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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0643

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monatlich SO Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
Vierteljahr!. 1.25
ausschließlich Zustellgebühr.



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15 Pf. für die Ispaltige
Peritzeile oder deren Raum
Für hiesige Geschäfts- und
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ermäßigt.

GratiS-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
" tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Fernsvrech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82,


Dmmttstiis, de» 22. Juni

MS.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für das III. Vierteljahr
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarstr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.

Deutschlands Stellung in der Türkei.
Sir Ellis Ashmead Bartlett hat an die Londoner Pall
Mall Gazette folgenden Brief gerichtet, der obige Auf-
schrift trägt:
„Bezüglich meiner türkischen Konzessionen und der un-
erwartet energischen und hartnäckigen Opposition, der ich
seitens der deutschen Botschaft in Konstantinopel begegnete,
möchte ich gern das Folgende feststellen. Ich habe mich
um die elektrischen Konzessionen für Smyrna und Salonichi
niemals beworben. Die türkische Regierung bot mir die-
selben im November v. I. an und sagte sie mir zu. Die
Konzession für die elektrische Beleuchtung Smyrnas ist mir
nicht vom türkischen Ministerrath verweigert worden, sondern
die Zurückziehung erfolgte wegen des starken Druckes, den
der deutsche Botschafter ausübte. Die Minister ersuchten
mich, eine Garantie gegenüber etwaigen Schadenersatzan-
sprüchen eines deutschen Konkurrenten zu stellen. Natürlich
lehnte ich das ab, und so wurde die Entscheidung vertagt.
Die Handlungsweise des deutschen Botschafters in dieser
Angelegenheit hat unter allen nichtdeutschen Bewohnern
der Türkei nicht wenig überrascht und verletzt. Meines
Konkurrenten Anspruch gründet sich auf ein provisorisches
Iraks, das vor 11 Jahren gegeben, aber niemals durch
einen Firman sanktionirt worden war. Ja bis zum
25. Mai habe ich niemals von diesem Iraks oder dem
deutschen Anspruch etwas gehört. Der deutsche Botschafter
sprach dreimal persönlich bei der Pforte vor, um gegen
meine Konzession Einspruch zu erheben, und sandte seinen
ersten Dragoman täglich zum Palast und zur Pforte.
Minister haben mich versichert, daß meines Gegners An-
spruch gesetzlich nicht fcstgestellt wäre und daß sie gern
meine Konzession vollziehen würden, aber den deutschen
Botschafter fürchteten. Ich entgegnete, daß der Sultan
und nicht der deutsche Botschafter der Souverän der Türkei
sei, und daß es neben dem deutschen noch andere Bot-
schafter in Konstantinopel gebe. Der britische u. der französische
Vertreter unterstützten meinen Anspruch; eS wird sich er-
geben, mit welchem Erfolge. Die ganze Angelegenheit ist
eine ausgezeichnete Illustration dafür, was wir ver-
loren und was Deutschland gewonnen hat durch
die thörichte türkenfeindliche Politik, die wir seit 6 Jahren
befolgt haben. Die Deutschen verschlucken ein-
fach die ganze Türkei, ein Land, das reicher und
gesunder ist, und sich in jeder Hinsicht besser für britische
Kapitalien empfiehlt als China."

Ein Enttäuschter.
Die Freist Zeitung ist glücklich, den Brief eines Tisch-
lers, der bei den Pasewalker Kürassiren gedient und sich
dann für den Bahnbau in D e utsch - Süd Westafrika
hatte anwerben lassen, abdrucken zu können. Der an den
früheren Rittmeister des Mannes gerichtete Brief enthält
gottsjämmerliche Klagen über die traurige Existenz in der
Kolonie. Wer den Brief unbefangen liest, wird sofort
sehen, daß der Briefschrcibcr einer jener Leute ist, die in
Unwissenheit mit den naivsten und thörichtsten Vorstellungen

in die Kolonie gehen, von einem Schlaraffenleben unter
Palmen, von Löwenjagden und Aehnlichem träumen,
natürlich enttäuscht sind, wenn sie unter schwierigen Ver-
hältnissen im Dienste der Kulturarbeit hart arbeiten müssen,
und dann über ihre Lage schimpfen und jeden dummen
Klatsch, den sie von ebenso thörichten Leuten hören, ver-
breiten helfen. Freisinniger Weisheit entspricht es natür-
lich, diesen Standpunkt reiner Thorheit als den normalen
anzusehen und, anstatt die Keuntniß unserer Kolonien ver-
breiten zu helfen, solch albernes Zeug dem deutschen
Philister als mustergiltiges und sachkundiges Urtheil vor-
zusetzen. Daß der Bahnbau in dem Wüsten- und Dünen-
gürtel zwischen der Küste und Windhoek kein Vergnügen
ist, wissen wir auch ohne Tischler Weidemann und Herrn
Richter.

Deutsches Reich.
— Der sozialdemokratische Vorwärts war an-
geklagt, weil er anläßlich des Löbtauer Prozesses gesagt
hatte:
Wohlbekannt ist die Spruchproxis des höchsten sächsischen Ge-
richtshofes, der oft ohne Umschweife die Angehörigen der
Arbeiterpartei als minderen Rechts erklärt hat, als andere
Staatsbürger.
Die Strafkammer des Berliner Landgerichts hat den
angeklagten Redakteur frei gesprochen, weil sie nach
Verlesung von drei Urtheilen des genannten sächsischen Ge-
richtes den Beweis der Wahrheit für erbracht erachtete.
In dem einen Urtheil handelt es sich um die Verurtheilung
eines sozialdemokratischen Flugblattes, in dem zweiten um
die Boykottirung eines Wirthes seitens der Sozialdemo-
kraten, in dem dritten um eine Sammlung zu sozial-
demokratischen Zwecken. Aus ihnen ergebe sich allerdings
die Richtigkeit der Behauptung des Angeklagten, daß das
Oberlandesgericht in Dresden „oft und ohne Umschweife
die Sozialdemokraten als minderen Rechts erklärt habe."
— Der Fall Schell zieht immer noch weitere Maß-
regeln nach sich. Den norddeutschen katholischen Theologen
ist es, wie das Würzb. Journal berichtet, verboten worden,
die Schcll'schcn Vorlesungen zu besuchen, was viele ver-
anlaßte, auf den Besuch der Würzburger Universität über-
haupt zu verzichten. Der Besuch der Universität ist gegen
frühere Sommersemester um etwa 100 Studirende gesunken.
Deutscher Reichstag. Berlin, 21. Juni. Eingegangen
ist die Vorlage betr. die Vertagung des Hauses.
Das Haus setzt die dritte Berathung des Gesetz-
entwurfs betr. die Handelsbeziehungen zum briti-
schen Reich fort. Die 17. Kommission hat beschlossen,
nach Zurückziehung des eingegangenen Antrags Hehl den
Entwurf unverändert zur Annahme zu empfehlen.
Berichterstatter Speck theilt mit, daß die Regierung erklärt
habe, mit den Tendenzen des Antrages Hehl einverstanden zu sein.
Ohne erhebliche Debatte wurde hierauf der Entwurf in drit-
ter Lesung unverändert angenommen, und zwar mit sehr großer
Mehrheit.
Es folgt die erste Berathung des Entwurfs betreffend
Feststellung des 2. Nachtrags etatS für 1899 in Ver-
bindung mit der ersten Berathung des 2. Nachtragsetats
für die Schutzgebiete und erste Berathung des Gesetz-
entwurfs betr. die Aufnahme einer Anleihe. Mitberathen
wurde zugleich die Vereinbarung über die Handelsbeziehungen
mit Spanien.
Staatssekretär v. Bülow: Ich habe die Ehre, der Beschluß-
fassung des hohen Hauses das Abkommen mit Spanien zu unter-
breiten. Durch die neuen Erwerbungen wird zunächst unser
Besitz in der Südsee vervollständigt. Ein Blick auf die Karte
zeigt, daß unsere Schutzgebiete im Großen Ocean bisher einen
flachen Halbkreis bildeten in einer langgestreckten zusammen-
hängenden Linie. Durch die Karolinen und Marianen wird der
Kreis geschlossen. Wenn diese Inseln in den Besitz einer anderen

I Macht als Deutschlandaekommen wären, so würden dadurch unsere
Schutzgebiete in dc^Midsee zerrissen und auseinandergesprengt,
in ihrer Entwicklung gehemmt und minderwerthig gemacht worden
sein. Grade im Hinblick auf die Nachbarschaft der Karolinen
einerseits zu den Marschallinseln und anderseits zu Neu-Guinea
war ihre Erwerbung schon lange in Aussicht genommen. Vom
Standpunkt unserer allgemeinen Interessen in der Südsee aus
ist die erreichte Erweiterung unserer dortigen Machtsphäre nützlich
und nothwendig. Die Lage der neu erworbenen Inseln ist aber
besonders günstig. Wir können uns der Hoffnung hingeben, daß
durch den neuen Besitz die älteren Besitzungen gefördert, ent-
wicklungsfähiger und ergiebiger gemacht werden. Dazu kommt,
daß sich auf den Karolinen schon lange deutsche Niederlassungen
befinden. Auf Grund ruhiger und sachlicher Prüfung sind wir
zu der Annahme berechtigt, daß unser neuer Besitz auch in wirth-
schaftlicher Beziehung sehr werthvoll ist. Daß die Spanier aus
diesen Inseln nichts gemacht haben, ist kein Beweis für ihre
wirthschaftliche Werthlosigkeit. (Sehr richtig rechts.) Ich möchte
der spanischen Verwaltung nicht nachträglich noch zu nahe treten;
ich glaube aber doch sagen zu können, daß die Schuld an ihrer
jetzigen Werthlosigkeit weniger die Inseln als die bisherige
Administration trifft. Insbesondere hat die Jaluitgesellschaft
unter spanischer Verwaltung nicht zum Plantagenbau übergehen
können, aus Gründen, die mit der Eigenart spanischer Admini-
stration Zusammenhängen. Unter deutscher Herrschaft wird die
Jaluitgesellschaft sofort mit dem Plantagenbau beginnen. Durch
eine verständige und sachgemäße Entwicklung der beträchtlichen
Hilfskräfte dieser Inseln wird sich ihre wirthschaftliche Bedeutung
heben lassen. Sie werden zu einem ergiebigen Besitz werden
können. Deutscher Fleiß und deutscher Unternehmungsgeist
werden dort von jetzt ab unter ganz anderen, weit günstigeren
Bedingungen Vorgehen können, die vorhandenen kaufmännischen
und commerciellen Chancen werden sie besser ausuützen können
als bisher. Von besonderer Wichtigkeit ist. daß die neuerworbe-
nen Inseln vorzügliche Häfen und Ankerplätze haben, wie sie auf
den Marschallinseln vollständig fehlen. Die Marianen könnten
sich mit der Zeit zum Stützpunkt für den Handelsverkehr zwischen
Asien und Südamerika entwickeln. Hinsichtlich der zukünftigen
Verwaltung der Inseln scheint cs sich zu empfehlen, die unter
spanischer Herrschaft bestandene Dreitheilung vorläufig beizube-
halten mit der einen Aenderung, daß im dritten Verwaltungs-
bezirk, der die Marianen umfaßt, an Stelle der Insel Guam die
Insel Saipan mit dem Hafen Tanapag zum Sitz der deutschen
Regierung bestimmt wird. Die Auswahl der Beamten soll von
dem Gesichtspunkte erfolgen, daß es Männer von womöglich
in der Südsee gewonnenen Erfahrungen sind. In confes-
sioneller Beziehung werden wir selbstverständlich grundsätzlich
strengste Parität wahren. Umsonst waren die Inseln nicht zu
haben. (Heiterkeit.) Das kommt selbst unter den besten Freunden
nicht vor, daß man ganze Inselgruppen zum Geschenk macht.
Auch besteht für Südseeinseln kein Preiscourant. (Heiterkeit.)
Ich glaube aber versichern zu können, daß der für die Inseln be-
stimmte Preis angemessen ist und der Gerechtigkeit entspricht.
Das mit Spanien abgeschlossene Geschäft ist ein ehrliches Ge-
schäft. Ich bitte, diesem Vertrage die Zustimmung nicht zu ver-
sagen. Die Inseln kehren unter den Schutz der deutschen Flagge
zurück, die dort vor 15 Jahren zuerst gehißt wurde von dem
braven Schiffe „Iltis", dessen wackere Mannschaft später ihren
Namen und den Namen des Fahrzeuges für immer in die
Heldengeschichte unseres Volkes eingetragen hat. (Lebhafter
Beifall.)
Abg. Dr. Lieber (Centc.): Der neue Erwerb sei kein welt-
erschütternder Erfolg, doch habe er immerhin seinen Werth. Die
Abrundung unseres Besitzes und die Erwerbung brauchbarer
Häfen ist freudig zu begrüßen. Man könne der vorzüglichen
Leitung der auswärtigen Politik, nicht zum mindesten aber auch
dem Botschafter in Madrid Dank wissen. Dankenswerth seien
die Erklärungen des Staatssekretärs über die paritätische Stellung
der Konfessionen. Bei der Geschäftslage sind wir ausnahmsweise
geneigt, in den Ausfall der Kommissionsberathung zu willigen.
Abg. Dr. Hasse (natl.) beglückwünscht den Staatssekretär.
Der Preis sei allerdings ziemlich hoch, aber nicht unangemessen.
Abg. Graf Kanitz (kons.): Spanien scheine ihm bei ocm Ver-
trage bei weitem die meisten Vortheile zu haben. Er stehe aber
der Vorlage keineswegs feindlich gegenüber.
Uuterstaatssekretair Frhr. v. Rtchthofen: Unleugbar habe
Spanien große Vortheile, aber Deutschland habe, keine Nachtheile.
Abg. Dr. Wiemer (fr. Vp.) ist für Kommissionsberathung.
Seine Partei sei nicht geneigt, die geforderte Summe zu bewilligen.
Staatssekretär v. Bülow: Die Gründe des Vorredners lassen
sich gegen jeden kolonialen Erwerb Vorbringen. Abgeordneter
Wiemer kann doch selbst nicht behaupten, daß der Erwerb dieser
Inseln der Ausdruck eines übertriebenen Länderhungers sei. Er
hat aber eine Beschreibung davon entworfen, bet der mir die

Fürstin Natalie.
Novelle von L. N. Satalin. Aus dem Russischen von
3) Eduard Bansa.
(Fortsetzung.)
Er ließ sich neben mir auf der Bank nieder.
„Und in wiefern das?" fragte er.
Mir ward unwillkürlich bange: — sollte ich mich wirklich
entschließen, ihm meine geheimsten Gedanken zu offenbaren?
— Ich fühlte, wie mir alles Blut in das Gesicht strömte,
und meine Selbstachtung verschloß mir den Mund. Aber
wir waren uns durch unsere häufigen Gespräche näher ge-
treten, seine gewöhnlich kalten Augen blickten mich jetzt so
innig an. und vergeblich versuchte er, hinter seinem langen
Schnurrbart ein zärtliches Lächeln zu verbergen. Eigentlich
gegen meinen Willen entschloß ich mich, zu antworten-
„Sehen Sie," sagte ich, — „wie dort Blatt auf Blatt zu
Boden fällt, so vergeben die Tage meiner Jugend; und all-
mählich komme ich dem entzückenden Typus einer alten
Jungfer immer näher. Stellen Sie sich vor, wenn ich erst
mit grimmiger Miene dasitzen werde, an den Schläfen lirs-
bouobcws, auf dem Schoße einen Mops und vor mir im Käfig
einen Papagei I"
Unwillkürlich mußte ich in das fröhliche Lachen einstimmen,
in welches er bei diesen Worten ausbrach.
„Wahrhaftig, ein schönes Bild l — Aber ich bin fest davon
überzeugt, daß es nur von Ihnen abhängt, wie Sie Ihre
Zukunft gestalten wollen."
„Wieso?" fragte ich erstaunt.
„Sehr einfach. Sie müssen heirathen."
Ich zwang mich, ein Lächeln zu unterdrücken.
„Das ist nicht so einfach, wie Sie zu glauben scheinen.
Msttßlaff Nikolojewitsch. Zum Heirathen ist zweierlei er-
forderlich, was sich nicht immer gleich findet. Ich müßte
nämlich lieben und auch wieder geliebt werden. Das Letztere
kann sich meine Bescheidenheit überhaupt nicht vorstellen, und
das Erstere, — stellen Sie sich vor, Fürst, — ich bin bereits

zweiundzwanzig Jahre alt, — ich hänge an meinem Oheim,
in dessen Familie ich erzogen wurde, mit allen Fasern meines
Herzens, — aber ich schwöre Ihnen, Liebe, echte Liebe habe
ich bisher noch für Niemanden empfunden."
Er sah mich ganz sonderbar an. , .
„Und sind Sie fest davon überzeugt, daß diese beiden Be-
dingungen für ein glückliches Familienleben unbedingt erforder-
lich sind? — Ich glaube kaum! — Wie oft sehen wir Leute»
welche aus leidenschaftlicher Liebe den Bund sür's Leben ge-
schlossen haben; und ehe noch ein Jahr vergangen ist, sind
sie tief unglücklich. Die Leidenschaft ist einer Strohgarbe
vergleichbar, welche Feuer gefangen hat. Sie lodert hell auf
und ist bald ausgebrannt. Glauben Sie mir," — und nun
begann er, jedes Wort mit einem besonderen Nachdruck aus-
zusprechen, — „wenn Mann und Weib sich ohne Liebe aber
voll gegenseitiger Hochachtung verbinden, dann nur wird
Kieses Bündniß von Dauer sein, und sie werden Hand in
Hand, einer dem anderen helfend und ihn stützend, sanft und
ruhig auf dem Lebensweg dahinwandern. — Sollten Sie
wirklich meine Ansicht nicht theilen?"
Ich dachte nach.
„Vielleicht haben Sie recht. — Aber eine Ehe ohne
wärmere Zuneigung! — Das weht wie ein Eishauch rn
meine Seele."
„Werden Sie nur nicht sentimental,^Gräfin. Das war
vor vierzig Jahren modern. Und sagen Sie wirklich, ist es
denn in unserm Zeitalter der kühl berechnenden Ueberlegung
nicht vernünftiger, die Frau eines ehrenwerthen Mannes,
auch ohne glühende Liebe, zu werden, als sein Leben als
reizbare, alte Jungfer mit Löckchen und Mops zu beschließen ?
Mein Herz begann heftig zu klopfen.
Er hat doch wohl recht, dachte ich bei mir. — Wenn ich
bis heule das beseligende Gefühl der Liebe nicht kennen ge-
lernt habe, so werde ich auch wohl niemals einen Mann
lieben können. — Meine Verwandten tragen mich zwar auf
den Händen, aber ist es nicht lästig, immer in einem fremden
Hause leben zu müssen?

„Sie dürsten doch vielleicht nicht so ganz unrecht haben,"
sagte ich dann leise.
„Nun, sehen Sie, Gräfin!"
„Aber, nehmen wir an, ich würde ohne Liebe heirathen
wollen. — Eine Waise muß eben sehen, wo sie ein Unter-
kommen findet. Freilich fühle ich mich hier in der Familie
meines Oheims sehr wohl, aber ich bin doch nicht zu Hause.
— Auch sehnt sich jedes Weib, gleichsam instinktiv, nach einem
eigenen Heim."
Ich mußte innehalten, um die Bewegung, welche sich
meiner bemächtigt hatte, zu unterdrücken. Dann fuhr ich fort,
indem ich mich bemühte, heiter und harmlos zu erscheinen:
„Der Begriff der Ehe schließt aber die Einzahl aus. Meine
Einwilligung und meine Wünsche gelten da wenig oder gar-
nichts. Und siebt es denn überhaupt einen Mann, welcher,
ohne mich zu lieben, und obgleich er weiß, daß ich für ihn
keine wärmere Empfindung als Hochachtung besitze, mich
trotzdem zu seiner Lebensgefährtin begehren könnte?"
„Ja. Natalie Sergejewna, hier vor Ihnen steht er," er-
klärte Brjänski mit sicherer, ruhiger Stimme.

So bin ick die Gattin Mstißlaffs geworden. — Habe ich
nicht recht, wenn ich sage, daß es ganz einfach, aber doch
sonderbar zugegangen ist. — Am ersten November war unsere
Hochzeit. Noch im letzten Augenblick wäre ich fast verzagt;
aber wie ein sicherer Schwimmer stürzte ich mich mit ge-
schlossen Augen in die Fluthen des ehelichen Lebens; vielleicht
werde ich wohlbehalten wieder auftauchen. — Einstweilen
geht es mir gut. obwohl es mir manchmal, — ich weiß nicht,
wie ich sagen soll. — „kühl bis in's Herz hinein" ist.
Dieses gewaltige Palais, diese endlosen Säle und Em-
pfangsräume, in denen ich fast immer allein bin, drohen mich
zu erdrücken. Mstißlaff ist entweder im Dienst oder sitzt
arbeitend in seinem Kabinett. — und dort ist mir der Zutritt
streng untersagt. ^ „ . - , «
(Fortsetzung folgt).
 
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