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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 53 - No. 65 (3. Mai - 31. Mai)
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Heidelberger Familienblätter.

Velleriſiiche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 61.

Mittwoch, den 20. Mai

1868.

Der Ring der Bettlerin.

Aus den Erinnerungen eines Londoner Polizeibeamten.

(Schluß.)

Mr. Roß, ſehen Sie mich gefälligſt einmal
recht an! fiel ich ihm mit lauter, feſter Stimme
in's Wort, ſtand vom Stuhl auf und trat ihm einen
Schritt näher, denn die kaltblütige Unverſchämtheit
und der niederträchtige Gleichmuth des jungen Man-
nes machten mir die Galle etwas warm. „Sehe
ich aus wie ein Narr oder wie ein Mann, der ſich
foppen läßt? Meiner Treu, ich denke hier nicht
die Rolle des übertölpelten Alten in einer Poſſe zu
ſpielen. Ich bin ein Mann von Welt, mein Herr,
und ſchmeichle mir dabei, ein Mann von Bildung,
von Ehre und von Stande zu ſein. Wenn Sie
eben für einen ſolchen gelten und angeſehen ſein

wollen, ſo laſſen ſie augenblicklich die Rolle fallen,‚

die Sie angenommen haben, und verhandeln Sie
ehrlich und offen mit mir. Sie haben auf eine
unverantwortliche, feige und nichtswürdige Weiſe ein
armes unerfahrenes Mädchen in's Unglück geſtuͤrzt,
und wenn Sie kein gefühlloſer Schuft ſind, ſo
werden Sie ſich gewiß einige Mühe geben, dieſes
Mädchen und Ihr eigenes Kind dem grauſamſten
Elend und einer Lage zu entreißen, an welche ein
Chriſt und gebildeter Mann nicht ohne Schauder
denken kann!“ ö
„In der That, mein Herr,“ ſtammelte er; „ich
hatte keine Ahnung davon, daß .... Was ver-
langen Sie von mir, was ſoll ich thun?“
„Ihre Pflicht als Menſch und Chriſt ſollen
Sie thun. Entreißen Sie dieſes arme Mädchen,
das Sie zu einem Leben voll Schmach und Elend
verurtheilt haben, ſeiner gegenwärtigen grauſamen
Lage. Sorgen Sie ehrenhaft für die Zukunft Ihres
Kindes und zwingen Sie es nicht, ein Dieb oder
etwas noch ſchlimmeres zu werden, damit es dereinſt
in der Stunde ſeiner Verurtheilung Sie verfluche!
Sie beſitzen ohne Zweifel Geld, auch wenn Sie
kein Gefühl haben; opfern Sie alſo etwas von
Ihrem Gelde und retten Sie damit Ihr Gewiſſen.
Betzt, wo Sie das Ergebniß jenes niederträchtigen
Streiches kennen, ſind Sie auch für die Folgen im
vollſten Umfange verantwortlich, und können nicht
länger Unwiſſenheit vorſchützen. Maria Morris
iſt Ihrer Hilfe ebenſo würdig als bedürftig.“

„Sie haben vermuthlich ihre Adreſſe, Mr.
Forbes?“ ö ö
„Mit nichten, aber ich weiß, wo ſie zu fin-
den iſt.“ ö
„Kann ich ſie ſehen?“
„Vorerſt nicht, und doch wünſchte ich, Sie wür-
den ſie ſehen. Der Anblick des Zerfalls und der
Verkommenheit, welche Sie verurſacht, könnte we-
nigſtens einige Reue und Gewiſſensbiſſe in Ihrem
Herzen erwecken!“ ö ö
„Genug, mein Herr! Darf ich Sie bemühen,
ihr dies zu bringen?“ ſagte Mr. Roß, und reichte
mir einen Sovereign. ö
„Dies will ich gern beſorgen, aber Sie werden

wohl wiſſen, daß dieſe Kleinigkeit nicht weit reicht,

wenn es gilt, auch nur die dringendſten Bedürfniſſe
des armen Mädchens zu befriedigen. Sie iſt von
Allem entblöſt, ihre Heimath iſt die Straße; ſie
kann nie auf die nächſte Mahlzeit mit Sicherheit
rechnen, und doch muß das arme Würmchen, —
Ihr Kind, mein Herr! — ſeine Nahrung aus
dieſem nur halbgeſättigten Körper ziehen. Sie braucht
Kleider, Herr, und Obdach und Nahrung, und alles
Mögliche. Meiner Treu, Herr, eine Zehnpfundnote

wäre hier mehr am Platze!“

„Jenun, dieſes Goldſtück wird wenigſtens einſt-
weilen ihr Obdach und Nahrung verſchaffen. Ich
werde ſie ſehen, ſobald Sie es erlauben, und mich
bemühen, ihr dann eine behaglichere Lage zu be-

reiten.“

„Das iſt nur Ihre Pflicht, Mr. Roß!“ rief ich.
„Trotz dem abſcheulichen Unrecht, das Sie ihr an-
gethan haben, trägt ſie Ihnen doch keinen Groll
nach; ſie liebt in Ihnen, ich darf es wohl ſagen,
den Vater ihres Kindes.“ ö
Es gibt nichts ſo lohnendes, als für eine gute
Sache zu ſtreiten. Recht iſt eine gewaltige Macht
in einem ſolchen Falle. Ich vertrat die Rechte des
betrogenen Mädchens und die Gerechtigkeit meiner
Sache machte mich kühn. Ich verabſchiedete mich
von Mr. Roß mit dem Verſprechen, ihn in wenigen

Tagen wieder zu ſehen.

Der folgende Tag war ein Freitag. Ich fand
mich um neun Uhr an dem beſtimmten Orte ein,
und bald darauf kam auch mein Schützling mit
ſeiner ſchweren Laſt auf dem Arme. „
„Sie ſehen, ich bin gekommen, obſchon ich nicht
 
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