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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0183

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Telephon-Anschluß Nr. 82.


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Telephon-Anschluß Nr. 82.

>>'. 42. Erstes Mit. Slunstlili, den 18. Februar

I8SS.

Zum Tode Fanres.
Das plötzliche Ableben des Präsidenten Faure
erweckt allgemeine Theilnahme. Man bedauert den Prä-
sidenten, der so früh dahinscheiden mußte, und man be-
dauert Frankreich, das durch den jähen Tod des gewandten,
mit seiner Stellung allmälig vertraut gewordenen Mannes
in eine neue Verlegenheit gestürzt worden ist.
Unter den Fürstlichkeiten, die ihr Beileid aussprachen,
war der deutsche Kaiser der erste. Er drückte der
Wittwe Faures sein Beileid telegraphisch aus und beauf-
tragte den Grafen Münster, der Regierung in seinem Na-
men sein Beileid auszusprechen sowie am Sarge Faures
einen Kranz niederzulegen. Gestern Nachmittag begab sich
demzufolge der deutsche Botschafter Graf Münster in's
Elhsse und legte am Sarge des Präsidenten einen pracht-
vollen Kranz aus Veilchen und Orchideen nieder, dessen
schwarz-weiß-rothe Schleife ein mit der Kaiserkrone
darüber zeigt. Der deutsche Staatssekretär des Auswär-
tigen, v. Bülow, stattete dem französischen Botschafter in
Berlin einen Kondolenzbesuch ab. Am bedeutsamsten ist
es wohl, daß der deutsche Reichskanzler dem Heim-
gegangenen französischen Präsidenten gleich gestern im deut-
schen Reichstag einen sympathischen Nachruf widmete.
Es wird darüber berichtet:
Vor Eintritt in die Tagesordnung ergreift Reichskanzler Fürst
Hohenlohe das Wort und erklärt: Ich habe dem hohen
Hause mitzutheilen, daß der Präsident der französischen
Republik gestern Abend an einem Schlaganfall plötzlich ver-
schieden ist. Ich bin gewiß, daß die Vertretung des deutschen
Volkes sich eins weiß mit dem Kaiser und den verbündeten Re-
gierungen in dem Ausdruck der aufrichtigen und herzlichen
Sympathie für die französische Nation, die den Heimgang des
Mannes beklagt, der als ihr Staatsoberhaupt unentwegt
die großen Interessen des Friedens, der Eintracht
Und der Wohlfahrt der Völker gefördert hat. (Bravo)!
Eingedenk des gemeinsamen Bandes, das alle gebildeten Völker
Umschlingt, geben auch wir der Trauer Ausdruck über den Ver»
Msr des französischen Volkes, das zu keiner Zeit aufgchört hat,
«ner der großen Träger der Civilisation zu sein. (Während der
Rede haben sich die Mitglieder des Reichstages von ihren Plätzen
erhoben.)
Präsident Graf Ballestrem: Der Reichstag erhob sich, um
seiner Sympathie Ausdruck zu geben; ich stelle dies fest.
Es ist anzunehmen, daß diese Kundgebungen deutscher
Anthcilnahme in Frankreich keine Zurückweisung, sondern
freundliche Aufnahme finden werden.
Das Begräbniß Faures findet am nächsten Donnerstag
statt; es heißt, der deutsche Kaiser werde sich dabei durch
kine besondere Abordnung vertreten lassen. Faure mar
vis zu seinem Todestage eigentlich nicht krank, aber doch
letzter Zeit von den Sorgen etwas mitgenommen.
Prof. Lannelongue bemerkt darüber im Matin: Ich hatte
früher keinerlei Symptome bemerkt, die auf ein solches
Ende schließen lassen konnten. Ich sah den Präsidenten,
vessen Freund ich seit langem war, häufig. Er hatte nur
Unbedeutende Indispositionen und eine einfache Abnahme
des Appetits verspürt, die Niemand beunruhigen konnten,
^ch weiß nur, daß die Faschodasache ihn tief bewegt
hatte, daß sie ihn mit wirklichem Kummer erfüllte, der
»och durch die Dreyfussache verschärft wurde. Die innere
Und äußere Lage des Landes machte ihm große Sorge.
Die Londoner Daily News schreiben den Schlaganfall
der Aufregung Faures über das Bekanntwerden von Merciers
Zeugenaussage, welche die Beeinflussung des Kriegsgerichts
Legen Dreyfus durch geheime Papiere bestätigt, sowie dem
fliesten Anlauf der Libre Parole gegen Frau Berge, die
Schwiegermutter von Faures ältester Tochter, zu.
Die Wahl des neuen Präsidenten durch den
Kongreß findet schon heute, Samstag, Mittags
1 Uhr statt. Die Regierung hat recht gethan, die Wahl

zu beschleunigen, damit der neue Präsident gewählt wird,
ehe noch die Monarchisten Zeit gewinnen, einen Streich
vorzuberciten.
Wie aus Brüssel gemeldet wird, unterhielt der Präten-
dent Victor Napoleon während der Nacht zum 17. d.
längere telephonische Gespräche mit Paris. Er wechselte
auch Telegramme mit seinem Bruder Louis Napoleon in
Petersburg. Einige französische Geheimagenten sind in
Brüssel gestern früh eingetroffen, um ihn zu überwachen.
Im „Hotel de Flandre" in Brüssel, wo der Herzog von
Orleans gewöhnlich absteigt, trafen aus England zahl-
reiche Kisten mit Bildnissen des Herzogs mit Rahmen in
den französischen Farben ein. Ihre Zahl wird auf mehrere
Millionen Stück geschätzt. Sie sind dazu bestimmt, in
Frankreich vertheilt zu werden.
Als aussichtsvollster Kandidat für die Nachfolge Faures
gilt der gegenwärtige Senatspräsident Loubet. Die
Kammergruppen der demokratischen Linken und der pro-
gressistischen Union, der radikal-sozialistischen Linken und
die sozialistische Gruppe stimmten der Kandidatur Loubets
zu. Loubet nahm dieselbe an. Im Senat gilt seine Wahl
als sicher. Als er sich gestern im Senat erhob, um Faure
einen Nachruf zu halten, wurde er mit einer dreifachen
Beifallssalve und dem Rufe: „Es lebe die Republik!" be-
grüßt. Loubet war ursprünglich Goldwaarenhändler; als
Minister und als Senatspräsident hat er sich ganz ge-
schäftsgewandt gezeigt. Für Repräsentation im größeren
Stil dürfte er nur wenig geeignet sein. Frankreich würde
an ihm einen sehr ausgesprochen bürgerlichen um nicht zu
sagen spießbürgerlichen Präsidenten haben.

Deutsches Reich
— Der Nordd. Allg. Ztg. zufolge wird die vom
Bundesrath genehmigte Vorlage betr. die Schlacht vieh-
und Fleischbeschau unverzüglich dem Reichstage zugehen.
Deutscher Reichstag. Berlin, 17. Fcbr. Vor Ein-
tritt in die Tagesordnung widmete der Reichskanzler
dem verstorbenen Präsidenten der französischen Republik,
Faure, einen sympathischen Nachruf. (Den Wortlaut
desselben finden die Leser in dem Artikel zum Tode Faures.)
Hierauf wird die Besprechung der Interpellation
Johannsen fortgesetzt.
Abg. Hänel (freis. Ver.) verurtheilt die Ausweisungen als
ungerechtfertigt und mit dem Gesetz nicht im Einklang stehend.
Die Regierungsmaßregeln drückten der Agitation die beiten
Waffen in die Hand. Grade das deutsche Volk sei bei dem Um-
stande, daß so viele Deutsche im Auslande lebten, auf eine ge-
rechte Handhabung der Ausweisungspolitik angewiesen-
Abg. v. Tiedemann (Rp.) tritt nur in die Discussion
ein, um zu vermeiden, als fürchte sich seine Partei davor. Sie
führe es auf die Schwäche der preußischen Regierung zurück,
daß die dänische Agitation immer weitere Kreise ziehe. Sie sei
mit dem jetzigen Vorgehen der Negierung einverstanden.
Abg. Liebknecht (Soc.): Die Verhandlung gehört vor den
Reichstag, nicht vor den Landtag, dieses traurige Product des
elendesten aller Wahlgesetze. (Heiterkeit.) Redner nennt die Aus-
weisungen einen Skandal, eine Schande und eine Schmach und
stellt, wie gewöhnlich, die Schweiz, das am besten regierte Land
Europas, auch hier als Muster hin. Die Freiheit nur löse
Nationalitätenfragen. (Lachen und Oho! rechts.)
Abg. Dr. v. Levetzow (cons.): Seine Partei sei der Ansicht,
daß die Sache vor den Landtag gehöre, wo sie auch schon ge-
nügend besprochen sei.
Abg. Toennies (ntl.) schließt sich den Ausführungen Tiede-
manns an. Das Bestehen der deutschen Sprache sei in Nord-
schleswig gradezu bedroht gewesen.
Abg. Dr. Lieber (Centr.) muß nach der Reichsverfassung
die Zuständigkeit des Reichstages in dieser Frage auf jeden Fall
bejahen. Es wäre ein großer Rückschritt, wenn wir uns durch
die Haltung der Regierung unser Recht verkümmern ließen. In
einem ähnlichen Falle vom Juli 1874 habe» die Regierungen zu
einem solchen Antrag wohl materiell Stellung genommen und
die Zuständigkeit des Reichstages damit anerkannt. Eine so

verkehrte Maßregel und so verhängnißvolle Politik müsse jeden
Freund unseres Volkes dazu zwingen, hier seine Stimme zu er-
heben im eigentlichsten Interesse des deutschen Vaterlandes. Im
Abgeordnetenhause sei die Sache nicht genügend besprochen
worden. Er erinnere an die parallelen Verhältnisse der Deutschen
in Amerika. Himmelschreiend seien die Maßnahmen gegen die
deutschen Staatsangehörigen dänischer Zunge, die schon morgen
jeden von uns treffen könnten. (Beifall links und im Centrum.)
Nächste Sitzung morgen. Tagesordnung: Wahlprüfungcn und
Salisch.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben dem
katholischen Divisionsküster Wilhelm Paul in Rastatt die sil-
berne Verdienstmedaille verliehen, den Freiherrn Adolf Göler
von Ravensburg-Brüggen von Schutthaufen zum Kammer-
junker ernannt, den Hauptamtsverwalter Julius Elxleben
in Karlsruhe zum Finanzinspektor, den Finanzassessor Wil-
helm Schnurr in Karlsruhe zum Steuerinspektor und den
Finanzassessor Otto Odenwald in Karlsruhe zum Sekretär
bei der Domänendirektion ernannt; den Finanzassessoren Franz
Kremp in Singen, Josef Malle drei n in Lahr, Ludwig
Waibel in Pforzheim, Bernhard Bürck in Mannheim und
Julius Herkcrt in Freiburg den Rang als Hauptamtsverwalter
verliehen und die Finanzpraktikanten Adolf Böttlin von Kon-
stanz, Karl Häusl e von Donaueschingen, Hermann Kemp ff
von Radolfzell und Otto Flum von Buchen unter Verleihung
des Titels Ftnanzassessor zu zweiten Beamten der Bezirksfinanz-
verwaltung mit Hauptamtskontroleursrang ernannt.
— Mit Entschließung Großh. Ministeriums der Finanzen
wurden die Finanzassessoren Franz Effing er in Mannheim
zum Hauptsteueramt Karlsruhe, Arnold Niedereder in Baden
zum Hauptzollamt Mannheim und Philipp Weidner in
Stühlingen zum Hauptsteueramt Baden versetzt, die Finanz-
assessoren Adolf Böttlin dem Hauptsteueramt Stühlingen und
Hermann Kempsf der Zolldirektion zur Verwendung im Se-
kretariat zugethetlt und den Finanzassessoren Karl Hänsle der
Dienst des Steuerkomissärs für den Bezirk Waldkirch und Otto
Flum der Dienst des Steuerkommissärs für den Bezirk Donau-
eschingen übertragen.
Karlsruhe, 17. Februar. Zur Frühstückstafel er-
schienen bei den Höchsten Herrschaften die Prinzessin Wil-
helm und Prinz Max, welcher heute aus St. Petersburg
hier eingetroffen war. Abends halb 8 Uhr empfangen der
Großherzog und die Großherzogin den Kaiserlichen und
Königlichen Oesterreichisch-Ungarischen Gesandten Grafen
von Clary und Aldringen und Gemahlin, welche heute
von Stuttgart angekommcn sind. Zu Ehren des Gesandten
und seiner Gemahlin findet eine Abendtafel statt. Hierzu
find Einladungen an eine größere Anzahl von Personen
ergangen.

Ausland.
Frankreich. Paris, 17. Febr. lieber die letzten
Stunden des Präsidenten Faure wird gemeldet: Um
6 Uhr kam der Präsident aus seinem Arbeitszimmer an
die Thür des anstoßenden Bureaus seines Cabinetsdirektors
Le Galt und sagte zu diesem: Ich fühle mich un-
wohl, kommen Sie zu mir. Le Gall eilte sofort auf
den Präsidenten zu, der sich noch sehr gut aufrecht hielt
und geleitete ihn, indem er ihn am Arm stützte, zu dem
kleinen Sopha in dem Arbeitszmmcr des Präsidenten. Faure
griff sich mit der Hand nach dem Kopf und wiederholte,
indem er sich die Stirne rieb: M i r i st' s s ch l e ch t.
Auf die Frage Le Gall's, was er am Sitze des Nebels
empfinde, erwiderte der Präsident, der bei vollem Bewußt-
sein geblieben war: es ist eine allgemeine Schwäche, mir
wird schwindlich. Ls Gall ließ sofort den Chef des
Militärkabinets Bailloud sowie den Kabinetsunterdircktvr
herbeirufen und bat den letzteren, rasch einen Arzt herbei-
zuholen. Gleichzeitig hörte er, daß sich zufälliig Dr.
Humbert bei seinem Bruder, dem Major Humbert, im
Elysee befinde. Dieser richtete die erste Frage an den
Präsidenten, gab ihm Schwefeläther zu athmen und
machte dem Präsidenten, dessen Zustand anfangs nicht be-

* Das Romanfeutlleton findet der Leser im heutigen
»«eiten Blatt.
Stadt-Theater.
O Heidelberg, 18. Februar.
- „Der Kaufmann von Venedig." Lustspiel in 5 Akten
Sh akesp eare.
. Merkwürdig, ein Stück, das nunmehr über drei Jahrhunderte
U ist, hat für unsere Tage noch ein aktuelles Interesse. In der
Mur des Juden Shylock hatShakespeare dieselbe Frage wenig-
gestreift, die am Ende des 19. Jahrhunderts noch weite
-Mse beschäftigt, was allein ein Hinweis auf die gestern Abend
eftr abgehaltene Zionistenversammlung bestätigt. Allerdings war
E Stellung zum Judenthum für die Leute des 16, Jahrhunderts
Lmtlich keine Frage; oder wenn es eine war, so fanden sie eine
schwinde Antwort auf dieselbe und die lautete, mit den später
M Lesfing geprägten Worten ausgedrückt: „Der Jude wird ver-
Mnnt!" Und in letzter Instanz ist das auch das Urtheil des
N°ßen Dichters seinem Shylock gegenüber: nachdem er alles ge-
hat, um dessen Tücke und Rachgier aus den unerhörten
e»f?flkungcn, die er erlitten, wenn auch nicht entschuldbar, so doch
MMich zu machen, läßt er zum Schluß bei der Bestrafung des
MM Grausamkeit auf Grausamkeit häufen. Ein Hohn auf die
mfiüllche Moral, aber auch ein Beweis, daß selbst die größten
^.«ster Kinder ihrer Zeit sind, und nichts so wandelbar ist, als
di? etlichen Begriffe, denen man mit dem bekannten Schlagwort
lM „Ewig Wahren, Guten und Schönen" so gerne unveränder-
Dauer zuschreibt.
s.Mie Figur des Juden nimmt denn auch so ziemlich das ge-
hjlfwte Interesse im Stücke in Anspruch. Bei der Darstellung
ivM,Rolle kann man die merkwürdigste» Dinge erleben. Der
«inen l Haß und Gunst macht sich bei dieser Gelegenheit auch
Äu» » ^ der Schauspielkunst bemerkbar und alle Skalen der
UyMssuug vom Ungeheuer in Menschengestalt bis zum glorien-
H>"ahlten Märtyrer sind in der Bühneutradition vertrete». Herr
Uia^Mru a r, Darsteller Shylocks am vorgestrigen Abend,
Kikin E feinem Takte keinem der beiden Extreme eine Kou-
sondern blieb lediglich in den Intentionen des Dichters,

der den üblen Charakterseiten dieser Persönlichkeit eine mensch-
liche Erklärung gibt. Es war eine äußerst geistvolle Leistung,
die der hochbegabte Künstler bot, und die gerade durch ihr weises
Maßhalten eine mächtige Wirkung erzielte. Vortreffliche Maske,
effektvolles Mienenspiel, plastische Bewegungen, dramatisch er-
schütternde Sprache — alle diese Faktoren vereinigten sich zu
einer künstlerischen Schöpfung, die Allen, die sie gesehen, noch
lauge im Gedächtniß haften wird. Wie sehr das gebildete
Publikum den Darsteller schätzt, bewies das Aussehen des
Hauses, das trotz der Fastnachtswoche beinahe vollständig besetzt
war. Er wurde durch mehrere Kranzspenden ausgezeichnet und
mußte sich während des Abends unzählige Male vor dem Vor-
hang zeigen.
Was die anderen Leistungen betrifft, so muß gleich hier auf
die vortreffliche Vertretung des „Kaufmann" durch Herrn Sigl
hingewiesen werden. Wenn die Sprödigkeit seines Organs der-
artigen Rollen Eintrag thut, so ersetzte er das vollauf durch die
gemüthvolle Schlichtheit des Tons, mit der er für den thuten-
losen Dulder ein Interesse zu erwecken wußte, wie wir es noch
bei keiner Darstellung dieser Figur empfunden haben. Der
Porzia des Frl. Heinrich merkte man es kaum an, daß Frl.
Heinrich für eine erkrankte Collegin eingesprungen war, eine so
sichere und sympathische Leistung brachteste. Obwohl ihre eigent-
liche Veranlagung sie ja auf ein anderes Feld weist, erzielte sie
doch mit der „Repräsentantin des heiteren Glücks" eine be-
merkenswerthe Wirkung. Herr Göbel war ein frischer und
liebenswürdiger „Bassanio" und hatte die Zaghaftigkeit, die ihm
manchmal noch anhastet, diesmal vollständig abgestreift. Aus-
gezeichnet war Herr Blank als der fröhliche „Grazian", wäh-
rend auch die Herren MaYrtng (Marocco) und Weinmann
(Arcagont zu loben sind. Herr Ehrens spielte seinen
„Lorenzo" recht gut, nur hat sein Organ fast stets einen dunklen
und belegten Ton. Den ungewohnten Aufgaben, im klassischen
Stücke zu wirken, wurden die Damen Hoheneck (Rerrssa) und
Konrad (Jessica) aufs beste gerecht. Für die Lachlust der
Zuschauer sorgten der fidele „Lanzelot" des Herrn Stettner
und der komische „alte Gobbo" des Herrn Rudolph äußerst
erfolgreich.

Die Regiekunst des Herrn Dankmar hatte sich wieder ganz
hervorragend bethätigt. Die Massenscenen und besonders die
Gerichtssitzung im 4. Akt waren Bilder, auf denen das Auge,
wie auf einem Gemälde, mit Genuß verweilte. Auch das
venezianische Maskentreiben war stimmungsvoll getroffen. Aber
nicht nur an den Karneval von Venedig, sondern auch an den
von Heidelberg wurden wir an dem Abend erinnert, indem gleich
zu Anfang des Stückes ein „Freund des Antonio" darthat, daß
ihm die letzten Tage zum Studium des Shakespeare absolut keine
Zeit gelassen hatten. _ L. Li.

Kleine Zeitung.
Z. Zeitgemäße Betrachtungen. Nach kurzem reichem Leben —
hat nun Prinz Carneval — der Welt Valet gegeben — bis zu
dem nächsten Mal. — Trübsel'ge Spuren zeugen, — daß jäh er-
losch sein Licht; — der bunte, laute Reigen — wich ernster
Alltagspflicht. — Manch Einer schaut betreten — ins leere
Portemonnaie — und seufzt, denn die Moneten — sind futsch.
Herrjemine! — Manch Andrer nach Gewohnheit — greift hurtig
nach der Uhr — ja Kuchen, Prosit Mahlzeit! — er greift ins
Leere nur. — In sicherem Locale, — da ruh'n von weit und breit —
die Unterpfänder alle — vergnügter Faschingszeit. — Die Mittel
sind zerronnen — das Geld ist fortgerollt — und seiner Faschings-
wonne -nachträglich Mancher grollt. — Und wer sich will ge-
trösten: — „Geld rollt, doch Bildung bleibt" — der hat damit
den größten — Jrrthum sich einverleibt. — Denn also sprach
Herr Hammerstein — der Landwirthschaftsminister — Ihr seid
doch Alle groß und klein — die wahren Bildungsphilister. —
Wer mehr als die vier Spezies kennt — und wie die zehn Ge-
bote — der ist, wie man ihn füglich nennt, — ein arg verbildeter
Schote. — Er taugt nicht mehr zur Landwirthschaft; — die
Lehrer thun mich kränken — die keck mit ihrer Wissenschaft —
das Landkind wollen tränken. — Wer garuichls weiß, der wird
ein Mann — nach meinem Landwirthsherzen — wer Erdkund'
und Naturkund' kann — der macht mir große Schmerzen —
denn mit den Kenntnissen ist's nichts — bestreiten kann mir's
Keiner. — So spricht er ernsten Angesichts; — es lächelt
Fidel Greiner.
 
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