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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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Xr. 124.

Dienstag, den 30. Mai

I8SS.

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auf die Heidelberger Zeitung für den Monat Juni
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
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Expedition, Untere Neckarstr. 21, angenommen.
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wenn am Schalter abgeholt, 42 Pfg., mit Zustellgebühr
15 Pfg. weiter.
Der Dreyfrrs-Prozeß.
Paris, 29. Mai. Der Figaro schließt heute seine
Ausführungen über die Dreyfus-Sache. Das Blatt
erinnert an die Haussuchung von Bertulus und dessen
Unterredung mit Henry. Der Kassationshof habe sich
nur mit zwei durch das Schreiben des Justizministers be-
kannt gegebenen Thatsachcn befaßt, nämlich 1. den
Fälschungen Henry's von 1896, durch welche dessen
Zeugenaussage vor dem Kriegsgericht von 1894 verdächtig
erscheine und 2. mit der Schri ft Prüfung, welcher
das Bordcreau während des Prozesses Esterhazy unter-
worfen war, wobei es zu abweichenden Schlüssen gegen-
über den von 1894 kam und wonach Dreyfus nicht der
Urheber des Bordereaus sein dürfte. Ferner wurde fest-
gestellt, daß der ganze Prozeß von 1894 sich nur
auf das Bordereau und auf die Aussagen
Paty du Clam's und Henry's stützte und daß
zwei Schriftstücke fälschlich mit Dreyfus in Zu-
sammenhang gebracht wurden. Zum Schluß seiner Ueber-
sicht über den Dreyfushandel spricht der Figaro die Be-
fürchtung aus, daß die Revision mit Verweisung vor ein
neues Kriegsgericht die Krisis, unter welcher Frankreich
so schwer leide, um einige Monate verlängern könne. Die
Untersuchung habe die Unschuld des Dreyfus klar dar-
gethan. Warum sollte man nicht die Revision ohne Ver-
weisung vor ein neues Kriegsgericht beschließen?
Paris, 29. Mai. Heute ist nun der Kassations -
Hof zusammengetreten, um in der Dr eyfus-An gelegen-
heit das Urtheil zu fällen. Der Schlußakt in diesem
modernen militärisch-politischen Drama hat also begonnen.
In der Umgebung des Justizpalastes herrscht vollkommene
Ruhe, nur einige Dutzend bunter und zweideutiger Ge-
stalten waren vor der Pforte, die zum Schwurgerichtssaal
führt. Im Innern herrscht auffallende Leere. Der Zu-
schauerraum ist nur mäßig gefüllt. Um 12 Uhr 7 Minuten
ruft der Thürsteher, „der Gerichtshof!" Alle Häupter
entblößen sich. Unter ehrfurchtsvollem Schweigen tritt der
Kassationshof ein. An seiner Spitze der erste Vorsitzende
Mazeau und die drei anderen Vorsitzenden, daun der
Gencralstaatsanwalt Manau mit einem Stabe von sechs
Staatsanwälten, endlich 45 Mitglieder des Kassationshofes,
fast alle ergraute Männer, einige mit schneeweißen Häuptern,
alle in purpurnen, mit Hermelin besetzten Talaren, die noch
den ehrfurchtsvollen Eindruck des Alters erhöhten. Zahl-
reiche Richter haben die Sitze hinter den Kassationsrälhen
eingenommen. Außerdem ist eine große Anzahl von Ein-
geladenen erschienen, unter ihnen Jaurss, die Senatoren
Trarieux, Jean Dupuy, Verenger. Loew, der Vorsitzende
der Kriminalkammer, nimmt rechts von Mazeau Platz.
Ihm zur Linken setzen sich Tenau, Ballot-Beauprs, die
Vorsitzenden der beiden anderen Kammern. Auf der An-
waltsbank sitzen Demange, Mornard und Held. Der
Obergerichtsschreiber ruft die Angelegenheit Dreyfus auf
und der Vorsitzende giebt dem Berichterstatter Ballot-Beauprs
das Wort, der sofort in die historische Darlegung der
Angelegenheit eintritt.

Ballot-Beauprs erinnert daran, wie der Prozeß im
Jahre 1894 begann. Er erwähnt die Gutachten der
Sachverständigen, die Proteste Dreyfus', das Verhör von
Paty de Clam, den Bericht des Majors d'Ormescheville,
des Berichterstatters von 1894, der hervorhob, Dreyfus
habe erklärt, er kenne die im Bordereau erwähnten Schrift-
stücke nicht. Im weiteren Verlauf der Berichterstattung
stellt Ballot-Beauprs die strafbaren Machenschaften Henry's
und du Paty de Clam's gegen Dreyfus fest. Ballot-
Beauprs erklärt in seinem Bericht weiter, der Kassations-
hof habe nicht die Annullirung des Urtheils, sondern
nur die Revision zu erwägen, und begründet die Ver-
muthung eines Jrrthums; die sehr ernsten Zweifel bezüg-
lich der Schuld des Verurthcilten genügten, die Revision
herbeizuführen. Ballot-Beauprs untersucht, ob im vor-
liegenden Fall eine Revision nothwendig sei, und legt die
Thatsachcn dar, auf welchen das Revisionsgesuch beruhe.
Hierauf wird die Sitzung unterbrochen. Nach Wieder-
aufnahme der Sitzung hebt der Berichterstatter hervor,
einen wie bedeutenden Eindruck beim Prozeß von 1894
die Zeugenaussage Henry's gemacht habe, der damals
unter Eid versichert habe, daß Dreyfus schuldig sei. Er
weist ferner darauf hin, daß Henry stets Picquart gegen-
über eine feindliche Haltung, gegen du Paty de Clam und
Esterhazy aber eine freundliche Haltung eingenommen habe.
Die einzige Grundlage der Anklage, das Bordereau,
war ziemlich locker. Als man dies einsah, nahm man
seine Zuflucht zu den auffälligsten Gesetzesverletzungen, um
diese Grundlage zu befestigeu, man theilte dem Kriegs-
gericht geheime Aktenstücke mit, die nicht einmal auf Drey-
fus Bezug hatten. Die Wirklichkeit dieser Mittheilung
ergiebt sich aus der Aussage Casimir-Periers und aus den
Weigerungen Merciers und Boisdeffres, die Fragen, die in
dieser Beziehung an sie gerichtet wurden, zu beantworten.
Diese Antwortverweigerung war ein thatsächliches Ge-
ständniß. Jene gesetzwidrige Mittheilung von Schrift-
stücken könnte als Grund für die Nichtigkeitserklärung des
Urtheils angeführt werden. Ueberdies bildet sich auch eine
neue Thatsache im Sinne des Gesetzes. — Der Bericht
befaßt sich sodann mit der ersten neuen Thatsache, die in
dem Gesuch der Frau Dreyfus ausgeführt wird, mit der
Fälschung Henry's und erinnert an die Umstände, unter
denen im Generalstab selbst der Verdacht wach wurde, daß
ein Rechtsirrthum begangen worden sein könnte. Dies
war, als Picquart das „Petit Bleu" erhielt und der
Name Esterhazy's enthüllt wurde. Die Denkschrift will
sich mit dem „Petit Bleu" uicht befassen, weil Picquart
wegen desselben der Gegenstand einer gerichtlichen Unter-
suchung ist, doch hebt die Denkschrift alle positiven und
unbestreitbaren Thatsachcn hervor, von denen die Ent-
deckung des „Petit Bleu" nur eine Folge gewesen ist.
Alsdann prüft die Denkschrift die Umstände, unter denen
Henry und du Paty sich vervollständigten, um Esterhazy
vor dem Kriegsgerichte zu retten. Sodann kommt die
Denkschrift auf die Entdeckung der Fälschung Henry's.
Gegen drei tritt eine Pause ein. Aus dem Vortrag
Beauprs's ergiebt sich bisher deutlich die Tendenz auf
Revision mit Verweisung.

Deutsches Reich.
— Der Kaiser und die Kaiserin trafen mit
Souderzug Sonntag früh um 7 Uhr 50 Min. auf der
Wildparkstation ein. Nach herzlicher Begrüßung fuhren
die Majestäten und die Prinzen in offenen Wagen nach
dem Neue» Palais.
— Der Kaiser empfing am Sonntag Mittag den

Oberpräsidenten von Ostpreußen, Grafen Wilhelm v. Bis-
marck, und den Baurath Sarau behufs Vorlegung von
Kirchenplänen. Um 12'/^ Uhr empfing das Kaiserpaar
eine große Anzahl Delegirter des Kongresses zur Be-
kämpfung der Tuberkulose. Die Vorstellung dauerte fast
zwei Stunden. Die drei ältesten Prinzen waren (dabei
zugegen. Das Kaiserpaar sprach dem Präsidenten des
Kongresses, Herzog zu Ratibor, gegenüber seine Freude
über den Verlauf aus. Das Kaiserpaar sprach mit jedem
einzelnen Delegirten und unterhielt sich längere Zeit mit
den ausländischen Vertretern.
— Der dem Reichstag zugegangene Gesetzentwurf be-
treffend Handelsbeziehungen zwischen Deutsch-
land und Großbritannien verlängert das
Handelsprovisorium über den 30. Juli hinaus.
Die Begründung besagt, der Abschluß der schwebenden
Verhandlungen sei bis zum 30. Juli 1899 nicht zu
erwarten.
— Die Detaillistenvereine in ganz Deutschland
werden gegen den Beschluß der Reichstagskommisston für
die Gewerbeordnungsnovclle, betr. den gesetzlichen
Ladenschluß von 9 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens
energisch Stellung nehmen. Sie betrachten diesen Beschluß
als einen tiefen Eingriff in die individuelle Freiheit. Eine
Protesteingabe soll überall in Umlauf gesetzt und dann dem
Staatssekretär Graf Posadowsky überreicht werden.
— Der ehemalige Gouverneur von Deutsch-Ostafrika,
Major Dr. v. Wißmann ist dieser Tage in Graz
(Steiermark) eingetroffen. Da er aus Kairo kam, so war
der erste Besuch, den er erhielt, der des Polizeiarztes,
welcher wegen der Pestquarantäne das Erforderliche ver-
anlaßte.
— Die Nachr. aus Kiautschou melden: Am 6. April
kehrte Leutnant Hannemann mit seiner Abtheilung an Bord
S. M. S. „Gefion" von der Strafexpedition in
Südschantung nach Tsintau zurück. Die Dörfer, aus
denen die Rebellen stammen, die kürzlich Leutnant Hanne-
mann und seine Begleiter überfallen hatten, sind nieder-
gebrannt worden. Leben und Eigenthum der Bewohner
wurden geschont. Es wurde ihnen eine Frist von einer
Stunde gegeben, um ihre Häuser zu räumen. Tempel
und Ahnenhallen wurden nicht zerstört. Die Bewohner
waren auf Liese Strafe völlig gefaßt, viele hatten die
Dörfer schon verlassen. Das Schnldbewußtsein der Be-
wohner war so groß, daß auch keiner einen Versuch machte,
um Schonung seines Hauses zu bitten. Zahlreiche Waffen
wurden vorgefunden. Vier Häuser flogen mit einer großen
Explosion in die Luft infolge der Entzündung von größeren
Vorräthen an Pulver, die darin aufbewahrt waren. Die
Stadt Jitschau bleibt vorläufig noch besetzt, bis der Fall
Stenz durch Bestrafung aller Schuldigen volle Sühne er-
fahren hat. Bis jetzt ist cs den Beamten nur gelungen,
eine geringe Anzahl Schuldiger einzufangen. Die chinesischen
Behörden scheinen bereits einzusehen, daß das deutsche
Gouvernement von Kiautschou nicht mit sich spaßen läßt
und daß ihrerseits etwas geschehen muß, um weiteren An-
griffen auf Deutsche, namentlich innerhalb der deutschen
Interessensphäre, oorzubeugen. So hat der Gouverneur
von Schantung dem deutschen Gouverneur von Kiautschou
gegenüber den Wunsch geäußert, daß ihm die Namen der-
jenigen Deutschen, die sich in's Innere der Provinz be-
geben wollen, mitgetheilt werden. Der Gouverneur von
Kiautschou hat sich bereit erklärt, diesem Wunsch nach-
zukommen, da bei einer rechtzeitigen Mittheilung die Sicher-
heit von Reisenden in andern Fällen erfahrungsmäßig zu-
verlässig hat verbürgt werden können. — Die Land-
verkäufe bringen der Regierung immer steigende Einnahmen

Josephineus Glück.
11) Erzählung von A. von der Elbe.
(Fortsetzung.)
„Wenn Sie denn wirklich meinen," begann Josephine
schüchtern, „und wollen es einmal mit mir versuchen" —
„Das ist recht, mein Kind I" ries der Vater. „So bist Du
Meine vernünftige Jose. Du bist es ja mir schuldig, alles zu
Versuchen, wieder mein gesundes und heiteres Mädchen zu
werden."
„Dank, vielen Dank!" sagte Bruno in seiner innigen
Meise. „Bestellen Sie sich beute noch ein passendes Kostüm,
rch werde Ihnen ein bequemes, leicht lausendes Damenrad
ausiuchen."
Wenige Tage später waren alle Vorbereitungen getroffen
und die erste Lektion begann.
Am Hinteren Ende des Grundstücks zog sich eine schattige
Lindenallee entlang, in die mehrere Wege des Gartens mün-
deten. Hier war die beste Gelegenheit geboten, die Uebungen
vorzunehmen.
Josephineus überschlanke Gestalt sah in dem knappen,
dunkelblauen Anzuge nicht übel aus. Sie hatte einen fein-
Seformten Fuß, der vortheilhaft zur Geltung kam, und der
kleine blaue Filzhut ließ sie jugendlicher erscheinen.
Nun begannen die Unterrichtsstunden. Die so wenig für
«Port Aufgelegte kam sich fremd, ja wie ausgewechselt vor.
ms sie versuchte, sich auf's Rad zu schwingen. Aber Brunos
Zureden, seine Nähe und Unterstützung ermuthigten sie
wunderbar und hoben sie über sich selbst und ihre enge Ge-
wöhnung binweg.
, . War sie denn nicht auch innerlich eine andere geworden,
mt dies allmächtige Gesühl, das sie zugleich quälte und be-
glückte, sie ergriffen hatte? Sie wollte wie früher klar sehen
Und ihn unparteiisch beurtheilen, allein es gelang ihr nicht
Wehr. Er hatte keine Aehnlichkeit mehr mit dem unreifen
Knaben, der ihr doch auch schon an's Herz gewachsen, er
War ihr jetzt ein ganz Besonderer und Einziger in der Welt.

Wenn er hülfreich die Hand bot, so hätte sie diese liebe
warme Hand nicht loslassen mögen; eigenthümliches Wonne-
gefühl strömte ihr aus der Berührung zu. Alle seine ge-
ringsten Bemerkungen interesstrten und beschäftigten sie.
Jedes Wort, das er sprach, erschien ihr als etwas Besonderes;
die Zeit verrann ihr in seiner Nähe wie im Fluge.
Während der ersten Unterrichtsstunden faßte er sie, ihrer
Sicherheit halber, in den Gürtel und lief neben dem Rade
her. Manchmal sah sie dann in seine zu ihr aufgeschlagenen
leuchtenden Augen, sie sah seinen lachenden Mund unter dem
Schnurrbärtchen, hörte sein Lob, seinen ermunternden Zuruf
und wurde von seinen Armen umfaßt und gehalten, wenn sie
schwankte.
Das waren selige Stunden. Mehr und mehr überließ sie
sich einer heiteren, leichtlebigen Stimmung, die er ihr dervor-
zauberte. Bald erholte sie sich und ihr Vater war froh, die
Verordnung des Arztes so trefflich anschlagen zu sehen.
Auch Bruno fand Vergnügen an seinem Lehrmeisteramt.
Die ernste Freundin so munter und gehorsam jedem seiner
Winke folgen zu sehen, erfüllte ihn mit großem Selbstgefühl.
Er wurde sich seines Einflusses aus sie voll Stolz bewußt,
wenn er auch den Umfang ihres Gefühls für ihn nicht kannte.
Der Eindruck jenes Abends, als sie nach seiner Anregung
zum Friseur gegangen war, hatte sich während ihres zurück-
haltenden Benehmens fast verwischt. Wenn er ja noch ein-
mal daran dachte, so geschah es mit einem halben Lächeln
über sich selbst. Josephine verliebt, in ihn verliebt, welch'
toller Einfall! Aber angenehm war seine damalige Empfin-
dung doch gewesen. .....
Wie ein süßes Gefühl aus den Tagen der Kindheit, in
denen alles im Rosenschimmer schwebt, so gingen ibm ihr
Sein und der Eindruck ihrer Persönlichkeit nach. Es war
etwas Bekanntes, Vertrautes und Liebes an ihr, das ihn
anzog.
Eigentlich reizten ihn sonst nur Jugend und Schönheit.
„Ein spätes Mädchen", „eine alte Jungfer" ließ ihn schaudern
und spötteln, Josephe aber war seine Freundin, sie dachte
nicht daran, mehr sein zu wollen» und er sah sie mit anderen

Augen an, als die jungen Mädchen, die er in Gesellschaft
traf.-
Allmählich kam nun der Herbst heran. Das Obst reifte
im Garten und schimmerte farbig zwischen dem dürrer wer-
denden Laube hervor. Gelbe und rothe Blätter zeigten sich
und tanzten schon in den Wegen, die Friedrich mit Mühe
rein hielt.
Josephine bewegte sich jetzt ganz sicher auf ihrem Rade,
fuhr geschickt durch alle Schlangenwege des Gartens, hatte
ihre Freude an dem Erlernten und bedurfte ihres Lehr-
meisters nicht mehr- Manchmal sah er ihr aber doch mit
ausmunternden Worten zu.
Sie hatte noch nie daran gedacht, den Garten zu verlassen,
und Bruno schlug es ihr nicht vor. Vielleicht kam es ihm
nicht in den Sinn, oder er setzte voraus, daß sie es doch
nicht thun werde. —
Ein kleiner Zwischenfall weckte Josephine aus ihrem
süßen Traum von Brunos Vollkommenheit und seiner idealen
Richtung.
Es war am Morgen vor dem Frühstück, als sie die Treppe
betrat, um hinunter zu gehen und in der Küche eine Weisung
zu geben. Als sie ein paar Stufen weit gekommen war,
hörte und sah sie. daß Bruno unten, zum Ausgehen fertig,
sein Zimmer Verließ.
Sie blieb zögernd stehen. Ihr Haar war noch nicht frisch
gekraust, und sie wollte sich ihm so nicht zeigen. Sie be-
obachtete ihn aber verstohlen.
In diejem Augenblicke kam Elise, ihr hübsches Stuben-
mädchen. mit einem Theebrett, auf dem der Kaffeetopf stand,
aus der Küche.
Bruno umfaßte, nach flüchtigem Umherblicken, die Kleine-
„Ach lassen Sie mich doch, Herr Assessor!"
„Erst will ich einen Kuß."
„Wenn das unser Fräulein sähe!"
„Aber sie sieht's ja nicht."
(Fortsetzung folgt.)
 
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