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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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monatlich SV Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
vierteljährl. 1.25 ^
ausschließlich Zustellgebühr.
Telephon-Anschluß Nr. 82.


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Petitzelle oder deren Raum.'
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ermäßigt.
Gratis-Anschlag
deriJnserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

». 27.

Mittmch, den 1. Mm

1899.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für d-e Monate Februar und
März werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der Expe-
dition, Untere Neckarstr. Nr. 21, fortwährend angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen für die Monate Februar
und März, wenn am Schalter abgeholt, 84 Pfennig, mit
Zustellgebühr Mk. 1.14.

Deutsches Reich
— Aus Wanzleben (Regierungsbezirk Magdeburg)
wird der Nationalzeitung berichtet: Es gehört zu den Ge-
pflogenheiten unseres Landralhes v. Kotze, alljährlich beim
Kaiseressen in seinen Kaisertoast persönliche Erinne-
rungen und Erlebnisse aus dem verflossenen Jahre zu ver-
flechten. So geschah es auch diesmal: Herr v. Kotze be-
merkte, daß nach seinen Informationen die Ausweisungs-
Politik des Herrn v. Köllcr, die straffe Haltung der Re-
gierung gegenüber den Anmaßungen des Potenthmns und
die bisherige Nichtbcstätigung des Berliner
Oberbürgermeisters auf die eigenste Initiative des
Kaisers zurückzuführen sei. In letzterer Sache sei es über-
haupt wahrscheinlich, daß der neue Oberbürgermeister der
Reichshauptstadt nicht bestätigt werden würde (?), da die
bekannten Beschlüsse der freisinnigen Stadtvcrtretung über
die Ehrung der Märzgefallenen den Kaiser sehr verstimmt
hätten und diese den Hauptgrund für die verzögerte Bestä-
tigung bildeten.
— Wie verlautet, tritt die Prinzessin Heinrich
die Rückfahrt nach Deutschland von Shanghai aus am 2.
April an.
Deutscher Reichstag. Berlin, 31. Jan. Auf der
Tagesordnung stehen die Anträge Bachem und Münch-
Ferber betreffend Abänderung des Zolltarifs. Ein
Antrag Baffermann, einen weiteren Antrag Münch-Ferber
mit zur Erörterung zu stellen, wird einstimmig an-
genommen.
Abg. Münch-Ferber (ntl.) begründet seine Anträge, die
die Erleichterung der Einfuhr von Seidengcwebe für das Ver-
edlungsverfahren bezwecken. Die Textilindustrie Deutschlands
leide schwer, besonders unter der willkürlichen Behandlung des
New-Iorker Zollamts. Es handle sich darum, der deutschen
Arbeit besseren Verdienst zu verschaffen.
Abg. Dr. B a ch e m (Centr.) weift darauf hin, daß der gleiche
Antrag in der vorigen Session einstimmig vom Hause ange-
nommen wurde. Tie meisten der von der Negierung vorgebrachicn
Bedenken dürften beseitigt sein. Wenn man die Sache nicht auf
die lange Bank schiebe, würden auch die Folgen des Crefeldcr
Streiks bald beseitigt werden.
Die Anträge Bachem und Münch-Ferber werden in erster und
Zweiter Lesung einstimmig angenommen.
Darauf folgt die Weiterberathung des Etats: Etat für
Kiautschou.
.. Berichterstatter Dr. Lieber (Centr.) beantragt die unver-
änderte Bewilligung der geforderten 8 50V 060 zur Ein-
Kchtung von Kiautschou als wirtschaftlicher und maritimer
Stützpunkt unter Hinweis auf die dem Reichstag vorgelcgte
Denkschrift.
Staatssecretär Tirpitz legt in eingehender Rede die Ver-
hältnisse der Kolonie dar. Maßgebend für unser Vorgehen in
Kiautschou war zunächst der wirlhschaftliche Gesichtspunkt. Ich
verkenne keinen Augenblick die große Bedeutung in militärischer
Und maritimer Hinsicht, die die Kiautschoubucht etwa in ost-
nffatischen Wirren, die uns und den dort interessirten Ländern
hoffentlich erspart bleiben, haben kann. Das kann aber nicht
hindern, die Hauptbedeutung in der wirthschaftlichen Entwicklung
Zu suchen. Bei einem Vergleich mit Hongkong ist zu bcrück-
Uchtigen, daß Honkong eine fast 50jährige Colonialarbeit hinter
Uch hat. Ich möchte fern davon bleiben, die Aussichten
Kiautschous zu günstig zu schildern. Ich glaube aber,
Ujenn man Hongkong, nachdem es ein halbes oder drei-
erlei Jahre erst in englischer Verwaltung gewesen ist, mit

dem jetzigen Zustand Kiautschous vergleicht, so wird die
Marineverwaltung den Vergleich nicht zu scheuen brauchen.
Der Gouverneurbericht vom Dezember stellt fest, daß nach Er-
öffnung des Hafens ein Einströmen von Handel und Gewerbe
erfolgte. Kiautschou ist Stapelplatz für europäische und chinesische
Güter und Umladeplatz von der See nach den Adern des Land-
verkehrs. Diese letztern sind hier nicht Wasserwege, sondern
müssen Eisenbahnm sein. Ueber die Vergebung von Concessionen
schweben noch Verhandlungen. Nach den neuesten Berichten be-
finden sich in größerer Nähe als man glaubte, mächtige Kohlen-
lager, die abbauffähig sind und deren Material nach dem äußeren
Eindruck eine gute Qualität zeigt. Wir können hoffen, daß das
Geld, das das Reich in diese Colonie hineinsteckt, sich wohl ren-
tiren und allen Kreisen Deutschlands direkt oder indirekt zugute
kommt. Freilich hätten wir nicht von heute auf morgen Erfolge
zu erwarten.
In der weiteren Debatte sucht der Abg. Bebel Kiautschou
möglichst heruntcrzusctzen. Der Abg. Oriola (natlib.) ver-
weist ihm seine hämische Kritik. Der Abg. Richter sprach
sich über Kiautschou weniger schroff aus als sonst über deutsche
Schutzgebiete. Der Etat wird schließlich mit allen gegen die
sozialdemokratischen Stimmen angenommen.
Baden. L. 6. Karlsruhe, 31. Jan. Der elfte
Badische Handelstag trat heute Mittag im großen
Rathhaussaal zusammen, um zum Entwurf des Reichs-
bankgesetzes Stellung zu nehmen. Als Vertreter der
Regierung waren anwesend: Geh. Oberregierungsrath
Braun und Geh. Legationsrath Frhr. v. Marschall.
Den Vorsitz führte Geh. Kommerzienrath Schneider-
Karlsruhe. Der Referent, Geh. Kommerzienrath Dis-
sens-Mannheim, erklärt sich mit dem Entwurf in der
Hauptsache einverstanden; nur der Artikel 5 des Entwurfs
gab zu Bedenken Anlaß. Durch die Verpflichtung, nicht
unter dem Prozentsatz der Reichsbank zu diskontiren, wurde
den Privatnotenbanken der Lebensnerv unterbunden; ander-
seits gewinne die Reichsbank durch eine derartige Bestim-
mung nichts. Die „Badische Bank", welche dem Lande
hervorragende, unschätzbare Dienste geleistet hat, müsse dem
Handel und der Industrie erhalten bleiben. Der elfte
Bad. Handelstag möge daher an den Reichstag die
dringende Bitte richten, dem Artikel 5 des Entwurfs, so-
weit er die Privatnotenbanken verpflichten will, nicht unter
dem Prozentsatz der Reichsbank zu diskontiren, die Zustim-
mung zu versagen. In der Diskussion erklärten sich sämmt-
liche Redner für den Antrag, der schließlich einstimmig an-
genommen wurde. Ein zweiter von den Vertretern der
Freiburger nndZPforzheimcr Handelskammern gestellter An-
trag, daß alle Zweiganstalten der Reichsbank (also auch in
Städten unter 80 000 Einwohnern) verpflichtet sein sollten,
die Noten der Privatnotenbanken in Zahlung zu nehmen,
wurde aus ZweckmätzigkeitSgründen verworfen. Nach
Schluß der Sitzung vereinigten sich die Theilnehmer zu
einem Mittagsmahl im Hotel Grosse.
Karlsruhe, 30. Januar. Herr Otto Ammon,
der 1. Vorsitzende der Ortsgruppe Karlsruhe des All-
deutschen Verbandes, veröffentlicht folgende Erklärung:
Der Badische Beobachter übergießt mich mit
einigen seiner ausgewähltesteu Höflichkeiten, weil ich cs ge-
wagt habe, Centrumsmänner zum Eintritt in den
Alldeutschen Verband aufzufordern. Ich wußte
was ich that und kenne denn Bildungsstand unserer kleri-
kalen Presse hinlänglich, um nicht überrascht zu sein. Die
einzig richtige Antwort scheint mir darin zu bestehen, daß
ich die Lehren kurz zusammen stelle, die der Beobachter zu
verfechten pflegt:
1. Nach dem Bcob. ist der Unterschied zwischen dem religiösen
Katholizismus und dem politischen Ultramontanis-
mus eine boshafte Erfindung. Kirche und Partei sind eins.
Der echte Katholik nach dem Sinne des Beobachters darf nichts
lesen, nichts hören, nichts sagen, nichts thun, als was von der
Partei gutgeheißen ist. Zur Erzwingung des Gehorsams verfügt
der Beob. über die Verdammniß für Zeit und Ewigkeit.

2. Der Musterkatholik des Bcob. darf mit höherer Genehmi-
gung in feierlichem Zuge mit Sozialdemokraten in die
Festhalle ziehen. Er darf auch Sozialdemokraten wählen, über-
haupt alles begünstigen, was die bürgerliche Gesellschaft zer-
setzt. Aber cs ist ihm nicht gestattet, einem Verband beizutreten,
der durch Zusammenfassung aller nationalen Kräfte über
die alten Parteistreitigkeiten hinauszukommen strebt.
3. Der Musterkatholik des Bad. Beob. begibt sich in völlige
Unterwürfigkeit unter einen fremden Willen; er verzichtet
auf die edelsten Zierden eines freien Mannes: Unabhängig-
keit des Denkens. Geradheit des Handelns, Treue des Charakters.
Trotzdem sicht es der Beob. als selbstverständlich an, daß seine
Hörigen freien Männern gleich geachtet werden und daß ihnen
in paritätischen Ländern alle Staatsämler bis zu den höchsten
hinauf offen stehen.
4. Der Bevbachter sucht seinen Anhängern einzureden, alle
Andersgläubigen seien minderwerthig, und der Katholik
müsse auf derErtrotzung seiner uneingeschränkten „Rechte"(der
Allmacht der Geistlichkeit!) bestehen, unbekümmert um den Frie-
den und die Wohlfahrt der Gesammtheit. Wo nicht tn alle»
weltlichen Dingen der Wille der Geistlichkeit geschieht, da seien
die Katholiken unterdrückt und verfolgt, wie zu Zeiten
der Märtyrer.
Soweit der Beob. Was mich betrifft, so halte ich
von allem dem das Ge gentheil für richtig. Meiner
Meinung nach kann man ein gläubiger Katholik, selbst ein
Centrumsmann, und dabei ein guter Deutscher und ein
gewissenhafter Beamter sein. Was der Beob. treibt, ist
keine Politik mehr, auch keine Centrumspolitik,
drmi der Hauptleitung des Centrums hat der Beob. schon
vorigen Sommer bei der Reichstagswahl den Gehorsam
aufgekündigt, weil sie ihm zu vernünftig war. Der Beob.
betreibt eine badische Besonderheit, die, unfruchtbar an
wirklichen Erfolgen, nur noch auf die Befriedigung der
Rachsucht, der Schadenfreude, der Zerstörungslusl abziclt.
Meine Mitbürger ohne Unterschied des Glaubens
möchte ich fragen: Wollen wir uns denn für alle
Zeiten durch eine Handvoll Fanatiker gegen
einander verhetzen lassen, oder wollen wir uns
nach dem Vorbild anderer großer Nationen einigen, um
unser Vaterland immer angesehener, mächtiger und wohl-
habender machen zu helfen? Ich kann meine Gesinnung
nicht besser äusdrücken als durch die Erklärung: Sobald
ich einen Centrumsmann finde, der geneigt ist, die
Leitung der hiesigen Ortsgruppe des Alldeutschen Verbandes
zu übernehmen, so trete ich zu seinen Gunsten zurück. Es
muß allerdings einer von denen sein, die nur Gott
fürchten und sonst nichts in der Welt, nament-
lich keinen Teufel in diesem oder jenem Leben.
Otto Ammon.
Karlsruhe, 30. Januar. Nach einer neuestens verkün-
deten Staatsministerialentschließung ist die Konzession für den
Bau und Betrieb der Fortsetzung der Nebenbahn Bruchsal-
Odenheim bis nach Hilsbach der bad. Lokaletseubahn-
Aktiengesellschaft dahier unter den gleichen Bedingungen ertheilt,
wie solche durch die Konzessionen von 1894 für die benachbarten
Lokalbahnen crlheilt wurden. Jedoch wird der Staalsbeitrag zu
den Baukosten auf 18500 Mk. festgesetzt und die Frist zur Her-
stellung der neuen Bahnstrecke bis zum Ablauf des Jahres 1900
bemessen.
Preußen. Der Centralausschuß des Verbandes deutscher
Touristenvereine richtet an den preußischen Landtag
eine längere Eingabe, in der er um Einführung ber zehn-
tägigen Giltigkeitsdauer für Rückfahrkarten und des Kilo-
meterheftes nach badischem Muster ersucht. Leider ist es
von der Reform der Personentarife in Deutschland wieder
ganz still geworden.
Sachsen. In Chemnitz hat am 29. Januar der Ver-
trauens männertag der nativ nallib. Partei im
Königreich Sachsen stattgefunden. Er nahm einen über
alles Erwarten hinaus günstigen Verlauf. Die Vertretung
des Landes war eine so zahlreiche als vollständige. Aus
51 Städten und Ortschaften des Landes waren Ver-

* Das Romanfeuilleton mußte heute Raummangels wegen
wegblctben.
Fünftes Concert des Bachvereins.
Heidelberg, 1. Februar.
Wieder einmal dürfen wir stolz sein. Wir haben die Em-
Mndung, daß wir, Dank Prof. Wolframs Verbindungen, zu
°en Emporen gehören, die nrbi st orbi die musikalischen Ereignisse
Zu Proklamircn berufen sind. Das Heidelberger Publikum zählt
ZU den Intimen, denen Bruchstücke aus dem eben ins Leben ge-
rufenen „Bärenhäuter" in der ersten Siegessreude vorgesührt
wurden.
Siegfried Wagner ist also wirklich Komponist ge-
worden, oder richtiger ist Komponist, denn werden kann man
°°s nicht.
N, ^ohl noch nie hat rin Schaffender eine so eigenthümliche
Stellung eingenommen, wie dieser Sohn seines Vaters. Keinem
es so leicht fallen, „auch Einer" zu heißen, als gerade
AM. Auf der einen Seite ist Bayreuth und der ganze
Zoyreuther Generalstab bemüht, jeden Stein aus dem
W-f? Zu schaffen, an dem sein Fuß sich stoßen könnte,
.-Usur wird anderseits die ganze Welt ihn nicht „beurtheilen",
onvern „vergleichen". So wird er den Segen und den Fluch,
Sohn eines berühmten Mannes zu sein, gleichermaßen
^wvstnden. Ein echter Künstler hat aber keinen Stammbaum,
r>« Siegfried Wagner ein solcher, so bedarf er keine Legi-
wation als seine Qualitäten.
„..Siegfried Wagner ist seinem Vater wie aus dem Gesicht
fl^wnitlen, seine Musik zeigt glücklicher Weise wenig von dieser
Mwliicnähniichkeit. Der Sohn hat richtig und klug erkannt,
des ^Wahnsinn wäre, fortzuspinncn, er hat, freilich im Besitz
am, ?amilienschatzes und alles Errungenen, neu angesetzt,
tki'i.^u- ^ ueigt einem ganz anderen Styl, dem Volks-
jck"U"lchen, zu, ist direkt der durchgeführten Melodie zugethan,
Harmonie, er hat die Ausweichung aus dem Familien-
Lebk/" entfernt und dafür den alten Tcrzquintakkord hinein-
utzt. Ex bekundet in seiner Erfindung eine jugendliche, heitere

Frische, eine angenehme thematische Findigkeit, besitzt dir Reife
der Verarbeitung und eine bereits hochgesteigcrteJnstrumentations-
kunst. So eine recht eigentlich bestimmte Physiognomie hat sich
noch nicht herausgebildet. Er schreitet in neuen Formen die
Bahnen der älteren Oper. Obgleich von R. Wagner viel weiter
entfernt, trägt er doch am meisten etwa: „oasstst Humperdinck".
Von den beiden Nummern Ouvertüre (nicht mehr Vorspiel!) und
Einleitung zum III. Akt ist die Ouvertüre entschieden die be-
deutendere. Sie entrollt die Themata der Oper. Ein gedrucktes
Programm war ihr beigegeben, — dieses Mal fast überflüssiger
Weise, denn die musikalischen Ideen sind außerordentlich klar
entwickelt, fast greifbar plastisch. Das schöne Cellomotiv
charaklerisirt recht hübsch, der Hornruf, - wenn auch Mcistersinger-
reminiscenz— schallt lustig in die Welt hinaus. Das Marschthema,
das in vollem Glanz zum Schluß aufmarschirt, ist sympathisch,
kräftig und von Ursprung wie Bearbeitung gesund. Zum Teufels-
spuck ist recht viel Humor — viel Humperdinck-Fagott-Humor —
und manch geistreicher Jnstrumentaleffekt aufgewandt. Man er-
lebt wirklich ein lustiges Verführungsspiel. Die süße schützende
Liebe fließt in süßerer Melodie, der es aber an fesselnder Eigen-
art gebricht. Der Kampf wird sehr interessant zwischen den Motiven
geführt, vorübergehend schwebt der mehr anmulhtge als dämonische
Teufclswalzer vorbei. Von der Katastrophe ist man eigentlich
ein wenig enttäuscht, man erwartet, daß der Teufelsfall schon
etwas mehr kracht und poltert.
Die „Einleitung" ist tief im Lande der Romantik zu suchen.
Eine ganz weiche, süß sich ergehende 6-äur-Träumerei, still sin-
nend, obgleich etwas von Meistersinger-Stimmung,— nament- ,
lich die absteigende Motiv-Figur, auch etwas Humperdinck auf j
„eisiger Höhe", — am meisten vielleicht — man denket—Schn- )
mann nahe liegend. Erst im zweiten Theile besinnt sich der
Komponist auf die Rauhheit des Lebens, die Dtssonnanzen der
modernen Kunst, um mit den absteigenden Akkorden, - den
verminderten Sekunden, den Vorhalten den melodischen Strom
zu stauen, der aber schließlich ganz harmonisch und rein mündet.
Die Aufnahme des Komponisten und namentlich seiner
Ouvertüre war eine warme, liebevolle, wie er sie verdient. S.
Wagner hat offenbar in seiner Oper der Bühne etwas Lebens-

fähiges und Interessantes geschenkt, sollte er, nach dem Gehör-
ten, n.och nicht auf der Höhe eines fertigen Eigenwesens stehen,
so wird der große Erfolg dem Beginnenden ein Sporn sein, sich
ganz zu finden, zu entwickeln, aus dem Schatten seines Vaters
heraus in das Licht seiner eigenen Sonne zu treten. Den Dank
für sein liebenswürdiges Kommen, den ihm das Publikum zu-
klatschte, hat er hoffentlich empfunden.
Ganz vortrefflich spielte das Orchester, von Prof. Wolfrum
fix und fertig vorbereitet, ganz vortrefflich diente es auch dem
Russen Rimsky Korsakow, der spanischen Pfeffer mit Wutkisauce
servirte. Es ist eine wahre Lust, solche moderne Sachen, von
Prof. Wolfrum mit aller Liebe dirigirt, von dem Orchester mit
aller Gegenliebe und flammendem Feuer gespielt zu hören.
Man schien der Compositton anfangs direkt ablehnend begeg-
nen zu wollen. Dieses Mal kann ich der Antipathie nicht bei-
pflichten. Gewiß, das ist theilwetse recht ungesunde, überreizte,
üverheizte Musik, ihre Art als Regel — wäre der Untergang der
Kunst. Aber als Ausnahme —I Nur das Impotente, das
Erquälte ist langweilig. So etwas ganz Excentrisches, ganz
Tolles, das frech die unmöglichsten Schilderungen und Kombi-
nationen wagt und in den Nationalmelodien immerhin einen
unverwüstlichen Kern hat, ist sicherlich interessant, rütttelt an den
Nerven, kitzelt die Sinne.
In kleinen Dosen ist so etwas ein ganz annehmbares Sti-
mulans gegen träges Gefühlsphilisterium.
Woran es liegen mag, daß unter dieser vorzüglichen Leitung,
mit diesen gleichen Kräften, Beethoven mit seiner so lebensfroh-
sonnenhellen L-änr eigentlich gar nicht so erwärmte, wie gerade
dieses Werk wärmen muß?
Sind es die gesucht langsamen Tempis (I. Adagio — ich
höre das L noch immer fortklingen — lt- Adagio!), ist unsere
musikalische Körperschaft zu modern geworden, um aus der
Symphonie die tausend Reize zündend hervorzuheben — ich weiß
es nicht. Dafür schlugen die raschen Sätze sicher ein, besonders
das Schluß-Allegro, das musterhaft dahinrollte.
Der Pregi folge als Solistin die Herzog, wenn ich nicht
irre, ihre Landsmännin, und hatte großen Erfolg. Die Berliner
Künstlerin verfügt über einen Gesangsstyl, den man heute nicht
 
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