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Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI Kapitel:
No. 131 - No. 143 (1. November - 29. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0569

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in den Palaſt beobachtete. Als ihr am nächſten

Morgen Pia ihr Eſſen brachte, wies ſie es durch
Zeichen zurück; ebenſo that ſie am folgenden und
am dritten Morgen. Pia merkte nun, daß ſie
Hungers ſterben wollte, was auch in der That
geſchah. ö ö
An demſelben Tage, an dem Anna ihren Geiſt
aufgab, erhielt Pia durch einen Sbirren eine Vor-
ladung, in Sachen Lorenzo's und ihrer ſelbſt vor
Gericht zu erſcheinen, um über den Tod des Herrn
von Saligny Auskunft zu ertheilen. Sie hielt es
für unwürdig, ſich dem Gerichte zu ſtellen, um
Rede zu ſtehen, wie eine Dirne aus dem Volke —
und da ſie für Anna nicht mehr zu ſorgen hatte
und der edle Name der Montanini mit ihrem Bru-
der erloſchen war, ſah ſie kein Hinderniß mehr,
das ſich ihrer Verbindung mit Lorenzo Cattena ent-
gegenſtellte, mit dieſem Manne, der ſie ſo ſehr liebte
und ſo muthig war und großer Entſchlüſſe fähig,
wie wenige Maͤnner.
So machte ſie ſich denn auf und ging zu ihm
in's Gebirge. Und ſo verſchwand die letzte Mon-
tanini aus Siena.

Ein Gefangener in Abeſſinien.

(Schluß.) ö
Das Charakterbild, das Schimper von Theodo-
ros gibt, übertrifft alles bereis von ihm Bekannte
hinſichtlich ſeiner Mordluſt, die nie irgend einem
anderen Zwecke diente, als ſeine Gewalt über Leben
und Tod ſeinen Unterthanen zu zeigen und ſeinen
Blutdurſt zu befriedigen. Vom Tage ſeiner Kro-
nung (1855) bis zu ſeinem Tode hat er mehr als

50,000 Menſchen ohne Grund hinſchlachten laſſen.
Männer, Frauen, Kinder, Säuglinge ließ er zu

Hunderten, in Häuſer eingeſperrt, verbrennen. An-
dere zu Hunderten verhungern und wieder Andere
erſchießen oder erſtechen. Auf dem großen Länder-
ſtrich von Gondar bis Magdala hat er Alles aus-
geplündert und die Dörfer verbrannt. In der Stadt

Gondar ließ er, ein chriſtlich geſalbter Kaiſer, 42

Kirchen verbrennen. Alle größeren Kaufleute hatte
er gebunden und peinlich gefoltert, um ihr geſamm-
tes Eigenthum ſich zuzueignen. Die großen Han-
delsſtädte Gondar, Efak, Knorata, Mehadare⸗Mare-
jam und Derida hat er total vernichtet.
Die Frage: „Warum Theodoros die Europäer
ſo mißhandelt und zum Theil wie gemeine Ver-
brecher in Ketten geſchmiedet hat?“ beantwortet er
dahin: „daß ſehr bemerkenswerth oft die kleinſten
Dinge auf das Wohl und Wehe ganzer Völkerſchaf-
ten influenzirten, ſo ſei es auch hier geweſen.“
Den erſten Anſtoß zum Haß gegen die Englän-
der und CEuropäer überhaupt, habe ihm ein jüdi-
ſcher Handlungsdiener aus Frankfurt (2), Namens

„Stern“ gegeben. Derſelbe war aͤußerlich zum
Chriſtenthum übergegaͤngen, Geiſtlicher und Miſſio-
nar geworden und hatte ſich in Abeſſinien für einen
Engländer ausgegeben. Durch ſein eitles und al-
bernes Benehmen machte er ſich den Abeſſiniern

verächtlich, ja verhaßt, und beging die Thorheit,

dem Kaiſer abſichtlich nicht die ſchuldige Aufmerk-
ſamkeit zu erweiſen, ſondern mit deſſen Feind, dem
koptiſchen Biſchof, der ſich durch ſtete Relationen
mit Individuen auf türkiſchem Gebiet, auf's äußerſte
verdächtig gemacht hatte, auf's Intimſte zu verkeh-
ren. Auch trieb er mit dieſem Handelsgeſchäfte,
und zwar ſolche, die dem Kaiſer, wie dem Volke
mißfielen; unter anderen auch unerlaubten Skla-
venhandel. Mit dem Kopten konnte Stern arabiſch
ſprechen, aber, unkundig der abeſſyniſchen Sprache,
mußte er ſich der Dolmetſcher bedienen, die, ihm
feindlich, von ſeinen unvorſichtigen Aeußerungen
Gebrauch machten und ſein Treiben dem Kaiſer
verriethen.
Als nun Stern zur Abreiſe bereit war, wurde
er arretirt und alle ſeine Papiere confiscirt; die-

ſelben enthielten viel Beſchimpfendes über Theodo-

ros, daher wurde Stern in Ketten geſchloſſen.
Mit ihm war ein anderer Jude, ohne Geiſtli-
cher zu ſein, als Miſſionärgehülfe ins Land gekom-
men. Deſſen Briefe enthielten neben vielen Schmä-
hungen des Kaiſers auch die Phraſe: „Daß die

engliſchen Miniſter den Theodoros verhöhnten und

verlachten.“
Da Theodoros auch keine Antwort auf ſein
Sendſchreiben an die Königin Victoria empfangen,
wähnte' er, daß ſeine Verachtung in England durch
Stern und Roſenthal verſchuldet ſei. Er wurde in
dieſer Meinung beſtärkt, als bald darauf der eng-
liſche Konſul Cameron von ſeiner Regierung den
Auftrag erhielt, Gondar zu verlaſſen und nach
Maſſaua zu gehen. Als der Conſul dem Kaiſer
davon Mittheilung machte, wurde derſelbe arretirt
und in Ketten gelegt, gleichzeitig traf dies Loos
1864 alle in Gondar wohnenden Europäer. Die
Abberufung des Conſuls, das Ausbleiben der Be-
antwortung ſeines Briefes wurden ihm Beweis, wie
ſehr er in England verachtet ſei. Ein tiefer Haß
gegen alle Europaͤer war die Folge davon, der ſich
nun auch auf die achtungswertheſten Männer er-
ſtreckte, die als proteſtantiſche Miſſionäre in Gafat
lebten, und von denen zwei in mechaniſchen Arbei-
ten Geſchicklichkeit beſaßen. Dieſe ſollten nun,
ſcharfem Befehle gemäß, Kanonen für Theodoros
fabriciren, wovon ſie natürlich nichts verſtanden;
als ſie aber das erklärten, wurden ſie feſt einge-
ſperrt und ihre Leute durchgeprügelt. Während
ihres Arreſtes erhielten ſie bei Ueberbringung der
Nahrung täglich den Zuruf: „Macht, oder ihr ſeid
des Todes!ꝰ
Ein polniſcher Jude, der ſich für einen Gießer
 
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