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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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Telephon-Anschluß Nr. 82.


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ocr°^n,eraie aus oen Ptaiar-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.

Telephon-Anschluß Nr. 82.

Xr. 37.

Mmitiig, dr» 13. Februar

1898.

Sozialdemokratische Irreführung.
Wegen schweren Landfriedensbruchs, ver-
suchten Todtschlags und gefährlicher Körper-
verletzung wurden am Samstag vor 8 Tagen vom
Schwurgericht in Dresden 9 Bauarbeiter und Zimmerer,
die einen Baukrawall in Löbtau verursacht hatten, zu
insgesammt 53 Jahr Zuchthaus und 8 Jahr Gefängniß
verurrheill. Angetrunken drangen die Schuldigen am
6. Juli in einen Neubau in Löbtau und forderten die
Arbeitenden auf, zu feiern und die schwer erkämpfte
lOstündige Arbeitszeit einzuhalten. Sie kamen in der
Weise hinein, daß sie sich unter der Vorspiegelung, Arbeit zu
suchen, eindrängten. Sie beschimpften nicht nur den
dann herbeikommenden Bauunternehmer Klemm, sondern
»rempelten" ihn auch, was man sonst handgreiflich werden
Nennt, an. Klemm gab darauf zwei blinde Schüsse ab,
indem er, um die Angreifer zu schrecken, in einen Sand-
haufen schoß. Als nun Drohworte fielen, führte der Polier
den bedrohten Bauunternehmer in die Baubude und schloß
ihn ein. Aber gerade der Arbeiter, der den Zug nach
dem Neubau geführt, sich unter falscher Vorspiegelung
beim Polier cingedrängt, „der sich geschossen wähnte", und
noch einige der Aufgeregtesten riefen, „schlagt den Hund
todt", sprengten die Thüre und mißhandelten Klemm in
roher Weise. Zwei Poliere trugen ihn schließlich halbtodt
sort; nur einem Zufall war es zu danken, daß der
Mißhandelte mit dem Leben davon gekommen ist. Der
Rädelsführer, der schon wegen Körperverletzung vorbestraft
ist, hat die Hauptstrafe von 10 Jahren Zuchthaus er-
halten. Die Anderen sind entsprechend bestraft worden.
Sie haben sich alle dem Urtheil unterworfen, ohne Revision
einzulegen. Der Vorstand der sozialdemokratischen Fraktion
geht nun mit diesem strengen aber gerechten Urtheil
hausircn und ruft zu Sammlungen für die Familien der
Verurtheilten auf, deren schwere Bestrafung — wie er
lagt — zu einer Drachensaat des Hasses in Millionen
Herzen werde» wird.
Auch wir beklagen, daß der Leichtsinn einer Minute zu
Thaten geführt, die sieben Familien unglücklich gemacht.
Wer ist es aber, der in diesen schwachen, bisher meist brav
gewesenen Menschen den Hebel gelöst, sodaß die menschliche
Natur mit all' ihrer Brutalität durchbrach und jene Un-
glücklichen zwischen die Scheeren des Strafgesetzes fielen?
Wir lassen sie mit Namen folgen: es sind dieselben Herren,
die unter dem Aufruf stehen, die Auer, Bebel, Liebknecht,
Meister, Pfannkuch, Singer und Genossen, die nun für
bic Opfer ihrer politischen Arbeit die pekuniäre Hülfe der
Arbeiterschaft Deutschlands in Anspruch nehmen. Wer ist
es anders, als sie, die jede Gewaltthätigkeit, die von Ar-
beiter zu Arbeiter verübt wird und Anderen gewaltsam
bie Arbeitszeit vorschreibcn will, auf die Märtyrer- und
Ehrentafel der Sozialdemokratie setzen, die allmonatlich im
Eentralorgan veröffentlicht wird; wer war es anders, als
ber Abg. Bebel, der im Reichstag das Rcchtsgefühl des
Arbeiters damit abstumpfte, daß er unter unmittelbarem
Hinweis auf jenen Dresdener Exceß erklärte: „Die Stel-
lung der Sozialdemokratie der heutigen Gesellschaft gegen-
über ist genau dieselbe, welche die Christen der ersten
Jahrhunderte der römischen Gesellschaft gegenüber einge-
Uomiucn haben."
Eine furchtbare Anklage gegen die sozial-
demokratische Führung ist daher jener Prozeß. An
ber Spitze der Partei stehen Leute, die das Recht kennen
Und die Schärfen des Rechtes. Sie lassen „den Armen
lehuldig werden", und wenn er dann nach dem unerbitt-
lichen Wortlaut des Gesetzes „der Pein überliefert" wird,

dann wenden sie sich, die sich an die Brust schlagen und
in den eigenen Beutel greifen sollten, — an die deutschen
Arbeiter, obwohl auch Arbeiter dabei mißhandelt worden
sind, und lassen sie die Kriegskosten dafür aufbriugen.
Selbst klagt man Staat und Gesellschaft an und hat damit
seiner Pflicht Genüge geleistet! Im Uebrigen kann es der
Sozialdemokratie doch auf die Dauer nicht gut bekommen,
wenn sie von Partei wegen mit Leuten sich identifizirt, die
im Rausch und in der Rohheit schwere Ausschreitungen
begehen.

Deutsches Reich.
— Soweit sich bisher übersehen läßt, sind die 75
Millionen Mark deutscher 3proz. Reichsanleihe und 125
Mill. Mark preuß. 3proz. Konsols ungefähr zwanzig-
mal überzeichnet worden.
— Die gegenwärtige und künftige Organisation der
Feld artille r ie, wie sie von der Budgetcommission in
erster Lesung angenommen worden ist, stellt sich nach der
Aufstellung des Abg. Bassermann folgendermaßen dar:
jetzt: 20 Brigaden; 43 Regimenter; 173 Abtheilungen;
494 Batterien; künftig: 46 Brigaden; 94 Regimenter;
199 Abtheilungen; 574 Batterien.
— Die kürzlich angekündigte Vorlage des Reichskanz-
lers betr. Zulassung der Frauen zum Studium
der Medizin befindet sich schon seit einiger Zeit in den
Händen des Bundesraths. Sie beruft sich darauf, daß
die Bewegung zu Gunsten der Zulassung immer mehr an
Stärke und Umfang zunehme, und daß diese Forderung
in den thatsächlichen Verhältnissen und Bedürfnissen be-
gründet erscheine. Außer dem medizinischen soll auch das
zahnärztliche Studium, sowie das Apotheker-
gewerbe den Frauen freigegeben werden. Den jetzt be-
reits ohne Immatrikulation als „Hospitantiunen" die Vor-
lesungen besuchenden Frauen sollen ihre Semester angerech-
net werden.
Deutscher Reichstag. Berlin, 10. Februar. Abg. Graf
Kanitz (coni.) i u t e r p e ll i rt über den Stand der
handelspolitischen Verhandlungen mit Amerika.
Staatssekretär v. Bülow erklärt sich bereit, die Inter-
pellation sofort zu beantworten.
Abg. Graf Kan itz begründet die Interpellation,
Staatssekretär v. Bülow verliest folgende Erklärung: Eine
Beschlußfassung über den Standpunkt der deutschen und
der a m erika uisch e n Regierung zu den Einzelfragen sei an-
gesichts der schwebenden Verhandlungen heute nicht angängig.
Die Differenzen mit Amerika seien im Wesentlichen auf die ver-
schiedenen Auslandstaaten vertragsmäßig zugesicherten Meist-
begünstigungen zurückzuführen. Die deutsche Regierung habe aus
den Vertragsbestimmungen (die der Staatssekretär verliest) stets
die unbeschränkte Meistbegünstigung für Deutschland in allen
Zollfragen gefolgert. Begünstigungen anderer Art, die die Union
einem anderen Staate gegen Entgelt gewährt, wolle Deutschland
für sich nur unter entsprechender Gegenleistung an die Union in
Anspruch nehmen. Von dieser nach dem wohlerwogenen Sinne
und dem Wortlaut der Verträge berechtigten Anschauung vermag
die deutsche Regierung nicht abzugehen. Gegenüber der
Differenzirung des deutschen Zuckers in dem Dingleytarif habe
die deutsche Regierung auf den Einwand, daß die Differenzirung
in Widerspruch mit der Meistbegünstigung sei und der Zollzu-
schlag unrichtig berechnet werde, durchgesetzt, daß die aus der
ungleichmäßigen Zuschlagsberechnung hersorgegangenen Differen-
zen beseitigt wurden. Eine weitere deutsche Forderung wegen
des Abzuges des Steuerzuschlages für das sogenannte Ueber-
contingent sei von Amerika abgelehnt worden. Den gleichfalls
von deutscher Seite beantragten Abzug der auf dem deutschen
Zucker ruhenden allgemeinen Bctriebssteuer habe die amerikanische
Regierung zu erwägen versprochen. Redner kommt eingehend auf
die Tonncngelder zu sprechen und fährt fort: Wir haben das Miß-
verhältniß der wechselseitigen Zölle und die lästigen Bestimmungen
des amerik. Zollverfahrens wiederholt zum Gegenstände dringlicher
Vorstellungen bet der Unionsregierung gemacht. Wir sind willens,
auch fernerhin nachdrücklich dafür einzutrelen, daß die Interessen
unseres Ausfuhrhandels durch die Handhabung der Verzollungs-

Vorschriften nicht gefährdet werden. Zur Ausgleichung der ent--
gegenstehenden Rechtsouffassung und Erzielung einer befriedigen-
den Verständigung über die schwebenden Einzelfragen bedarf eS
auf beiden Seiten der Erkenntniß, welche weitgehenden Interessen
für jedes der betheiligten Länder in Frage stehen. Von dieser
Erkenntniß durchdrungen, dürfen wir zumal im Hinblick auf die
zunehmende amerikanische Einfuhr nach Deutschland die gleiche
Auffassung bei den Vereinigten Staaten voraussetzen. Wir geben
uns der Hoffnung hin. daß wir auf eine Lösung der bestehenden
Schwierigkeiten werden rechnen können. Die verbündeten Regie-
rungen sind sich der Pflicht bewußt, die die Vertretung und
Wahrnehmung der bestehenden Rechte auferlegen und beanspruchen
zugleich das Vertrauen des Reichstages dafür, daß sie auch die-
jenigen Wege zu verfolge» wissen werden, durch die die ihrer
Pflege anvertrauten vaterländischen Interessen auf die Dauer am
besten und sichersten gewahrt bleiben.
Das Haus tritt in die Besprechung der Interpellation ein.
Abg. Dr. Lieber (Centr.): Er richte an den Staatssekretär
die Bitte, sich auch über unser politisches Verhältniß zu Amerika
zu äußern.
Abg. Fürst Bismarck (kons., b. k. Fr.): Wir würden unS
wohl mit den eben verlesenen wohlerwogenen Erklärungen be-
gnügen müssen. Die hier anwesenden Vertreter der Regierung
verdienen wohl gewiß das Vertrauen des ganzen Reichstages.
(Beifall.) Wir wollen hier für unseren nationalen Wohlstand
eintreten. Es sei das im Wesentlichen eine Vertrauensfrage.
Staatssekretär v. Bülow: Bet Entsendung des deutschen
Geschwaders nach Ostasien während des spanisch-amerikanischen
Krieges hat Deutschland lediglich die legitime Verpflichtung ge-
leitet, deutsches Leben und Eigenthum zu schützen. Wir sind auch
nicht in Manila aut einen Augenblick unserer ehrlichen Neutralität
untreu geworden (Bravo.) Was in einem Theile der ausländischen
Presse über die angeblichen Absichten Deutschlands auf die
Philippinen oder über die Unterstützung der Philippiner durch
Deutschland verbreitet wurde, erkläre ich hiermit ausdrücklich für
dreiste Unwahrheit. (Bravo ) Die Meldung, unser Generalkonsul
in Hongkong habe Waffen an die Philippiner verkauft, ist eine
der fettesten Enten, die je aus einem trüben Pfuhl aufgeflogen
sind. (Heiterkeit.) Der Verkehr zwischen den deutschen und
amerikanischen Seeoffiziere» vor Manila war getragen von dem
Geiste der gegenseitigen Courtoisie. Ueber die politischen Be-
ziehungen zwischen beiden Ländern erklärte der Staatssekretär, er
glaube, zwischen zwei starken männlichen Völkern sei Offenheit
und Grobheit die beste Politik (Bravo!) und die beste Medizin
für mehr eingebildete als wirkliche politische Verstimmungen.
(Sehr gut!) Die gegenseitigen Beziehungen haben nicht auf-
gehört, gut und freundlich zu sein. Der ausgezeichnete Vertreter
der Union in Berlin hat am Uuabhängigkeitstage hier in einer
Rede sich in einer Weise geäußert, die uns zur Befriedigung ge-
reichen muß. (Bravo!) Ich sehe keinen Punkt, wo sich die deutschen
und amerikanischen Interessen feindselig begegnen. Ich sehe auch
in Zukunft keinen Punkt, wo sich die Limen ihrer Entwicklung
feindlich durchkreuzen müßten. Freilich fallen auch die Stim-
mungen und Verstimmungen schwer ins Gewicht. Gegen diese
ist mit logischen Gründen gewöhnlich schwer anzukommen. (Zu-
stimmung.) In Amerika wird vielfach angenommen, daß in
Deutschland Groll und Haß gegen die Amerikaner herrsche. Bet
uns ist die Ansicht verbreitet, die Amerikaner seien von besonders
ungünstiger Gesinnung gegen uns beseelt. Ich glaube, man ist
sich in Amerika vielfach ganz unklar über die Empfindungen der
deutschen öffentlichen Meinung gegenüber dem spanisch-ameri-
kanischen Kriege. Nirgends hat Amerika in diesem Jahrhundert
besseres Verständniß und gerechtere Anerkennung gefunden, als
in Deutschland. (Sehr richtig!) Ich hoffe, daß bei den schwer-
wiegenden gegenseitigen handelspolitischen Interessen, namentlich
bei der steigenden amerikanischen Einfuhr nach Deutschland, es
auch in Amerika als nöthig angesehen werde, wirthschaftliche
Reibungen zu vermeiden und das Wort richtig verstanden werde:
Wenn du nehmen willst, so gieb. (Beifall.)
Abg. Frhr. v. H e y l (nat.-lib.): Er gäbe gern dem Ver-
trauen zur Regierung Ausdruck. Gradheit und Offenheit seien
die Mittel gewesen, mit denen Fürst Bismarck seine großen
Erfolge Amerika gegenüber erzielt habe.
Abg. Richter (fr. Vp.): Wir können nur wünschen, daß man
jenseits des Oceans den Ausführungen des Staatssekretärs die
Bedeutung beilegt, die sie verdienen.
Ruch einigen Bemerkungen Münch-Ferbers (natl.) wird
die Discussion geschlossen.
Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. Tagesordnung: Abkommen
mit Peru, Invalidenversicherung.
Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
Königlich Preußischen Gartenbaudirektor A. Sievert in Frank»

Concert Ada Osann und Auguste Götz-Lehmann.
(Zum Besten der Lnisen-Heilanstalt.)
A Heidelberg, 12. Febr.
Es war nicht die günstigste Zeit, welche die beiden Damen sich
Ar Veranstaltung ihres Concerts gewählt hatten; denn die gegen-
wärtigen faschingstollen Tage ermuntern die Wenigsten zum Be-
'Uche einer musikalischen Vorführung ernsten Charakters. So war
?uch der große Museumssaal diesmal nur sehr spärlich besucht;
ishr bedauernswerth in Anbetracht der gediegenen künstlerischen
Afftungen, wie besonders des guten Zweckes, welchem das Unter-
nehmen dienen sollte.
Fräulein Osann hat hier bereits einige Male mit bestem
Molge das Concertpodium betreten und dabei eine ausgezeichnete
Ichule, ernstes künstlerisches Empfinden und fleißiges energisches
Uudium erkennen lassen. Es war interessant zu prüfen, welche
Fortschritte die junge Dame nunmehr nach einigen Jahren weiterer
Abrzeit aufzuweisen habe, und diese Prüfung ist äußerst günstig
Mgefallen. Ihr schönes Stimmmaterial hat besonders nach der
W«ttetlage und Tiefe hin noch bedeutend an Wohlklang und Kraft
^Wonnen; die Höhe erscheint stellenweise noch em wenig schmelz-
WE; doch wird wohl auch dies mit der Zeit verschwinden. Ganz
Atschiedene Fortschritte hat die Vortragsweise der Künstlerin
gemacht.
Man fühlte sich angenehm überrascht durch den warmen leben-
ASen und echt empfindenden Ton, der besonders bei den Liedern
ZMen Charakters herausklang und mit welchem sie besonders
Jo Vrahms'schen Gesänge und das herrliche „Befreit" von Richard
jAoauß interpretirte. Weniger glücklich gelangen ihr die Lieder
.o heiteren Genre, wenn wir ihr auch für den hübschen Vortrag
^ neckischen „Elfenliedes" von Hugo Wolfs Dank zollen müssen.
die schönen Stimmmittel der Sängerin noch unterstützt werden
^urch außerordentlich korrekte und deutliche Aussprache, so war
ti?j warme Beifall des Auditoriums ein wohlverdienter und berech-
nter, selbst wenn man einen Theil davon auf die natürlichen
H^'tpathien des Publikums der Landsmännin gegenüber zurück-

Jn Frau Götz-Lehmann lernten wir eine Pianistin von
nicht alltäglichen künstlerischen Eigenschaften kennen. Eine schön
und gleichmäßig ansgebildete Technik, klare und geschmackvolle
Vortragsweise (wie in der Bach'schen Partita) und ein ruhiges,
nicht nach äußeren Effekten haschendes Spiel dürften die Haupt-
vorzüge der Künstlerin sein. Am besten gefiel ihr Vortrag des
Scarlattischen Pastorale mit Capriccio und der 11. Rhapsodie von
Liszt, wobei sie mit großer künstlerischer Feinheit auf die jeweilige
Stilart einzugehen wußte. Weniger glückte ihr die Schumann'sche
6-moU-Sonate, bei der besonders die lyrischen Stellen nicht immer
entsprechend wirkten. Außer ihren Solostücken führte die Künst-
lerin auch die Begleitung sämmtlicher Gesänge mit viel Geschmack
wenn auch manchmal etwas poesielos aus. Von dem lauten Bei-
fall, der am Schluffe des genußreichen, nur etwas zu langen
Concertes gespendet wurde, gebührt ihr ein wesentlicher Antheil.
Otto Seclig.

Stadt-Theater.
Heidelberg, 13. Februar.
„Tannhäuser, oder: Die Keilerei auf der Wart-
bur g", Zukvnstspoffe in 3 Akten vop Karl Binder.
Wir sind im Carnevalstrubel. Auf der Hauptstraße kommt
man in den Nachmittagsstunden nicht mehr so schnell fort, als
gewöhnlich und nervöse Leute wünschen sich eine temporäre Taub-
heit, da sie den Zustand, die lieblichen Töne der Kindertrompeten
beständig in den Ohren zu trage», nicht gerade für den Gipfel
ihres Glücks ansehen. Aber es sind nun einmal die tollen Tage,
und wo alles ausgelassen ist, kann die hehre Muse Thalia allein
nicht ernst bleiben. Und am ausgiebigsten wirkt ihr Lachen,
wenn sie sich in das Gewand der Parodie hüllt und sich über
ihre eigenen erhabenen Gebilde lustig macht. In früheren
Zeiten wurde dieses Genre sehr eifrig gepflegt; es hatte in
Berlin lange in dem „Parodie-Theater" sogar seine eigene Stätte.
Schiller mußte es sich gefallen lassen, daß „Dum Karlos, der
Infanterist von Spanien" unter johlendem Beifall aufgeführt wurde;
im „Troubatur" ertönte es im letzten Akte aus dem Gefangenen-

thurm von der Stimme des zum Tode verurtheiltenjManrico: „Ja,
ich Hab'es gleich gesagt, die Worschk die schmeckt nach Seefe!" —
Solcher Kunstgattung gehört auch die gestern Abend gegebene
Posse an, die Wagners „Tannhäuser" travestirt und besonders
musikalisch von köstlichem Witz ist. Schon die Ouvertüre ist ein
Ausbund von Tollheit, in der die bekannte» Motive in hoch-
komischer parodistischer Form erscheinen. Die Handlung der
„Oper" athmet natürlich dieselbe Stimmung. Die Darsteller
treten in einen vertraulichen Konnex mit dem Kapellmeister und
dem Publikum und Wolfram von „Dreschenbach" dreht sich höchst
eigenhändig den Mond aus den Suffiten, den er sich durch An-
stecken eines Lichtes herrichtet. Das ist die Signatur des
Abends.
In Spiel und Gesang Carnevalsulk zu treiben ist nicht
Jedermanns Sache und auch nicht die des Herrn Rogler, der
die Titelrolle zu vertreten hatte. Er wurde seiner Aufgabe ge-
sanglich besser gerecht, als in der Darstellung, die den über-
müthigen Ton der Parodie, namentlich was die Deklamation
anbelangte, nur selten traf. Alle anderen Mitwirkenden hingegen
schwammen vorzüglich in diesem Strome des höheren Blödsinnes.
Allen voran natürlich Herr Stettner (Landgraf Purzel), der
schon äußerlich wie eine lebend gewordene Rittergestalt aus den
„Fliegenden Blättern" wirkte. Bei seiner Todtenklage an der
Bahre der Elisabeth, als er sich in einem Schulmädchen-Heulen
produztrte, stieg die Tollheit des Abends auf ihren Gipfel.
Aufs beste sekundirte ihm Frl. Freytag als Elisabeth, die
ein sehr fideles Soubrettentemperament an den Tag legte und
alle Phasen ihrer Rolle von der schwärmerischen Liebe bis zum
Trost im Fusel vorzüglich traf. Als Venus mit Lorgnette und
Strohhut war Frl. Sander äußerst komisch, während auch die
Herren Mur au er (Wolfram von Dreschenbach) und Rudolf
(Schafhirt) ihr Bestes thaten.
Die keineswegs leichte Aufgabe der Musikdirektion in diesem
Stücke löste Herr Kapellmeister Seif ritz aus's glücklichste. II. L.
 
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