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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0463

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^ Erscheint täglich.
>L>ountags ausgenommen.
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mit Familienblättertt
monatlich 50 Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
Vierteljahr!. 1.25 ^
ausschließlich Zustellgebühr.
Feriyprech-Anschluß Nr. 82.


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der'Juserate auf den Plakat«
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Fernsprcch-Anschluß Nr. 82


Dienst«», de» 2. Mai

I8SS.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für die Monate Mai und
Juni werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarstr. 21, fortwährend angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen für die Monate Mai
Und Juni, wenn am Schalter abgeholt, 84 Pfg., mit
Zustellgebühr Mk. 1.14.

Deutsches Reich.
— In der Kuppelhalle des Po stmuseums in Ber-
lin wurde am 1. d. Mts. das von Professor Uphues ge-
schaffene Denkmal des verstorbenen Staatssekretärs Dr.
v. Stephan enthüllt. Die Ansprache hielt der frühere
Direktor im Reichspostamt Sachse, der auf die Bedeutung
Stephans hiuwies. Diese habe auch das Ausland aner-
kannt, indem man 1897 auf der Confcrenz in Washington
den Verstorbenen als die „Seele der Postwelt", als den
„Bismarck der Post" bezeichnte. Nach der Uebergabe des
Denkmals und seiner Uebernahme durch den Staatssekretär
d> Podbielski hielt letzterer eine Ansprache, in der er
Stephan als den Schöpfer des Weltpostvereins pries und
die Beamten zur unentwegten Förderung des Verkehrs-
wesens des Reiches aufforderte. „Wir können", so sagte
der Staatssekretär, „nur stets an dem festhalten, was er
Uns vorgczeichnet hat. Die deutsche Reichspostverwaltung
ulle Zeit voran!"
— Der deutsche Außenhandel hat sich im ersten
Vierteljahr 1899 erfreulich gestaltet. Es betrug Deutsch-
lands Einfuhr im I. Quartal 1899: 90,3 Mill. Doppel-
zentner im Werthe von 1296 Millionen Mark gegen 87,7
Millionen Doppel-Zentner im Werthe von 1304,8 Mill.
Aiark in 1898.
Baden. Karlsruhe, 1. Mai. Die Pensioni-
erung bei dreijährigem Vollgehalt berührt beinahe ein
Zwölftel sämmtllcher Richter, davon machen voraussichtlich
öwei Drittel Gebrauch.
Württemberg. Stuttgart, 1. Mai. Zum Chef
Kabinets des Königs an Stelle des verstorbenen
Freiherrn Griesinger ist, dem Schw. Merkur zufolge, der
lrühere Gouverneur von Deutsch-Ostasrika, Freiherr Julius
Soden, ein geborener Württcmberger, ausersehen.
Bayern. M ün che n, 1. Mai. Die Münchner Neuesten
Nachrichten melden, in Bertesgaden seien Grand Hotel
M das Kurhaus für die kaiserliche Familie bis
üUtn 5. August gemiethet. Die kaiserlichen Kinder würden
M 15. Juni, die Kaiserin am 20. Juni, der Kaiser,
M seine Gemahlin abzuholen, Ende Juli auf einige Tage
^ft erwartet.

Aus der Karlsruher Zeitung.
Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Mitsekretär Andreas Wiedmann in Heidelberg das Verdienst-
"Uz vom Zähringer Löwen verliehen.
— Seine Königliche Hoheit der Großh erzog haben dem
.s>N der Prinzessin Wilhelm geäußerten Wunsche entsprechend,
«st Freiin Luise von Gemmingen-Guttenberg-
^onfeld zu deren Hofdame ernannt,
e. ^ Stationskontroleur Wilhelm Fuchs bei Großh. General-
Ueklion der Staatseisenbahnen wurde dem Großh. Stations-
«stt Baden und Stationskontroleur Hermann Sänger in
^aden der Großh. Generaldirekton zur Dienstleistung zugetheilt.
stkpeditionsassistent Leonhard Schobert in Karlsruhe wurde
, ach V'.llingeu und Expeditionsassistent Heinrich Sah in Oos
"ch Mannheim versetzt.
h ^ Revident Friedrich Kramer bei der Katasterkontrole
, urdx mit der Versehung des Steuerkommissärdienstes Mosbach
"raut.
Karlsruhe, 1. Mai. Die Großherzogin be-
^5. sich am 29. v. M. früh, begleitet von der Hofdame
Min von Schönau und dem Geheimen Kabinetsrath von
Ä n M "ach Frciburg, woselbst der Landeskommissär
h Weimer Oberregierungsrath Reinhard sich anschloß, und
M dort nach Heitersheim. Hier nahm dieselbe zunächst
a Vorstellung des Vorstandes des Frauenvereins ent-
Nen und besichtigte unter der Führung des Superiors
Myer aus Freiburg die Rettungsanstalt. Hierauf traf
<Me Königliche Hoheit am Bahnhofe Heitersheim mit dem
^stvßherzog zusammen und begab sich mit demselben zum
Ihrer Majestäten der Königin und der Königin-
b Mer der Niederlande über Müllheim nach Haus Baden
sch Vadenwciler. Der Besuch der Grobherzoglichen Herr-
mMen bei der Königin und der Königin-Mutter der
^verlande dauerte von halb 2 Uhr bis 4 Uhr. Ihre
M.iglichen Hoheiten nahmen an der Mittagstafel Ihrer
stz "Maten lheil und begaben sich dann in das Schloß
M, Miler, wo der Bürgermeister und Gemeinderath, das
sy "ornite, der Ortspfarrer und der Frauenverein ver-
,,Mwkt waren. Hierauf fuhren Ihre Königlichen Hoheiten
hj^ ^küllheim und stiegen dort im Rathhaus ab. Auch
Ra der Bürgermeister mit dem Gemcinderath, der
hMjwr und Frauenverein zum Empfang anwesend. Nun
^ z sich die höchstenHerrschaften zum Bahnhof und bestiegen
Fat, ^ den Zug nach Freiburg. Auf der ganzen
von Müllheim ab und wieder zurück waren Ihre
v ^glichen Hoheiten von dem Großherzoglichen Amts-
^ stand begleitet. In Freiburg verließ die Großherzogin
.,..Zug und besichtigte zunächst das neu erbaute evan»

dez . Krankenhaus und wohnte sodann einer Uebung
^ chirurgischen Lehrkurses für Damen unter Leitung des

Hofraths Professors vr. Kraske bei. Die Abreise Ihrer
Königlichen Hoheit von Frciburg erfolgte um 9 Uhr Abends,
die Ankunft in Karlsruhe um 12 Uhr 59 Minuten Nachts.
Der Großherzog fuhr unterdessen nach Karlsruhe weiter.
Gestern Vormittag 10 Uhr nahmen die höchsten Herr-
schaften an dem Gottesdienst im Kadettenhaus thcil, nach
dessen Beendigung Ihren Königlichen Hoheiten die neu
zugegangenen Kadetten vorgestellt wurden. Nach 12 Uhr
ertheilte der Großherzog dem Kaiserlichen Regierungsrath,
Abtheilungschef und Bezirksamtmann in Kamerun Vv. Seitz
aus Seckenheim, welcher sich z. Zt. in Urlaub in seiner
Heimath befindet, eine Privataudienz. Nachmittags ertheilte
Seine Königliche Hoheit noch verschiedenen Personen
Audienz.
Die Einweihung des Landgerichts Heidelberg.
(Am 1. Mai 1899.)
Heidelberg, 2. Mai.
lieber die Ankunft der Großherzoglichen Herr-
schaften zur gestrigen Einweihung des Landgerichts haben wir
noch in dem gestrigen Blatt berichten können.
Kurz nach ein Uhr gelangten die Höchsten Herrschaften bei dem
Landgerichtsgebäude an. Reich mit Lorbeerbäumen und immer-
grünen Pflanzen geschmückt, machte das Gerichtsgebäude und der
ganz in lichtem Grün gehaltene Gerichtssaal einen ruhig vornehmen
Eindruck. Hier spielte sich die von der Gr. Regierung veranstaltete
Eröffnungs-Feier ab. Nachdem die Königlichen Hoheiten
mit dem üblichen Hoch empfangen worden waren und nach huld-
vollster Begrüßung insbesondere die Herren Generalleutnant von
Winning Exc- und Geheimerath Kuno Fischer Exc. mit liebens-
würdiger Herzlichkeit angesprochen hatten, bestieg Herr Staats-
minister N o k k die Rednertribüne und eröffnest die Feier namens
der Gr. Regierung. Hinsehend auf die reiche wissenschaftliche
Vergangenheit und Gegenwart Heidelbergs, in Erinnerung an die
nationale That Thibauts, der schon anfangs dieses Jahrhunderts
den Ruf nach einem allgemeinen deutschen Recht hatte erschallen
lassen, an die Koryphäen der juristischen Wissenschaft Zachariae,
Vangerow und Bekker, gab er dem Dank an unseren Landesfürsten
für die väterliche Fürsorge in welcher er hier im Mittelpunkte
der Rechtswissenschaft auch einen Mittelpunkt der Rechtspraxis
schuf, beredten Ausdruck und schloß mit einem Hoch auf den
Großherzog und die Großherzogin, in welches die Anwesenden
begeistert einstimmten.
Namens der Stadt ergriff nunmehr Herr Oberbürgermeister
Dr. Wilckens das Wort zu folgender Ansprache:
Durchlauchtigster Großherzog, gnädigster Fürst und Herr!
Durchlauchtigste Großherzogin, gnädigste Fürstin und Frau!
Hochgeehrteste Herren!
Der heutige Tag ist ein Tag aufrichtiger und herzlicher Freude
für Heidelberg und seine Bevölkerung. Geht doch an ihm für die
Stadt ein Wunsch in Erfüllung, welcher Jahrzehnte weit zurück-
reicht. Schon Mitte der vierziger Jahre wurde dahier die Er-
richtung eines Kollcgialgerichts für Strafsachen angestrebt, und
das Gebäude, in dem wir uns jetzt befinden, ist ursprünglich zur
Aufnahme eines sogenannten Bezirksstrafgerichts bestimmt gewesen.
Ader die geplante Organisation gelangte damals nicht zur Ver-
wirklichung und in dieses Haus kam zunächst das Amtsgericht.
Der Vollzug der Gerichtsverfassung von 1864 setzte dann Heidel-
berg in den Besitz eines Kreisgerichts, welches am 1. Oktober
jenes Jahres ins Leben trat, aber leider auf 1. Mai 1872 wieder
aufgehoben wurde. Die Versuche, diese Aufhebung rückgängig zu
machen, blieben erfolglos, wie denn auch eine anläßlich der Justiz-
organisation von 1879 vorgctragcnc Bitte der Stadt um Er-
richtung eines Landgerichts keine Berücksichtigung fand. Wenn
mit dem Beginn der 99 er Jahre die Bemühungen von Stadt und
Universität wegen Wiedererlangung eines Kollcgiaigerichts für
Heidelllerg von neuem ausgenommen wurden, so ward dies zu-
nächst durch den Wunsch der hiesigen Bevölkerung veranlaßt, m
dem geistigen Leben der im Ausstreben begriffenen Staor ein
Element von der Bedeutung, wie solches in dem Bestehen eines
gutbesetzten Gerichtshofes liegt, nicht länger zu embchren. Zn
diesem mehr idealen Momente kam die praktische Erwägung, daß
es für den Rechtsverkehr in unserer Stadt eine große Erteichrcrung
sein würde, wenn künftighin wieder alle Civil- und Strafprozesse
in erster Instanz in Heidelberg verhandelt und entschieden werden
könnten, wie es denn auch im Interesse unserer aitberühmten
Lnpsrto-Lsrola und ihrer juristischen Fakultät zu liegen schien,
daß durch die Wiedererrichtung eines Kollcgialgerichts tu unserer
Stadt die Möglichkeit engerer Fühlung zwischen der Theorie und der
Praxis des Rechts geschaffen werde. Die bezüglichen Bestrebungen,
deren Ausgangspunkt eine von dem damaligen Vertreter der
Universität in der Ersten Kammer, Herrn Professor Adolf Hans-
rath, am 17. Mai 1890 gehaltene Rede gebildet hat, fanden bei
der Großh. Regierung von vorn herein eine durchaus entgegen-
kommenoe Aufnahme. Von entscheidender Bedeutung für den
weiteren Verlauf der Sache ist es aber gewesen, daß unser aller-
gnädigster Landesherr der Angelegenheit von Anfang an mit
lebhaftester Theilnahme gegenüberstand und ihr eine Förderung an-
gedethen ließ, für die wir uns zum innigsten und wärmsten Danke
verpflichtet fühlen. Wenn am Schluffe des an Verbesserungen
und Fortschritten so reichen 19. Jahrhunderts, in einem Augen-
blick, in welchem am Horizoat bereits die Morgensonnc des neuen
deutschen bürgerlichen Rechtes aufzusteigen beginnt, in der alten
Universitätsstadt am Neckar ein Gerichtshof seinen Einzug hält, so ist
dies in allererster Reihe ein unvergängliches Verdienst des erlauchten
Herrschers aus dem Geschlechte der Zähringer, der seit nahezu fünfzig
Jahren die Geschicke unseres Vaterlandes mit Weisheit und Ge-
rechtigkeit lenkt und während seiner gesegneten Regierung insbesondere
auch Stadt und Universität Heidelberg unzählige Beweise seiner
landesväterlichen Huld und Gnade gegeben hat. Daß unser durch-
lauchtigster Großherzog und Ihre K. H. die Großherzogtn, unsere
edle, mit ihm für das Wohl der Allgemeinheit treu sorgende
Landesfürstin, Höchst Ihr Interesse für Heidelberg auch dadurch
bekunden, daß sie dem heutigen Feste die Weihe ihrer Gegenwart
verleihen, erfüllt uns mit ganz besonderem ehrerbietigem Danke.
Wir danken für das neue Landgericht aber auch der Großh. Re-
gierung und namentlich Seiner Excellenz dem Herrn Staats-
mtnister Dr. Nokk, welcher, sobald er sich von der Berechtigung
des Wunsches von Stadl und Universität überzeugt halte, mit
aller Energie für dessen Erfüllung cingetreten ist und sich auch
bei diesem Anlaß als hochherziger und feinsinniger Förderer
idealer Bestrebungen bewährt hat. Wir danken ferner Seiner
Excellenz dem Präsidenten des Großh. Finanzministeriums, Hrn.
Geheimerath Dr. Buchenberger, für die freundliche Bereitstellung
der für das Unternehmen erforderlichen Mittel, sowie den hohen
Landständen für das opferbereite Wohlwollen, mit dem in beiden
Häusern des Landtags ohne Unterschied der Parteien auf dis
hier in Betracht kommenden Wünsche eingegangen und die Hand
dazu geboten worden ist, daß der neue Gerichtshof seine Thätig-
kcit nunmehr beginnen kann. Möge.dieselbe mit Gottes ^Hilfe

eine ersprießliche und glückliche sein ! Möchten all' die Hoffnungen,
welche wir für die Justiz, für die Stadt und für die Hockschule
an die neue Einrichtung knüpfen, in vollem Maße sich erfüllen!
Möchten aber auch die Allerhöchsten Herrschaften, sowie die Gr.
Regierung und die Landstände sich dessen versichert halten, daß die
Bevölkerung Heidelbergs für Alles, was seit Jahrzehnten seitens des
badischen Staates zur Pflege und Hebung unserer kulturellen und
wirtschaftlichen Interessen geschehen ist und namentlich auch für das
was jetzt wiederum für uns geschieht, den innigsten Dank em-
pfindet und unserem durchlauchtigsten Großherzog und seinem
Hause in treuester Liebe und Anhänglichkeit ergeben ist!
Herr Prorektor Professor Dr. Osthoff begrüßte Namens der
Universität die neue Schwesteranstalt.
Hochgeehrteste Herren!
Unter dem Datum „Heidelberg im Monat April 1898" schrieb
der Nechtslehrer hiesiger Hochschule Zachariä von Lingenthal die
Vorrede zur ersten Auflage seines „Handbuches des französischen
Civtlrechts", und er begann sie mir den Worten: „Hier, wo ich
Frankreichs Berge liegen sehe, mußte der Gedanke, auch Frank-
reichs Rechte kennen zu lermn, von selbst in mir entstehen". Die
Zeiten, in denen so etwas von dieser Stätte der Wissenschaft aus
gesagt werden konnte, sind vorüber, und wir alle hoffen zuver-
sichtlich, daß sie niemals wiederkehren. „Frankreichs Berge" sind
uns seitdem, Gott Lob, ein großes Stück ferner gerückt. „Frank-
reichs Rechte" blieben uns von jenen Tagen her immer nahe.
Der Zeitpunkt, daß auch diese unserem Gesichtskreise ferner treten,
von ihrer unmittelbaren Bedeutung für nufere Rechtsprechungs-
praxis und für das juristische Hochschulstudium bei uns einbüßen,
ist erst jetzt gekommen.
Wenige Jahre später, nachdem aus Zachariä's Feder die so-
eben aufgefrischten Worte geflossen waren, erscholl schon ein ganz
anderer Ruf von einer der anderen juristischen Lehrkanzeln unserer
Universität: die laute Forderung „eines allgemeinen bürgerlichen
Rechts für Deutschland" durch Thibaut in seiner bekannten, hier
in Heidelberg 1814 erschienenen Schrift. Die Napoleonische
Zwingherrschaft lag gebrochen zu Boden. „Deutschland hat jetzt",
so hebt Thibaut an, „durch Befreiung seines Bodens seine Ehre
gerettet und sich die Möglichkeit einer glücklichen Zukunft errungen."
Hand in Hand mit der keimenden politischen Einheit unseres
Vaterlandes regt sich somit der Gedanke von der Nothwendigkeit
des einheitlichen Rechts für unser Volk. Der eine Gedanke wie
der andere waren vorläufig unreif. Auf dem juristischen Gebiet
thut es gegen Thibaut alsbald Savigny dar, daß jene Zeit noch
nicht den Beruf zur Gesetzgebung hatte, daß der Zustand der
deutschen Rechtswissenschaft noch ein völlig unreifer war. Es
muß also noch viel Kampf und Arbeit geleistet werden, es kostet
zuvor ein körperliches und geistiges Ringen sondergleichen, 'bis
daß ein Ziel, des Schweißes und des Blutes der Edlen werth,
erreicht wird. Aber das Programm ist da, das doppelseitige
Programm verschwindet nicht wieder von der Bildfläche, und
dabei bleibt der eine Gedanke, das Verlangen nach Einheit des
nationalen Rechts, immerfort der treue und unzertrennliche Be-
gleiter des andern, des Dranges nach Verwirklichung der staat-
lichen Rechtseinheit der Deutschen. Uns, den am Ende des
Jahrhunderts lebenden Epigonen der kampfreichen Zeit, ist es
beschieven, deß preisen wir uns glücklich, daß wir den Bau des
neuen deutschen Reiches wohlgefügt erstehen sehen und ein Menschen-
alter Ipäter auch die reife Frucht der neugeschaffenen deutschen
Rechtseinheit unter Dach und Fach bringen dürfen.
Die zwei Grabesstimmen, die ich aus der ruhmreichen Ver-
gangenheit unserer Heidelberger Rechtsschule zu erwecken mir er-
laubte, klingen uns sehr verschieden, und dennoch ist ihnen
ein gemeinsamer Grundton eigen. Der Hochschullehrer, der im
Angesicht der Berge Frankreichs das französische Civilrecht er-
forscht und darlegt, weil nun einmal diese Geistesfrucht des gesetz-
geberischen Scharfsinns unserer westlichen Nachbarn auf unseren
heimischen Boden verpflanzt war, und der andere Gelehrte, der
berühmte Pandektist, dem sich früh nach dem Sturze der Fremd-
herrschaft „die Nothwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen
Rechts für Deutschland" aufdrängt — sie beide reichen sich die
Hand in dem einen Punkte: in dem Bestreben, die Theorie der
Rechtswissenschaft mit der Praxis der Rechtspflege in
möglichst enge und gegenseitig einander befruchtende Verbindung
zu bringen.
Dies Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren, ist nun die fett
so langen Jahren bestehende angesehene Nechtsschule unserer
Heidelberger Universität an ihrem Theile immer bemüht gewesen.
Ich darf Ihnen, durchlauchtigste und hochgeehrteste Anwesende, zum
Zeugniß dessen wohl auch eine fachlich berufene Stimme aus
Leben und Gegenwart anführen. Es hieß auch die enge Fühlung
der wissenschaftlichen Theorie mit dem Volksbewußtsein sowie
mit der Praxis der Rechtsprechung und Nechtanwendung betonen,
wenn der heutige Senior unserer Juristenfakultät vor wenigen
Wochen an seinem Ehrentage dem Wunsche warmen Ausdruck
gab, daß Recht und Rechtswissenschaft bei uns noch viel populärer
werden möchten und „daß es uns gelinge, eine Schule von
wirklich praktischen Juristen zu bilden." „Denn wie das Recht
aus dem Leben geschöpft ist, muß es auch auf das Leben zurück-
wirken."
Die vollzogene Kodifikation des einheitlichen deutschen Rechts
in dem neuen bürgerlichen Gesetzbuch stellt heute Theorie und
Praxis vor eine Reihe neuer zum Theil beiden gemeinsamer Auf-
gaben. In der Erkenntniß, daß auch die Universität das ihrige
nach Kräften thun, nichts unterlassen müsse, was die Lösung dieser
Aufgaben erleichtern und fördern könne, hat daher unsere Hoch-
schule von Anfang an, seitdem der Gedanke der Gründung eines
Landgerichts in hiesiger Stadt lebendig ward und allmählich
greifbare Form annahm, dieser Frage ihr Interesse zugewandt,
hat sie wiederholt durch ihre Vertretung, solche im Parlament
und außerhalb desselben, ihre Wünsche nach jener Richtung hin
mit den Wünschen der Stadtgemeinde Heidelberg vereinigt.
Es gebührt sich also auch, daß heute in der Stunde der Er-
füllung unser Dank in Gemeinsamkeit mit dem der Stadt zum
Ansdruck gelange. Auch wir bringen diesen Dank allen be-
theiligt gewesenen Faktoren, so in erster Linie dar dem erhabenen
und allverehrten Landesfürsten, S. K. Hoheit dem Großherzog
Friedrich. Ec versprach zu schützen das heilige Recht. Das hat
er gehalten, das hat er auch wieder durch die landesväterliche
Förderung des soeben vollendeten Werkes und durch sein huld-
volles Erscheinen in dieser unserer Festversammlung bewiesen.
Wir dürfen aber, indem wir unsere Dankgefühle äußern, auch
diese Stadt selbst und ihre Vertretung nicht vergessen : ihr Haupt,
der Herr Oberbürgermeister Dr. Wilckens, hat es sich, zugleich
in seiner Eigenschaft als Landtagsabgeordneter, unablässige Be-
mühungen kosten lassen, die er zu unserer Freude am heutigen
Tage mit Erfolg gekrönt fleht.
Dem neuen Landgericht endlich beschreiben wir, die Universität,
das Gedenkblatt, das wir ihm heute überreichen, mit den Ein-
gangsworten unserer Doktordiplome: tzaoä bonam kslix karmtum-
gas sit: Möge es, seine Aufgabe erfüllend, wirken immerdar zum
Segen von Stadt und Land, eine echte Pflegestätte der Gerech-
tigkeit. ein Hort und Obdach für Gesetz und Sitte, ein Damm
und Bollwerk gegen Gesetzlosigkeit und Willkür, ein Schrecken
 
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