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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0553

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122.

Zweites Statt.

SllwstW, den 27. Mai

1899.

Vom Tuberkulose-Conaretz.
ii.
Berlin. 25 Mai.
Ueber der heutigen Morgensitzung, die die Ursache der Tuber-
kulose zum Gegenstände hatte, schwebte der Geist Robert Kochs,
nur Robert Koch selbst fehlte. Die Sitzung war ausgezeichnet
besucht. Sämmtliche Referenten, Schüler und Mitarbeiter Robert
Kochs, sprachen mit sichtbarer Ueberzeugungstreue und ihre Be-
geisterung theilte sich, wie die ihren Worten folgenden lebhaften
Kundgebungen bewiesen, den Zuhörern mit.
Als Erster sprach der Hygieniker Flügge über den Tu-
berkelbazillus in seinen B eziehungen zur Tuber-
kulose. Ist der Tuberkelbazillus die einzige und unmittelbare
Ursache der Tuberkulose? Bis vor wenigen Jahren war die Ant-
wort, die zahlreiche Autoritäten auf diese Frage gaben, keine un-
bedingt bejahende: Es wurde behauptet, daß in den Organen
Veränderungen Vorkommen, ähnlich denen, wie sie der Tuberkel-
bazillus macht, ohne daß Tuberkelbazillen nachgewiesen werden
könnten. Heute lautet die Antwort: Ohne Tuberkelbazil-
lus kein e tu berkulosen V er änderungen! Nach Flügge
und den Anschauungen der Koch'schen Schule ist der Tuberkel-
hazillus nicht allein die Ursache der verschiedenen Arten der mensch-
lichen Tuberkulose, sondern auch der bei den Säugethieren vor-
kommenden Tuberkulose. Die Geflügeltuberkulose hingegen ist
nicht identisch mit diesen Formen von Tuberkulose. Was nun den
Boden betrifft, auf dem der Tuberkelbazillus die Bedingungen für
seine Entwicklung findet, so kann er, abgesehen von künstlichen
Kulturen, nur im menschlichen und thierischen Organismus ge-
deihen; in der Außenwelt kann er sich nicht entwickeln.
Die Art und Weise, wie die Uebertragung des Tuberkelbazillus
zu Stande kommt, beleuchtete Fränkel (Halle) sehr eingehend.
Jeder Mensch und jedes Thier, in dessen Absonderungen Tuberkel-
bazillen enthalten sind, bildet eine Quelle der Ansteckung. Auf ver-
schiedenen Wegen kann der Tuberkelbazillus in den Körper des
Menschen eindringen: 1) durch die äußere Haut, 2) durch die
Schleimhäute, 3) durch den Magendarmkanal: Genuß von Milch,
Butter und Fleisch, 4) durch die Lungen. Der letzte Weg ist der
bei weitem häufigste. Diese Art der Uebertragung vollzieht sich,
wie neuerdings Flügge durch eine Reihe von Versuchen nachge-
wiesen hat, durch Einathmen des feuchten, frischen und zum Bei-
spiel beim Husten oder Niesen versprühten Auswurfs der Schwind-
süchtigen. Während die ruhige Ausathmungsluft der Schwind-
süchtigen gefahrlos ist, ist der beim Husten oder Niesen verstäubte
Auswurf in hohem Maße infektiös. Auch der am Fuß-
boden, an Taschentüchern, an Wäschestücken angetrocknete und ver-
staubte Auswurf der Schwindsüchtigen ist sehr tuberkelbazillen-
haltig. Besondere Beachtung verdient der Staub. Zahlreiche
Erkrankungen von Kindern an Drüsentuberkulose dürften
davon herrühren, daß die Kinder auf dem Boden spielen und da-
bei durch eine äußere Hautwunde sich tuberkelhaltigen Staub zu-
führeu. Zum Glück ist die Lebensdauer u Lebensfähigkeit außer-
halb des menschlichen oder thierischen Körpers eine beschränkte.
Sie vermehren sich hier und gehen zu Grunde, indem sie entweder der
Fäulniß oder der Eintrocknung oder der Einwirkung des Lichtes
erliegen. Man pflegt ihnen daher nachweislich nur in der nächsten
Umgebung der Kranken zu begegnen. Dadurch ist die Jufektions-
fähigkeit des Tuberkelbazillus eine viel geringere als die des
Cholerabazillus, der auch in der Außenwelt gedeihen und sich
fortentwi'ckeln kann. Die Ansteckungsgefahr für den Menschen
wird weiter noch herabgemindert, indem eine Uebertragung des
Tuberkelbazillus nur bei wiederholter und reichlicher
Aufnahme der Tuberkelbazillen stattfindet, also
bei engem und fortgesetztem Verkehr mit dem
Kranken. Die Tuberkulose verbreitet sich demgemäß fast allein
innerhalb der Familien oder unter Menschen, die eingeschlosseu
in schlecht gereinigten und gelüfteten Räumen zusammen gedrängt
leben, arbeiten und schlafen und entsteht nur durch die Infektion
mit dem Tuberkelbazillus.
Wie verträgt sich nun mit dieser Ansicht die alte Lehre von der
Erblichkeit der Tuberkulose? Diese Frage erörterte
Löffler-Greifswald, der Entdecker des Diphtheriebazillus. Wohl
kein Glaube hat so tiefe Wurzeln geschlagen wie der an die Erb-
lichkeit der Tuberkulose. Dieser Glaube stammt aus der Zeit, wo
die Tuberkulose eine Konstitutionsanomalie war. Seit der Ent-
deckung der wahren Ursache der Tuberkulose haben sich andere An-
schauungen entwickelt. Alle Redner stimmten mit Löffler darin
überein, daß die Vererbung der Tuberkulose von den Eltern auf
die Kinder, auf die früher so großes Gewicht gelegt wurde, für
die Praxis nicht in Betracht kommt. Ob die Disposition zur
Tuberkulose vererbt werden kann, darüber sind die Meinungen
noch nicht geklärt. Löffler nimmt an, daß nicht die spezifische
Disposition für Tuberkulose, sondern die allgemeine Disposition
für Krankheiten vererbt wird. Bei einem schwächlichen Organismus

entstehen leicht Krankheiten der Athmungs- und Verdauungswege
und diese können dann das Zustandekommen der Tuberkulose-An-
steckung begünstigen. Aus all' diesen Ausführungen erhellt, daß,
wenn z. B. in einer Familie oft 5 bis 6 Familienmitglieder an
Tuberkulose erkranken, dies nicht auf Vererbung der Tuberkulose
von den Eltern her beruht, sondern auf Ansteckung eines
Familienmitgliedes durch das andere. Die praktischen Schluß-
folgerungen ergeben sich daraus von selbst. Der schwächliche
Organismus muß gestärkt und nach Möglichkeit vor Ansteckung
geschützt werden. Am Ende seiner lehrreichen Darlegungen zog
Löffler noch die Jmmunitätsfrage in den Kreis seiner Betrachtungen.
Bisher sind weder Fälle von natürlicher Immunität noch Fälle
von erworbener Immunität gegen Tuberkulose nachgewiesen.
Nach Löffler sprach Pfeifer über „Mischinfektionen". Die
Tuberkulose ist nämlich nur verhältnißmäßig kurze Zeit un-
komplizirt. In der Regel verbinden sich andere Krankheitserreger,
wie das durch die Untersuchungen der letzten Jahre nachgewiesen
ist, mit den Tuberkelbazillen. Die mit Mischinfektionen Behafteten
stellen in gewisser Hinsicht eine Gefahr für an uukomplizirter
Lungentuberkulose Leidende dar. Es ist daher auf die rechtzeitige
Erkennung und event. Jsolirung Werth zu legen.
Aus der großen Zahl der noch gehaltenen Vorträge sei zunächst
noch der von Buch -Hirschfeld (Breslau) über das erste Stadium
der Lungenschwindsucht erwähnt, der aus Grund von 32 Sektions-
befunden die Annahme vertrat, daß die Tuberkulose in der Schleim-
haut eines mittelgroßen Bronchus ihren primären Sitz habe.
Nach ihm vertheidigtc Lounelongue mit echt französischer
Wärme seine Thesen über Verletzungen und Tuberkulose, die wohl
nur von einem geringen Theil der Zuhörer verstanden wurden, da
sie französisch vorgetrageu wurden.
Nach einer nur halbstündigen Pause wurden die Verhandlungen
unter dem Vorsitz des Geheimrathes Gerhardt wieder ausge-
nommen und zogen sich bis gegen 5 Uhr hin. Der Gegenstand
war die Prophylaxe der Tuberkulose. Das wichtigste
Vorbeugungsmittel gegen die Lungentuberkulose ist, wie Roth
(Potsdam) ausführte, die Verhütung der Einathmung des feuchten
oder getrockneten Auswurfes in zerstäubtem Zustande. Daher
muß möglichst schnell und unschädlich vom ersten Beginn der Er-
krankung au der Auswurf beseitigt werden und die Verbreitung
der beim Husten, Niesen und Räuspern verspritzten Tröpfchen
vermieden werden. Es liegt daher eine möglichst frühezeitige Fest-
stellung nicht blos im Interesse des Einzelnen, sondern auch im
Interesse der Prophylaxe. Es muß daher die Aufgabe der Aerzte
und des Pflegepersonals sein, auf ein geeignetes Verhalten der
Kranken, namentlich auch hinsichtlich der Beseitigung des Aus-
wurfes, hinzuwirken. Neben der mündlichen Belehrung ist
in dieser Hinsicht von besonderem Werth die in den Heil-
stätten für Lungenkranke gegebene praktische Unterweisung.
Ferner müssen wegen der Gefahr der Verbreitung der Tuberkulose
in engen und geschlossenen Räumen alle hier in Frage kommenden
Aufenthaltseinrichtungen mit Einschluß der Schulen und Gefäng-
nisse sorgfältig überwacht werden. Eine sehr beachtenswcrthe
Forderung spricht Roth ferner aus, wenn er verlangt, daß alle
die Berufsarten, die eine besonders nahe, innige oder länger
dauernde Berührung mit anderen, namentlich Kranken oder ge-
schwächten Personen nothwendig machen (Beruf der Hebammen,
der Krankenpfleger und Krankenpflegerinnen), desgleichen Berufs-
arten, die eine besonders nahe Berührung mit zum Genuß fertigen
Nahrungs- und Genußmitteln mit sich bringen, von Personen, bei
denen Tuberkelbazillen im Auswurfe nachgewiesen sind, nicht aus-
geübt werden dürfen. Um eine rechtzeitige Desinsektion der von
Lungentuberkulosen innegehabten Räume zu ermöglichen, soll die
Anzeigepflicht für Erkrankungen an Lungentuberkulose, die in Privat-
Krankenaustalten, in Waisen-, Armen-, Siechenhäusern Vorkommen,
eingeführt werden.
Ueber die Gefahren der Erschließung von Tuberkulösen und
deren Verhütung und Bekämpfung sprach Geh. Medizinalrath
Prof. Dr. Kirchner- Berlin. Seine Thesen sind bereits niitge-
theilt. Nach Kirchner sprach Rubner über die Prophylaxe der
Tuberkulose hinsichtlich der Wohuuugs- und Arbeitsräume und
des öffentlichen Verkehrs.
Das Referat Rudolf Virchow's hatte die Prophylaxe in
Bezug auf Nahrungsmittel zum Thema. Die von ihm aufgestellten
Leitsätze lauteten: 1. Das Rindfleisch. Die bestehenden Gesetze,
Verordnungen und Einrichtungen genügen, wenn sie verallgemeinert
werden, für das Fleisch der unter Kontrolle stehenden Schlacht-
häuser. Es wiro aber erforderlich sein, das eiugeführte Fleisch
und die Privatschlachtungen einer ausgiebigen Kontrolle zu unter-
stellen. Die Einführung von lebendem Vieh aus dem Auslande
ist nur dann zu gestatten, wenn die Tuberkulinprobe keinen Ver-
dachtsgrund ergeben hat. 2. Die Milch von Milchkühen. Milch-
kühe (Ziegen u. s. w.) sind der Tuberkulinprobe zu unterziehen.
Der Verkauf von roher Milch ist zu verbieten, falls diese Probe
positiv ausgefallen oder nicht ausgeführt ist. Andernfalls ist die

Milch nur nach voraufgegangener Sterilisirung zum Verkauf zuzu-
lassen. 3. Das L-chweinefleisch. Die ungewöhnliche Häufigkeit,
in der Tuberkulose in den Lymphdrüseu, Wand des Halses
(Scrofeln) auftreten, erfordert eine Verschärfung der Kontrol-
vorschriften bei der Schlachtung und bei der Verwerthung des
Fleisches. 4. Geflügel. Die Tuberkulose der Hühner und des
sonstigen Zuchtgeflügels ist nach den bisherigen Erfahrungen nicht
identisch mit der Tuberkulose der Menscheu und der höheren Säuge-
thiere. Es empfiehlt sich zuerst, die Vernichtung des Tuberkulose-
Geflügels anzuordnen. —(Franks. Ztg.)
Deutsches Reich
— In den Geestemünder Fischereihafen
liefen im ersten Vierteljahr des laufenden Jahres 490
Fischdampfer und 32 Segelfahrzeuge ein gegen 444
Dampfer und 28 Segler in der gleichen Zeit des Vor-
jahres. Am Fischereihafen wurden in Auktion umgesetzt:
7 733 434 Pfund Fische mit 1313104 Mk. Erlös gegen
7 584 976 Pfund Fische mit 996 009 Mk. Erlös in der
gleichen Zeit des Vorjahres. Der Umsatz übersteigt dem-
nach den des entsprechenden vorjährigen Zeitrauins um
317 095 Mk. Der größte Verkehr entwickelte sich wieder
in der Charwoche. Im abgelaufenen Vierteljahr wurden
wieder in ausgedehnter Weise die isländischen Gewässer
befischt. Auch die Gründe bei den Färöer- und Shet-
landsinseln wurden vielfach aufgesucht. Der geringe Fisch-
reichthum der Nordsee nöthigt die Fischer mehr und mehr, sich
den nordischen Fischgründen zuzuwenden. Die Abneigung
der Konsumenten gegen die großen, grobfaserigen inländi-
schen Fische ist in Abnahme begriffen, sodaß sich daher ihr
Absatz weniger schwierig gestaltet.
— Aus Madrid wird der Westdeutschen Zeitung ge-
schrieben: Großes Erstaunen hal es in Spanien, dem
katholischsten Lande der Welt, erregt, daß Fürstbischof Kopp
öffentlich gesagt hat, der Charfreitag sei für die Katholiken
überhaupt kein Feiertag. In ganz Spanien ist der
Charfreitag ein großer Feiertag, wohl der
größte. Am Fronleichnamstag dürfen die Wagen durch
die Straßen fahren, am Charfreitag darf in dem Centrum
von Madrid kein einziger Wagen, keine Pferdebahn, keine
elektrische Bahn von 10 Uhr Morgens bis 7 Uhr Abends
fahren. Geschäfte, Läden, fast alle Regierungs- und Staats-
gcbäude, alle Ministerien sind geschlossen. Große Pro-
zessionen ziehen durch die Straßen. Von Deutschland,
von Frankreich und England vor allem strömen die
Fremden zu Tausenden herbei, um diese Charfreitags-Pro-
zession besonders in Sevilla zu sehen, und in allen Zeitungen
wird darüber berichtet.
Für die Redaction verantwortlich: F. Montua in Heidelberg.
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Aöbs», a-r Ij'H/MrA rr-rck e-/>stse/r6-rcksM
Äbs-'t/stM ML. 7,50 --ere/rk Zeit ans n-rcf
rs( r» affen bssse-'en 7)?'0Fe-n'öw, TÄ-'/ame-ste-r r»rcf
Län/fre/i.
Hierzu Heidelberger Familtenblätter Nr. 42.
Inhalt: Die Restauration des Heidelberger Schlosses unter dem
badischen Fürstengeschlechte. Von Alfred Starck, Notar a. D. in
Heidelberg. (Fortsetzung.) — Erinnerungen an den Aufstand
im Großherzogthum Baden 1849. Von L. Maximilian Fuchs
in Darmstadt. — Verschiedenes. — Vom Büchertisch.

9)

Josephinens Glück.
Erzählung von A. von der Elbe.
(Fortsetzung.)

Der Tag kam bald, in welchem das Souper stattfinden
sollle, und mit hochgespannten Erwartungen ging Bruno in
die Gesellschaft des Börsensürsten.
Ein parkartiger Garten mit den schönsten Rosen öffnete
sich den Gästen, wenn sie aus den Räumen der Villa die
mit Blumen besetzte Freitreppe hmabsttegen.
Hinter dem Gebüsch konzertirte ein Musiklorps. Tische
mit Erfrischungen, von Livreedienern besorgt, standen hier
und da.
Das Wetter war sommerlich, und die hellfarbigen Toiletten
der Damen schimmerten gleich Blumen im Grünen.
Bruno scherzte mit einigen jungen Mädchen, als er den
alten Haften mit den beiden Damen die Freitreppe Herab-
kommen sah.
Eine wunderliche Spannung bemächtigte sich seiner, als
er dem Nachbarn vorgestellt wurde.
Nach einigen höflichen Worten der Begrüßung zum Vater,
trat Bruno auf die Tochter zu und sagte:
„Ich werde den Vorzug haben, mein gnädiges'Fräulein,
beim Souper Ihr Nachar zu sein."
Cora warf das schwarzlockige Köpfchen auf und erwiderte:
„So? Soll ich denn nicht gefragt werden, ob ich's auch
will?"
„Ich glaube, wir müssen uns allerseits den Bestimmungen
der verebrlichen Gastgeber fügen," erwiderte er lächelnd.
„Uebrigens bin ich unseren gütigen Wirthen außerordentlich
dankbar für rhre beglückende Anordnung."
Sie blitzte ihn mit ihren dunklen Augen keck an: „Sie
meinen wohl, daß wir wegen der Nachbarschaft in der Allee
schon ganz intim sind?"
„Ich würde solchen Gedanken nicht wagen."
„Ach, thun Sie doch nicht so neugeboren und harmlos!"

Andere junge Männer ließen sich der kleinen Naiven vor-
stellen und wurden ebenso formlos behandelt.
Das Fest nahm seinen Verlauf.
Bruno kam öfter mit Cora in Berührung oder beobachtete
sie. Sie zog ihn an und gefiel ihm andererseits doch nicht -
ganz.
Er liebte es, Widerstand zu finden und zu besiegen. Allein §
die Art. wie das kleine bräunliche Ding derb und naseweiß
herauSsagte, was ihm gefiel, entsprach nicht seinem Geschmack.
Die Unterhaltung bei Tisch bestand in oberflächlichen
Plänkeleien. Cora war kokett, sie spielte mit Worten und
Stimmungen und wußte ihre dunklen Augen zu gebrauchen,
allein ihrer Koketterie fehlte alles Weiche und Schmiegsame.
Der junge Assessor, sonst ein Meister der geselligen Unter-
haltung, fühlte sich hier oft auf dem Trockenen.
Sie ist eben noch ein launenhaftes Kind mit ungewecktem,
weiblichem Empfinden, lautete sein Endurtheil.
Nach der Gesellschaft ging Bruno mit Pilar in ein
Nachtkaffee.
„Nun, wie gefällt sie Dir und wie weit bist Du mit ihr
gekommen?" fragte der Leutnant.
Der Assessor äußerte seine Meinung über das Wesen des
Mädchens.
„Aber diese Herbigkeit ist gerade ein Reiz der Jugend!
Sentimental werden die Weiber früh genug."
„Sie kommt mir etwas leer vor."
„Pah, Unreife! Das bewußte weiße Blatt. Es nimmt
am besten an. was wir darauf schreiben wollen."
„Sie ist mir auch aus der Ferne und unter dem Schleier
hübscher und feiner erschienen."
„Du darfst von einer so Pikanten Brünette keinen zarten
Teint verlangen. Und die Millionen sind treffliche Schön-
heitspflästerchen."
„Na, man kann ja weitersehen."
„Ich rathe Dir, schneidig vorzugehen. Werden sich genug
hungrige Schlauköpfe für die Kleine finden. Sie hat Auf-
sehen gemacht. Wäre doch ein riesiges Glück für Dich, in
der Steeplechase um den Hauptpreis der Saison allen andern

'ne Naselang vorbei zu schießen. Aber Du bist ganz der
Mordskerl, das zu leisten."
Nach diesem ersten Zusammensein mit der Erbin setzte
Bruno, so gut er's vermochte, die interessante Bekanntschaft fort.
Er stattete Herrn van Haften seinen Besuch ab, fand aber
die Persönlichkeit des reichen Mannes wenig zusagend.
(Fortsetzung folgt.)
Kleine Zeitung.
— Mainz, 25. Mai. In der Person eines angeblichen Kauf-
mann Schmelzer von Heidelberg ist der hiesigen Polizei
ein Schwindler in die Hände gefallen, der unter der falschen
Angabe Vertreter und Reisender der Cigarrenfabriken Graf in
Bingen, HaaL-Dillenburg und Landfried-Heidelberg zu sein, bei
Gastwirthen, Spezereihandlungen und Konsumvereinen vorsprach
und widerrechtlich Kundengelder in beträchtlicher Höhe erhob. In
einem Dorfe bei Wüllstein hat den Schwindler sein Schicksal er-
eilt. Nach bis jetzt erfolgten Nachforschungen ist die Zahl der
Betrugsfälle außerordentlich groß und sind die betheiligten Fa-
briken und Kunden um viele Tausende geprellt.
— Belohnung eines jugendlichen Helden. Die Königin von
Württemberg hat Pfingstmontag den fünfzehnjährigen Lrcher-
gehülfen Karl Frobn müller empfangen, um ihm zur An-
erkennung des von ihm bewiesenen außergewöhnlichen Opfer-
muthes ihr Bild und ein ansehnliches Geldgeschenk zu über-
reichen. Frohnmüller hat sich seinerzeit ein größeres Stück Haut
vom Körper abzieheu lassen, um das Leben seiner Schwester zu
retten; die letztere war in ein Gefäß siedenden Malzes gefallen
und hatte sich dabei derart verbrüht, daß nach ärztlichem Aus-
spruch nur durch Auflegen der Haut eines andern Menschen auf
die verbrühten Körperstellen ihre Rettung möglich war. Der
junge Bruder war der Einzige, der sich zu dem schweren Opfer
bereit fand. Seine Schwester und er selbst sind jetzt wieder
glücklich hergestellt.
 
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