilt werden, erleidet
keinen Schaden. Die Bestellung ist bindend und gültig.

die Lieferung wird ausge-
führt, und der Staat hat
den vereinbarten Preis zu
bezahlen. Was er mit den
6000 Bildnissen anfängt, das
geht das liefernde Haus gar-
nichts an. Aber neben die-
sem glücklichen Lieferanten.
der sich zur Stunde wahr-
scheinlich schon auf eine
neue Bestellung freut, giebt
es Künstler und Schrift-
steller, die aus eigenem An-
trieb ihre Sache auf Herrn
Casimir-Perier gestellt haben
und jetzt zusehen können,
was sie mit ihrer Arbeit
anfangen. Man kennt fünf
Maler und Bildhauer, die für
den nächsten Salon sein
Bildniss oder seine Büste
vorbereitet haben. Ein Maler
hat ein grosses vaterländi-
sches Bild vollendet: „Haupt-
mann Casimir-Perier trägt
seinen verwundeten Batail-
lons - Commandeur in der
Schlacht von Bagnolet aus
dem Feuer.“ Ein hervor-
ragender Provinz-Journalist,
ehemaliger Schüler der Ecole
des chartes, schreibt seit Monaten an eineni mehr-
bändigen Werke „Geschichte der Periers“. Eben ist
der erste ßand fertig geworden, der die Ergebnisse
mühseliger Archivforschungen enthält und den Spuren
der Periei's bis ins Mittelalter nachgeht. Das Buch
erschien im Selbstverlag des Verfassers, der damit ein
Geschäft zu machen hoffte. Es wäre ein löblicher Zug,
wenn Herr Casimir-Perier die Leute, die ihren winzigen
Kahn an sein stolzes Schiff gebunden hatten, entschädigen
wollte. Er hat es ja dazu. Und wenn dabei einige
missbräuchliche Schröpfungen mit unterliefen, der grosse
Millionär kann auch diese ohne Schaden ertragen.

Zur hygienischen Kleiderreform.

Einen merkwürdigen Mann, dessen „Unbekleidung“
auf wissenschaftlichen hygienischen Principien basirt ist.
beherbergt die Oakland-Bucht. Seine ganze Kleidung
besteht aus einem Gürtel und einem paar baumwollenen
Badehosen. In seinem Gürtel trägt er einen langen Dolch
und eine Winchesterbüchse in seinen dunkelbraunen
Arnten, Er schreibt allen Fähren, Yachten, Schleppern,
Schonern und Fahrzeugen jeder Art, die bei ihm vorüber-
kommen, die Bewegungen vor, die sie zu machen haben.
Dieser nackte Coloss steht in Diensten des Kriegsdeparte-
ments der Vereinigten Staaten. Auf dem Hintertheil
seines Fahrzeugs eigener Construction, das in dem
Canal verankert ist, steht er aufrecht wie eine Bronce-
statue des Ajax. Bis zur Südsee ist er gefürchtet. Er
ist hochgewachsen und von prächtigem Ebenmaass, misst
6 Fuss 3 Zoll (cnglisch) und wiegt 200 Pfund (englisch).
Seit 20 Jahren trotzt er allen Klimaten der Welt, ohne
den Schutz eines Hemdes oder Rockes. Es ist der
Capitain Eduard A. v. Schmidt, und ausser dann und
wann, wenn er in den Strassen von Städten sich zeigt,
geht er seit 20 Jahren fast vollkommen nackt. Er ist
jetzt von der Regierung mit dem Ausbaggern des Oak-

IX. 13. B.
 
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