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Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI Kapitel:
No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0212

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ſie kaum erkannt! Wie konnte ſie ſich dazu ver-
ſtehen?“ —
Ein vorwurfsvoller Blick aus den Augen der
Mutter brachte ihn zur Beſinnung. „Ich denke

Du ſelber wüßteſt am Beſten, wie viel hier im

Schloſſe der Wille Elſe's gilt und wie gut und
fügſam ihre ältere Schweſter iſt,“ ſagte ſie leiſe im
ſtrengen Tone.
„Nun ja, ich war eben böſe, daß ſie ſich in
Alles fügte, da ihr die Kleider ſchlecht ſtehen,“ ant-
wortete er. ö
Man redete noch eine Weile hin und her; Ger-
trud war ſchon längſt in's Haus geſchlüpft. Die
Beſorgung der Bewirthung der lieben Gäſte lag ja
ihr allein ob, und ſie wollte auch allein ſein mit
ihrem erſchreckten Herzen. Warum hatte er nur
ſo hart zu ihr geſprochen? Aber viel Zeit zum
Nachdenken gab es nicht, ſollte das Nachteſſen gut
gerathen und dieſe Arbeit half ihr denn auch über
ihre Traurigkeit fort. Auch war der Geburtstags-
kuchen ſo gut gerathen, und einen ſchoͤnern Weſer-
lachs konnte man ſicher im ganzen Lande nicht
ſehen. Ein ſelbſtgeſponnenes Gedeck breitete ſie über
den Tiſch, als ſie die Abendtafel herrichtete. Wäh-
rend deſſen ſaß die „Prinzeſſin“ da draußen unter
dem wolkenloſen Sommerhimmel auf den Knieen
ihres Vaters, den Arm um ſeinen Hals geſchlungen,
trieb tauſend Poſſen und war ſo reizend in ihrer

dankbaren Freude, daß ſelbſt die Pfarrerin ſie im

Stillen bewunderte. O, es war ein glücklicher Ge-
burtstag! „Nur Kaiſer Karl fehlt noch, ſonſt
wünſche ich mir Nichts mehr,“ rief Elſe. „Und
warum ſollte nicht auch einmal ein Kaiſer ſich hier-
her verirren in unſer altes Schloß? Sind doch
Prinzen und Könige bei uns geweſen!“
Man ſpeiſte heute im Mondſchein unter der
alten Linde und Werner ſaß zwiſchen den beiden
Schweſtern.
Nacht hinaus das Lied von der
„Linde im tiefen Thal
War oben breit und unten ſchmal,“
und die alte Weiſe vom Tannhäuſer, der war:
ö „ein Ritter gut.“
Und dies Lied war es, das der junge Student
die ganze Nacht hörte, vor Allem aber die Strophe:
„Frau Venus ſüß, Frau Venus mild, ö
Ihr ſeid eine Zauberinne.“
Unnd dabei tauchte eine zarte Geſtalt in roſen-
rothem, ſchleppendem Gewande vor ihm auf, große
dunkle Augen lachten ihn an, friſche rothe Lippen
glühten ihm entgegen; noch nie hatte der junge
angehende Studiosus theologiae ſo ſchlecht ge-
ſchlafen. ö
Auch die blonde Gertrud ſprach ihr Gebet nicht
ſo ruhig wie ſonſt. Immer klangen ihr die Worte
in den Ohren: „Welch' ein Aufzug! Wie ſiehſt
Du aus! Wie konnteſt Du Dich ſo entſtellen!“

Nachher ſang Elſe noch in die ſtille

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den Klängen wie im Traum dahin.

Sie erſchien ſich ſelber jetzt in der Erinnerung
ſo häßlich, im Vergleich zu ihrer Schweſter, daß
ſie in bittere Thränen ausbrach, und doch, als Elſe
ſich zärtlich plaudernd zu ihr auf ihren Bettrand
ſetzte und dabei ihr Haar zuſammenwand, und die
feinen ſchönen Schultern aus dem zurückfallenden
Nachtkleide hervorſchauten, da ſchlang ſie beide Arme

um die Schweſter und ſagte leiſe ſchluchzend: „Du

biſt und bleibſt mein Liebling, für den ich gern
noch zehnmal ſo häßlich werde, als ich eben heute
war!“
Diesmal genoß man die Ferien in anderer
Weiſe als ſonſt. Man verſammelte ſich häufig in
der Capelle, um neue Gedichte zu hören, die Werner
mitgebracht und von denen man draußen in der
Welt ſchon viel redete, unter andern auch die Meſ-
fiade des Klopſtock. Gertrud's Augen leuchteten

während' er las, aber Elſe erklärte, müde davon zu

werden. Sie ſchlummerte auch wirklich in der That
beim vierten Geſange ein; da ſchenkte denn Werner

den Meſſias der Gertrud und las Voſſens Louiſe,

und Schulze's bezauberte Roſe und die ſchönen
Augen der „Prinzeſſin“ hingen mit heiterer Acht-
ſamkeit an ſeinen Lippen. Man ſtreifte aber auch
viel umher in Wieſe und Wald zu Dreien und fuhr
auf einem Nachen auf der Weſer. Welche Selig-
keit für Gertrud, ſich auf den Arm des Jugend-
geſpielen zu ſtützen bei dieſen langen Spaziergän-
gen — denn Elſe wurde nie müde — oder ſeine
Hand zu halten, wenn der Kahn ſchaukelte — denn
Elſe furchtete ſich nie und brauchte keine Stütze.
Und wenn der Jüngling ſeine Studentenlieder ſang
und die weichen Töne über dem Waſſer zitterten,
dann ſchloß Gertrud die Augen und ſchwamm auf
Elſe fiel zu-
weilen ein mit ihrem wunderbaren Alt, ſchaute
dabei in die Fluth und hielt Geſpräche mit den
Nixen. ö *
„Sieht ſie nicht aus wie eine Fee,“ fragte Wer-
ner einmal, von ſolchem Anblick hingeriſſen, leiſe
ſeine Mutter. ö
(Fortſetzung folgt.)

Hirt und Näuber.
(Ein ungariſches Steppenbild.)
(Schluß.) ö
Die Beziehungen zwiſchen Räuber und Hirt
werden aber leider nicht ſelten enger —; ein Kind
der Wüſte, der rohe Sohn der Natur, erzogen in
einer Schule, wo nur das Recht des Stärkeren gilt,
ausgerüſtet mit eben nur genug Urtheilskraft, um
mit rohen Sophismen das beabſichtigte Unrecht zu
entſchuldigen, gegen deſſen Lockungen der Mann in
ſeinem ſittlichen Gefühle kein Gegengewicht findet.
— fallen die Worte der Verführung leicht auf
fruchtbaren Boden, wenn der Betyär ſeinen Wirth
 
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