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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0243

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Xi-. 55.

den 8. Mär?

1899.

Landesausschußsitzung der natioualliberalen Partei.
L. 0. Karlsruhe, 5. März. Die heutige gut besuchte Ver-
sammlung des natioualliberalen Landesausschusses wurde von
dem Vorsitzenden des Karlsruher national-lib. Vereins, Professor
Seith, eröffnet. Nach einem Vorschlag des engeren Ausschusses
wurde Geheimer Rath Prof. Dr. Georg Meyer zum Vorsitzenden
gewählt, der die Leitung der Versammlung mit dem Ausdruck
des Dankes für das entgegengebrachte Vertrauen annahm. Herr
Meyer schloß daran eine längere Ansprache, worin er des Heim-
gangs des Fürsten Bismarck erwähnte und sich dann über die
politischen Vorkommnisse der letzten Zeit und die politische Lage
in der gleichen Weise verbreitete, wie er cs kürzlich in einer
nationalliberalen Versammlung in Heidelberg gethan.
Landgerichtspräsident Fieser erstattete den Bericht über die
Thätigkeit im Landtag. Auch hier bestehe eine Parallele mit
der Lage im Reiche insofern, als auch hier die Centrumspartci
eine ausschlaggebende Bedeutung wenigstens gemeinsam mit
anderen Parteien erlangt habe; nur neige hier das Centrum
nach der radikalen Seite. Die nationalliberale Partei brauche
aber deshalb den Muth nicht sinken zu lassen. Es bedürfe nur
eines kräftigen Ruckes und sie werde wieder ihre alte Bedeutung
erlangen. Die Arbeit werde ja leicht gemacht durch das Ver-
halten der Gegner; namentlich gut habe sich das Centrum durch
die Lesebuchbereinigung eingeführt. Trotzdem die nat.-lib. Partei
nicht mehr die maßgebende Bedeutung früherer Jahre habe, sei
ihre Arbeilsfreudigkeit nicht gesunken. Das zeige sich insbe-
sondere in der Dotationsfrage. Die nat.-lib. Partei er-
kenne an, daß die Gehälter auch der kathol. Geistlichen vielfach
zu gering seien. Aber die Kirche, die doch zunächst selbst für
ihre Bedürfnisse zu sorgen habe, müsse die allgemeine Kirchen-
steuer einführen. Sei dies geschehen, so solle der Staat, einem
nat.-lib. Vorschlag entsprechend, bis zu 350000 für jede
Confession zusteuern. Die Centrumspartet sei damit einverstanden
und wolle aus den Erträgnissen der allgemeinen Kirchensteuer,
die vom Staat auf 500 000 berechnet sind, 130000 auf-
wenden für Pfründcverbesserungen. Die nat.-lib. Partei habe
sich aus Gründen der Gerechtigkeit hierzu entschlossen, trotzdem
die kath. Geistlichkeit die freie Zeit vielfach zur Hetze gegen die
Nationalliberalen benützt. In der Klosterfrage werde die
Partei ihren seit Dezennien eingenommenen Standpunkt bei-
behalten. (Beifall.) Er glaube auch, daß sich der Stand-
punkt der Regierung nicht geändert habe. Der Re-
gierung wolle die Partei denn auch keinen Zweifel darüber lassen, daß
sie die Orden nicht wünsche, zumal heute, da die Politik des
Centrums von dem Bündniß mit der Sozialdemokratie beherrscht
werde. Einer solchen Partei wollen wir nicht ihre besten Hilfs-
truppen ins Land führen. In dem Gesuch des wirklich fried-
liebenden Erzbischofs finde sich auch die merkwürdige Forderung,
daß die Kapikelsgeistlichkcit nicht an eine gymnasiale Vorbildung
gebunden zu sein brauche. Damit wolle man offenbar die Ordens-
Priester, diese eigentlichen Soldaten des politischen Katholizismus,
in das Domkapitel einschmuggeln. Auch das werde die nat.-lib.
Partei nicht zulaffen. Was die Wahlrechtsfrage anlange,
so verlange die Partei die direkte Wahl, aber sie wolle die Städte
nicht bedingungslos der Sozialdemokratie überliefern und ver-
lange Cautelen, durch die auch den bürgerlichen Faktoren eine
Vertretung gesichert werde. Da die Regierung eine Vorlage zu-
gesichert habe, sei es am besten, daß man diese abwarte. Thue
die nat.-lib. Partei in Zukunft ihre Pflicht, dann werde sie im
nächsten Wahlkampf siegreich sein und dann seien auch die Ge-
schicke des Landes gut aufgehoben. (Stürmischer Beifall.)
Prof. Dr. Goldschmit berichtet nunmehr über die Neu-
organisation der Partei, die in 36 Bezirken eingeführt ist. In
den Ccntralvorstand der nationalliberalen Partei Deutschlands
wurden gewählt: Abg. Dr. Binz und Prof. Dr. Goldschmit-
Karlsruhc und Geh. Rath Prof. Dr. Gg. Meyer-Heidelberg. Kraft
Wahl der Reichstagsfrakrion gehören ihm noch die Abgg. Basser-
wann und Dr- Blankenhain an. Von Bankpräsident Eckhardt-
Mannheim war ein Telegramm folgenden Inhalts eingelaufen:
»Mit dem Wunsche für eine erfolgreiche gemeinsame Arbeit ver-
binde ich die herzlichsten Grüße an die verehrte Versammlung."
Seitens des Ausschusses wurde mit folgendem Telegramm ge-
antwortet: „Dem hochverdienten Veteranen widmet die national-
liberale Landesversammlung herzlichsten Dank für die freundliche
Begrüßung und die Versicherung unwandelbarer Verehrung."
Die Berichterstattung über die einzelnen Bezirke ergibt im
Ganzen ein befriedigendes Bild. Der Vertreter von Kehl ver-
langt im Namen seiner Standesgenossen eine Aenderung des
Organistenvertrags und zwar auf der Grundlage der Gleich-
berechtigung. Es gehe nicht an, daß aus der einen Seite nur
die Lasten und auf der anderen nur die Rechte ruhen. Der
Vertreter von Adelsheim-Boxberg verlangt, daß die Partei die
Presse des Landes mit guten Artikeln über politische und

Parteifragen versorgen lasse. Nach 4stündiger Sitzung wurde
die Verhandlung um 3 Uhr Nachmittags mit einem Hoch auf
die nationalliberale Partei geschlossen.
Bei der Festtafel brachte Geh. Rath Meyer ein begeistert
aufgenommenes Hoch auf den Großherzog aus. Prof. Seith
widmete dem Landgerichtspräsidenten Fieser ein Ho'ch, in das
alle Anwesenden freudig einstimmten. Fieser lehnte in seiner
Dankesrede alles Lob von sich ab. Seine anfangs humoristische
Ansprache klang in den Ausdruck des Vertrauens für die Fort-
dauer der guten Parteitraditionen durch die Jugend aus und er
schloß mit einem Hoch auf die Jugend des Landes. Um 6 Uhr
erst trennten sich die Theilnehmer der Versammlung von ein-
ander.

Deutsches Reich.
— Das Armee-Verordnungsblatt bringt fol-
gende kaiserliche Erlasse:
Unlautere Angebote gewerbsmäßiger Geld-
leiher an Offiziere.
Aus Vorkommnissen der letzten Zeit habe Ich wiederum er-
sehen müssen, wie häufig unlautere Angebote gewerbsMßiger
Geldlicher an die Offiziere Meines Heeres hcrantreten. Jugend-
lich leichter Sinn und Mangel an Erfahrungen in Geldangelegen-
heiten lassen aus solchergestalt gebotener Gelegenheit häufig den
Anfang schwerer Bedrängniß, ja, vollständigen Ruins werden.
Ich will alle Mittel angewandt wissen, um von Meinen Offizieren
Versuchungen dieser Art fern zu halten. Meine dabin zielende
Ordre vom 5. Juli 1888 muß jedem Offizier als Mein ernster
Wille immer vor Augen stehen. Ich bestimme, daß künftig jeder
Offizier die an ihn gelangenden unlauteren Geldanerbietungen
ohne Verzug seinen Vorgesetzten zu melden hat. Die General»
commandos und die sonst zuständigen Militärbehörden verpflichte
Ich, nach Feststellung des strafbaren Charakters des Angebots
und womöglich dieserhalb erzielter gerichtlicher Verurtheilung
solche Fälle fortlaufend dem Kriegsministerium mitzutheilen.
Dieses hat dann wegen Veröffentlichung der Namen derartiger
Geschäftsleute und der näheren Umstände des Falles das Er-
forderliche zu veranlaßen.
Privat-Gewcrbebetrieb der Handwerksmeister
(Schneidermeister) bei den Truppen.
Auf den Mir gehaltenen Vortrag bestimme Ich, daß den
Handwerksmeistern (Schneidermeistern) bei den Truppen der
Betrieb eines Handelsgewerbes und das Halten eines offenen
Ladens nicht mehr gestattet sein, ihr Privat - Gewerbebetrieb
sich vielmehr auf die Uebernahme von Schneiderarbeiten be-
schränken soll.
— Die Wahlprüfungscommission des Reichs-
tags beanstandete die Wahl des Abg. Graf Bismarck-
Bohlen (Greifswald).
— Die für den Fürsten und die Fürstin Bismarck
bestimmten Marmorsarkophage sind vom Herstellungsort
Kiefersfelden in Oberbayern nach Friedrichsruh abgesandt
worden. Die Beisetzung der Leiche Bismarcks im neuer-
bauten Mausoleum soll am 1. April stattfinden.
— Ein neuer Arbeitgeberbund ist vor Kurzem
in Berlin gegründet worden. Das Polizeipräsidium hat
die Statuten genehmigt. Bisher sind 1000 Arbeitgeber
mit 40 000 Arbeitern dem Bund beigetreten. Der An-
schluß von 500 Arbeitgebern mit 20 000 Arbeitern soll in
den nächsten Tagen erfolgen. An der Spitze steht der
Industrielle A. Hegewald von der Bereinigung Berliner
Metallwaarenfabrikanten.
Bremen, 3. März. Der Kaiser traf 1 Uhr nebst
Gefolge ein, wurde von Bürgermeister und Senat em-
pfangen und fuhr, mährend die Truppen Spalier bildeten,
im Wagen nach dem Rathskeller, vom Publikum lebhaft
begrüßt. Das Wetter war regnerisch. Der Kaiser und
der Erbgroßherzog weilten von 1 bis 3 Uhr im Raths-
keller bei dem vom Senat gegebenen Frühstück. Dann
kehrte der Kaiser wieder nach Berlin zurück.
Deutscher Reichstag. Berlin, 4. März. Erste Be«
rathung des Gesetzentwurfs betreffend Errichtung eines
bayerischen Senats beim Reichsmilitärgericht in
Berlin.

Abg. Dr. Schädl er (Centr.): Die bayerische Volksvertre-
tung sei mit der bayerischen Regierung einig, daß Bayern einen
besonderen Gerichtshof haben müsse. Ob dies Verlangen in dem
vorgelegten Gesetzentwurf Wirklichkeit geworden, sei fraglich.
Redner für seine Person verneint dies. Wie weit die bayerische
StaatSrcgierung hierfür der Volksvertretung verantwortlich ist,
sei hier nicht der Ort zu entscheiden, aber selbst wenn man auf
dem Boden der Volksvertretung stehe, vermisse er doch die Be-
stimmung. daß der gegenwärtig geschaffene Zustand ohne Zustim-
mung Bayerns nicht geändert werden könnte. Das Wichtigste sei,
dieser Cautel gesetzmäßig Ausdruck zu geben. Redner sei deshalb
nicht in der Lage, dem Entwurf seine Zustimmung zu geben.
Reichskanzler Fürst Hohenlohe: Auf die Anfrage deS
Herr» Vorredners habe ich zu erwidern, daß unter den verbün-
deten Regierungen volles Einverständniß darüber besteht, daß eine
etwaige spätere Aenderung des Gesetzes, insofern sie nothwendig
werden sollte, nicht ohne neue Vereinbarung mit Bayern erfolgen
werde (Bravo in der Mitte), da der vorliegende Gesetzentwurf,
wie die Begründung desselben ergiebt, auf einer Vereinbarung
mit den Bundesstaaten beruht. (Bravo in der Mitte).
Abg. Dr. Frhr. v. Hertling (Centr.) hofft, daß diese Er-
klärungen genügen werden, um die Bedenken des Abg. Schädler
zu beseitigen. Seine politischen Freunde und Redner selbst waren
zuerst der Meinung, daß es gelingen werde, die oberste Instanz
einem besonderen bayerischen Militärgerichtshof zu übertragen»
und stellte einen entsprechenden Antrag, welcher abgelehnt wurde.
Das Verlangen Bayerns muß im Allgemeinen dahin präcisirt
werden, daß die Angehörigen des bayerischen Heeres in allen
Instanzen von bayerischen Richtern abgeurtheilt werden. Das sei
nunmehr vorgesehen. Es sei zu erkennen, daß hier eine große Con-
zession vorläge, doch habe auch der Prinzregent ein Opfer ge-
bracht. Es sei nicht zu leugnen, dag die Sache in Bayern in
weiten Kreisen Beunruhigung hervorgerufen hätte. Man habe ge-
fürchtet, daß ein stück Selbständigkeit Bayerns verloren gehen
könnte. Redner wird mit seinen Freunden dem Gesetzentwurf
zustimmen und hofft, daß derselbe der einheitlichen Ausgestaltung
des Reiches zugute kommen werde.
Graf Lerchenfeld (bayerischer Bundesrathsbevollmächtigter):
Die Frage des Abg. Schädler, ob das Reservatrecht durch den
Gesetzentwurf gewahrt bliebe, veranlasse ihn zu einer kurzen Er-
klärung: Bayern habe stets auf dem Standpunkt gestanden, ein
Reservatrecht in dieser Sache zu haben; und dies Reservatrecht
sei festgehalten worden, sowohl den Verhandlungen im preußischen
Kriegsministerium als auch im Bundesrath und im Reichstag
gegenüber. Die bayerische Regierung stehe heute ebenso auf dem
Standpunkt, daß das Reservatrecht gewahrt werden müsse und
daß es bestehe. Sie hält aber dafür, daß in dem vorliegenden
Entwurf das R-servatrecht bewahrt ist. Er selbst sei der Ansicht,
daß Bayern lediglich das gewahrt ist, was nach der Ueberzeugung
derjenigen Bundesstaaten, die auf dem Standpunkt stehen, vaß
Bayern ein Rcservatrecht habe, mit Rücksicht auf die besondere
Stellung der bayerischen Armee gewahrt werden könne, daß
anderseits Bayern das gewahrt worden ist, was es verlangen
könne und müsse, ohne seinen grundsätzlichen Standpunkt be-
züglich der Reservatrechte aufzugeben. Die weitere Frage Schädlers
habe der Reichskanzler bereits beantwortet; er sagte, dadurch, daß
von ihm ausdrücklich der föderative Charakter, der d em Gcsetz-
entwurf zu Grunde liege, betont wurde und daß bei den Be-
rathungeu im Buudesrath Etnmüthigkett darüber bestand, daß
eine spätere Abänderung des Gesetzes, falls sie nothwendig wird,
nicht ohne Vereinbarung mit Bayern erfolgen könne, seien alle
Garantieen gegeben, die Bayerns Volk in vollstem Maße ver-
langen könne.
Abg. Bassermann (nat.-lib.) begrüßt die erzielte Einigung
mit Freude. Es sei endlich eine einheitliche Spitze in der Ver-
waltung des Militärgerichtshofes geschaffen worden. Bayerns
berechtigte Forderung sei dabei gewahrt worden, aber auch dem
Prinzregcnten gebühre Dank.
Abgg. Graf Berustorff-Lauenburg (Reichsp.),
v. Staudy (kons.) und Hermes (fr. Vp.) erklären sich mit
dem Gesetzentwurf einverstanden.
DerGesetzentwurf wird in er st er und zweiter
Lesung mit großer Mehrheit angenommen.
Es folgt die Fortsetzung der Berathung des Militär-
etats.
Abg. Graf Kanitz (kons.) begründet die Resolution des
Abgeordneten Grafen Bismarck Bohlen betreffend die Gehalts-
erhöhung der Zahlmeister und Militärärzte.
Die Resolution wird gegen die Stimmen der Konservativen
abgelehnt.
Abg. Herold (Centr.) empfiehlt den direkten Verkehr der
Proviantämter mit den Produzenten.
Abg. Oertel (kons.) schließt sich den Ausführungen des Vor-
redners an; er beklagt sich, daß die Proviantämter zu niedrig-

Der erste Maskenball.
0) Novelle Von I. Leopold Schiener.
(Fortsetzung.)
III.
Doktor Waldheim — er war es, den der freundliche Leser
auf der Droschkentour begleitet hat — lag, eine Cigarre
lauchend, auf dem Sopha. vor ihm der Brief der „fliehenden
Sibylle."
Er blies dicke Rauchwolken vor sich hin und sab träumerisch
die blauen Dampfkreise, wie sie immer weiter und weiter
wurden und sich allmählich ganz verflüchtigten.
Mit Doktor Waldheim war eine Metamorphose vor-
lttgangen.
. Seit dem Maskenball hatte er die Spreewälder Sibylle
Acht auS den Gedanken verloren. Er nahm den Brief zur
Hand und las ihn nochmal, obschon er ihn bereits aus-
wendig wußte.
.„Sie liebt mich." sagte er zu sich, „das lese ich deutlich
zwischen den Zeilen, und doch diese neckische Zähigkeit, mich
wanden zu machen, sie sei häßlich. Wäre sie es, so würde
ne es nicht sagen, das ist wider die menschliche Natur, vor
allem gegen die weibliche."
Er brütete über einen Entschluß.
.. Der Adreßkalender lag aufgeschlagen vor ihm. Er hatte
we Bewohner des Hauses geprüft, in dem die junge Dame
wit der Notenmappe, die er sofort als die Zigeunerin vom
Maskenballe wiedererkannt hatte, verschwunden war; aber
wohnte ein halbes Dutzend Familien. Er war io klug
Mw vorher, denn der Brief enthielt gar nichts, was ihm einen
Wnhotl hälie bieten können.
Er ließ die einzelnen Familien ihrem Stande nach Revue
WOstren. Parterre wohnte der Wirth, der Besitzer eines
Fuhrgeschäftes. Die Beletage hatte ein Bankier inne. Zwei
-Lreppen hoch wohnte auf der einen Seite ein Arzt, auf der
anderen Frau Justizräthin Engel, Wittwe- Drei Treppen
Hoch wohnte ein Schriftsteller und ein Eisenbahndirektor.

Sem Auge blieb unwillkürlich aus dem Namen der Ju-
stizräthin hatten. . - ^ -
„Wenn ihre Familie, sagte er. .überhaupt m diesem Hause
wohnt, kann es nur die Justizräthin sein, ohne Zweifel I"
Frau Justizräthin beim Präsidenten zum Maskenball,
welcher Jdeengang wäre logischer gewesen? Eine Wittwe
mit zwei Töchtern, das paßte auch zu der Warnung der Zi-
geunerin auf dem Balle: .Die Mama!" Sie hatte von
„Papa" nicht gesprochen. . . . — , ,
Sollte er schreiben, sollte er direkt wuf das Ziel los-
^Waldheim überlegte noch, als ein Rohrpostbrief von sei-
ner Tante eintraf, der ihn sofort zu dieser berief. Sie war
halsleidend und seit einigen Tagen in Berlin, um einen
Spezialisten zu konsultiren. Sie war im Karserhof abgestiegen
und lud dorthin ihren Neffen ein.
Die Einladung kam ihm ungelegen, aber er mußte ihr
Folge leisten. Er durfte eS mit der Tante nicht verderben.
Sie war reich und er ihr präsumtiver Erbe, und da die Ein-
ladung dringlich war. so blteb ihm nichts übrig, als schnell
aufzubrechen. . ,
Er fand seine Tante in Gesellschaft einer wohlkonser-
virten Dame, die mit ihr in gleichem Alter sein mochte.
Beide saßen bei einer Tasse Kaffee- ,
„Hier, liebe Klara, stelle ich Dir meinen Neffen. Doktor
Waldheim vor," redete die Tante gleich auf ihn ein, noch
ehe er Zeit gehabt hatte, sie zu begrüßen-
Er verbeugte sich vor der Fremden und küßte der Tante
Pflichtschuldigst die Hand.
.Dein Befinden, liebe Tante? . , -,
„Ja mein Befinden! Es ist traurig, daß ich Dich erst
herzitiren muß, um Dir Tobolds Urtheil mitzutheilen!"
.Du erschreckst mich. Tante." , , , , ,
„Beruhige Dich, mein Befinden ist gänzlich gefahrlos.
Tobold räth mir aber, meinen Aufenthalt ,n Berlin incht
unnöthig zu verlängern, die Lust hier sei gerade für Hals-
leiden wenig zuträglich."
„Darin kann ich ihm nur beipfllchten.

„Ich werde deshalb auch morgen schon abreisen, wollte
aber doch nicht eher von hier gehen, als bis ich Dich mit
meiner Jugendfreundin bekannt gemacht habe. Sie hat einen
einflußreichen Bekanntenkreis und kann einem jungen Arzt,
der Praxis sucht — apropos, Praxis," unterbrach sie sich,
„wie fleht es denn damit?"
„Schlecht, Tantchen! Die Armenpraxis ziemlich aus-
gedehnt, aber die —"
„Bringt nichts ein. willst Du sagen."
„Wenn ich mein Tantchen nicht hätte —"
„Nur nicht verzagt! Leiste Beistand ohne Rücksicht auf
die Person, mit der Zeit werden auch schon Patienten kom-
men, die bezahlen können. Meine Freundin hat mir ver-
sprochen, Dich in ihrer Familie zu Ralhe zu ziehen, die zwar
nur klein ist, ober wenn sich einmal Krankheiten einstellen,
was der Himmel verhüten möge, um so interessantere
Patienten darbietet."
.Du bist doch immer noch dieselbe wie früher," lächelte
die mit Klara Angeredete.
„Liebe Tante." bat Waldheim, „willst Du mir nicht auch
den Namen meiner zukünftigen Gönnerin nennen?"
„Habe ich das vergessen? Ei gewiß mein Junge: Frau
Justizräthin Engel."
Waldheim verneigte sich so tief und so lange als nur
irgend anging, um den Schreck zu verbergen, dem ihn die
Plötzliche Nennung dieses Namens verursachte. Zum Glück
setzte für ihn die gesprächige Dame ihre Rede ohne abzu-
brechen fort.
„Meine beste Jugendfreundin. Denke Dir» Max, ich sitze
hier, die Thür geht auf und meine Klara tritt ein. Die
Gute! Sie hat meine Anwesenheit im Fremdenblatte ge-
lesen und mich ausgesucht. Wie konnte ich solche Freude hier
vermuthen und ahnen, daß Du Deinen angenehmen Land-
aufenthalt mit der Großstadt vertauschen würdest!" wandte sie
sich an die Justizräthin.
„Ich war es den Mädchen schuldig!"
(Fortsetzung folgt.)
 
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