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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0109

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monatlich 50 Pf.
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Telephon-Anschluß Nr. 82.



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Für hiesis e Geschäfts- und
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ermäßigt.
. Gratis-Anschlag
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v tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

M. 25.

Montag, den 30. Januar

1899.

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auf die Heidelberger Zeitung für die Monate Februar und
März werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der Expe-
dition, Untere Ncckarstraße Nr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen für die Monate Februar
und März, wenn am Schalter abgeholt, 84 Pfennig, mit
Zustellgebühr Mk. 1.14.
Zum Dreyfus-Prozeft.
Der Präsident des Pariser Kassattonshofs, Mazeau,
hat die Anschuldigungen des ehemaligen Senats-
Präsidenten am Kassationshof, Beaurepaire, geprüft.
Wie erinnerlich, hat Beaurepaire behauptet, einige Mit-
glieder des KassationShofes zeigten in der Untersuchung
der Dreyfus-Angelegenheit eine unpassende Voreingenommen-
heit zu Gunsten des Dreyfus. Als Resultat seiner Unter-
suchung hat Mazeau der Regierung folgendes Gutachten
unterbreitet: „Ohne in irgend einer Weise die Makel-
losigkeit der Mitglieder der Criminalkammer zu verdächtigen,
U-äre es weise, bei den ausnahmsweisen Umständen, die
lvir jetzt durchmachen, der Criminalkammer allein die Ver-
antwortlichkeit des zu fällenden Urtheils nickt zu über-
lassen." Dieses Gutachten ist nicht unbedenklich. Wenn
die Mitglieder der Criminalkammer kein Makel trifft, dann
ist es auch nicht nöthig, der Criminalkammer den Prozeß
aus der Hand zu nehmen und ihn dem gesammten Hof
iu überweisen. Indessen nachdem Mazeau einmal so ge-
sprochen, blieb der Regierung nichts übrig, als die ent-
lprechcndcn gesetzlichen Bestimmungen zu treffen. So Hot
sie der Kammer eine Vorlage unterbreitet, die heute, Mon-
lag, berathen werden wird und die den Artikel 415 des
Gesetzes vom Jahre 1897 über die Revision der Criminal-
psozesse wie folgt abändert: „Wenn die Criminalkammer
die Zulässigkeit der Revision beschließt, so wird der Prozeß
don den vereinigten Kammern des Cassationshofes ab-
Seurtheilt, wenn die Untersuchung von einer Abordnung
der Criminalkammer von mehr als drei Mitgliedern ge-
suhlt worden ist." Diese Abänderung wird einen all-
gemeinen Charakter haben, bezieht sich aber unmittelbar
uuf die Dreyfus-Angelegenheit, da nämlich die Criminal-
^mmer die Voruntersuchung geführt hat und alle Be-
engungen auf die Dreyfus-Angelegenheit abzielen. Das
itthcil wird demnach von den drei Kammern des Cassations-
dofes gefällt werden, vorausgesetzt natürlich, daß sowohl

Kg

animer wie Senat der Vorlage zustimmen. In dieser

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Hinsicht war man am Samstag in Paris noch Zweifel-
Mt. Die Nachgiebigkeit gegen die Schreier, die die


Munnalkammer verunglimpfen, gefällt dem Senat nicht;
^dessen nachdem Präsident Mazeau selbst einen derartigen
schritt empfohlen hat, wird die Regierung, die ursprüng-
M dagegen war, sich dazu hat drängen lassen, ihn gleich-
es zu thuu, wird der Senat nicht nein sagen können,
e hat in dieser endlosen Dreyfusgeschichte eine neue
äene begonnen, die diesmal einen gesetzgeberischen Cha-
rter hat.
Deutsches Reich
^ — Die diesjährige Sachsengängerei wird
?? Köln. Ztg. zufolge allem Anschein nach einen Umfang
in'E noch nie zuvor annehmcn. Allein ein einziges Arbeitcr-
Mmittlungsbureau in Oberschlesien hat bisher schon
Mezu 20 000 Galizier angeworben. Andere Vermittlungs

der

Mus in Schlesien, Posen und Westpreußen, die im
8llngenen Jahre nur je 300—900 Arbeitskräfte vcr-


Das Bachstelzchen.
Novelle von Martha Renate Fischer.

(Fortsetzung.)
vn?'' Mutter spürte unter all seiner Bereitwilligkeit eine
Unruhe.-
ükzMw ertappte sich auf zwecklosen Gängen. Er fand sich un-
Edtte Male am Bachsleg, wo er nach dem Sckcidling hin-
M°ute. Denn er wußte, bald würde Aenncken ihr
. Bündel schnüren und von dannen ziehen. Und er
sie zuvor noch sehen — fürchtete sich dabei, ihr zu be-
N- weil dann ihre Augen wieder zu ihm reden würden,
der stand er am Bachiauf — lauerte, daß sie kommen
— verehrte sich in Sehnsucht danach —
dann kam er aus schnellem Gange durch das Dorf,
iidjs^blickte Aennchen plötzlich mitten auf der breiten Straße
Aen den stattlichen Gehöften.
^dlm spotte er sich das letzte Sehen nicht gedacht. Er hatte
>>0^ er werde ihr auf einsamem Platze begegnen und sie
betrachten dürfen. Statt dessen kam sie daher-
A"en vor neugierigen Blicken.
^brHf,>chämte sich vor den Spähern und dann war er auf»
»,,cht über ihre Neugierde.
"der das Mädel mit gesenktem Blick und leisem
Tag" vorüber wollte, blieb er stehen. Sie iah
.Md blaß aus. Vielleicht hatte sie Nord gelitten. Sie
pösiij wohl auch gegrämt. Es war ihm beinah eine
Genugthuung, daß er ihr so theuer war. Und doch
es ja gewußt. Aber es war gerade, als sei es nun
«lchNeben und beglaubigt worden.
^>ann willst Du denn fort?" fragte er sie befangen.
Ln "Äwortete sehr leise etwas, das er nicht verstand.
< fragte er.


wiederholte: „Uebermorgen."

erging ihm sonderbar. Er hörte seine
"dßwme als einen fremden dumpfen Ton erklingen,
"usperte er sich und sagte Heller: „So bald?"!

, mittelten, rechnen dieses Jahr auf je 2000—5000 Arbeits-
kräfte. Und dabei ist die Zahl dieser Bureaus eine ganz
gewaltige. Die Inhaber einiger großer Bureaus dürfen
sogar mit Erlaubniß der russischen Regierung aus russischem
Gebiete Leute öffentlich anwerben. Dazu kommen noch die
vielen Hunderte von Winkelagenten im Grenzbezirk, ferner
die Vermiethungsbureans in den großen und größern
Städten der vier östlichen Provinzen und die Arbeits-
nachwelsbureaus. Ueberdies durchziehen schon jetzt aus
allen Theilen des deutschen Reiches Agenten Oberschlesien,
Posen, West- und Ostpreußen, um Leute für die dies-
jährige Campagne anzuwerben. Viele Dutzende von
Agenten gehen auch heimlich tief bis nach Russisch-Polen
hinein, um den „Zug nach dem Westen" zu organisiren.
Die Nachfrage aus Mittel-, West- und Süddeutschland ist
augenblicklich so gewaltig wie noch nie. Mädchen oder
Frauen allein sind ohne eine gewisse Anzahl Männer heute
fast kaum noch zu haben. Im Allgemeinen ist für dieses
Jahr der Bedarf gar nicht zu decken. Vor Allem fehlt es
an Frauen und Mädchen, und die sogenannten besseren
Arbeitskräfte, d. h. solche aus Oberschlcsien, aus der
Provinz Posen, allenfalls noch aus Westpreußen, sind
etwa nur zur Hälfte zu beschaffen. Der Mangel an
Galiziern ist nicht so groß, denn diese werden von den
Landwirthcn und Arbeitgebern in Mittel- und West-
deutschland bei weitem nicht so sehr gesucht wie die
preußischen Polen, die als zuverlässiger und fleißiger gelten.
Die Arbeitskräfte aus Russisch-Polen nehmen hinsichtlich
ihrer Leistungsfähigkeit eine mittlere Stellung ein. Aber
es ist die Frage, ob Rußland den Massenabzug von
Arbeitskräften nach Deutschland noch lange gestatten wird.
Die polnischen Großgrundbesitzer in Westrußland haben
schon vor mehreren Wochen dem Ministerkomitee in
Petersburg Vorträge über die Leutenoth in den westlichen
russisch-polnischen Gouvernements gehalten, und jetzt wollen
sie direkt eine große Abordnung an den Zaren schicken,
damit vom nächsten oder zweitnächsten Jahre ab die
russische Grenze für Massen-Auswanderer nach Deutschland
geschlossen wird.
— In der Jesuiten-D ebatte des deutschen Reichs-
tages hat der Centrums-Rcdner Dr. Lieber in seiner
Rede belanntlich behauptet, die Schweiz — von deren
Verfassung der nationalliberale Redner Dr. Hieber fest-
gestellt hatte, daß sie die Jesuiten im Lande nicht dulde —
sei ein Land, „in dem sich Königs- und Frauenmörder frei
hcrumtreibcn können." In der Schweiz ist man über diese
Aeußerungen entrüstet, und zwar mit vollem Rechte. Die
Basl. Nachr. stellen zunächst fest, daß das ganze Centrum
durch stürmischen Beifall sich mit der Auslassung identifizirte,
daß die unerhörte Beschimpfung der Schweiz von keiner
Seite zurückgewiesen, ja daß sie nicht einmal vom Präsidenten
wie cS dessen Pflicht gewesen wäre, gerügt wurde. In
derselben Sitzung habe Graf Ballestrem das Wort „verdreht"
als unparlamentarisch gerügt; aber daß eine fremde Nation,
die mit Deutschland gute freundnachbarliche Beziehungen
unterhält, skrupellos geschmäht wurde, habe er ruhig hin-
genommen. Die Beleidigung sei um so schlimmer, als sie
vom Führer der im Reichstag maßgebenden Partei, die sich
als Regierungspartei fühle und ausspiele, ausgesprochen
wurde. Das Blatt führt dann aus, daß die Schweiz ihre
guten Gründe habe, die Jesuiten, die den Sonderbunds-
krieg verschuldeten, auszuschließen; daß es die Schweiz ge-
wöhnt sei, gegen ihrer Freiheiten von gewissen Leuten, die
nur den Polizcistaat kennen, beim winzigsten Anlaß als
„wildes Land" behandelt zu werden, und daß, was die
Attentate angche, auch Deutschland eine entsprechende An-
zahl aufzuweisen habe; außerdem sollten die Herren Lieber

und Genossen, denen der Zweck die Mittel heilige-
die Geschichte der Päpste besser studiren, um zu erfahren,
wo die Fürsten- und Frauenmörder sich frei Herumtreiben
durften. Am Schluffe heißt es: „Herr Lieber darf da-
von überzeugt sein: ihm und seiner Partei, den Präsiden-
ten des Reichstags eingcschlossen, sowie den sonstigen
Schweigern im deutschen Reichstag wird der letzte Mitt-
woch nicht vergessen werden. Das „Land der KönigS-
und Frauenmörder" hat ein gutes Gedächtniß."
— Das Reich und Preußen haben 125 Millionen
Mark 3proz. preußische Konsols und 75 Millionen
Zproc. Reichsanleihe an die Deutsche Bank in Berlin
verkauft. Hiermit ist der ganze diesjährige Bedarf beider
Finanzverwaltungcn gedeckt, so daß weitere Anleihen im
Laufe dieses Jahres nicht mehr zur Ausgabe gelangen.
— Die pfälzischen Reichstagsabgcordneten Dr. Dei n-
hardt und Fitz und der badische Reichstagsabgeordnete
Blankenhorn hatten im Reichsgesundheitsamte Be-
sprechungen über die Wein frage. Zur Sachverstän-
digen-Sitzung im Reichsgcsundheitsamt sind etwa 30 Ein-
ladungen ergangen, darunter drei nach der Pfalz.
— Der österreichische Honorarkonsul in Sansibar,
Banmann, hat kürzlich einen Artikel: „Das Hängen
in Deutsch-Ostafrika" veröffentlicht, worin er be-
hauptete. das Hängen sei gewissermaßen sportsmäßig dort
betrieben worden. Mit der Schwere dieser Behauptung
kontrastirte in sehr unangenehmer Weise der frivole Ton,
in dem sie gemacht wurde. Wie aus Wien berichtet
wird, hat Baumann von der österreichischen Regierung
einen Verweis erhalten. Die deutsche Regierung hat be-
schlossen, den Behauptungen Baumanns nachzugehen und
seine Anschuldigungen untersuchen zu lassen. Sicherlich ist
da kolossal aufgebauscht worden. Wie jetzt bekannt wird,
hat Baumann selbst als Expeditionsführer Leute zu
Dutzenden hängen lassen. Es scheint, daß ein böser Geist
ihn nun getrieben hat, seine Sünden Andern aufzuhängen.
Deutscher Reichstag. Berlin, 28. Jan. Die zweite
Etatsberathung wird beim Reichsamt des Innern
unter dem Titel Rcichsgesundheitsamt fortgesetzt.
Müller-Sagon (freis. Volksp.) wünscht den weiteren
Ausbau der biologischen Abtheilung des Reichsgesundheitsamts
und verlangt Ueberweisung des Titels an die Bndgetkommtssion
zur Prüfung.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky führt aus, er
könne dem Vorredner versichern, daß die biologische Abtheilung
eine Stätte der freien Erforschung gewisser Naturerscheinungen
sein sollte. Die endgiltige Gestaltung verzögere sich durch formelle
Umstände. Von Belang sei die Feststellung des Ortes, wo eine
solche Anstalt errichtet werden könnte; wenn irgend angängig,
werde in Dahlem eine eigene biologische Anstalt errichtet werden.
Erwiesen sich aber die Bedenken dagegen als begründet, so werde
ein Ort, weiter von Berlin entfernt, ausgesucht werden müssen.
Die Frage der praktischen Verbindung der biologischen Abtheilung
des Reichsgesundheitsamtes mit der Praxis sei noch nicht gelöst,
weil es sich zunächst um eine Frage der inneren Organisation
handle. Es sei unbedingt nothwendig, die Anstalt in unmittel-
baren Beziehungen mit der praktischen Landwirthschaft zu er-,
halten. In Jahresfrist dürste voraussichtlich der größte Theil
der Anregungen des Vorredners erfüllt sein.
Abg. Böckel (wild) weist auf das Umsichgreifen der Tuber-
kulose hin. Die Prtvatwohlthätigkeit reiche nicht aus. Redner
regt die Bewilligung größerer Summen aus Reichsmitteln zur
Bekämpfung der Tuberkulose an.
Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky: Das Central-
komitee zur Bekämpfung der Tuberkulose läßt es sich angelegen
sein, ihm dargebrachte Privatmittel zweckentsprechend zu ver--
werthen. Außerdem habe das Komitee zu Pfingsten einen inter-
nationalen Kongreß zur Berathung der Tuberkulosenfrage ein-
berufen. Wenn von Reichswegen die Mittel gegeben würden,
würde man eine unendlich segensreiche freie Wissensthätigkeit
entfalten können. Er könne übrigens mittheilen, daß die stati-
stischen Zahlen ergaben, daß dieser größte Würgengel neuerdings
weniger verheerend aufgetreten sei.

Sie nickte, ohne zu sprechen.
„Anna." sagte er, „Du siehst aber schlecht aus. Es ist Dir
wohl schlecht gegangen? — Das ist doch nicht recht. — Du
hättest bloß zu uns kommen brauchen. Wir hätten Dir ja
gern geholten. Sich mal-
„Ich Hab' immer satt gehabt," erwiderte Aennchen mit
bebender Stimme-
Plötzlich erfüllte ihn Eifersucht. Er fragte: „Du hast
Dich wohl sehr gegrämt-um Deinen Vater?" und
schämte sich, daß er dem alten Mann die Trauer, die Aenn-
chen um ihn empfand, nicht gönnte. Gerade wie wenn ihm
von seinem Eigenthum genommen würde.I
Aennchen brach in Thränen aus und flüsterte: „Der Vater
ist immer gut gewesen-"
Er schöpfte tief Athem, reichte ihr die Hand. „Nun will
ich nur wünschen, daß es Dir recht gut geht. — Sie hmal —
und — adieu, Aennchen."
Da, als er zögernd schon zuschritt, geschah etwas Fürchter-
liches: — Sie hob den Blick, sah,hn an, und ihre Augen
redeten nicht. Er halte geglaubt, ihre Augen würden reden,
würden zu ihm schreien: Was hast Du mir versprochen mit
Deinen Augen und Deinem ganzen Betragen?! Du hast
mir gesagt, Du liebst mich I Weshalb liebst Du mich nicht
mehr?I Was habe ich gethan?! — Aber die Augen sahen
ihn an und redeten nicht. Sie haderten nicht und verlangten
nichts-
Und drüben standen Erbts. Und kaum noch fünfzig
Schritte entfernt kam Zimmermanns Großvater daher und
zog die schlaffen Mundwinkel im Stoppclgesicht.
Dazu fing es an zu regnen. . ^ ^ <
„Du wirst naß!" brachte Otto wie geistesabwesend heraus.
Er ging weiter, ries im Vorbeischreiten dem alten Zimmer-
mann zu: „Das that noth. Es verbrennt Alles." —
Der Wind jagte Staubwolken heran; die Bäume warfen
ihre Zweige durcheinander, die Aeste knarrten.
Kaum war Otto auf seinem Gehöft, so brach das Ge-
witter los.

Alle Thüren waren verwahrt. Der Sturm fand keine
Handhabe, daran er sein Zerstörungswerk beginnen konnte.
Sturm und Regen währten zwei Stunden; dann kam das
schönste Sonnenwetler. Die Erde duftete, die Sonne trock-
nete die Nässe auf. Mensch und Thier regte sich in erneuter
Lebensfreude. Die kleinen Jungen und Mädchen liefen mit
den nackten Beinen durch die Pfützen, die Gänse schnatterten
eifrig, die Spatzen schrieen. —
Am Abend saß Otto mit der Mutter vor der Hausthür.
Sie sprach mit ihm; aber er hörte kaum, was sie sagte.
Immerhin verlangte sie Antwort und fragte: „Bist Du
stumm geworden?"
Er erkundigte sich, was sie wissen wollte. Dabei siel ihm
ein: vor einem Jahre etwa hatte er einmal mit der Mutter
im Scherz gerungen. Es war auch an einem Juniabend ge-
wesen. Er batte mit seinem Hund getanzt, den er wie eine
Dame führte. Die Mutter lachte, faßte ihn bei den
Schultern und versuchte ihn hinauszuwerfen. Er batte den
ganzen Tag voller Allotria gesteckt. Da begannen sie zu
ringen. Aber er konnte sich vor Lachen nicht wehren und wurde
von seiner Mutier bezwungen. ^ , , , ,,
(Fortsetzung folgt.)

Stadt-Theater.
O Heidelberg, 30. Januar.
Zum ersten Male: „Mathias Galling er", Lustspiel in
4 Aufzügen von O. Blumenthal und M. Bernstein.
Zu welchem Beruf das Mindestmaß von Intelligenz erforder-
lich ist, wissen wir seit gestern Abend ganz genau. Nämlich zur
Stellung eines Münchener Bierbrauereibesitzers, als welcher uns
der Titelheld des Stückes, Mathias Gollinger. vorgeführt wird.
Der gute Mann ist von einer Naivetät, wie sie selbst in der
Welt unseres Modelustspiels Wunder nimmt. Die elementarsten
Formen menschlicher Klugheit und gesellschaftlicher Konvention
existiren für ihn nicht: Lmten, von denen er geschäftlich abhängig
ist, sagt er unangenehme Sachen, und daß man Frauen nicht auf
ihr altes Aussehen aufmerksam machen soll, ist ihm etwas ganz
 
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