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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0043

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Telephon-Anschluß Nr. 82.



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der'Jnserate auf den t
tafeln der Heidelb.

und den Plakatsäulen.

llakat-
eitung

Telephon-Anschluß Nr. 82.
1899.

Wochenchronik.
(Vom 1. bis zum 7. Januar.)
Jan. 1.: Da der Ausgleich zwischen Oesterreich und
Ungarn nicht perfekt geworden ist, so mußte das
Verhältniß zwischen beiden Reichshälften durch kaiser-
liche Verordnung auf ein weiteres Jahr verlängert
werden.
„ 1.: Der Kaiser konnte wegen Erkrankung an der Grippe
der Neujahrsgratulationscour nicht beiwohnen.
„ 1.: Durch kaiserliche Verfügung wurde zu Neujahr eine
Anzahl von Fremdwörtern in der Heere s-
sprache verdeutscht.
„ 1.: In Havanna, der Hauptstadt Cubas, wird die
amerikanische Flagge an Stelle der spanischen
gehißt.
3.: Zwischen dem ungarischen Premierminister Banffy
und dem Abgeordneten Horansky findet ein
Pistolenduell statt, das unblutig verläuft.
„ 4.: Auf den Philippinen droht ein Zusammenstoß
zwischen den Amerikanern und den Eingeborenen.
„ 5.: Der Präsident der französischen Republik
läßt sich durch seinen Berliner Botschafter nach dem
Befinden des deutschen Kaisers erkundigen.
6.: In der L i p p e' s ch e n Angel-genheit hat der Bundes-
rath beschlossen, daß die Zuständigkeit des Bundesraths
begründet sei, daß aber zur Zeit ein Anlaß zur sach-
lichen Erledigung der Frage nicht gegeben sei.
„ 6.: Der englische Oberkommissär in Egypten. Lord Cromer,
erklärt in Omdurman, der Hauptstadt des ver-
triebenen Khalisen, daß der Sudan weder von
London, noch von Kairo aus regiert werden weroe,
sondern der cngltsch-egyptische Sirdar Kitchener sei der
Repräsendant der Regierungsgcwalt. Hiernach wird
der Sudan nicht egyptischc Provinz, wie er es vor
der Mahdistenzeit war, er wird auch nicht englisches
Gebiet, sondern englisch-egypttsches Condominat.
„ 7.: Ein englisches Blaubuch führt lebhafte Be-
schwerde über die Behandlung der englischen Kaufleute
durch die französischen Behörden in Mada-
gaskar. Der herbe Ton des Blaubuchs wird durch
drohende Ausführungen der Times verstärkt.

Deutsches Reich
— Zur Feier des 50. Jahrestages der Ernennung des
Kaisers Franz Josef zum Chef des Kaiser Franz-
Garde-Grenadier-Regiments wurde am Mittwoch in Berlin
in der evangelischen und katholischen Garnisonkirche Gottes-
dienst abgehalten. Dem erstercn wohnte der Kaiser
und der österreichisch-ungarische Botschafter Graf Szögyenyi
und Feldmarschall Steininger bei. Nach dem Gottesdienst
führte der Kaiser das Regiment nach dem Lustgarten, wo
eine Parade über das Regiment stattfand. Frhr. o. Stei-
ninger überreichte für die vier Fahnen Medaillen und
Bänder, sowie viele Medaillen für die Officiere. Nach
einer Ansprache Steiningers an die Truppen verlas der
Kommandeur Oberst v. Schwarzkoppen, ein Handschreiben
des Kaisers Franz Josef. Es folgte eine kurze Ansprache
des Kaisers mit einem Hurrah auf den österreichischen
Kaiser; die Musik intonirte die österreichische Hymne.
Oberst v. Schwarzkoppen brachte ein Hoch auf den Kaiser
aus, worauf die Musik „Heil Dir im Siegerkranz" spielte.
Nach dem Vorbeimarsch des Regiments ritten der Kaiser,
Feldmarschall v. Steininger und die andern Officiere ins
Schloß zurück.
— Der Kaiser hat, wie die Deutsche Tagesztg. meldet,
den früheren Ceremonienmeister Herrn von Kotze em-
pfangen, dessen Name durch die bekannten mysteriösen
Briefe an die Hofgesellschaft und dann durch das unglück-
liche Duell mit dem Ceremonienmeister von Schräder, der
dabei erschossen wurde, bekannt geworden ist. Daß Herr
von Kotze an jenen anonymen Schmähbriefen gänzlich un-
schuldig war, steht längst fest und ist, nach der Frkf.Ztg.,
von kundigen Personen nie bezweifelt worden, auch damals
nicht, als der Kaiser persönlich militärische Untersuchungs-

haft über ihn verhängte. Diese Briefangelegenheit, die
auch in die Affaire Tausch hineingespielt hat, ist unauf-
geklärt geblieben. Einer der Hauptzeugen, ein Herr von
Langen, der über die Sache eine Broschüre geschrieben
hatte, starb plötzlich, anscheinend durch Selbstmord. Seit-
dem ist's still geworden. Durch den Empfang beim Kaiser
ist Herr von Kotze nun wohl auch für die Hofgesellschaft
rehabilitirt.
— Nach der neuen Militärvorlage sollen die Detache-
ments Jäger zu Pferde, also die ehemaligen Melde-
reiter, wieder abgeschafft werden und nur beim preußischen
Gardecorps, sowie beim sächsischen und bayerischen Heere
je ein solches bestehen bleiben, wobei die beiden letzt-
genannten erst noch zu errichten sein werden. Die Detache-
ments der anderen Armeecorps, also auch das iu Straß-
burg, sollen zur Errichtung der neuen Kavallerieregimenter
zu vier Schwadronen aufgebraucht werden. Die Heeres-
verwaltung gibt damit zu erkennen, daß die Erwartungen,
die man in diese Meldereiter-Detachements gesetzt hatte,
nicht in Erfüllung gegangen find.
— Der Bruder Lothar Buchers, Hofrath Bruno
Bücher in Wien, hat dem dortigen Korrespondenten der
Köln. Ztg. gegenüber die Erklärung abgegeben, daß der
von ihm übernommene Nachlaß seines Bruders keinerlei
Aufzeichnungen enthält, wiesle das Neue Jahrhundert
in Köln veröffentlicht habe; auch habe Lothar Bücher nie-
mals eine derartige Veröffentlichung beabsichtigt.
Deutscher Reichstag. Berlin, 11. Jan. Der Reichs-
tag nahm zunächst die Wahlen für die Commission der
Arbeiterstatistik und für die Commission der Reichs-
schulden vor und setzte dann die Besprechung der Inter-
pellation v. Wangcnheim über die angebliche
Fleisch noth fort.
Abg. Stolle (Soc): Seine Partei vertrete die Consumenten.
Die Grenzsperre zwinge zur Einfuhr geräucherten und gepökelten
Fleisches, während das Volk frischen Fleisches bedürfe. Die
Regierung habe nicht die Produzenten, sondern vornehmlich die
armen Leute zu schützen. Die Regierung begünstige auch hier die
Großbetriebe, da die Grenzsperre das Magervieh fernhalte. Die
Seuchengefahr werde übertrieben. Der Hauptgrund dieser Maß-
regel sei das Interesse des Großgrundbesitzes.
Abg. Ni bler (Bayer. Bauernbund): Die Ausführungen
Stollc's beweisen nur seine Unkenntniß der Landwirthschaft. Die
Socialdemokraten sprächen immer nur von den Interessen der
Arbeiter, als ob Bauern und Gutsbesitzer nicht arbeiten müßten.
Das Elend der Industriearbeiter habe andere Gründe. Man
sehe Sonntags sich die Wirthschaften auf dem Lande und in
der Stadt an. Es sei ein wahrer Hohn, von einer Fleischnoth
zu sprechen. Es handele sich um eine Existenzfrage für die
Landwirthschaft. Der Staat, der seine Bauern schütze, verbessere
seine Lage.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky führt gegenüber
Stolle aus, daß unangreifbare Zahlen beweisen, daß die Fleisch-
nahrung auf den Kopf der Bevölkerung im Jahre 1898 wesent-
lich größer gewesen sei als 1896 und 1897, und macht statistische
Angaben, denen gegenüber die Behauptung von einer Fleifch-
noth nicht stichhaltig sei. Auch seien nicht überall die Preise
gestiegen. Hinsichtlich der Seuchengefahr sei gerade ein Schutz
für den kleinen Landwirth absolut nothwendig, eher als für den
großen. Bei ihm sei der Schaden viel größer als bei dem
Großbcsitz. Statistisch sei nachgewiesen, daß gerade bei dem
kleinen Besitzer der Schweinebestand erheblich zugenommen hat.
Eine amtliche Statistik erweise übrigens gegenüber Stolle, daß
in Holland ebenfalls Seuchen herrschten. Die Sperre gegen
Holland sei also sicher nicht unnöthig. Der Reichskanzler und
die verbündeteil Regierungen seien durchaus geneigt, auf das
Interesse der Consumenten Rücksicht zu nehmen. Aber es handele
sich darum: Soll die städtische Bevölkerung, die jetzt die länd-
liche überwiest, etwas billigeres Fleisch haben, oder soll der
ländlichen Minderheit ein unermeßlicher dauernder Schaden er-
wachsen? Solange nicht nachgewiesen werde, daß die Volks-
ernährung leide, müsse die Regierung für den Schutz der länd-
lichen Minderheit austretcn. (Bravo rechts.)
Abg. Dr. Paasche (natl.): Die Erklärung, daß keine Fleisch-
noth bestehe, sei beruhigend und klärend. Die Fleischnoth lause

jetzt auf die leicht zu bewilligende Forderung einer Milderung
der veterinärpolizeilichen Maßregeln hinaus. Die Petition des
Berliner Magistrates enthalte einen Passus, der das Sinken der
Viehpreise beklagt und Abhilfe wünscht. Die Fleischpreise seie n
besonders von Händlern Hochgetrieben. Die Regierung sei auf
dem richtigen Wege, obwohl man zugeben müsse, daß die Be-
schränkung der Zahl des zugelassenen Viehes keines der besten
Mittel sei.
Abg. Dr. Roes icke (Bund der Landwirthe): Er sei mit
dem Erfolg der Verhandlung recht zufrieden. Hoffentlich werde
in Zukunft das ausländische Vieh ganz fern gehalten. Zu be-
dauern sei, daß so viel Abgeordnete im deutschen Reichstage den
auswärtigen Negierungen mehr Vertrauen schenken, als der
eigenen. Wir sind dem Auslande gegenüber viel nachsichtiger,
als das Ausland uns gegenüber, wie dies auch bezüglich Oester-
reichs der Fall ist.
Der Abg. Müller-Waldeck (Reformp.) meint, durch die
Grenzsperre sei einigermaßen das wieder gut gemacht, was die
Handelsverträge verdorben hatten. Die Aeußerungen des Land-
wirthschaftsministers begrüße er aufs freudigste.
Abg. Stephan «Centr.) konnte in der Rede Roesickes keine
Rücksichtnahme auf die Ernährung des Volkes finden. Es stehe fe st.
daß die oberschlesischen Jndustriecentren nicht ausreichend mit
inländischem Schweinefleisch versorgt werden können. Hier sei
die russische Zufuhr nöthig. Die Verhältnisse in Rußland be-
treffs der Seuchengefahr hätten sich erheblich gebessert. Kleine
Leute kauften jenseits der Grenze das erlaubte Fleischquantum,
darin liege aber eine große Seuchengefahr (?). Die Contingen-
tirung habe gerade die Fleischpreise erhöht. Man solle die Con-
tingentirung ganz fallen lassen. Der Vorschlag der völligen
Grenzsperre sei unausführbar.
Abg. Rickert (freist Vg.): Ich acceptire die Erklärungen des
Landwirthschaftsministers, daß keine Maßregel getroffen worden
sei. die mit den Handelsverträgen im Widerspruch steht, aber der
Verdacht ist entstanden im Jnlande nnd im Auslande. (Lachen
rechts. > Lachen Sie nicht! 1896 gab der Landwirthschafts-
minister im Abgeordnetenhause, als der Bund der Landwirthe
zum ersten Male interpellirte, die Erklärung ab, daß diese For-
derungen unsere Beziehungen zum Auslande zu trüben geeignet
seien. (Hört, hört! links.) 1897 sagte er, diese Art und Weise,
wie die Herren agitirt haben, hat nicht zum Äortheil der Land-
wirthschaft gedient (Oho! rechts, Heiterkeit links) und hat uns
eine große Reihe von Schwierigkeiten gegenüber dem Auslande
gebracht, die noch nicht ganz überwunden sind. (Hört, hört I links.
Lachen rechts.) Wer ist denn nun das Karnickel? (Heiterkeit.)
Sie auf der rechten Seite sind es, die den Verdacht im AuSlande
hervorgerufen haben, daß die preußische Regierung mit Ihnen
unter einer Decke stecke und in illoyaler Weise die Grenzen
sperren will. (Lebhafter Beifall links, Unruhe rechts.) Wer hier
für die Ernährung des Volkes eintritt, wird antinational genannt,
dann sind auch die Bundesvertreter von Hamburg und Lübeck
antinational, denn die Senate von Lübeck und Hamburg haben
ja sogar die Einfuhr lebender Rinder aus Amerika gefordert.
Der Präsident theilt mit, es sei ein Schlußantrag einge-
gangen. Auf Antrag Singers wird über den Schlußantrag
namentlich abgestimmt. Der Antrag wird mit 113 gegen 82
Stimmen abgelehnt.
Der Landwirthschaftsminister Frhr. v. Hammer stein hält
die Ansicht aufrecht, daß Aeußerungen, die die guten Beziehungen
zum Auslande zu stören geeignet seien, nicht als nationale Kund-
gebungen in Betracht kommen können. Zwischen meinen gestrigen
Ausführungen und den heute vom Abg. Rickert angeführten be-
steht kein Widerspruch. Einige mir gestern unterlaufene Sprech-
fehler, in denen ich von „deutschen" Regierungen, die der
Seuchenpolitik feindlich gegenüberständen, gesprochen haben soll,
anstatt „außerdeutschen", habe ich heute dem Bürgermeister
Dr. Versmann bereits aufgeklärt.
Abg. Haase (Soc.) gesteht zu, daß die Sperrung der Grenze
da, wo eine Seuchengefahr vorhanden sei, nothwendig ist; für
Schlesien und Ostpreußen aber sei eine solche Gefahr nicht vor-
handen.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky erklärt die An-
nahme Haases, daß mehrere Provinzen seuchenfret seien, für
einen schönen Traum, und nennt dessen Anzweiflung der Ergeb-
nisse der Untersuchung eine unbegründete Verdächtigung.
Abg. Eßlinger (Bauernbund) hält den Socialisten vor,
daß sie nur gedeihen, wenn es dem Bauer schlecht geht.
Hierauf wird die Besprechung geschlossen.
Morgen 1 Uhr Militärvorlage.
Baden, ö.o. Karlsruhe, 11. Januar. Der Ver-
band selbständiger Kaufleute und Gewerbetreibender des
Großherzogthums Baden hat au das Großh. Ministerium
des Innern eine Eingabe gerichtet, den Landständen einen

Das Bachstelzcheu.
9) Novelle von Martha Renate Fischer.
(Fortsetzung.)
Plötzlich trat der Sohn auch an das Fenster. Die
Gestalt drehte sich nun um, schloß wieder das Tuch und ging
davon.
Otto spitzte die Lippen, pfiff, ergriff seine Mütze und
stürzte hinaus.
Aber er kam mißmuthig nach einer Weile zurück, warf sich
in's Sopha, rief seinen Hund, der sogleich mit den Vorder-
pfoten aus seine Kniee stieg.
Und Plötzlich schwere Athemzüge — ein Zähneknirschen
-und Otto springt auf, Packt seinen Stock und stürzt hin-
aus -läuft in Sätzen — reißt die Thüre zum Pferdc-
ftall auf.
Im Bett, das in der Ecke steht, schnarcht einer, cs ist der
Knecht.
Er tastet über seine kalte Stirn, — spricht zu sich selber:
„Gott sei Dank! — Aber Mensch! — Mensch! — Bist Du
denn bei Sinnen-" geht in seine Stube, wirft sich auf
einen Stuhl am Tisch, preßt sein Gesicht mit der Hand und
denkt: Wo läuft das hin? Was ist das Ende davon?! —Ja
— ja —ich brauch' ja noch nicht heirathen. — „Aber. Mensch !"
schreit er, „Mensch! bist Du denn ein ganzer Räuber — und
Schurke —? Ja das Mädel! — Muß mir auch das Mädel
über den Weg laufen —!-" '
Die Mutter degrübelte noch ein Weilchen das sonderbare
Geschehniß mit der winkenden Frauensperson, ging dann zu
Bett und schlief sogleich ein.
Als sie am Morgen wach wurde und kaum die Augen
auslhat, wußte sie: das, gestern, war des alten Vicrguts
Tochter. _

VIII.
Beim Frühstücken sagte sie zu ihrem Sohn: „Schick' mir

mal gleich, wenn Du auj's Feld kommst, dem Vierguts sein j
Mädel herein."
„Was soll'S?"
„Ich null sie fressen."
„Dazu kannst Du die Magd drin behalten."
Aber er war kaum auf dem Felde angelangt, so sagte er
dem Mädchen Bescheid, sie solle zu seiner Mutter kommen.
Aennchen fing an zu zittern, sah ihn voll lautlosem
Schrecken an.
Wanders zwang sich zu scharfem Wort: „VorwärtsI Du
wirst gebraucht!" Und dann wandte er sich um, auf daß er
ihre stumme Gegenrede nicht länger sehe.
Er rief den Leuten zu, anzutreten.
Als er dann seinen Platz vor den Hackenden einnahm, sab
er, Aennchen war unterwegs. Da flog sie über's Feld, lief
in bloßen Strümpfen, trug die Pantoffeln in der Hand. Herr!
Herr! Hatte das Mädel einen Athem! Sie lief ja wie eine
Besessene-
Aennchen flog durch den grauen Morgen, nahm die Luft-
linie wie ein Vogel, über leer gehacktes Feld, über Gräben,
über Wege, als bestehe kein Hindermß und sei ihr keine
Straße vorgeschriebe». Als sie auf dem Wandershof ankam,
hatte sie dicke Schuhe von Erdteig an den Füßen.
Die Frau stand unruhig vor der Thür, sah das Mädchen
heran setzen, hielt sich mit wankenden Knieen, stieß heraus:
..Was ist passirt? — ?!-Der Knecht-" und sie sah
den Knecht im Geiste blutend daliegen und iah die Polizei
kommen, die ihren einzigen Sohn holte. Vor der Thür
stand ein Wagen mit Strohbunden. Otto stieg unbeholfen
auf, denn unter dem locker hängenden Ueberzieher waren seine
gebundenen Hände. Neben ihm saß ein GenSdarme, gegenüber
noch einer. Jetzt zogen die Pferde an — die stolzen Füchse —
Aennchen antwortete mit stoßendem Athem: „Es ist nichts
passirt ...-Der Herr schickt mich: ich soll was-"
„Komm nur herein. Wie siehst Du denn aus?! — Warst
Du gestern Abend hier vor dem Hause?"
„Ja."

„Da, setz' Dich. Du bist ja ein tolles Mädel, daß Du
Dich so vcrstürzest."
Aennchen saß auf dem Stuhl neben der Thür, die Frau
stand vor ihr, sah mit stillem Leidenszug auf das Mädchen,
das sich erst allmählich von dem wilden Laufe wieder fand.
„Ich hatt' sagen wollen," brachte Aennchen heraus „geben
Sie doch bloß ein bischen Acht auf den Herrn-Der
Knecht hat's ihm zugeschworen, er wird ihm einen Denk-
zettel geben, daß er Zeit seines Lebens zu kuriren hat!"
„Mädel I-" sagte die Frau wegwerfend, „mein Sohn
hat Doch auch Fäuste —"
„Ja Frau Wanders, aber — der Mensch trägt immer das
Messer aufgeschnappt in der Hosentasche, — daß er bloß zu-
greiten braucht. — Und so ein Mensch! —" rief Aennchen
inbrünstig, „der hat vor garnichts Achtung! — Nicht vor
dem Herrn und nicht vor dem lieben Herrgott! — Und vor
nichts! Der beschimpft noch seine Mutter, die schon lodt ist.
— Und er Verliert auch nichts. Und es giebt auch keine
Schande für den. Das Zuchthaus ist für den keine Schande.
-Seine Seele ist voll Eiter und Schwären. Vater sagt:
sein Herz stink«, so schlecht ist es. Es stinkt durch seine Augen,
und da kann sich jeder in Acht nehmen. — Er ist bloß noch
acht Tage hier. Wenn Sie doch den Herrn verweile auf
Reisen schicken möchten —" Das Mädchen wand sich. Ihre
Augen schrieen gellend um Hilte.-
„Ja, auf die Freite," warf die Frau trocken ein.
(Fortsetzung folgt.)

Stadt-Theater.
Heidelberg, 12. Januar.
„Der Freischütz", Romantische Oper in 4 Akten von Fried-
rich Kind. Die Frauenrollen dieser Oper hatten in der gestrigen
Aufführung eine Umbesetzung erfahren. Frl. Mascha hatte das
Aennchen übernommen. Ihre stimmliche Disposition war eine
besonders glückliche. Mit hübschem frischem Organ und leicht-
natürlichem Vortrag bewältigte sie den gesanglichen Theil, zu
dem sich munteres Spiel — nur nicht so viel Lächeln! — gesellte.
 
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