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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0665

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 148.

Miltunch, dkll 28.Zli»i 1899.

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werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
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gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.

Wochen-Chronik.
(Vom 18. bis zum 24. Juni.)
Juni 18.: Bei der Einweihung des Kriegerdenkmals in Kehl
weist der G r o ß h e r z o g auf die Verdienste Kaiser
Wilhelms I. um die Armee hin, durch welche erreicht
wurde, was erreicht worden ist.
„ 19.: Der Kaiser trifft in Helgoland ein.
„ 19.: Das badische Centrum veröffentlicht eine in
Offenburg beschlossene Erklärung, wonach es die bis-
herige Politik und Taktik — einschließlich der in-
direkten Unterstützung der Sozialdemokraten — weiter
verfolgen werde.
„ 21.: Der Reichstag stimmt der Erwerbung der K ar o-
linen und der Marianen durch das Reich zu.
„ 22.: In Frankreich kommt ein Ministerium unter
Waldeck-Rousseau mit General Gallifet
als Kriegsmintster und dem sozialistischen Radikalen
Millerand als Handelsminister zu Stande.
„ 22.: Der Kaiser und die Kaiserin treffen in Kiel
zur „Kieler Woche" ein.
„ 22.: Der Reichstag beschließt, die zweite Lesung des
Gesetzentwurfs betr. den Schutz des Arbeits-
verhältnisses im Plenum vorznnehmen, was
einer Ablehnung der Vorlage gleichkommt; dann ver-
tagte er sich bis zum 14. November.
„ 23.: Auf der Haager Konferenz legen die
russischen Dclegirten den Abrüstungsvorschlag
Rußlands vor. Danach sollen die Zahlen der
Friedenspräsenzstärke der Heere aller Mächte mit
Ausnahme der Kolonialarmeen festgelegt und die
gegenwärtigen Militärbudgets in den nächsten fünf
Jahren nicht vermehrt werden.
„ 24.: Rußland hat mit dem Bau einer Eisenbahn
von Alexandropol nach der persischen Grenze
begonnen.

Bon der Haager Konferenz.
Wie man der Franks. Ztg. meldet, haben die von
Baron v. Staal und dem holländischen Dclegirten Beer-
Poortugael zur Begründung des russischen Abrüstungs-
antrags gehaltenen Reden mit ihrer starken Betonung der
wirthschaftlichen Schäden des Militarismus einen „förm-
lich sozialistischen Charakter" gehabt.
Der Daily News wird aus dem Haag berichtet, daß
der persische Delegirte in der Sitzung der ersten
Kommission (Abrüstungsvorschläge) am Freitag eine Rede
gehalten habe, die mit großer Heiterkeit ausgenommen
worden sei. Der hierauf bezügliche Bericht lautet wörtlich
folgendermaßen:
Mirza Khan sprach nicht ein Wort über Abrüstung, son-
dern über das gute Herz des Zaren. Er sagte, daß er zu
der Zeit, als er persischer Gesandter in Petersburg war, einer
Truppenschau von 30 000 Mann in Kraßnoje Sselo beigewohnt
habe. Er (Mirza) fiel von seinem Pferde (Gelächter)
und lag fünf Minuten lang am Boden. Nicht einer der 30000
Mann hielt an, um ihm zu helfen. Dass ei ein Beweis
für die Disciplin der russischen Truppen ge-
wesen. (Schallendes Gelächter und Rufe „Zur Sache".) Er
wurde in einen Wagen gelegt und nach St. Petersburg gebracht.
„Und wollen Sie es glauben, meine Herren? Der Zar sandte
zweimal Jemanden, um sich nach meinem Be-
finden zu erkundigen. (Schallendes Gelächter.) Ich bin
vollständig von dem herrlichen Herzen des Zaren überzeugt und
man kann unbedingtes Vertrauen in sein Versprechen bezüglich
der Abrüstung der russischen Armee setzen." Mirza beantragte,
daß seine Rede gedruckt werde und dieser Antrag wurde einsttm-
mig angenommen .... Nach der Sitzung erklärte Mirza Khan,

daß er seine eigene Rede nach Teheran telegraphiren werde, da-
mit der Schah sehe, eine wie hervorragende Stelle Persien in
der Konferenz einnehme.
Dieser Bericht, dessen Verfasser wahrscheinlich Herr
Stead ist, ist vielleicht phantastisch, wie es der Bericht
desselben Korrespondenten über die angeblichen Aeußerungen
Dr. Zorns in der Schiedsgerichtskommisfion war.
Der erste Ausschuß der Konferenz hat zwei Unteraus-
schüsse zur Vorprüfung des russischen Abrüstungsvorschlags
eingesetzt. Der erste Unterausschuß ernannte einen Prü-
fungsausschuß, der sofort zusammentrat. Der zweite Unter-
ausschuß unterzog die Frage einer allgemeinen Prüfung
und ernannte ebenfalls einen besonderen Ausschuß zur
weiteren Prüfung.

Hufnagels Erlebnisse.
Als englische Depeschen aus Samoa meldeten, man
habe den Deutschen Hufnagel verhaften müssen, weil er
die Samoaner im Kampfe gegen die Engländer geführt
habe, sagte man in Deutschland sofort, die Beschuldigung
sei zweifellos falsch und Hufnagel müsse wieder freigegeben
werden. Letzteres ist dann auch in der That geschehen,
nachdem Hufnagel dem deutschen Konsul ausgeliefcrt und
an Bord des „Falke" gebracht worden war. Nun ver-
öffentlicht die Tägl. Rundschau einen vom 20. April datirten
Brief Hufnagels an seine Schwester, worin der zu Unrecht
Angeschuldigte nähere Mittheilungen über seine Erleb-
nisse macht.
Wenn der Mensch lange lebt, so erlebt er viel! Das kann
ich von mir auch sagen, denn jetzt habe ich es schon zum Kriegs-
gefangenen gebracht, eine Beschäftigung, für die ich nun gerade
keine besondere Neigung habe, sondern lieber mit Frau und
Kindern vereinigt wäre. Sonst geht es mir aber gut, ich bin
auf dem deutschen Kriegsschiff und lebe mit den Herren Offi-
zieren in der Messe; die Herren sind äußerst nett und liebens-
würdig und es entwickelt sich die ganze Gefangenschaft mehr zu
einer Erholung, als zu irgend etwas anderem. Am 1. April
war hier ein Gefecht zwischen Engländern und der Mataafa-
Partei; letzteres fiel für die Engländer recht kläglich aus; um
ihre Schlappe etwas zu beschönigen, wurden zwei englische
Matrosen dazu vermocht, unter Eid auszusagen, sie hätten ge-
sehen, daß ich das Gefecht geleitet; dies ist lächerlich, ich bin
während des ganzen Nachmittags bei Frau und Kindern gewesen
und habe unser Gehöft nicht verlassen, wofür so und so viele
Zeugen vorhanden sind. Am Tage nach dem Gefechte brachte
Fritz (ein Sohn Hufnagels) eine Lafette eines demoltrten Ge-
schützes angeschlepvt; den nächsten Tag setzte ich die Gesellschaft
davon in Kenntniß und diese den Admiral des amerikanischen
Kriegsschiffes. Am 3. Morgens wurden wir wieder feste weg
bombardirt, die Granaten flogen über uns hin, richteten aber
keinen Schaden an. Leute, welche ich zum Eingraben einer er-
schossenen Kuh in die Pflanzung geschickt hatte, kamen mit der
Nachricht: In der Pflanzung seien Weiße, zurück; anfänglich
glaubte ich, diese seien gelandete Truppen, kam schließlich aber
zu dex Ansicht, es müssen Versprengte vom 1. April sein. Nach-
dem das Bombardement vorbei war. ging ich am 4. Morgens in
die Pflanzung, um die Spuren der Versprengten aufzunehmen,
fand dieselben aber nicht, suchte mir einen Samoaner und machte
ihm deutlich, daß sie die Weißen nicht angreifen sollen, ich würde
zum Admiral gehen und anfragen, wie ich mich den Weißen
gegenüber zu verhalten habe. Dann fuhr ich gegen 9 Uhr
Morgens mit einem Boote von der Pflanzung und wurde, als
ich zum ersten Posten kam, sofort verhaftet und in das englische
Konsulat gebracht. Dort angekommen, wurden mir zwei be-
schworene Aussagen von zwei englischen Matrosen vorgelesen
und ich wurde auf das englische Kriegsschiff „Tauranga" ge-
bracht. Als wir beim „Falke" vorbeifuhren, rief mir der wach-
habende Offizier zu, was los sei, ich antwortete ihm, ich sei ge-
fangen worden. Schon nach einer Viertelstunde kam ein Offi-
zier des „Falke", der um Aufklärung über meine Festnahme bat,
und gegen Abend wurde ich ausgeliefert und sitze nun noch
immer hier, obgleich drei Mann beschworen haben, daß ich zur
Zeit des Gefechts das Gehöft nicht verlassen habe.
In der Beleuchtung dieser Darstellung, die den Charak-
ter schlichter Wahrheit in sich trägt, erscheinen die Eng-
länder als recht kleinlich. Sie haben es da gemacht, wie

die Franzosen; statt anzucrkennen, daß sie eine Schlappe
erlitten hätten, riefen sie Verrath und suchten nach dem
Verräther, der dann auf Grund zweier falscher Eide in
dem völlig unbetheiliglen Pflanzer Hufnagel bald gefunden
war. Ein solches aus Schwäche geborenes Verfahren kann
nicht imponiren.

Eine Eisenbahn durch die Sahara.
Schon früher ist wiederholt die Rede von einer Eisen-
bahndurchquerung der Wüste Sahara gewesen.
Jetzt tritt dieses an sich großartige Unternehmen wieder
an die Oeffentlichkeit, denn dem Eisenbahnausschuß von
Oran liegt ein Antrag auf Konzession eines solchen Unter-
nehmens vor, und zwar soll die von Oran bereits be-
gonnene Bahn über die Oase Timbuktu verlängert wer-
den. Was das bedeutet, mag man sich aus dem Kilo-
meterverhältniß berechnen. Die Luftlinie Oran—Timbuktu
beträgt annähernd 2000 Kilometer, eine Entfernung, die
etwa der von Straßburg nach Konstantinopel gleichkommt.
Es ist kaum denkbar, daß dieses riesige Unternehmen,
welches ungezählte Millionen verschlingen wird, rein aus
Privatkapital wird gebaut werden können; jedenfalls wird
früher oder später der Staat eintreten müssen. Für die
Gefahren, denen diese Wüstenbahn ausgesetzt ist, fehlt jede
eisenbahnmäßige Erfahrung. Massige Schneeverwehungen
kennt man; bei deren Wegräumung hilft noch gelegentlich
die Schneeschmelze. Aber gegen entsprechende Wüstensand-
Verwehungen gibt cs im entsprechenden Falle kaum Mittel,
denn wo ein Wüstensandhügel — von anderen Beschädi-
gungen ganz abgesehen — einmal zusammengeweht ist, da
bleibt er oft sehr lange liegen. Eine Sandschmelze gibt
es nicht. Immerhin, ist die sibirische Bahn gelungen, wa-
rum sollte nicht auch die Saharabahn gelingen?

Deutsches Reich.
— Eine wichtige Aenderung der Offiziersklcidung
ist befohlen worden, so melden die Blätter. Wir beeilen uns,
unseren Lesern von dieser „wichtigen" Aenderung Kenntniß zu
geben. Zum Dienstanzug gehören fortan rothbraune Hand-
schuhe aus Hundeleder. Weiße Handschuhe dürfen nur noch
zu Gesellschaften und zum Reisen (außer bei Paraden, im Felde
und im Manöver) getragen werden.
— Dr. jur. Qu andt, der bisherige Direktor der
v. Dreyse'schen Werke in Sömmerda, ist, dem Berl. Tage-
blatt zufolge, als Handelsattache an das deutsche General-
konsulat in Konstantinopel berufen worden.
Baden. K arlsruhe, 27. Juni. Die Bad. Korrcsp.
erfährt von durchaus zuverlässiger Seite, daß der Ankauf
der Bad. Landesztg. durch die nationalliberale
Partei als gesichert zu betrachten ist.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben die
praktischen Aerzte Leo Müller in Karlsruhe und Dr. Alfons
Mermann in Mannheim zu Medizinalrätyen ernannt.
— Expeditionsassistent Josef Meyer in Hausach wurde nach
Offenburg und Expeditionsassistent Heinrich Schaffer in
Emmendingen nach Hausach versetzt.
Karlsruhe, 27. Juni. Der Großherzog und
die Großherzogin trafen heute Morgen ^9 Uhr von
Schloß Baden hier ein und nahmen um 9 Uhr an dem
vor Eröffnung der evangelischen Generalsynode in der
Schloßkirche abgehaltenen Gottesdienst theil. Hierauf
empfingen Ihre Königlichen Hoheiten die Mitglieder der
Synode im Grobherzoglichen Schloß. Die letzteren wur-
den dem Großherzog durch den Präsidenten des Evang.
Oberkirchenraths Dr. Wielandt, der Großherzogin durch
den Prälaten Schmidt vorgestellt. Die Rückkehr der Groß-
herzoglichen Herrschaften nach Schloß Baden erfolgt um

Fürstin Natalie.
Novelle von L. N. Satalin. Aus dem Russischen von
7) Eduard Baus«.
(Fortsetzung.)
Die Fürstin schien zu glauben, daß diese wenigen Worte
für mich, die ich doch eine ganz junge Frau bin, genügten,
vielleicht auch schon zu viel seien; und wie unabsichtlich,
wandte sie sich nachlässig ad und fragte herablassend eine
dicht neben ihr sitzende ältere Dame:
^Stnd Sie schon lange vom Lande zurückgekehrt?'
Dieselbe wurde verlegen, errötbete, und begann stammelnd
etwas zu erzählen.
„Ich konnte jetzt ein wenig ausathmen und fing an, die
Gäue gleichgültig zu mustern. Es waren fast nur Damen,
welche, einen regelrechten Kreis um die Dame des Hauses
bildend, meist auf kleinen, vergoldeten Rohrstüblen saßen. Die
Mehrzahl der Anwesenden, darunter auch die verlegene, ält-
liche Dame, kannte ich nicht.
„Wie mag es nur kommen", dachte ich bei mir, „daß diese
Dame, die meine Mutter sein könnte, wie ein junges Mädchen,
auf einem unbequemen Stuhl paradiren muß, während ich,
eine ganz junge Frau, den Ehrenplatz neben der Fürstin ein-
nehmen darf." Bei diesem Gedanken wurde mir ordentlich
unheimlich zu Muthe. Aber ich hatte schnell begriffen, woran
es lag, und war beruhigt. — Die Dame war von neuem
Adel, die Fürstin hatte uns nach dem Alter des Stamm-
baumes placirt. Ich wollte meine Beobachtungen sortsetzen,
als mich plötzlich ein unbestimmtes Etwas veranlaßte, mich
umzudrehen. — Ich traute kaum meinen Augen. — Hinter
der Causeuse, aus welcher ich neben der Fürstin sitze, steht in
geringer Entfernung ein Theetischchen, an welchem die Tochter
des Hauses beschäftigt ist und sich mit Mstißlaff unterhält. —
Unsere Blicke begegnen sich und aus meinen fragenden Augen -
aufschlag antwortete er mit einem gutmüthigen, zärtlichen
Lächeln, wie ich es bei ihm noch niemals kennen gelernt habe.

Seine Augen strahlen förmlich, sei es vor Glück oder vor
Zufriedenheit, und mir wird plötzlich so leicht und so froh
ums Herz wie nie zuvor. Unter dem Einfluß seines warmen,
zärtlichen Blickes ist der Groll, den ich gegen meinen Gatten
hegte, verschwunden wie der Schnee unter den Strahlen
der Frühlingssonne, vorbei ist es mit meiner Furcht vor der
Fürstin Bjelski und voll Selbstvertrauen lasse ich mich mit
meiner Nachbarin zur Linken in ein Gespräch ein.
Wiederum erscheint im Thürrahmen derselbe Lakai, welcher
mich in den Empfangssalon geführt hatte, und meldet mit
vernehmlicher Stimme:
„Die Fürstin Mjedjenski, Baronesse Rudini, Herr von
Falkcnbura!"
Es entsteht eine Bewegung. — Einige Gäste, welche schon
früher erschienen waren, benutzten die Gelegenheit, sich zu
empfehlen. — Die Neuangekommenen treten ein. — Ohne sich
von ihrem Sitze zu erheben, nimmt die Fürstin den Abschieds-
gruß der einen entgegen und beißt die andern willkommen.
— Die Gunst des Augenblicks ermöglicht es mir, mich von
dem Ehrenplatz, den ich bis jetzt emnahm, zu entfernen, um
ein bescheideneres Plätzchen aufzusuchen. — Nach einer Minute
befindet sich alles andere wieder in der gebührenden Rang-
ordnung. — ^ ,
Die Fürstin Mjedjenski und die Baronesse Rudini sehe
ich heute zum ersten Mal; aber Herr von Falkenburg ist ein
alter Bekannter von mir. Von ganzem Herzen freute ich
mich, als er gemeldet wurde. Sein Erscheinen war für mich
eine große Ueberraschung; denn ich hatte ihn seit seiner Rück-
kehr aus dem Auslande noch nicht gesehen- — Ich kenne ihn
schon sehr lange- — Er stammt aus den baltischen Provinzen
und war lange Beamter im Ministerium der auswärtigen
Angelegenheiten. — Trotzdem er erst sünfunddreißig Jahre
alt ist, wurde er doch vor einigen Jahren bereits^ als Le-
gations-Sekretär bei der Botschaft in P- angestellt. So lange
er sich hier in der Residenz aufhielt» verkehrte er viel im
Hause meiner Verwandten, und ich bin ihm vielleicht näher
getreten, als dies sonst Sitte ist. — Seit feiner Beförderung
zum Legations-Sckretär habe ich ihn nicht wieder gesehen. —

Gleich bei seinen« Eintreten in Len Salon hatte er mich be-
merkt und begrüßte mich freudestrahlend, indem er mir die
Hand entgegenstreckte.
„Natalia Sergejewna, wie ich mich freue, Sie zu sehen!
— Wahrhaftig, Sie sind noch immer dieselbe verteufelte, kleine
Gräfin von ehedem I"
„Ich bin aber gar keine kleine Gräfin mehr, sondern seit
mehreren Monaten bereits eine wirkliche Fürstin."
Ich stockte unwillkürlich, — es war mir, als müßte ich
hinzufügen: „und gar nicht mehr verteufelt." Ich hielt jedoch
eine solche Bemerkung meinem Gatten gegenüber für taktlos,
da dieselbe irgendwelche Rückschlüsse auf unser eheliches Glück
zugelassen hätte- — Niemand, nein niemand durfte erfahren,
daß diese Ehe nicht aus Liebe, sondern nur aus gegenseitiger
Hochachtung geschlossen war.
Falkenburg strahlte vor Freude.
„Was sagen Sie? — So ist es also wahr? Sie sind
verheiratbet? — Vor drei Monaten etwa erhielt ich die
Nachricht, daß Sie mit dem Fürsten Brjänski verlobt seien;
aber von der inzwischen stattgehabten Hochzeit hat mein Ge-
währsmann, — weshalb weiß ich nicht — es unterlassen,
mich in Kenntniß zu setzen. — Möge Gott Ihnen Glück ver-
leihen, ungetrübtes Glück! — Sie sind schön und haben ein
edles Gemüth, Gräfin! — xarckou Fürstin! — Mit Ihnen
muß jeder leben wie im Paradiese. Ich kann mir vorftellen,
wie er sie liebt."
Seine überschwänglichen Redensarten, — Falkenburg ist
eine sentimental angelegte Natur, ich möchte ihn fast einen
Schwärmer nennen, und hat trotz seiner Hünengestalt in
seinem Wesen etwas Weibliches, — um nicht zu sagen
Weibisches, — waren geeignet, mir die Laune zu verderben.
Wie weit enifernt ist er von der Wirklichkeit. — Wenn er
die ganze Wahrheit wüßte! —
„Aber wo ist Ihr Herr Gemahl? — Ich habe ja ganz
vergessen, nach der Hauptperson zu fragen!"
„Dort sitzt er," lagte ich, mit dem Kopf in der Richtung
auf Mstißlaff zunickend.
„Ah! . . . -" (Fortsetzung folgt.)
 
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