Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0153

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Erscheint täglich.
Sonntags ausgenommen.
Preis
mit Familienbläktern
monatlich 50 Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
Vierteljahr!. 1.25
»usschließlich Zustellgebühr.


Telephon-Anschluß Nr. 82.



JnsertionSgebühr
16 Pf. s.,r die Ispoltige
Petitzetle oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.

Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

M. 35


Mag, de« 10. Mm

I8SS.

Grundbuchämter.
5 Vor wenigen Tagen ging der 2. bad. Kammer der Kom-
wissionsbericht über den Gesetzentwurf „Das
Grundbuchwesen, die Vornahme von Zwangsver st ei-
sern» gen und Zwangsverwaltuugen, sowie die
Schätzung von Grundstücken betr." zu. Der Landesgesetz-
Sebung blieb nach dem bürgerlichen Gesetzbuch und der Retchs-
grundbuchordnung in der Hauptsache die Organisation der
Grundbuchbehörden und -Bezirke und die Beurkundungsform
überlassen. Die Kommission hat im Allgemeinen den Regie-
rungsentwurf gutgchetßen, aber doch eine Anzahl recht wichtiger
Abänderungen, und sicher nicht zum Nachtheil des Gesetzes, vor-
Keschlagen.
Mit Befriedigung ist zu begrüßen, daß auch künftig Ge-
weindebezirk und Grundbuchbezirk zusammenfallen sollen; nur
für die größeren Städte steht der Kommisstonsentwurf die Mög-
lichkeit einer Zerlegung in mehrere Bezirke vor; zusammengesetzte
Gemeinden bilden, auch wenn sie getrennte Gemarkungen haben,
einen Grundbuchbezirk. Di- Grundbücher — besondere Pfand-
bücher kennt das neue Gesetz nicht — sollen wie bisher regel-
mäßig in den Gemeinden und auf den Nathhäusern oder in son-
stigen Gemeinderäumen bleiben. Damit bleibt die Möglichkeit
einer leichten, schnellen und billigen Einsicht, ein Haupterforder-
niß bei derartigen Büchern, erhalten und man verknüpft den alten
uiit dem neuen Zustande.
Dagegen soll eine wesentliche Aenderung bezüglich
der G r u n d b u ch fü h r u ng eintrelen. Während diese bisher
eine Gemeindeaufgabe war und die Gemeindcräthe mit Hilfe der
Mathschreiber, bezw. in den Städten die Grund- und Pfandbuch-
'ornmissionen und Grund- und Pfandbuchführer die Eintragungen
Und die Verantwortlichkeit hiefür zu übernehmen hatten, sah der
Regierriligsentwurf die Grundbuchführung ausschließlich durch
staatliche Beamte und unter Verantwortung des Staates, aller-
dings unter Beiztehung der Rathschretver als Gehilfen vor.
Der Kommisstonsentwurf dagegen hat für die Städte über
1V 000 Einwohner, welche die Anstellung eines besonderen
luristisch gebildeten Grundbuchführers sich gestatten können, und
U>o sich ja auch bisher diese Einrichtung völlig bewährt hat, die
Möglichkeit der Einrichtung des Grundbuchamtes als Gemeinde-
owt vorgesehen, und es soll hier zu Gunsten der jetzt im Dienst
befindlichen Grundbuchführer auch von dem Erforderniß juristi-
scher Vorbildung abgesehen werden können. Eine starke Strö-
mung in der Kommission, diese Möglichkeit für alle Gemeinden
Uber 3000 Einwohner zu erwirken, stieb auf einen absoluten und
U- E. begründeten Widerspruch der Regierung. Die neue
Grundbuchordnung fordert so weitgehende Rechtskeuntniß und die
Grundbuchführung eine so weitgehende Verantwortlichkeit, daß
ks selbst mittelgroßen Gemeinden zu bedeutende Opfer auferlegen
Aürde, diesen Anforderungen gewachsene Personen anzüstellen.
<"> allen Gemeinden unter 10 000 Einwohner soll künftig regel-
U>äßig der Notar des Bezirks als Grundbuchbeamtec funklioniren ;
am Sitze eines Amtsgerichts kann ausnahmsweise für den Ge-
Uteindebezirk die Gruudbuchführung einem Amtsrichter übertragen
?erde»; eine Stellvertretung ist nur durch solche Juristen zuläs-
sig. welche auch als Stellvertreter von Richtern oder Notaren
berwendet werden können.

Es ist nun selbstverständlich, daß der als Grundbuchführer
wirkende Notar oder Amtsrichter, insbesondere in den Land-
gemeinden, nicht immer und zu allen Gcschäftsstunden, zu welchen
?as Grundbuch zugänglich sein muß, anwesend sein kann; es
'ollen daher überall, wo das Grundbuch in Gemeinderäumen
ousbewahrt wird, also besonders auf dem Lande, die Rath-
schreiber als Hilfsbeamte des Grundbuchbeamten bestellt
Werden. Es erwächst ihnen damit eine Thätigkeit, die beben-
en d verantwortungsvoller erscheint, als die bisherige,
?oher auch das Ministerium, wenn ein geeigneter Hilfsbeamter—
?- h- Rathschreiber — in einer Gemeinde nicht zu bekommen ist,
Grundbuchführung in einer Nachbargemeindc soll anordnen
oder doch die Befugnisse des weniger geeigneten Rathschrcibers
M wesentlich einschränken können. Die Ausgabe des Rathschrei-
°erz in Abwesenheit des eigentlichen Grundbuchbeamten wird
«othweudig darin bestehen, die eingehenden schriftlichen Anträge
^Uzunehmen und mit dem genauen Vermerk der Eingangszeit zu
Ersehen, da davon die Reihenfolge der Eintragungen abhängt,
Mer die Einsicht des Grundbuchs und seiner Beilagen zu ge-
jdtlen, Abschriften zu erlheilen und zu beglaubigen. Daneben aber
^lle„ Pie Ralhschreiber — und dies wird eine sehr wichtige
?kite ihrer Thätigkeit werden — in Abwesenheit des Grundbuch-
kamten zuständig sein, die künftig für jede Veräußerung von
Grundstücken nothwendigen, öffentlich beurkundeten Verträge,
bste Kauf- und Tauschverträge, sowie die öffentlichen Urkunden
ober Sicherungshypothcken und über die zur Liegenschafts-
^räußerung notwendige Auflassung aufzunehmen und

Eine Ueberraschuug.
Fastnachtsgeschichte von Erich zu Schirfeid.
(Fortsetzung.)
^ Der Wagen polterte durch die Dorfstraße. Vor dem
Mulhouse hielt er. Die alte Frau Kantorin stand lachenden
^Ugesichts vor der Thür und knixte den Kommenden ent-
P«en. Der Pastor half den Damen galant aus dem Wagen
M folgte ihnen ins Haus. Karl, der robuste Kutscher war
M Bock gestiegen und raunte dem Pastor zu: „De Junge,
5>err Pastor, de Junge. Dunnerw ....!" Er verschluckte
letzten Silben und fuhr sich mit dem Rücken der Hand
"°er den Mund.
^ -Er ist doch ein unverbesserlicher Mensch." sagte der
§oslor, drückte ihm aber dabei einen blanken Thaler in die
o?nd und folgte den Damen. Karl pfiff leise durch die
„ohne und meinte: „Kickste da rut?" Dann schwang er sich
os de» Bock und fuhr still lächelnd davon. —
^.Jn der Kantorwohnung ging zunächst alles durcheinander.
M alte Frau Kantor lief hin und her, um es den Damen
ci behaglich wie möglich zu machen. Im Ofen knisterte das
Mer und auf dem gedeckten Tische dampfte der Kaffee aus
"sr großen Kanne.
.. Die Frau Kantor jammerte nach ihrem Fritz, der sich den
MKn Tag über noch nicht hatte blicken lassen, weil er gar
»>ür sich" sei und der Pastor entschuldigte sich bei den
kA"'en, daß er sie nicht selbst in sein gastlich Haus führen
Mhe, während die beiden Damen ihrerseits bedauerten, die
suchen Verhältnisse nicht in Rechnung gezogen und den
MMnsten soviel Unruhe veruriacht zu haben. Das waren
unvermeidlichen Präliminarien. — Inzwischen war es
AEl geworden. Der Herr Pastor empiahl den Damen ein
Händchen der Ruhe nach der ermüdenden Fahrt und die
Mn Kantor bemühte sich um das Abendbrod. — Der Pastor
Mtzte einige nothwendige Wege vor und beurlaubte sich, je-
u.A Mit dem festen Verbrechen, am Abend noch ein L-tünd-
" wiederzukommen. —

auszufertigen, soweit eS sich um innerhalb der Gemeinde
belegene Grundstücke handelt. Dies ist um deswillen not-
wendig, weil künftig zur Uebertragung von Grundstückseigen-
thum nicht mehr wie bisher jeder auch nur mündliche Vertrag
genügt und die Eintragung nur den Zweck hat, die Rechte des
Erwerbers offenkundig zu machen und gegen Dritte zu wahren;
es muß vielmehr vom Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches
ab jeder Vertrag über eine Liegenschaflsveräußerung öffentlich
beurkundet werden, wenn er bindend sein soll, und das Eige n-
thum geht er st über, wenn die Parteien vor dem Grund-
buchamt oder einem Notar ausdrücklich ihre» dahin gehen-
den Willen erklärt haben und dies zum Grundbuch eili-
ge t r a g e n ist. Bei Anwesenheit des Notars oder Amtsrichters
soll dieser für alle Geschäftshandlungen persönlich zuständig sein;
daß er sich dabei des Rathschreibers als Schreiber oder sonst als
Gehilfen bedient, ist natürlich zulässig.
Es läßt sich nicht verkennen, daß mit einer derartigen Ein-
richtung der Grundbuchämter sehr große Anforderungen
an die R a t h s ch r c ib e r, insbesondere was Gewissenhaftigkeit
und peinlichste Pünktlichkeit auch in Einhaltung der Geschäftsstunde»,
aber auch, was Kenntnisse anbelangt, gestellt werden, und es wird
der Einrichtung von ziemlich vielen auswärtigen Amtstagen be-
dürfen, um dem Publikum Kosten und Zeit zu sparen und die
nothwendige Kontrole durchzuführen. Die Dienstaufsicht fällt
nach dem Entwurf, da die Gemeinden und Gemeindcräthe mit
Ausnahme der größeren Städte mit dem Grundbuch nichts mehr
zu thun haben sollen, für die Hilfsbeamten, d. h. Ralhschreiber,
den Notaren bezw. Amtsrichtern, über diese den Landgerichten
und dem Ministerium der Justiz zu.
Die beabsichtigte Regelung stellt sich als ein Kompromiß
zwischen dem bisherigen System, die Grundbuchführung ganz den
Gemeinden unter staatlicher Aufsicht zu überlassen, und dem
System der rein staatlichen Gruudbuchführung dar, ob und wie
sich dieses System bewährt, wird wesentlich davon abhängen, in
welcher Weise die Rathschreiber durch Gebühren oder feste Be-
züge entsprechend den an sic gestellten Anforderungen entschädigt
werden, insbesondere nachdem die direkte und jederzeit mögliche
Ueberwachung durch die meist ebenfalls sachverständigen Bürger-
meister wegfällt. Man kann wohl das feste Vertrauen in den
guten Willen der Rathschreiber haben; um von ihnen aber, die
meist noch Landwirthschaft oder ein Gewerbe treiben müssen,
einen größeren Zeitaufwand verlangen zu können, wird es einer
entsprechenden Vergütung bedürfen.
Im klebrigen sieht der Entwurf die Beibehaltung der Notare
als Vollstreckungsbeamte bei Ltcgenschaftsvollstreckungen vor und
dehnt ihre Zuständigkeit auf alle, auch die bisher dem Voll-
streckungsgenchl zufallenden Funktionen aus, was durchaus an-
gemessen erscheint; ebenso hält er an der amtlichen Schätzung
von Liegenschaften durch die Gemeindcräthe in allen Grundvucb-
nnd Zwangsversteigerungssachen, sobald es ein Betheiligter ver-
langt, fest. Als Uebergangsbestimmung ist wichtig, daß bis zu
dem Zeitpunkt, in welchem das Grundbuch einer Gemeinde nach
amtlicher Veröffentlichung als angelegt anzusehen ist — erst von
da ab treten die neuen Grundbuchämter in Thätigkeit — der
Gemeinderath und in Städten der Grund- und Pfandbuchführer
zur öffentlichen Beurkundung aller Verträge über Veräußerung
der im Gemeindebeztrk belegenen Grundstücke zuständig sein soll,
es also auch bis dahin eines notariellen Vertrags nicht bedarf.
—oll.

Deutsches Reich.
— Dem Crossener Wochenblatt zufolge telegraphirte
Kaiserin Friedrich an General v. Müller:
Ich nehme aufrichtigen Antheil an dem unerwarteten Hin-
scheiden Ihres Onkels, des Grafen v. Capri vi, dessen segen-
dringendes Wirken ihm auf alle Zeiten einen ehrenvollen Denkstein
in der ruhmreichen Geschichte des Volkes erworven har. Ich bitte,
den beifolgenden Kranz als Zeichen der Theilnahme auf das
Grab des Entschlafenen zu legen, den wir tief betrauern.
Crossen, 9. Februar. Weit ab von dem Welt-
getriebe hat Graf Caprivi die Stätte gesucht, wo er
in stiller Ruhe seinen Lebensabend zubringen wollte und
wo man ihn heute zu Grabe bestattet hat. Von der
Berlin-Breslauer Eisenbahn zweigt sich in Guben eine
Nebenbahn ab, mittelst deren man in weniger als einer
Stunde Crossen erreicht, eine am Zusammenfluß von Oder
und Bober gelegene freundliche und stille Kreisstadt. Von
hier ist zu Wagen noch eine gute Stunde Weges bis nach
Skyren, wo Graf Caprivi seine letzten Jahre inmitten
seiner Verwandten verlebte. Das langgestreckte, einstöckige

Bald darauf wurde ein mächtiger Korb mit Flaschen und .
allerlei Herrlichkeiten vom Pfarrdause ins Schulbaus geschafft
und die immer vergnügte Frau Kantor meinte lachend: „Das
wird ein fröhlicher Abend!" —

Die Prophezeihung erwies sich als richtig. Im Schul-
bause herrschte eine dort lange nicht gehörte laute Heiterkeit.
Aus dem Tische dampfte die Punschdowle nach alter Sitte
und die Gläser klangen hell an einander.
Natürlich hatte sich Fritz, der Kantor, rechtzeitig eingestellt
und nach Ueberwindung der ersten Schwierigkeiten wurde
seine Zunge geläufiger- Zur lebhaften Freude seiner Mutter
war er heute durchaus nickt „für sich," ging vielmehr im
Laufe des Abends so aus sich heraus, daß sich Pastor Wal-
ther wiederholt fragte, ob dies wirklich derselbe sei, den
er hatte auswachsen sehen. Der junge Mann war heule im
Scherz sowohl wie im Ernst völlig verwandelt. „Wie doch ein
geistiges Getränk den Menschen beeinflußt," dachte der Herr
Pastor. — Oder sollte er den Jungen so lange nicht gesehen
haben? —
Auch Charlotte, die ihm vorher etwas zu ernst für ihr
Alter und etwas einsilbig schien, thaute allmählich förmlich auf.
Er beobachtete fie viel und gewahrte oft, wie ihr Blick for-
schend auf ihm ruhte, besonders wenn er sprach. Man redete
über tausend Dinge, die ihm heute ziemlich gleichgültig waren,
da er das eine Thema nicht berühren durfte, das allein für
ihn Interesse gehabt hätte. Wer würde wohl mit der Thür
ins Haus fallen. So versimpelt hatte ihn der Aufenthalt auf
dem Lande denn doch noch nicht. Außerdem mußte er seiner
Sache erst gewiß sein, er mußte sondiren. So sondirte er
denn auch, geschickt und energisch, und als er zu vorgerückter
Stunde mit der gern gewährten Bitte, sich am folgenden
Tage nach dem Befinden der Damen erkundigen zu dürfen,
empfahl, da sagte er sich: „Ich glaube es wagen zu dürfen."
— Dann machte er einen weiten Umweg, theils der wün-
schenswerthen Abkühlung wegen, theils, um nicht dem Nacht-
wächter oder einem andern Gemcindemitgliede zu begegnen.

Wohnhaus des Gutes macht einen recht freundlichen Ein-
druck. Es sieht aber nicht etwa einem Schlosse, nicht
einmal einem eleganten Herrensitze ähnlich, sondern ist nichts
anders als ein einstöckiges weißgetünchtes Landhaus, das
jeder architektonischen Zier entbehrt. Vom Hofe aus hat
man die Aussicht auf eine bewaldete Erhöhung, die vom
Hofe durch einen Bach getrennt ist, der sich teichartig er-
weitert. Oberhalb dieses Teiches ist der Friedhof des
einer Kirche entbehrenden Gutes, und hier ruht jetzt Graf
Caprivi, der zweite Kanzler des deutschen Reiches. Einfach
ist auch dieser Friedhof, aber schmucklos ist er nicht. Drei
gewaltige hundertjährige Eichen erheben sich an seiner höchsten
Stelle, wahre Riesenexemplare mit gewaltigem, narben-
reichem Stamme und mächtigen Aesten, die sie horizontal
weit ausbreiten, in ähnlicher Weise wie die berühmten
Eichen der Pfaueninsel bei Potsdam. Hundert Jahre lang
beschatteten sie die Gräber armer Dörfler, und wenn
sie in einigen Monaten zu neuem Grün aus-
schlagen, werden sie demGrabe Capri vis Schatten spenden.
Noch bis kurz vor der Beisetzung trafen aus allen
Gegenden Deutschlands Telegramme von hoch und niedrig
ein, und die in Mengen ankommenden Kränze und
Blumenspenden mußten von der Post mittels be-
sonderer Wagen nach Skyren gebracht werden.
Gegen halb 1 Uhr begannen Reihen von Wagen einzu-
treffen von den benachbarten Gutsherrschaften und zuletzt
auch der Wagenzug, der die Mitglieder des Reichstages
und Berliner Abordnungen brachte. Das kleine Herren-
haus Skyren reichte kaum aus, um die Massen der Leid-
tragenden aufzunehmen. Der Sarg war im Saale fast
auf ebener Erde stehend aufgebahrt, verdeckt durch zahllose
Kränze und Blumengewinde, vorn die Gaben der aller-
höchsten und höchsten Herrschaften. Seitwärts vom Saale
befindet sich ein kleines einfenstriges, kaum 2 m breites
Zimmercheu, früher die Arbeitsstube Caprivis, in der letz-
ten Zeit seiner Krankheit aber als Schlafzimmer einge-
richtet. Hier ist er gestorben. Ueber dem Bett hingen die
Bilder seiner Eltern, die ganze Einrichtung und der Wand-
schmuck waren die denkbar einfachsten, wie man sie in
kleinen Bürgerhäusern findet. Ein fast winzig zu nennen-
der Arbeitstisch, auf ihm einfachste schmucklose Schreib-
geräte, an den Wänden Stiche militärischen Charakters,
einige Stühle, das war die ganze Einrichtung. Um 1 Uhr
begann, wie die Köln. Ztg. berichtet, die Trauerfeier. Nach
einem einleitenden Gesänge ergriff der Ortsgeistliche das
Wort zu einer längeren Ansprache, in der er zunächst den
Verstorbenen als frommen, gläubigen Christen rühmte und
sodann seine Eigenschaften, die Treue, Liebe und Be-
scheidenheit, hervorhob, die Treue, wie er sie in allen sei-
nen Stellungen dem Kaiser und dem Reiche bewahrt, die
Liebe, mit der er nicht nur seine nächsten Anverwandten,
sondern allen denen cntgegengekommen sei, mit denen
private Beziehungen ihn in Verbindung gebracht hätten,
die Bescheidenheit, die er auch in den höchsten Stellungen
gewahrt und die es ihm möglich gemacht hätte, den Ver-
diensten anderer in vollem Umfange gerecht zu werden. So
habe er, seine eigenen Leistungen bescheiden einschätzend,
stets mit Bewunderung der geschichtlichen Größe seines
Vorgängers, des Fürsten Bismarck, gedacht. Der Redner
schilderte, wie sich das Leben des Verstorbenen in Skyren
in freundlichem werkthätigem Wirken abgespielt habe, wie
er nur darauf bedacht gewesen sei, Andern Gutes zu thun
und die Liebe zu verdienen, die man ihm in reichem
Maße entgcgengebracht habe, sowohl in seiner Familie,
als bei Allen, die ihn hier kennen gelernt hätten. Seine
Bescheidenheit und christliche Demuth haben es ihm auch
ermöglicht, ohne Groll aus seiner hohen Stellung zu scheiden

Diele Nacht schlief er unruhig — seit langer Zeck zum
erstenmal, — wahrscheinlich, weil aus dem Wirthshause die
Klänge der Tanzmusik allzu deutlich zu ihm herüberdrangen.

Als die Frau Kantor erwachte, schien ihr die Helle Sonne
ins Gesicht. Sie erlchrack heftig. Wenn die Damen schon
munter waren, was sollten die von ihr denken! — Sie lauschte.
Das Fremdenzimmer war von dem ihrigen nur durch eine
tapezierte Bretterwand getrennt, sie konnte also fast
die Athemzüge der Schlafenden hören. — Da klang ihr die
Stimme der Frau Amtmann ans Ohr-
„So gefällt Dir also der Herr Pastor nicht?"
„Doch, erwiderte das Töchterlem eifrig, „sehr sogar. Aber
— der Andere ist mir viel lieber. —"
„So so! Nun sieh mall — Wenn aber der Pastor die Ab-
sicht haben sollte, uns — näher zu treten — gewisse Zeichen
lassen mich das fast vermuthen —"
„So würde er mir sehr willkommen sein als — mein
Papa!" — Sie lachte. „Ich habe gut beobachtet!" —
„Charlotte! Du Uedermuth! Ich meine, Dir gilt sein
Werden, — wenn überhaupt —"
„Na, dann sag ich ihm nur, ich liebte einen andern."
„Den Kantor?"
„Weshalb nicht? Ich sage Dir, Mama," und das sagte
sie ernst, „aus dem Kantor wird noch einmal etwas. Hier
natürlich mutz er versauern und verbauern, aber unsere Ver-
hältnisse gestalten uns ja wohl, auf ein Dorfkantoren-Ein-
kommen zu verzichten."
Sie sprachen noch weiter, die Frau Kantor aber hatte ge-
nug gehört. Auf Strümpfen schlich sie zur Thür und die
Treppe hinunter. — Fritz suchie im Garten nach Schnee-
glöckchen. Sie winkte ihm herein und zog ihn in die
Küche.
(Schluß folgt.)
 
Annotationen