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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 40 - No. 52 (1. April - 29. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0213

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einladet, Theil zu nehmen an einem nächtlichen
Ueberfall. Ein flinkes Pferd iſt bald zur Stelle,
wenn der Hirte nicht ſelbſt Eſikös iſt — und in
Sturmeseile geht es fort — Meilen weit fort! —
und mit Sonnenaufgang iſt der Hüter der Heerde
wieder zur Stelle, und Niemand, der die Landes-
verhältniſſe nicht genau kennt, ahnt, daß der von
der aufgehenden Sonne beſchienene apathiſch an ſei-
nem Stocke hängende Mann, oder daß der an die
ſchönen idylliſchen Zeiten Griechenlands erinnernde
Hirte im blumigen Graſe mit ſeiner Rohrpfeife
identiſch ſei mit dem wilden Geſellen, der noch vor
wenigen Stunden Angſt und Schrecken mehrere
Meilen weit von ſeinem jetzigen Lager in ein ent-
legenes Haus getragen.
So wie das Hirtenfeuer im Sommer, iſt die

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einſam ſtehende Cſarda im Winter der Zufluchts-

ort des Räubers, deſſen Bewohner das Räuber-
gewerbe dadurch mächtig fördern, daß ſie das ge-
ſtohlene Gut verwahren und verwerthen. Der Räu-
ber aber findet ſeine Unterſtützung noch in der
Furcht der Bevölkerung vor der Rache des Ver-
brechers nach überſtandener Strafzeit, und nur aus-
nahmsweiſe kommen Fälle vor, daß ein Betyär oder
deſſen Aufenthalt verrathen wird. ö
Waren doch — namentlich in der vormärzlichen
Zeit — die Comitatsgefängniſſe die hohe Schule
des Miſſethäters; hier hauſte der Raufbold, der
Dieb, der Falſchmünzer, der Räuber, der Mord-
brenner, der Todtſchläger, der Betrüger und der
Mörder in friedlicher Genoſſenſchaft.
Hier wurden Pläne geſchmiedet für die Zukunft,
Stelldichein verabredet für die Freiheit, hier organi-
ſirten ſich Banden, in denen die Intelligenz und
die rohe Kraft ihre Vertreter fanden. In dieſen
Kerkern lernte der Miſſethäter das Geſetzbuch und
ſeine Schwächen kennen — die Bedeutung des frechen
Läugnens und den Werth eines zu erweiſenden
Alibi's und der Verirrte verließ dieſe Höhlen meiſt
als Verbrecher. ö — ö ö
Doch wieder zurück zum Hirten und deſſen Be-
ziehungen zum Räuber. So lange erſteren kein
ſchwerer Verdacht trifft, bleibt er nur Dilettant,
wittert er aber die Aufmerkſamkeit der Behörde,
dann läßt er das Hirtenhandwerk und wird Räuber
von Profeſſion, wo er dann in freien Nächten die
früheren Kameraden beſucht, am flammenden Hirten-
feuer ihnen erzählt vom luſtigen Leben des szegény

legény (armer Geſelle — Räuber) und wie ſeine
Bande ſich vermehrte ſeit dem letzten Beſuche durch

einen Mann, der im Rauſche den Anderen erſchla-
gen, und durch einen Deſerteur, und wie er hofft,
daß zur Zeit der nächſten Rekrutirung wieder einige
tüchtige Burſche zu ihm ſtoßen werden, welche die
Angſt vor dem Kalbfelle aus ihren Dorfern ver-
trieben haben wird u. ſ. f.

Je nach der verſchiedenen Eignung nimmt aber

jeder Strolch ſeinen Platz ein in der Gilde dieſer

Männer, die ihre Hierarchie haben und ihren Stan-
desſtolz.
Die Kategorie der Pferdediebe aus Liebhaberei,
welche meiſt aus mehr oder weniger begüterten
Männern beſtand, die ihre Leidenſchaft oft in ſchwe-
rer Kerkerhaft büßten, — findet in neuerer Zeit
keine Repräſentanten mehr, aber ein ſolch edler
Dilettant erachtete es ſeinerzeit für die tiefſte Ent-
würdigung, ſich mit dem gemeinen Pferdediebe, dem
ſogenannten 16 Kuper, auf eine Stufe geſtellt zu
ſehen. Der Kavaléros Betyär, der IIighwayman
der ungariſchen Steppe, der hoch zu Roß, die
Piſtole in der Fauſt, begleitet von einem oder zwei
Geſellen, eine lange Wagenreihe im Felde anhält
und den vom Markte heimkehrenden Kaufleuten ihr
Geld abverlangt, der dem Gendarmen entgegentritt
und mit ihm kämpft um das dem Galgen verfallene
Leben — er ſieht ſtolz herab auf den rongyos
Betyär, den Kapcza lepô, der vor dem Meierhof
lungernd den Meierknecht hineinſchickt zum Herrn
um Nahrungsmittel und etwas Geld für den
„Szegény legény.“
Die Dankbarkeit des Letzteren iſt zwar nur nega-
tiver Art, aber darum nicht weniger werth; denn
der beſchenkte Strolch beraubt den Geber nicht und
zündet deſſen Haus nicht an, wie er ſolches nach
einer Zurückweiſung zu thun nicht unterlaſſen würde,
wenn er es anders thun kann. ö
Im Allgemeinen zeichnet den ungariſchen Räu-
ber Energie, Kühnheit, ein gewiſſer Grad von Edel-

muth und eine Todesverachtung aus, die ſich nur

höchſt ausnahmsweiſe am Fuße des Galgens ver-
läugnet, auf dem die Mehrzahl dieſer Unglücklichen
ein Leben endet, welches zweckmäßige Erziehung
leicht nutzbringend für die Geſellſchaft hätte ver-
werthen können.

Beſchreibung des Luther⸗Denkmals in
Worms.
Das ganze Denkmal erhebt ſich auf einem durch
zwei Stufen erhöhten, viereckigen Granitunterbau,
von dem jede Seite 40 Fuß rheiniſch mißt. An

den vier Ecken dieſes Unterbaues ſtehen auf 8 Fuß

hohen Poſtamenten aus polirtem Syenit die 8½
Fuß hohen Bronceſtatuen der mächtigſten Stützen
und Förderer der Reformation: vorn Friedrich der
Weiſe, Kurfürſt von Sachſen, Philipp der Groß-
müthige, Landgraf von Heſſen; hinten Philipp Me-
lanchthon und Johann Reuchlin.
Die Vorderſeite des Vierecks iſt offen und bil-
det zwiſchen den Statuen Friedrichs des Weiſen
und Philipps des Großmüthigen den 30 Fuß brei-
ten Eingang in dem inneren Raum; die drei übri-

gen Seiten dagegen ſind durch drei 4—5 Fuß hohe

Zinnenmauern ebenfalls aus polirtem Syenit ab-
geſchloſſen, aus deren Mitte ſich auf 7 Fuß hohem
Syenitpoſtament jeeine 6 Fuß hohe, ſitzende Städte-
 
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