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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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58.

Aanlikrstaß, den 9. Mär?

1899.

Fürsorge für die Angestellten des Handels-
gewerbes.
Nachdem durch das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897
eine zweckmäßige Regelung der rechtlichen Verhältnisse der
Angestellten im Handelsgewerbe erfolgt ist, beabsichtigt die
dem Reichstage zugegangene Novelle zur Gewerbeordnung,
die bereits geltenden Vorschriften zum Schutze der Ge-
hilfen, Lehrlinge und Arbeiter in offenen Läden weiter
auszugestalten und auf eine festere Unterlage zu bringen,
sowie die sozialpolitischen Interessen dieser Berufsstände zu
ordnen. Zu diesem Zwecke soll der Gewerbeordnung eine
Reihe neuer Paragraphen eingefügt werden.
Den in offenen Verkaufsstellen beschäftigten Per-
sonen, auch den Geschäftsdicnern, Packern u. s. w., soll
in Zukunft nach beendetem Tagewerk eine Ruhezeit von
Mindestens 10 Stunden gewährt werden. Außerdem ist
allen diesen Personen eine angemessene Mittagspause ein-
zuräumen. In der einen wie in der anderen Richtung ist
der vorliegende Gesetzentwurf, welcher übrigens die Allein-
betriebe seiner Natur nach nicht berührt, bestrebt, den
thatsächlichen Zuständen der Gegenwart die größtmöglichste
Schonung angedeihen zu lassen. Er verzichtet auf die
Festsetzung bestimmter Ruhepausen während der Laden-
stunden und begnügt sich damit, bei solchen Geschäften,
welche ihr Personal selbst beköstigen, den Ladeninhabern
lediglich die G Währung einer „angemessenen" Pause zur
Einnahme der Hauptmahlzeit zur Pflicht zu machen. Nur
für die außerhalb des Geschäfts beköstigten Personen wird
eine feste Mittagspause in Aussicht genommen, deren
nähere Regelung den mit den örtlichen Lebensgewohn-
heiten vertrauten Gemeindebehörden überlassen bleibt; das
Gesetz verlangt einzig, daß für die Mittagszeit mindestens
eine volle Stunde angesetzt wird.
Ferner ist von einer Normirung der Arbeitszeit durch
gesetzliche Festlegung einer allgemeinen Schlußstunde für
den Ladenbetrieb Abstand genommen worden. Der Ge-
schäftsverkehr an sich bleibt unberührt, nur die Ruhezeit
des Hilfspersonals wird im oben angegebenen Umfange
borgeschrieben. Etwas Anderes ist es, wenn, wie vielfach
geschehen, die Geschäftsinhaber selbst eine Abkürzung der
Ladenzeit herbeizuführen wünschen. Die Novelle zur Ge-
werbeordnung bestimmt, daß solchenfalls durch die höhere
Verwaltungsbehörde auf Antrag von mindestens zwei
Dritteln der betheiligten Ladeninhaber für einzelne oder
5ür mehrere örtlich unmittelbar zusammenhängende Gemein-
den nach Anhörung der Gemeindebehörde für alle oder
einzelne Geschäftszweige der Schluß der Läden während
einer näher zu bestimmenden Zeit von 8 Uhr Abends bis
6 Uhr oder, wenn der Schluß der Verkaufsstellen auf 9
Uhr Abends festgesetzt wird, bis 7 Uhr Morgens ange-
ordnet werden kann. Ein solcher Zwang zum Ladenschluß
erscheint gerechtfertigt, wenn eine Minderheit von Handel-
lreibendeu den bezüglichen Beschlüssen der großen Mehr-
heit sich widersetzt und dadurch die letztere nöthigt, ihre
Läden gleichfalls offen zu halten, um nicht der Konkurrenz
einen Vorsprung einzuräumen.
Auf Grund des Handelsgesetzbuches sind die Ge-
schäftsinhaber bereits gegenwärtig verpflichtet, die Ge-
schäftsräume und die für den Geschäftsbetrieb erforder-
lichen Geräthschaften so einzurichten und zu unterhalten,
auch den Geschäftsbetrieb und die Arbeitszeit so zu regeln,
haß der Handlungsgehilfe gegen eine Gefährdung seiner
Gesundheit, soweit die Natur des Betriebes es gestattet,
geschützt und die Aufrechterhaltung der guten Sitten und
des Anstandes gesichert ist. Jedoch hat die Mißachtung
dieser Vorschriften lediglich die Schadensersatzpflicht zur

Der erste Maskenball.
12) Novelle von I« Leopold Schienen.
(Fortsetzung.)
- Dadurch kam es. daß die Frau Professorin, Waldheims
Dante, lange mit Ada allein war und vollauf Gelegenheit
batte, den blonden Lockenkopf immer lieber zu gewinnen.
Sie hatte bald das Gespräch auf den Maskenball bet dem
Präsidenten gelenkt: aber wie geschickt sie auch ihre Fragen
Mellt, Ada verrieth weder durch eine Miene noch durch ein
Kort ihr junges Geheimntß. Ihr munteres natürliches
Kesen ließ es nicht auffällig erscheinen, daß sie durch einen
"essenden witzigen Einwand das Gespräch ihrer Gegnerin
rntwand und auf ein ganz anderes Thema übersprang. Und
Ȋs wiederholte sich, so oft die Professorin auf den Masken-
ball zurückzukommen suchte.
„ Zu Adas Glück kehrte jetzt Mathilde zurück, denn schließ-
lich hätte die Professorin sie doch in die Enge getrieben.
, Ein verstohlenes Augenblinzeln Mathildens war Ada
N verständliches Zeichen. Sie nahm ihrer Kousine die
Notenmappe ab, und während Matbiloe die Professorin be-
willkommnete und von dieser vom Scheitel bis zur Sohle
detrachret wurde, bemächtigte sich Ada unbemerkt des zwi-
lchen den Noten liegenden Briefes mit der Aufschrift „U. 2"
stnd schlüpfte in ihre Stube, deren Thür sie sorgfälltig hinter
nch verschloß.
., „Mädchen, wie groß und schön Du geworden bist." sagte
Ae Professorin zu Mathilde, ihre Hände auf deren Schulter
wgend, „Du bist größer als Deine Kousine."
„Ich bin ja auch ein Jahr älter!"
„Wie alt bist Du denn schon?"
^ „Ach Tantchen, schon sehr alt — im nächsten Monat
Neunzehn Jahre."
„Neunzehn Jahre und keinen Mann! Wie steht's Venn?"
„Damit hat's noch gute Wege."
„^ft noch nicht eine kleine Neigung im Gange? Kannst

Folge; dagegen kann bis jetzt der Geschäftsinhaber nicht
wie die übrigen Gewerbetreibenden mit Hilfe des staat-
lichen Zwanges angehalten werden, jenen Verpflichtungen
durch geeignete Einrichtungen und Vorkehrungen gerecht zu
werden. Daher soll den Polizeibehörden das Recht über-
tragen werden, für einzelne offene Läden diejenigen Maß-
nahmen anznordnen, welche zur Verwirklichung der im
Handelsgesetzbuch enthaltenen wohlmeinenden Absichten er-
forderlich sind, während dem Bundesrath der Erlaß all-
gemeiner Anordnungen zur Regelung der gesetzgeberischen
Anforderungen zustehen soll. Auf diesem Wege könnten
die Prinzipale auch verpflichtet werden, für ihre Angehöri-
gen geeignete und ausreichende Sitzgelegenheit zu beschaffen.
Endlich soll die Verpflichtung des Prinzipals, die
Schulbildung seiner Gehilfen und Lehrlinge unter 18
Jahren zu fördern, erweitert werden. Die Lehrherren im
Handclsgewerbe waren bisher nur gehalten, die zum regel-
mäßigen Besuch der Fortbildungsschule erforderliche Zeit
zu gewähren. Künftighin soll den Prinzipalen die Pflicht
auferlegt werden, die bei ihnen bediensteten jungen Leute
zum Besuch der Fortbildung?- und der Fachschule anzu-
halten und den Schulbesuch zu überwachen, wie solches
durch die Gewerbeordnung auch von den Lehrherren in der
Industrie gefordert wird.
Die Gesammtheit der Maßregeln, welche zur Förderung
der körperlichen und geistigen Wohlfahrt des kaufmännischen
Hilfspersonals in der Gewerbeordnungsnovelle geplant
sind, geht auf die Beseitigung von Mißständen aus, über
die vielfach und aus den Reihen der verschiedensten Par-
teien mit Recht geklagt worden ist. Durch die Anträge
der verbündeten Regierungen soll die staatliche Sozialpolitik
um einen bedeutungsvollen Schritt weitergeführt und ein
neuer Baustein zur Gesundung des Mittelstandes herbei-
getragen werden.

Deutsches Reich.
— In der Budgetkommission desReichstags
wurde am Mittwoch der Titel: „Beihilfe für in den
Kolonien sich ansiedelnde deutsche Mädchen", nachdem die
Abgg. Bebel und Gröber die Forderung bemängelt hatten,
vom Direktor v. Buchka zurückgezogen. — Die Budget-
kommisston nahm sodann den Vertrag mit der Neu-
Guinea-Kompagnie an, betreffend Uebernahme der
Verwaltung des Schutzgebietes auf das deutsche Reich,
sowie den Etat des Schutzgebietes Ncu-Guinea. Dann
wandte sich die Kommission dem Militäretat zu. Der
Kriegsminister erklärt, es bestehe kein Kompromiß zwischen
Militärverwaltung und Centrum. Er erkenne das Ent-
gegenkommen des Centrums an, müsse aber an der Regie-
rungsvorlage festhalten. Die Verminderung um 7000
Mann würde viel Unzuträglichkeiten herbeiführen. Die
Budgetkommisston nahm indessen mit 19 gegen 7 Stimmen
den Antrag des Centrums an. die Gemeinen vom 1. Oct.
1899 allmählich bis 1903 auf 495 500 Mann zu erhöh n,
während die Regierungsvorlage die Erhöhung bis 1902
auf 502 500 Mann forderte. Die Kommission nahm
ferner den Antrag des Abg. Dr. Lieber an, welcher die
Formation der Kavallerie statt auf 482 Escadronen auf
465 Escadronen Kavallerie und 17 Escadronen Jäger zu
Pferde (Meldereiter) festsetzt. Sodann wurde einstimmig
eine Resolution betreffend den Burschendienst in der Fassung
Lieber angenommen, welche besagt, die Regierung wolle
miltheilen, in welchem Umfange gegenwärtig Mannschaften
des acriven Heeres zu einer die militärische Ausbildung
verdrängenden Beschäftigung herangezogen würden und wie
groß eventuell die Ausgaben seien zur Beschaffung von

Ersatzmitteln für solche. Ebenso wurde auf Antrag des
Grafen Stolberg eine Resolution angenommen, in den Etat
Mittel einzustellen, um den Freiwilligen, die das dritte
Jahr oder die Hälfte desselben im activen Dienst verbleiben,
eine Prämie oder höhere Löhnung zu gewähren.
— Die Commission des Reichstages für das Bank-
gesetz lehnte den Antrag auf Erhöhung des Grund-
capitals der Reichsbank auf 200 Millionen ab und nahm
in 2. Lesung mit 17 gegen 11 Stimmen die Regierungs-
vorlage, also 150 Millionen als Grundcapital, an.
— Die Novelle der Gewerbeordnung, welche
dem Reichstag zugegangen ist, führt auch die Con-
cessionspflich t der Gesindevermieth er und
Stellenvermittler ein. Dieselben sollen auch ver-
pflichtet werden, ihre Taxen der Ortspolizeibehörde ein-
zureichen und anzuschlagen. Ferner werden aus dem in
der Session 1895/97 unerledigt gebliebenen Entwurf die
Bestimmungen über die Einführung von Lohnbüchern
und Arbeitszetteln sowie über die Mitgabe von
Arbeit nach Hause an Arbeiterinnen und jugendliche Ar-
beiter in Vorschlag gebracht, mit einigen zum Theil nicht
unwesentlichen Abänderungen.
— In Gumbinnen fand das 150jährige Stiftung s-
fest des Ostpreußischen Füsilier-Regiments
Nr. 33 Graf Roon unter sehr zahlreicher Bet Heiligung
früherer Offiziere und Mannschaften des Regiments statt.
Das Regiment lag vor dem Kriege lange Jahre in Köln.
Von der Stadt Köln erhielt es einen prächtigen Pokal.
Auch fand in Köln eine Feier statt, an der sich viele ehe-
malige 36er betheiligten.
Baden. L. 6. Karlsruhe, 8. März. Eine wür-
dige Gedenkfeier veranstaltete heute Abend die Stadt Karls-
ruhe zu Ehren ihres verewigten großen Ehrenbürgers, des
Fürsten Bismarck. Der große Festhallesoal war von
einer illustren Gesellschaft dicht gefüllt. Wir bemerkten
unter den Anwesenden den Slaatsminister Dr. Nokk, die
Minister v. Brauer, Eisenlohr, Buchenberger, den
preuß. Gesandten v. Eisendecher, den commandirenden
General v. Bülo w, zahlreiche Hof- und Staatsbeamten,
Abgeordnete und viele Mitglieder der bürgerlichen Kollegien.
Punkt 8 Uhr erschienen der Grobherzog, die Groß-
herzogin und die Fürstin zur Lippe mit Gefolge.
Die Feier wurde eingeleitet durch Beethovens Sinfonia
Eroica (in Ls-ärrr), die von dem Großh. Hoforchester unter
Gorters Leitung musterhaft wiedergegeben wurde. Nach
einem vom Liederkranz vorgetragenen Männerchor bestieg
Prof. Dr. Gold sch mit das Podium, um in hehren, be-
geisterten Worten die Thaten und Verdienste des großen
Kanzlers zu feiern. Die Rede, ein Meisterstück oratorischer
Kunst und formvollendeter Sprache, machte auf alle An-
wesenden sichtlichen Eindruck. Der Aufforderung des Red-
ners nachkommend erhob sich am Schluffe der Rede die
ganze Versammlung von den Sitzen. Nach einem weiteren
Männerchor brachte Hofschauspicler Reiff drei Dichtungen
unseres vaterländischen Poeten Robert Haas zum Vortrag.
Wagners „Huldigungsmarsch" schloß sodann die Feier
wirkungsvoll ab. — Viel bewundert wurde die sinnige
Decoration des Podiums. Auf einem Treppenaufbau er-
hob sich, inmitten von Tannenzweigen, ein 10 in hoher
Obelisk mit dem Reliefbild des Fürsten Bismarck, modellirt
von Prof. Dietsche. Der Saal selbst war mit umflorten
Fahnen und Wappenschildern reich dekorirt. — Da zu der
Feier ziemlich hohe Eintrittspreise erhoben wurden, so dürfte
der Fond für das Bismarckdenkmal einen nennens-
werthen Zuwachs erfahren.
Badischer Landtag. L. 6. Karlsruhe, 8. März.
(124. öffentliche Sitzung der Zweiten Kammer.) Abg. Dr.

mir immer die Wahrheit sagen, brauchst nicht zu erröthen.
Ich war auch 'mal jung und weiß, wie es ist!
Mathilde lachte so hell und ungezwungen, daß die kluge
Frau, die Gewißheit hatte, hier sei nichts im Gange.
„Aber das Kousinchen, nicht wahr?"
Mathilde wurde durch die direkte offene Frage der Freun-
din ihrer Mutter so verwirrt, daß sie nicht gleich wußte,
was sie antworten sollte-
Die Professorin nahm das für ein Zugeständmß und fuhr
fort: „Ja. ja. ich kenne das. Ich habe es dem lustigen
Dinge gleich angemerkt. Ich weiß wie es ist. ich war ra auch
'mal jung. Eine schöne Zeit wo man liebt und heimlich
liebt!" Und leiser fuhr sie fort: „Wen liebt sie denn,
Thildchen? Erzähle mir's."
Mathilde schwirrte es vor den Augen. Sie wußte nicht,
was sie beginnen sollte. Durste sie das Geheimniß ihrer
Kousine verrathen? Aber die Professorin ließ nicht nach
mit ihren Fragen.
„Tantchen, ich darf nicht!" ^ ^ < .
„Mir darfst Du alles sagen: rch habe Erfahrung und
kann manchen Rath ertheilen."
„Du wirst es der Mama sagen!" .
Bon mir soll sie nichts erfahren, das verspreche ich."
„Aber auch Ada darf nicht wissen, was ich Dir an-

Und sie erzählte ihr alles, wovon die Professorin vieles
schon durch ihren Neffen erfahren hatte.
Mathilde erzählte der Tante, wie der Türke auf dem
Maskenball bei dem Präsidenten sich um Adas Gunst be-
worben. wie diese ihm in ihrem Uebcrmuth gesagt, sie habe
Sommersprossen im Gesicht und einen Höcker aus dem Rücken,
wie er aber gleichwohl von ihrem Wesen so entzückt sei, daß
er alles in Bewegung setzte, Adas Wohnung aufzufinden,
was sie ihm als Probe seiner Liebe gestellt habe, indem sie
ihm ihren Namen und Wohnung verheimlichte.

„Und er ist wirklich darauf eingegangen?" fragte die
Professorin. „Trotz Buckel und Sommersprossen?

Er versuchte es auf allen möglichen Wegen."
„Das nenne ich wirkliche Liebe!"
„Und damit er nicht schon am Ballabend über ihre Per-
son ins Klare kam, heuchelte sie ein Unwohlsein und wir
mußten mit ihr den Ball kurz vor der Dcmaskirung ver-
lassen. Stl es kommt jemand. Aber bitte, Tantchen,
schweige, daß ich geplaudert habe!"
'_ (Fortsetzung folgt.)

Stadt-Theater.
Fl Heidelberg, 9. März.
„Rigoletto", Oper von Verdi.
Victor Hugo's phantastische Dramenwelt mit ihren grellen
Kontrasten, ihren physischen und moralischen Krüppeln hat den
Verdi der Sturm- und Drangzeit mit starkem Reize angelockt.
Die Musik des genialen, aber damals doch erst ausreifendcn
Komponisten fühlt sich eben dieser Welt verwandt. Auch sie
hascht nach grellen Kontrasten, nach Bizarrem, oft Krankhaftem.
Und doch haben Opern wie „Ernani" und „Rigoletto" trotz ihrer
ungesunden Ingredienzen eine unleugbare Frische und Lebens-
kraft bewahrt. Wie viel auch von der Verdi'schen Kunst jener
Periode überwunden sein mag, was gut daran ist, ist modern
geblieben, und es ist noch sehr viel gut in diesen alten Verbl-
ichen Partituren. Verfällt auch der Komponist oft in er-
schreckende Trivialitäten, huldigt er gelegentlich der hergebrachten
häßlichen Arienschabloue, es steckt so viel ernste, scharfe Charak-
teristik in der Musik des „Rigoletto", sie bringt so wuchtige
Deklamation und oft solch packende dramatische Kraft, daß man
heute noch mit lebhaftem Interesse dem Werke folgt. Abgesehen
von anerkannten Schönheiten, wie dem prächtigen Quartett des
vierten Aktes (die allbekannte Tenorarie: „Ach wie so trügerisch"
gehört eigentlich zum Minderwerthtgen), ist besonders die Cha-
rakteristik des Narren Rigoletto musikalisch wundervoll und mit
ehrlicher Vertiefung durchgefuhrt.
Die hier zum ersten Male aufgeführte Oper huldigt einem
Styl, der ziemlich weit ab von dem unseren Kräften vertrauten
liegt. Musikdirektor Radigs sichere Hand hat sowohl den Choc
 
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