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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0657

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monatlich 50 Pf.
frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
Vierteljahr!. 1.25
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. Gratis-Anschlag
der Inserate auf den Plakat-
v tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82.
X,-. 146.

Montag, dkn 26. Juni

Fernsprech-Anschluß Nr. 82
I89S.

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werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
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gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.

Die Lage in Frankreich.
Unmöglich, so schreibt der Pariser Korrespondent der
Siraßb. Post, ist es vorauszusehen, wie sich die allge-
meine Stimmung über die seltsame Gruppirung
Waldeck Gallifet-Millerand entwickeln wird. Irgend ein
Zufall kann den Ausschlag geben. Jedenfalls ist es ein
großer Vortheil für die Politiker, die Journalisten und das
Publikum, daß sie bis Montag (also bis heute) Zeit haben,
sich an den Anblick eines solchen Kabincts zu gewöhnen
und sich zugleich die Gefahren zu vergegenwärtigen, die
der Sturz des Kabinets herbeiführen würde. Der Zwie-
spalt unter den Sozialisten scheint weniger bedenklich, als
das Abwarten der Mölinisten, die bis jetzt zu dem Kabinet
keine Stellung genommen haben. Den Sozialisten ist die
Billigung des Kabinets mit Gallifet eigentlich unmöglich,
wenn sie nicht ihre Vergangenheit verleugnen wollen.
Ganz besonders würde der sozialistisch-radikale Camille
Pelletan in Verlegenheit gerathen, weil er in seinem be-
rühmten Buch über die Kommune den General Gallifet in
den grellsten Farben geschildert hat. Trotzdem nimmt man
an, daß die Sozmlisten, sobald sie ihrer Entrüstung Luft
gemacht haben, mit Rücksicht auf die zu erreichenden Ziele
gute Miene zum bösen Spiel machen werden. Es gilt für
ein gutes Zeichen, daß bis jetzt noch keine Interpellation
angekündigt worden ist.
Aehnlich wie dieser Stimmungsbericht, so lauten auch
die Pariser Meldungen in andern deutschen Blättern.
Ueberall wiederholt sich folgender Gedankengang: Die Zu-
sammensetzung des Kabinets aus Elementen, die so wenig
zu einander passen wie der konservative Aristokrat Gallifet
und der sozialistische Zeitungsschreiber Millerand, erregt
Sensation; die Parteien wissen noch nicht recht, wie sie sich
zu dieser Ueberraschung stellen sollen; es scheint aber, daß
Waldcck-Rousscau einen glücklichen Gedanken gehabt hat,
als er dieses Kabinet zusammenbrachte. Alle Welt sagt
sich, es müsse doch ziemlich kritisch um die Ruhe des
Staates stehen, wenn solche Leute sich die Hände reichen,
um die bestehende Staatsform gemeinsam zu schützen; da-
rum werden sowohl die äußersten Radikalen, wie die
gemäßigten Republikaner, die Melinisten, sich bedenken,
die Regierung gleich wieder zu stürzen; es ist vielmehr zu
vermuthen, daß das Kabinet, wenn es sich am Montag
der Kammer vorstellt, eine starke Mehrheit erhält.
Inzwischen hat die neue Regierung zwei Rund-
schreiben erlassen, die einen guten Eindruck machen.
Der Ministerpräsident sandte eines an alle Präfekten,
worin er sagt:
Das jetzige Ministerium ist gebildet worden, um der von der
Kammer am 12. angenommenen Tagesordnung zu entsprechen.
Das Ministerium hat die Aufgabe übernommen, die Republik
zu vertheidigen, eine Aufgabe, welche den Parteigeist ausschließt.
Dies genügt, um Ihnen Ihr Verhalten vorzuzeichnen. Sie haben
mir über jeden Vorgang Mittheilung zu machen, welcher Ver-
letzung des Gesetzes oder Störung der öffentlichen Ruhe zur
Folge haben könnte. Sie werden nöthigenfalls auf eigene
Verantwortlichkeit ohne Verzug zu handeln haben. Es scheint,
daß sich bisher nichts ereignet hat, worüber Sie zu berichten ge-
habt hätten. Die Regierung rechnet auf Ihren Pflichteifer und
Ihre Ergebenheit.

Fürstin Natalie.
Novelle von L. N. Satalin. Aus dem Russischen von
5) Eduard Baus«.
(Fortsetzung.)
.Wissen Sie, Oberst," unterbrach Brjänski ihn schroff, .die
Franzosen sagen: ,los xsuplos n'ont gus Is gouvsrnomont,
M'ils rnöritont.' Auf Sie angewendet, möchte ich sagen: ,lss
Lommos n'ont guo Ion komm68, gil'ils inöritont? Ich möchte
Ihnen den guten Rath geben, wenn Sie in den Kreisen, in
denen Sie zu Verkehren pflegen, keine Frau finden können,
auf deren Ehrenhaftigkeit Sie bauen dürfen, nur ja den sich
selbst geleisteten Eid nicht zu verletzen."
Und, ohne den verlegen lächelnden Fomin noch eines
Blickes zu würdigen, wandte er sich der Gruppe zu, in deren
Mitte Tsckilljajeff bereits seine Verse vorlas.
Als man sich anschickte, nach Hause zn fahren, Verließ
Brjänski die Gesellschaft unter dem unangenehmen Eindruck,
Welchen die Szene mit dem betrunkenen Fomin auf ihn ge-
wacht hatte. Ein Gefühl, als habe er nickt genug Selbst-
beherrschung bewiesen und sei uunöthiger Weise heftig ge-
worden, überkam ihn. und dies Gefühl erregte in ihm eine
gewisse Unzufriedenheit mit sich selbst.-„Durste ich mich
denn überhaupt über einen Menschen aufregen, der nicht
wußte, was er sprach?" — fragte sich der Fürst auf dem
Heimwege, blieb sich aber die Antwort schuldig.
In schlechter Laune war er nach Hause zurückgekehrt und
batte sich sofort in sein Arbeitszimmer begeben, um sich noch
Wissenschaftlich zu beschäftigen. Anfangs war er außer
Stande, seine Aufmerksamkeit aus die vor ihm liegende Arbeit
Ku konzenlriren; nervös wandte er die schon durchlesenen
Blätter wieder um, weil er in der Zerstreuung ihren Inhalt
Wieder vergessen hatte. Allmählich jedoch begann er, sich in
>eine Arbeit zu vertiefen, dieselbe fing an, ihn zu interessiren,
^nd, als er sich nach ein Uhr wieder vom Schreibtisch erhob,
batte er seine Ruhe vollkommen wieder gewonnen.

Und der Kriegsministcr de Gallifet richtete an die
kommandirenden Generäle ein Rundschreiben, worin es
heißt:
Zu meinem großen Bedauern habe ich aus der Zurückgezogen-
heit heraustreten müssen, um gegenüber dem Lande und der
Regierung der Republik die Verantwortlichkeit für das Heer zu
übernehmen. Ich empfinde hierüber großen Stolz und durchaus
keinen Schrecken. Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, daß ich für
die Führer des Heeres dieselbe Verantwortlichkeit trage, mit der
Sie mir gegenüber mit Ihrer Person für alles basten, was sich
innerhalb Ihres Wirkungskreises ereignet. Ich zähle auf Sie,
wie Sie auf mich rechnen können, de Gallifet.

Von der Friedenskonferenz.
Amsterdam, 24. Juni. Der gestern in der Ersten
Kommission vorgelegte russische Abrüstungs-Vor-
schlag wurde nach der Franks. Ztg. eingeleitct durch eine
Rede Baron Staal's, die ein historisches Resums über
dessen Entstehung gab. Hätten auch die damit in Ver-
bindung stehenden Detailanträge zur Herbeiführung einer
Beschränkung der Ausgaben für Heer und Marine keine
gute Aufnahme gesunden, so bleibe doch noch die Erörterung
der Hauptfrage übrig: wie den übermäßigen Rüstungen
ein Halt zu gebieten sei. Die sofortige Reduktion der
Streitkräfte schlage Rußland deßhalb nicht vor, weil es
glaube, daß eine mehrere Jahre hindurch eingchaltene
Nichtvermehrung der Rüstungen die alsbaldige Reduzierung
derselben nothwendigerweise im Gefolge haben werde. Die
alsdann durch den russischen Obersten Gilinsky vorgelesenen
Anträge enthalten folgende drei Punkte: 1. Nichtver-
mehrung der Friedenspräsenzstärke der in den Haupt-
plätzen (Llstropoles)) liegenden Truppen; 2. Festlegung
der Zahlen der Friedenspräsenzstärke der Heere aller Mächte
mit Ausnahme der Kolonialarmee; 3. Beibehaltung oder
Nichtvermehrung der gegenwärtig in Geltung befindlichen
Militärbudgets. Diese Bestimmungen sollen zunächst auf
fünf Jahre Gültigkeit haben, für die Marine, auf die
sie in entsprechender Weise gleichfalls Anwendung finden,
nur auf drei Jahre, die zum Bau eines Panzerschiffes
erforderliche Zeit. Mit Rücksicht auf die weittragende Be-
deutung der russischen Anträge trat die Kommission nicht
in eine sofortige Behandlung ein, sondern vertagte sich bis
Montag. Interessant ist die zu Gunsten der Kolonial-
truppen gemachte Ausnahme, die namentlich England im
Hinblick auf gewisse Eventualitäten die Hände völlig frei
läßt, aber auch Rußland die weitere Vermehrung seiner
Streitkräfte in Ostasien ungehindert gestattet. (Wir möch-
ten den deutschen Vertretern empfehlen, folgenden Unter-
antrag zu stellen: „Da die Billigkeit es erheischt, daß die
Mächte sich einer gleichwerthigen Kontrolle in Bezug auf
ihren Heeresetat unterwerfen, so sind alle Staaten, die
dem russischen Vorschlag beitreten, gehalten, den Heeresetat
jährlich durch die Volksvertretung feststellen zu lassen."
Vielleicht verliert der russische Vorschlag dann für den
Zaren etwas von seiner Süßigkeit. Red.)

Verbotene Bismarckehrnng.
Halle a. S., 23. Juni. Bei Gelegenheit eines zu
Ehren des Angedenkens Bismarcks von der hiesigen ge-
sammtcn Studentenschaft — auch die katholische Verbin-
dung hatte sich angeschlossen — veranstalteten Fackelzugs
sollten auf Bismarck Reden gehalten werden. Diese wur-
den jedoch vorher untersagt. Als nun gegen Schluß
des imposant verlaufenen Zuges ein Student ein Hoch aus
den Kaiser ausbringen wollte und hierzu gerade ansetzte,
wurde ihm dies trotz seiner Erklärung, daß es sich um ein
Kaiserhoch handle, von dem Aufsicht führenden Polizei-
Jnspeetor verboten. Als die Feier ihr Ende erreicht batte

Obwohl er überzeugt war, daß seine Gattin im Falle ihrer
Rückkehr aus Zarskoje Ssclo ihn ausgesucht haben würde,
schellte er doch, und erkundigte sich bei dem eintretenden
Kammerdiener» oh die Fürstin sich in ihren Gemächern be-
fände. Die Antwort fiel, wie er erwartet haben mußte, ver-
neinend aus. Trotzdem begann er zu überlegen, ob wohl seine
Gattin durch irgend einen triftigen Grund zu dieser zwei-
tägigen Trennung von ihm und Petersburg veranlaßt sein
könnte. — Was, wenn sein Haus und er selbst sie garnicht
anzögen, — wenn sie froh wäre. ihn. wenn auch nur auf
kurze Zeit, verlassen» und sich bei ihrer Freundin das Herz
erleichtern zu können!
Freilich, Fomin war berauscht, und was er sagte, absurd,
dachte er gereizt, — aber ein Körnchen Wahrheit lag doch in
seinem Gerede. Er hat recht, ein vierzigjähriger, in der
Schule des Lebens gereister Mann ist nicht immer im Stande,
aus die Interessen einer jungen, lebenslustigen Frau einzu-
gehen, und häufig geht ihm auch, trotz besten Wollens, die
Fädigkeit ab, ihre Wünsche und Neigungen richtig zu erkennen.
Ein solcher Mann kann für sein Weib nicht die Liebe der
ersten Jugend empfinden, die Ehe mag ihm sogar zuweilen
als eine Last erscheinen, aber das beiderseitige Leben der
Gatten ist fest miteinander verknüpft, und die Frau nimmt
dem Mann manche Sorge ab. Darum ist er verpflichtet,
alles zu thun, um seine Gattin glücklich zu machen, und das
Bestreben, ihr das Dasein nach Möglichkeit zu erleichtern,
muß die Grundlage seines Verhaltens ihr gegenüber sein.
Nachdem er sich so ein klares Bild von seiner zukünftigen
Stellung Natalien gegenüber gemacht hatte, schlief er mit
einem gewissen Gefühl der Erleichterung ein.
H.
Aus Nataliens Tagebuch.
5. Januar.
Heute hatte ich mich unglücklicher Weise beim Frühstück
wieder verspätet; das ist in den Augen meines peinlich pünkt-
lichen Gatten ein schweres Vergehen. Seit dem frühen
Morgen war ich von einem Magazin ins andere gefahren,

und die Fackeln schon zusammengeworfen wurden, glaubte
der Jnspcctor die Erlaubniß ertheilen zu dürfen. Die
Studentenschaft verzichtete jedoch nunmehr darauf. In der
sofort anberaumten Ausschußsitzung der Studentenschaft
wurde das eigenthümliche Verhalten der Polizei aufs nach-
drücklichste getadelt und der Beschluß gefaßt, dem Kaiser
durch ein Telegramm über den Vorfall Bericht zu er-
statten und sich gleichzeitig mit einer Beschwerde an den
Regierungspräsidenten zu wenden. Der unbegreifliche Ein-
griff der Polizei wird hoffentlich die gerechte Sühne fin-
den. Der Studentenausschuß wird morgen ein Rund-
schreiben an die gesammte Presse erlassen.

Deutsches Reich.
— Die Verwendung von Offizieren und Ver-
kehrstruppen in unseren Kolon! een hat eine Er-
weiterung erfahren, indem der Kommandeur des Eisenbahn-
regimentS Nr. 1, Oberstleutnant Verding, und der Haupt-
mann Pophal vom Eisenbahnregiment Nr. 3 unter Stellung
L In suits ihrer Regimenter nach Südwestafrika komman-
dirt worden sind. Das Kommando des Erstgenannten
dürste mindestens sechs Monate dauern und hat die Prü-
fung der Verhältnisse für die Weiterführung der Bahn
von Swakopmund nach Windhoek zum Zwecke. Haupt-
mann Pophal soll den Bau und Betrieb der Eisenbahn
in Südwestafrika übernehmen, zu welchem Zwecke er längere
Zeit bei der Betriebsabtheilung der Etsenbahnbrigade thätig
gewesen ist. Beide Offiziere sind aus dem Jngenieurkorps
hervorgegangcn und stehen bereits seit 25, bezw. 15 Jahren
bei der Eisenbahntruppe, sodaß sie für die einschlägigen
Verhältnisse die erforderliche praktische Erfahrung besitzen.
— Wie das Verl. Tagebl. erfährt, ist der bisherige
kaiserliche Richter im Bismarck-Archipel, Haal, zum
Landeshauptmann der Karolinen ausersehen und
wird nach Beendigung seines Urlaubs, den er zur Zeit
in Deutschland verbringt, seinen neuen Posten antreten.
— Der Lokalanzeiger meldet aus Tsintau, die Ein-
wohner verschiedener um Kaomie gelegener Dörfer zer-
störten die von deutschen Ingenieuren dort unternommenen
Bahnbauarbeiten. Hauplmann Mauwe, der Chef der ersten
Kompagnie des Seebataillons, wurde mit 80 Mann und
16 Reitern an Ort und Stelle geschickt, um die Ausstän-
digen zu züchtigen.
Friedrichsruh, 24. Juni. Vor der Grabkapelle
und am Sarkophag Fürst Bismarcks wurde heute
eine erhebende Trauerfeier gehalten. Delegirte der
deutschen Hochschulen legten Kränze nieder, worauf stuck.
Bredereck-Berlin eine zündende Ansprache hielt. Nach Schluß
der Feier sprach Fürst Herbert Bismarck bewegten Herzens
seinen Dank für die dem Andenken seines Vaters gebrachte
Huldigung aus.
Stettin, 24. Juni. Der König von Sachsen
traf Vormittags auf der Werft „Vulkan" ein und wurde
von Mitgliedern des Anssichtsraths empfangen. Der König
übertrug den Taufakt für den für den Nordd. Lloyd
erbauten Reichspostdampfer „König Albert" der Ge-
mahlin des sächsischen Gesandten in Berlin, Gräfin Hohen-
thal, nachdem er vorher eine kurze Ansprache gehalten
hatte. Nach dem Taufakt bestieg der König den Dampfer
„Germania" und fuhr um 12 Uhr nach Hertngsdorf.
Kiel, 24. Juni. Der Kronprinz und die Kron-
prinzessin von Griechenland sind heute Vormittag
10'/, Uhr hier eingetroffen und auf dem Bahnhof von
dem Kais et und der Kaiserin, der Prinzessin Heinrich
und dem Prinzen Waldemar, der Herzogin Friedrich
Ferdinand von Schleswig-Holstein-Glücksburg empfangen

um einen für den Rauchsalon passenden Teppich zu kaufen.
Es war halbein Uhr, als ich zu Hause anlangte und mich
sofort in den Speisesaal begab. Beim Eintreten sehe ich
Mstißlaff. seinen Schnurrbart drehend, — ein Zeichen des
höchsten Grades von Ungeduld, — auf und ab gehen. Kaum
hatte er mich gesehen, als er auch schon auf mich zukam und,
mit vor schlecht verhaltenem Zorn leicht zitternder Stimme
sagte:
„Natalie, Du hast Dich schon wieder verspätet! Sollte
man Dich früher wirklich nicht zur Pünktlichkeit angehalten
haben?"
Das Blut stieg mir zu Kopfe- Diese häufigen Moral-
Predigten werde ich nicht mehr lange aushalten können, auch
steht es mir nicht an, immer die Rolle des ungezogenen
Kindes zu spielen, das fortwährend ausgescholten wird.
Dennoch bemühte ich mich, kaltblütig zu erscheinen, und
erwiderte ruhig:
„Verzeihung, Mstißlaff, ick sah mich in einigen orien-
talischen Bazaren nach einem Teppich für das Rauchzimmer
um. Im neuen Kaufhaus habe ich einen wundervollen Dag-
Hestan-Teppich entdeckt, der ausgezeichnet paßt. — Ich ver-
spreche Dir übrigens, in Zukunst pünktlicher zu sein."
In seinen Zügen drückte sich Langweile aus und eine un-
geduldige Handbewegung bekundete dasselbe. Dann sagte er
halb gleichgültig, halb zerstreut:
„Nun so kaufe ihn doch! — Du weißt, ich verlasse mich
vollständig auf Deinen guten Geschmack."
„Willst Du ihn aber wenigstens nicht vorher aniehen?
Vielleicht gefällt er Dir doch nicht."
„Mir gefällt alles, was Deinen Beifall findet."
Sich leicht verbeugend küßte er mir die Hand. Sein Un-
wille war vollständig verrauscht, und er hatte die Herrschaft
über sich selbst wiedergewonnen.
(Fortsetzung folgt).
 
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