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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0223

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Xr. 5!. Erstes Platt. Mittwoch, de» 1. März

1899.

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auf die Heidelberger Zeitung für den Monat März werden
bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den Agenten, bei
den Trägern in der Stadt, sowie in der Expedition, Untere
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gebracht; durch die Post bezogen für den Monat März,
wenn am Schalter abgeholt, 42 Pfennig, mit Zustellgebühr
15 Pfg. weiter.
Professor Schell auf dem Index.
Die letzten Schriften des Professors der katholischen
Theologie an der Universität Würzburg Dr. Schell sind,
Wie schon gemeldet, von der für solche Zwecke eingerichteten
vatikanischen Kongregation auf den Index gesetzt worden,
den „inäax libroruva xrobibitorunr", das Verzeichniß
derjenigen Bücher, deren Lektüre dem katholischen Leser nicht
gestattet ist. Die Formel lautet:
Niemand also, weh Ranges und Standes er immer sei, soll
cs wagen, die genannten verurtdeilten, namentlich bezeichnten
Werke irgendwo oder in irgend einer Sprache herauszugeben
oder zu lesen oder bei sich zu behalten, sondern Jeder ist unter
der im Index verzeichnten Strafe verpflichtet, dieselben den
Bischöfen oder den Inquisitionen zu übergeben Diesen Beschluß
hat Se. Heiligkeit nach dem Vortrage des Unterzeichneten Se-
kretärs bestätigt und zu veröffentlichen bepfohlen.
Der Beschluß der Jndexkongregation ist bereits am
15. December gefaßt, aber jetzt erst zugleich mit einem
Päpstlichen Schreiben gegen den „Amerikanismus" an den
Kardinal Gibbons, den Erzbischof von Baltimore ver-
öffentlicht worden, das mit allem Nachdruck statt der
inneren Befreiung im Glauben, die Schell vertrat, um
Glauben und Wissenschaft in gegenseitige Wechselwirkung
zu setzen, aus dem „unfehlbaren Lehramte der Kirche"
heraus verlangt: „daß Alle sich ganz und gar von ihm
durchdringen und leiten lassen müssen, um sich desto leichter
von jedem Privatirrthum (!) frei zu erhalten." Auf den
Index gesetzt worden sind nicht nur die vielbesprochenen
Schriften „der Katholizismus als Prinzip des Fortschritts"
Und „die neue Zeit und der alte Glaube", die sich unter
scharfer Wendung gegen die Wundergläubigkeit auch gegen
den Jesuitismus und seinen Einfluß auf den Hochschulen
wandten; gebannt ist auch das Hauptwerk Schells die
»katholische Dogmatik", die in Paderborn bereits 1889
erschienen ist. So weit ist also die Rückwärtsrevision ge-
gangen; das ist das Bezeichnende dabei. Gespannt darf
Wan sein, wie diejenigen klerikalen Blätter sich Verhalten
werden, die die Ausführungen Schells gebilligt haben,
zumal selbst der Rcichstagsabg. Frhr. v. Hertling über die
chatsächliche Rückständigkeit weiter katholischer Kreise sich
ebenfalls geäußert hat, wenn auch von anderen Gesichts-
punkten aus, so doch mit gleicher Schärfe.
Daß die jesuitisch-wissenschaftliche Gegnerschaft Schells
SU diesem Vorgehen die Initiative ergriffen, ist mit Sicher-
heit anzunchmcn. Nicht widerrufen wurde vor mehreren
Monaten die Nachricht, daß auch der Trierer Bischof
Korum dabei betheiligt gewesen. In katholischen bahr.
Blättern wenigstens wurde lebhafter Einspruch dagegen
erhoben, daß er mit einer Reihe von Anklagcpunkten gegen
Schell in Rom aufgetreten sei. Abzuwarten ist weiter,
wie und ob sich die Jndexkongregation nun zu der Schrift
Ws verstorbenen Erzbischofs von Wcstminster, Kardinal
Manning, „Neun Hindernisse des Katholizismus in Eng-
land", gestellt hat, die sich in der Richtung der Schell-
'chcn Ausführungen bewegt, und unseres Wissens noch
kwe viel freiere Sprache führt als diese. Die „Kongre-
gation", die sich im Falle Schell also bethäligt, datirt
chre Wirksamkeit seit dem Jahre 1571. Ihr wurde da-

mals zur Weiterführung der Index übertragen, den nach
dem Schluß des Trienter Konzils Pius IV. als neuen
Index 1561 veröffentlicht und den dann 1570 eine von
Herzog Alba ernannte Kommission in Antwerpen super-
revidirt hatte. Das sind die historischen Erinnerungen,
die sich an diesen Beschluß der Jndexkongregation knüpfen.
„Dem Beschluß der Jndexkongregation hat sich Schell bis-
her nicht unterworfen; es wäre dies auch zugleich mit der
Veröffentlichung des Verbotes seiner Bücher bemerkt wor-
den", so wird der Germania aus Würzburg geschrieben
von einer Seite, die psychologisch zu analysiren sucht, wie
Herr Schell auf „Abwege" gcrathen sei. Seinerseits redet
das Blatt dem Professor zu, sich mit der Jndexkongre-
gation auseinanderzusetzen, daß das Verbot bald gegen-
standslos werde — auf deutsch: alle Stellen aus seinen
Werken zu beseitigen, die dem in der Kongregation
herrschenden Geiste „zuwider" sind.
Aus Würzburg ist schon kurz gemeldet worden, daß
Schell am letzten Sonntag von der Kanzel der Univerfitäts-
kirche herab sich über die römische Verurtheilung seiner
Anschauungen ausgesprochen hat, und daß ihm Montag früh
im Hörsaal eine stürmische Ovation bereitet wurde. Nähere
Berichte sagen hierüber: Der Saal war mit Studenten
und Clerikalseminaristen bis auf die letzte Ecke gefüllt,
auch eine Anzahl Professoren war unter den Anwesenden
vertreten. Aufs tiefste bewegt, mit Thränen in den Augen,
erklärte Schell, daß seine Schriften auf den Index gesetzt
worden seien, ohne daß man ihn befragt oder zur Rechen-
schaft gezogen habe. Als Mann. Priester und Gelehrter
habe er nur der Wahrheit gedient, er habe nichts zurück-
zunehmen, nichts zu widerrufen. All seine Mühe und
Arbeit habe er nur aus Liebe zur katholischen Kirche auf
sich genommen; wenn er dafür jetzt auch bösen Dank
ernte, so werde er auch weiterhin als treuer Anhänger
der Kirche im Dienste der Wahrheit fortarbeiten — eine
feige Unterwerfung im Widerspruch zu seiner wissen-
schaftlichen Ueberzeugung dürfe man von ihm nicht er-
warten. Unbeschreiblicher Beifall folgte diesen Worten.
An der ganzen Universität herrscht natürlich die denkbar
größte Aufregung. In der Studentenschaft werden die
Vorbereitungen zu einem Fackelzug getroffen. Wenn Schell
ihn annimmt, wird derselbe zweifellos einen geradezu
glänzenden Verlauf nehmen. Die Neue Bayerische Landes-
zeitung schreibt, wie man höre, habe sich die theologische
Fakultät mit einer einzigen Ausnahme für Schell
erklärt. Direct in Mitleidenschaft gezogen ist der jetzige
Erzbischof Stein zu München, der früher als Bischof von
Würzburg gemeinsam mit dem Ordinariat Münster die
Dogmatik von Schell approbirt hat. Die Augsburger
Postzeitung, die den Standpunkt des bayerischen Centrums
vertritt, nimmt Stellung gegen Schell. Auch die Linzer
Quartalschrift, die sich in der Behauptung gefällt. Schell
gehe darauf aus, den sogenannten Amerikanismus in
Deutschland einzubürgern.

Deutsches Reich
— In der Budgetkommission des Reichstages
erklärte am 28. Fcbr. Staatssekretär v. Bülow beim
Etat des Auswärtigen auf eine Anfrage: Im Februar
v. IS. stellte England uns einen umfangreichen Handels-
vertragsentwurf zu, den wir nach sorgfältiger Prüfung
durch einen Gegenentwurf beantworteten, auf den wir noch
keine Antwort haben. Wir genießen gegenwärtig in Groß-
britannien und allen britischen Besitzungen mit
Ausnahme von Kanada die niedrigsten Zollsätze
und gewähren umgekehrt dem britischen Mutterlande und

den Besitzungen außer Kanada die Meistbegünstigung auf
Grund des bis zum 30. Juli laufenden Gesetzes vom
Jahre 1893. Vor Beantwortung der Frage, was nach
dem 30. Juli werden soll, werden wir zunächst abwarten
müssen, welchen Fortgang die Vertragsverhandlungen in
der nächsten Zeit nehmen werden. Von den süd ameri-
kanischen Regierungen ist nicht bekannt, daß eine
derselben den Handelsvertrag kündigen wolle, es liegen im
Gegentheil von einigen Anträge zu einer festeren Knüpfung
der gegenwärtigen Handelsbeziehungen vor. Betreffs des
deutsch-englischen Abkommens bin ich zur Zeit noch
nicht in der Lage, mich weiter zu äußern. Beide Re-
gierungen sind übereingekommen, das Abkommmen bis auf
Weiteres und bis zum Eintritt bestimmter Umstände geheim
zu halten. Wie England sich hieran gebunden erachtet,
können auch wir nicht von der Geheimhaltung abgehen
und dies um so weniger, als es sich nicht sowohl um
aktuelle Fragen, sondern um Eventualitäten handelt, die
zukünftig eintretcn können. Auf Anfrage des Abgeord-
neten Richter über das nach Peking gesandte
Detachement und über die Jnsultirung deutscher
Reichsangehöriger in Tientsin erwiderte der
Staatssekretär v. Bülow: Das Detachement, welches
von Kiautschou nach Peking geschickt worden war, hat in
der Kaiserlichen Gesandtschaft Unterkunft erhalten. Was
die Kosten angeht, so werden dieselben bei dem Etat des
Reichsmarineamtes verrechnet werden. Aus Tientsin ist
uns gestern Abend ein Telegramm zugegangen, nach
welchem am 21. Abends mehrere Deutsche in der Stadt
angegriffen und insultirl worden sind. Sie waren ge-
nöthigt, sich in die engen Seitenstraßen zu flüchten. Wir
hatten schon vor einigen Wochen die Meldung erhalten,
daß sich in China eine gewisse Gereiztheit gegen die
Fremden geltend mache und namentlich im Süden
von Shantung eine Gährung vorhanden sei. Wir
haben schon damals der chinesischen Regierung nicht
verhehlt, wie nöthig es sei, daß sie in Bezug auf
die öffentliche Sicherheit größere Wachsamkeit zeige.
Infolge des gestern aus Tientsin eingegangenen Tcle-
grammes habe ich unseren Gesandten in Peking angewiesen,
der chinesischen Regierung keinen Zweifel darüber zu lassen,
daß, falls derartige Vorkommnisse nicht strenge geahndet
würden oder sich gar wiederholen sollten, dies für die
chinesische Regierung ernste Folgen nach sich ziehen würde.
Wir haben weder Veranlassung, noch die Absicht, uns in
die inneren chinesischen Verhältnisse cinzumischen, aber wir
haben die Pflicht, das Leben und Eigen th um
unserer Reichs angehörigen, unserer Missio-
nen und Anstalten, unserer Kaufleute und
Handelsunternehmungen dort zu schützen. Wir
werden diese Pflicht vor Augen behalten und die gewich-
tigen Interessen, welche wir in China be-
sitzen, mit Nachdruck beschützen. Bezüglich Shan-
tungs erklärt der Staatssekretär: Es sind uns durch das
Abkommen vom 6. März v. I. in dieser Provinz werth-
volle Konzessionen wirthschaftlicher Natur gemacht worden.
Unsere erste Aufgabe ist die Herstellung einer Verkehrs-
straße zwischen Kiautschou und dem Hoangho. Um den
Bau der konzessionirten Bahn haben sich bereits viele
Unternehmergruppen beworben. Es ist gelungen, diese
Gruppen zu einigen. Unsere hervorragendsten kapitalistischen
Kräfte haben sich mit angesehenen ostasiatischen Handels-
häusern verbunden. Die Unterhandlungen mit diesem
Syndikate sind noch nicht ganz zum Abschlüsse gelangt,
über die Hauptpunkte ist aber eine Einigung erzielt wor-
den. Es steht zu erwarte», daß auch die noch schweben-
den kleineren Meinungsverschiedenheiten in Kürze beigelegt

* DaS Nomanfeuilleton findet der Leser im heutigen
äfften Blatt. ___
VI. Bachvereins-Concert.
Heidelberg, 1. März.
Die „Lebenden", die in der Welt der Kunst früher meist
?ri,nd hatten, die Tobten zn beneiden, können sich heute über
Zurücksetzung nicht mehr beklagen. Es scheint fast, als sei Richard
Aagner der letzte gewesen, der einen Kampf mit der Großmacht
Publikum zu bestehen hatte. Seitdem sind die Rollen offenbar
Manscht, und ist das Scepter ans einer Hand in die andere
^gegangen: die Komponisten herrschen über das Publikum.
,, Richard Strauß, den wir gestern hier begrüßten, kehrt
M von einem Eroberungszug heim, bei dem er über die Pariser,
.'E„ überhaupt neuerdings die deutschen Künstlertruppen mit Ver-
zügen bis ins Innerste der Stadt einziehen lassen, einen großen
^>eg erfochten hat-
^ Wenn man Einem unter den musikalischen Jungdeutschen —
? ist schwer, diesen Plural zu rechtfertigen — von Herzen Sieg
M Herrschaft gönnt, so ist es gerade Richard Strauß. Er be-
Zt jedenfalls den Vorzug, unter den Lebenden der originellste,
M richtiger der einzige originelle zu sein. Bahnbrechend ist seine
Myinalität sicherlich nicht, aber sie bedeutet, insbesondere auf dem
Miete der Jnstrumentalkomposition, zweifellos eine musikalische
Kation- Als Orchester-Maler hat er den Kulminationspunkt des
Annens erklommen. Seine stärkste Seite ist dabei vielleicht die
Moristische, sein Eigenartigstes der „Till Enlenspiegel", der von
^ „Don Ouixote" noch übertroffen sein soll,
tz. Wenn man gestern an dem speziellen und ausschließlichen
Maußabend dem Strauß von Zarathustra-Gnaden zu begegnen
Wartete war man enttäuscht — oder angenehm überrascht. Es
M gerade, als habe man ein Programm zusammengestellt, das
,,, anderen Strauß, den Melodiker, den mit reicher Phantasie
^gestatteten Schöpfer habe vorstellen wollen. Man wird er-
M»t gewesen sein, wie üppig bei ihm der Born melodischer Er-
M»Ng strömt, wie wangenroth und gesund der raffinirte Klang-
est andererseits wieder ins Land des Wohlklangs und der
^°üen Form hineinmarschirt.

Dieser Widerspruch bedeutet aber nicht Styllofigkeit, sondern
Vielseitigkeit. Die Wandlungsfähigkeit ist es, die ihn zum sym-
pathischsten unter den Lebenden macht.
Der Stoßseufzer, den vielleicht das Programm entlockte: „Einen
ganzen Abend nur Strauß!" wich bald einer flohen Erleichterung.
Da der Komponist absolut nichts Einförmiges hat, da seine
Schöpfungen fast durchgehends die schärfsten Kontraste aufweisen,
so ermüdet er auch nicht. Er hat sich gestern einen ehrlichen und
echten Enthusiasmus beim Publikum erworben, wurde mit jener
Wärme geleiert, die der Ueberzeugung entspringt.
Glücklicher hätte er sich nicht einführen können, als mit seiner
P-moll-Symphonie. Es ist ein Jugendwerk, nur ein Sträußchen,
und doch mag Mancher gedacht haben:
„Mir ist, als ob ich die Hände
Aus's Haupt Dir legen sollt" re.
Der Componist steht hier noch ganz im Bann des Elastischen;
die Romantiker (Weber im Andante), selbst Mendelssohn, sind
ihm noch keine überwundenen Standpunkte, sondern Vorbilder.
Aber wie viel Schönes, Gesundes, Fesselndes umschließen die
vier Sätze!
Wie beruhigend eindringlich fließt der erste Satz dahin, der
sich nur zum Schluß etwas stürmisch als. junger Most gebärdet
und in Dissonanzen-Gährung geräth. Das Scherzo ist ein
Meisterstück an liebenswürdiger geistreicher Erfindung und von
geradezu bestrickendem Reiz, lieber dem Andante liegt ein Hauch
von Romantik, wie ihn nur Weber, Spohr oder Marschner zu
schaffen wußten. Das Finale klingt vortrefflich in seinem breiten,
melodischen Schluß aus, ist sonst aber arm an glücklicher Ein-
gebung und etwas zerflatternd und zerfahren. Die gefährlichen
letzten Sätze! Möchte doch diese Symphonie recht bald wieder-
kehren; sie war eine richtige Herzstärkung!
Weit mehr ausgeprägt „Strauß" ist das Guntram Vor- oder
Zwischenspiel: Ein Festjubel, ganz klar, von gefälliger melodischer
Erfindung, aber schon in die ganze farbensatte Strauß'sche
Instrumentation getaucht, braust mit einer Frische und Stramm-
heit dahin, die etwas ungemein Kraftvolles und Erfrischendes
birgt. Es ist ein freudiger, ritterlicher Glanz, was von diesem
Tonstück ausgeht.

Der Componist reckt sich in seiner Entwicklung, wächst sich
zum Riesen aus. Höheren Ziele» zustrebend, hat er „Wanderers
Sturmlied" von Goethe als Werk für sechssttmmigen Chor mit
Orchester vertont.
Was ihn an dieser Dichtung gereizt haben mag? Mein be-
schränkter Unterthanenverstand hat diese vertrackte, geschraubte
Dichtung nie zu verstehen vermocht. Gegen das Gestetnigtwerden
ob solchen Unverstandes schützt vielleicht die Thatsache. daß
Goethe selbst in „Wahrheit und Dichtung" bekennt: „Ich sang
diesen Halbunsinn leidenschaftlich vor mich hin" rc.
Wie dem sei, es reizte Richard Strauß, einen Bruchtheil der
Dichtung in Musik umzuwerthen. Die Beurtheilung hat mit
diesem Werk nicht so leichtes Spiel wie mit den vorbenannten.
Es ist so komplizirt und vertieft, daß nur ein eingehenderes
Studium eine genaue Würdigung ermöglicht. Wichtiger aber
als Begründen und Zerpflücken ist die Frage des erstmaligen
Gesammteindruckes. Und dieser ist ein vortrefflicher. Edel und
bedeutend erscheint die Komposition. Es gereicht dem Werke ge-
wiß nicht zur Unehre, daß man von dem ersten Takte ab, von
dem Erklingen des düster» I)-inoU-SatzeS an, sich an Brahms,
an das „Schicksalslied" und den „Gesang der Parzen" gemahnt
fühlt. Nicht etwa ob eines Anklingens — es ist vielmehr der-
selbe edle, vornehme Geist. Brahms steigt mehr in die Tiefe,
Straub hat Glanz und Pomp voraus. Das spezifisch Strauß'sche
liegt auch hier in dem blendenden Colortt. Der Componist
besitzt die Gabe, dem Orchester eine Kraft, neue Klang-
mtschungen und einen gesättigten Vollklang zu verleihen, die un-
vergleichlich sind.
Auch diese Composition dürfte wiedcrkehrend herzlich will-
kommen geheißen werden.
Der Bachvereins-Chor trat bei dieser Gelegenheit einmal
wieder in Thätigkeit. Es war ein Gelingen, wie das nicht
anders zu erwarten, und es klang meist vortrefflich. Wenn es
nicht immer ganz vortrefflich klang, so hat das Strauß zu ver-
antworten, der für die Hohen Frauenstimmen schreibt, als wolle
er „die Neunte" in ihrer Unsanglichkett übertrumpfen.
Richard Strauß dirtgirte. Er ist an Orchester gewöhnt und
durch Orchester verwöhnt, die für uns Kars oonoours stehen. Und
 
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