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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0255

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und den Plakatsäulen.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

». 57. Zweites Slitt. Mittwoch, den 8. Mär?

I89S

«

Petition des süddeutschen Eisenbahnreform-
Vereins an den badischen Landtag.
Der süddeutsche Eisenbahnreformverein beehrt sich den
hohen Ständckammcrn des versammelten Landtags Nach-
folgendes ergebenst vorzutragen:
1. Die Budgetkommission der Zweiten Kammer und die
Wortführer in der Eisenbahndcbatte im Mai 1898 haben
h'cht nur eine Verei n f a ch ung, sondern auch eine Ver-
billigung der Personentarife nachdrücklichst befürwortet,
insbesondere die Einführung von ganzen Kilometerheften
o- Klasse zu 20 und von halben zu 10 Mk. Bis dieses
Nkschehen, ist das Kilometerheft für die ungeheuere Mehr-
zahl immer noch unzugänglich. Se. Exzellenz Herr Mi-
nister v. Brauer hat für den Fall, daß die damals, im
Frühjahr 1898, zu Berlin schwebenden Verhandlungen
hber Vereinheitlichung der Personentarife im ganzen Um-
fang des Reiches nicht in absehbarer Zeit zum Abschluß
gedeihen sollten, den auf Verbilligung geäußerten Wünschen
"er hohen Kammer zu entsprechen sich bereit erklärt. Wie
aus den Erklärungen des preußischen Herrn Eisenbahn-
Ministers v. Thielen in der Reichstagssitzung vom 25. v. M.
^hellt, haben die Verhandlungen, die, beiläufig gesagt,
ichon volle neun Jahre hindurch schweben, noch zu keiner
Einigung geführt. Da der preußische Herr Minister
seinerseits ausschließlich nur eine Vereinheitlichung des
^arifsysteuls, jedoch keine Verbilligung, vielmehr
eine Erhöhung der preußischen Sätze will, die schon
Ohnehin höher sind, als die zur Zeit bei uns in Baden
herrschenden, ist eine Einigung auf der von der hohen
Ständekammer befürworteten und der hohen Negierung
angenommenen Grundlage in absehbarer Zeit offenbar aus-
geschlossen, somit für Baden der Augenblick gekommen,
selbständig mit einer internen Verbilligung
dorzugehen. Dieses erscheint um so dringender wünschens-
!?erth, als jeder Fortschritt in dieser Richtung voraus-
sichtlich schließlich — wenn die allseits erwähnte Tarif-
Einheit endlich kommt — sich als ein Gewinn für ganz
Deutschland erweisen dürfte.
2. Trog aller beruhigenden Versicherungen steht fest,
aaß die preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft durch Ab-
senkung des Verkehrs von der Main-Neckarbahn und den
hadischen Linien überhaupt die badische Eisenbahnkasse
heute bereits ffchwer schädigt. (1898 soll der erlittene
Schaden über 600 000 Mk. betragen haben, eine Angabe,
we, obgleich wiederholt in den Zeitungen bekannt gegeben,
"och kein Dementi erlitten hat.) Diese Schädigung des
^roßh. badischen Bahnnetzes muß. in demselben Matze wie
has Interesse der preußisch-hessischen Gemeinschaft wahr-
genommen wird, naturgemäß von Jahr zu Jahr anwach-
ien. Da zudem zu befürchten steht, daß das Privatbahn-
uetz der bayrischen Pfalz mehr und mehr der preußischen
Beeinflussung unterliegt (cs sind heute schon preußische
Beamte, aus strategischen Gründen, zur Stelle), wenn
nicht gar zu einer preußisch-bayrischen Gemeinschaft, ähn-
lich der preußisch-hessischen, werde, die elsässischen Bahnen
ober bereits von Berlin aus verwaltet werden, so wären
bie badischen Bahnen bald vollständig umklammert; eine
Situation, die nur zu sehr an diejenige erinnert, welche
1838 den Bau unserer ersten Staatsbahn, von Mannheim
uach Basel, veranlaßte. Auch jetzt ist der drohenden Ge-
fahr einzig und allein dadurch vorzubeugen, daß wir unser
Bahnnctz rechtzeitig weiter ausbauen und in jever
Hinsicht leistungsfähiger machen, um dann mittelst weitest-
gehender Verkehrscrleichtcrung, durch Ermäßigung der
Tarife, Beschleunigung und Vermehrung der Züge, den
Berkchr im Jnlande zu entwickeln und vom Auslande her

an uns zu ziehen, mit anderen Worten: durch eine inten-
sivere Ausgestaltung und Ausbeutung unseres gesammten
einheimischen Bahnnetzes den inner» Verkehr finanziell
leistungsfähig zu machen. Daß die Schienenstränge schon
heute auf den Hauptstrecken so belastet sind, daß auf
einzelnen derselben eine weitere Steigerung des Verkehrs
der Großh. Generaldirektion Bedenken erregt, hat diese des
öfteren ausgesprochen. Die Rheinthalbahn aber bricht bei
Rastatt ab, um bei Röschwoog ins Elsaß abzulenken, wo
bereits ein »euer Schienenstrang nach Straßburg gelegt
wird, der am 1. April dem Verkehr übergeben werden soll.
3. Daß der Karlsruher Bahnhof, die Zentral-
station des ganzen Bahnnetzes, der Eiscnbahnverwaltung
in seiner jetzigen Beschaffenheit nicht mehr genügt, ist durch
die Ueberbrückungsvorlage im Mai 1898 zugestanden wor-
den. Ein Gutachten, welches die Stadt Karlsruhe von
gewiegten Sachverständigen hat abgeben lassen, besagt, daß
die Anlage nach keiner Richtung hin ausrcicht und täglich
Gefahr im Verzüge ist.
In Erwägung dieser Umstände beehren wir uns, der
hohen Ständekammer nachfolgende Resolutionen anheimzu-
geben :
1. Es empfiehlt sich, mit der Ausgabe von ganzen Ki-
lometerheften 3. Klasse zu 20 Mk. und von halben zu
10 Mk. nicht länger hintanzuhalten;
2. um den Folgen der Umklammerung und Umgehung
des badischen Bahnnetzes durch Preußen wirksam entgegen-
zutreten, das Staatsbahnuetz ohne Säumen weiter auszu-
bauen, insbesondere durch Weilerführung der Rheinthal-
bahn von Rastatt bis Kehl, womöglich bis Breisach, was
zugleich eine naturgemäße Entlastung der am Gebirge sich
hinziehenden Geleise wäre, auch schon durch die Rücksicht
auf den Kehler Hafen geboten erscheint. Schon vor mehr
als 50 Jahren ist diese südliche Rheinthalbahn von dem
Minister Nebenius. der den Bau der ersten Staatsbahn
veranlaßte, wegen des Transitverkehrs als ein dringendes
Bedürfniß empfunden worden.
3. Nachdem feststeht, daß der Karlsruher Bahnhof in
seiner derzeitigen Beschaffenheit schon jetzt nicht mehr aus-
reicht und täglich Gefahr im Verzüge ist, wird die hohe
Staatsregierung ersucht, durch entsprechende Vorlage noch
in dieser Session die unerläßliche Vorkehrung zu treffen.
Schließlich sei uns noch gestattet, in Erinnerung zu
bringen, daß die Ermäßigung der Kindertarife, denen Se.
Exzellenz Minister v. Brauer seit Jahren sympathisch ge-
genübersteht. noch nicht erfolgt ist.

Aus Stadt und Land.
ff Mannheim, 4. März. Auf nicht weniger als rund 14'/,
MijlionenMark beziffern sichdieaußerordentlichenAus-
gab en der Stadt im lausenden Jahr, sodaß also zusammen
mit den ordentlichen Ausgaben des Budgets in Höhe von etwa
5'/, Millionen ein Gesammiaufwand der Stadt in Höhe von circa
20 Millionen Mark im Jahre 1899 erfolgt, gewiß eine recht
stattliche Summe. Von den 14', Millionen außerordentlichen,
durch Anleihen zu deckenden Ausgaben entfallen auf das Hoch-
bauamt 7 169 260 Mk., auf das Ticfbauamt 5 566 000 Mk., auf
das Gas- und Wasserwerk 1 612 110 Mk. Ein Thcil dieser 14'/,
Millionen Mark außerordentliche Ausgaben dient zur Deckung
der Kosten der bereits im Bau begriffenen Unternehmungen,
während der andere Theil für die Inangriffnahme neuer Unter-
nehmungen bestimmt ist. Von diesen neuen Unternehmungen sind
folgende hervorzuheben: neue Gewerbeschule, Einführung der
elektrischen Beleuchtung im Hofthcatcr, Festhallenbau, Neubau
eines Realgymnasiums, Umwandlung des Friedrichsplatzes in
einen Schmuckplatz. Erbauung einer Friedhofkapelle mit Leichen-
halle, Raihhausneubau, Schulhausneuban auf dem Lindenhof,
Schulhausneubau in Neckarau, Schulhausneubau in Käferthal,
städtisches Elektrizitätswerk, Errichtung von elektrischen Straßen-
bahnen, Kanalisation des Stadttheiles Neckarau, Vergrößerung
des Luisenparkes, Erbauung eines zweiten Gaswerkes. Bezeich-

nend für die rapide Entwickelung unserer Sladt ist die große
Anzahl neuer Straßen, die im laufenden Jahr hergestellt und
kanalisirt werden müssen. Es ist die Anlegung von nicht weniger
als 40 neuen Straßen vorgesehen. Der Kostenaufwand für die-
selben ist ei» sehr bedeutender.
— Weinheim, 5. März. Im Verlaufe der verflossenen Woche
fand hier eine Bürgerausschuß-Sitzung statt. Aus
derselben ist Folgendes zu entnehmen: Es wurde beschlossen, von
6 nach Verhältniß der Einwohnerzahl geforderten weiteren
Polizeidienerstellen im l. I. 3 und von 1960 ab 3 weitere zu
bewilligen, so daß von da an 1 Wachtmeister und 12 Polizei-
diener vorhanden wären. Die Wasserzinse müssen im Hinblick
auf verschiedene in nächster Zeit nöthig werdende Auslagen,
Aufstellung weiterer Maschinen und Erbauung eines Reser-
voirs, eine Erhöhung erfahren. Gefordert wurde eine Erhöhung
um 30 Proz., genehmigt wurden 20 Proz. Bei Berathung des
Voranschlages wurden verschiedene Wünsche geäußert, schließlich
derselbe aber einstimmig genehmigt. Die Firma Karl Freuden-
berger hat auf die gesetzliche Vergünstigung des Avzugs von
20 Proz. ihres Gewerbcsteucrkapitals freiwillig verzichtet, wofür
der Bürgerausschuß ihr seinem Dank Ausdruck gab. — Der
Vorschußveretn veröffentlichte in diesen Tagen seinen Be-
richt über das 32. Geschäftsjahr. Der Geschäftsumsatz war ein
guter und beziffert sich auf über 18 Millionen gegen 17 Mill.
des Vorjahres. Der Reingewinn beträgt 31 426,61 und läßt
die Gewährung von 6 Proz. Dividende zu. — Außerdem sei
mitgetheill, daß der Stadtrath sich über die Einrichtung eines
obligatorischen Ha ns h alt ungs- bezw. Kochuirter-
richt s schlüssig gemacht hat. Vorerst ist hierfür aber ein ent-
sprechendes Gebäude zu erstellen. In Aussicht sind ferner ge-
nommen: die Errichtung einer 7. Klasse der Bürgerschule und
eine Kaufmännische Handelsschule. Ob all dieser Dinge soll die
Erweiterung unserer Volksschule vorerst noch verschoben werden.—
Die Influenza grassirt immer noch.
X Patentbericht für Baden vom 28. Februar 1898,
mttgetheitt von dem Internat. Patentbureau C. Kley er in
Karlsruhe. (Auskünfte ohne Recherchen werden den Abonnenten
dieser Zeitung bei Einsendung der Frankatur gratis ertheilt.)
a. Patent-Anmeldungen: 1, 4912. Vorrichtung zum
Entstauben und Entsanden von mittelst Druckluft befördertem
Fasergut. Arthur Jssenman», Hollstem, Baden. Angemeldet am
14. November 1893. — b. Patent-Ertheilungen:
Nr. 102928. Einzugsoorrichtung für Spinn- u. Zwirnmaschinen.
I. H. Bek, Stokach i. B. Angemeldet am 30. August 1898. —
o. Gebrauchsmuster-Eintragungen: Nr. 110133.
In zwei Richtungen verstellbare Platten aus Glas. Metall rc.
zur Aufnahme von Ausstellungsgegenständen in Schaufenstern.
Johann Geiger in Heidelberg, Fischmarkt 2. Angemeldet am
17. Jan. 1899. — Nr. 110 011. Zweitheiliger, mit Scharmr
und Schloß versehener Schieber für Halsketten rc. Abel und
Zimmern, nn, Pforzheim. Angemeldet am 30. Jan. 1899. —
Nr. 110155. In einen Operationstisch und Operotionsstuhl
umwandelbares Krankenbett und Krankentrage. Albert Theil-
mann, Pforzheim. Angemeldet am 1. Febr. 1899.

Thätigkeit der Gcwerbegerichte 1898.
Bei den zur Zeit im Großherzogthum Baden bestehenden
neun Gewerbegerichteu wurden im Laufe des vergangenen Jahres

Gewerbegericht
Mannheim ....
890,

Karlsruhe ....
632,

Pforzheim ....
385,
Freiburg.
372,

Heidelberg ....
256,
Durlach.
74.

Offenburg.
68,

Lahr.
49,

Eberbach.
14.

Bei 2732 dieser Rechtsstretttgkeiteu handelte es sich um solche
zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und nur bei 8 um
solche zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers, welche nach dem
Gewerbegerichtsgesetzc vom 29. Juli 1890 unter Umständen auch
der Entscheidung der Gewerbegertchte unterliegen können.
Erledigt wurden im vergangenen Jahre 2734 Rechtsstceitig-
keiten und zwar
durch Vergleich. 879,
„ Verzicht im Sinne des § 277 C.-P.-O. 10,
„ Zurücknahme der Klage...... 743,
„ Anerkenntniß.40,
„ Versäumnißurtheil.192,
„ andere Endurtheile. 870.
Nur gegen 9 Endurtheile der Gewerbegerichte wurde Be-
rufung eingelegt. Eine Thätigkeit der Gewerbegerichte als

Der erste Maskenball.
11) Novelle von I. Leopold Schiener.
(Fortsetzung.)
»Ick bedaure, Ihnen nicht dienen zu können. Ich war
!Um ersten Mal in der Gesellschaft bei dem Präsidenten und
Knute persönlich fast niemanden. Es waren übrigens mehrere
-4-ürkenmaske» vertreten."
^ »Aber keine so hervortretende wie die, welche ich meine.
Er bildet noch jetzt oft den Gegenstand unseres Gesprächs."
»Da ist allerdings sehr zu bedauern, daß Sie die Demas-
urung nicht abwarten konnten. Leidet Ihr Fräulein Nichte
oft an dergleichen plötzlich auftretendem Unwohlsein?" fragte
kr mit ärztlicher Neugierde weiter.
. »Niemals," erklärte die Justizrälhin. „Sie ist die per-
'.onififtrte Gesundheit. Am anderen Morgen war alles vor-
über."
Tie Unterhaltung wurde in dieser Weise noch eine Zeit
mn« fortgesetzt, bis es dunkelte.
^ Die Tante hatte noch einen finanziellen Auftrag für ihren
Reffen, den er um so lieber ausführle, als dabei immer Hohe
E-Vesen für ihn abfielen. Sie war überhaupt stets sehr frei-
Selng gegen ihn.
. »Ich bringe Dir das Geld morgen früh zum Bahnhof."
lagre er. umarmte und küßte die Tante herzlich und flüsterte
*nr zu: „Du bist und bleibst meine liebste beste Tante!"
»Und auch Deine einzige."
»Solcher Tanten wünschte ich mir ein halbes Dutzend."
. »Das sollte dem Herrn wohl gefallen I Ich habe an
einem solchen Neffen genug. Nun, nichts für ungut, Max,"
letzte sie hinzu und klopfte ihm auf die Wange.
Er verabschiedete sich mit der Juftizräthin, begleitete diese
w einer Droschke und trennte sich von ihr mit der be-
stimmten Zusage, schon morgen zu ihr zu kommen und Nach-
richt über die Abfahrt ihrer Jugendfreundin zu bringen; sie
dagegen versprach, ihrer Tochter und Nichte nichts von der

heutigen Unterhaltung zu sagen, ihnen auch seinen Namen zu
verschweigen.
IV.
Doktor Waldheim war pünklich am Bahnhof.
Die Tante schob ihm einen reichen Theil der Summe,
die er ihr brachte, mit den Worten zu: „Ich möchte, daß Du
bei meiner Freundin nobel auftrittst. Du wirst sie hoffent-
lich bald und oft besuchen!"
„Wenn Du es wünschest, liebe Tante, noch heute!"
„Der Umgang in einer Familie, in der erwachsene Töchter
sind, verursacht einem jungen Manne oft unvorhergesehene
Ausgaben. Ich wünsche nicht, daß Du Dir in diesem Falle
Rücksichten auferlegst."
„Tantchen," rief er ihre Hand an seine Lippen ziehend,
»hast Du nicht noch mehr solche Freundinnen hier am Orte?"
„Du Schelm! Wenn ich sie hätte, würdest Du doch bald
nur diese eine aufsuchen, denn es giebt in ihrem Hause zwei
Magnete, die dich bald genug fesseln werden-"
„Du sähest es wohl nicht ungern, Tantchen, wenn ich
mich im Hause Deiner Freundin fesseln ließe?" fragte er
vertraulich.
„Das kann ich nicht leugnen."!
„Tantchen." rief er, „ich lasse mich fesseln, Dir zuliebe
thu' ich alles!"
„Halt, Herr Neffe! In diesem Punkte wünsche ich meine
Wünsche aus dem Spiel zu lassen, und nur Deinem Herzen
zu folgen. Gefällt Dir eins der Mädchen, so gebe ich Dir
mit Freuden meinen Segen, denn ich weiß, daß Du mit
ihnen glücklich wirst. Aber die Wahl zwischen den beiden
Mädchen wird Dir schwer werden."
Er rückte der Tante, die er wie seine eigene Mutter liebte
und verehrte, näher und fragte ernsthaft: „Zu welcher räthst
Du mir, Tantchen?".
Die Tante lachte hell auf.
„Nimm die," sagte sie. „der man einen Höcker angedichtct
hak, damit Du Dich gründlich überzeugen kannst, daß sie
keinen hat!"
„Also die Blonde."

„Woher weißt Du, daß sie blond ist?"
„Sagte nicht die Frau Justizrälhin, ihre Nichte sei eine
Blondine?"
„Daß ich nicht wüßte! Herr Neffe. Er spielt doch mit
seiner Tante keine Komödie?" fragte sie, mit dem Finger
drohend. „Das habe ich nicht gern, wenn ich nicht selbst
milspielen kann!"
Waldheim war einen Moment zweifelhaft, was er thun
solle. Früher oder später mußte die Dame den Zusammen-
hang doch erfahren und dann hätte sie ihm gezürnt. Er sah
nach der Uhr, der Zug mußte bald abfahren: es blieb gerade
noch soviel Zeit, daß er ihr das Rälhlel lösen konnte.
Und so erzählte er denn von Anfang an: von dem Mas-
kenball, den sonderbaren Pakt mit der Spreewälderin, von
ihrem spurlosen Verschwinden, seinem Gedicht, ihrem Brief,
von seiner Droschkentour und seinem Zusammentreffen mit
der Justizrälhin bei der Tante. Er erzählte mit solchem
Eifer und mit solcher Hingebung, daß die Tante ganz Ohr
war und als zum Einsteigen gerufen wurde, nicht entfernt
daran backte, abzufahren.
„Aber Tantchen, Tobolds Rath!"
„Auf einen Tag wird es nicht gerade ankommen. Ich
muß dabei sein, wie der Blondkopf ins Garn läuft."
Die Tante ließ ihr Gepäck auf dem Bahnhof und fuhr zu
ihrer Freundin, wo sie am Nachmittag ihren Neffen erwarten
und vorgeben wollte, sie habe den Zug verpaßt.
Im Hause der Justizrälhin entstand großer Jubel über
das unerwartete baldige Wiedersehen.
Mathilde war zum Notenwechseln gegangen. Die Mama
hatte zwar gemeint, daß sie erst gestern gewechselt habe, aber
Mathilde hatte einen vollwichtigen Grund: die gestern ge-
wählten Pidcen seien zu schwer für sie. Sie war von dem
Gange noch nicht zurück.
Der unverhoffte Gast zu Mittag machte die Anwesenheit
der Justizrälhin in der Küche nothwendig. Sie ließ es sich
nicht nehmen, soweit es noch mit der Kürze der Zeit verein-
bar war, alles mögliche anzurichten, um ihre Freundin würdig
zu bewirthen. (Fortsetzung folgt.)
 
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