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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0419

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4

GratiS-Anschla«
der'Jnserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäule«.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

M. 93.

Fttitiig, den 21. April

1899.

Samoa und deutsche Kriegsflotte.
Recht verschieden von den offiziellen Kundgebungen ist
dir Sprache der englischen und deramerika-
nischen Marine-Fachblätter in der Samoa-
Angelegenheit. Im beneidenswerthen Bewußtsein,
daß ihr Land für alle Thatcn seiner Vertreter im Ausland
das Gewicht seiner Seemacht einsetzen kann, rechnet diese
Presse nur mit Thatsachen und eigenen Wünschen und hält
jede Rücksicht auf die Empfindlichkeit anderer zur See
schwacher Nationen für Zeitverschwendung. Macht ist Recht,
England und Amerika Arm in Arm werden die Welt be-
herrschen und besitzen, ist der Grundzug dieses Theils der
Überseeischen öffentlichen Meinung. Ihr können die Be-
fehlshaber der Schiffe vor Apia kaum rücksichtslos genug
sein; Admiral Kautz soll nach amerikanischer Ansicht der
rechte Mann sein.
Bezeichnend sind die Auslassungen der englischen Army
and Navy Gazette über die Kämpfe in Samoa. Wenn-
gleich das Blatt angesichts des Verlustes von britischen
Menschenleben bei Veilele zuerst bemerkt, daß durch Umsicht
der Staatsmänner der offene Kampf hätte vermieden werden
können, so betont es doch mit Befriedigung, daß dort die
beiden großen angelsächsischen Nationen Seite an Seite
gekämpft hätten. Es hofft, daß der Tod der braven See-
leute vor Ankunft der nächsten Post voll gerächt sein werde.
In Bezug auf den Vorsteher der deutschen Plantage
Peilele, den unseren Seeleuten in der Südsee so gut
bekannten Herrn Hufnagel, erwartet die Army and
Navy Gazette, daß derselbe bereits erschossen oder gehängt
sei, wenn er schuldig befunden sei. und daß weder
Admiral Kautz noch die Kommandanten der Kreuzer
"Porpoise", „Royalist" und „Tauranga" sich
burch die Nationalität des „Verbrechers" von ihrer klaren
Pflicht würden abhalten lassen. In rührend einseitiger
Auffassung wird dann vorgeführt, daß in letzter Zeit überall,
wo die beiden angelsächsischen Staaten mit Wilden oder
balbcivilisirten Völkern in Konflikt gerathen seien, die
Deutschen für die Feinde Sympathie gezeigt hätten. Solche
feindlichen Völker seien die Buren, die Spanier, die
Philippinos und die saKoänischen Rebellen gewesen. Dieses
Perhalten sei undankbar gegenüber einer Nation, die jetzt
Deutschland so freundlich eMgegengekommen sei. Den
Schluß des Artikels bildet der Ausspruch, daß, was auch
bas Benehmen der in Apia weilenden Deutschen gewesen
fli, die Eingeborenen, die gegen England die Waffen er-
hoben hätten, dafür bis zur Unterwerfung gezüchtigt werden
Wüßten.
Davon, wer die Feindseligkeiten begonnen, wird nichts
erwähnt; ebensowenig ist von deutschen Rechten die Rede.
Die Vertretung derselben durch den kleinen schwachen
Kreuzer „Falke" erschien dem englischen Fachblatt wohl
öu unbedeutend. Rechte, die man nicht schützen kann,
waren von jeher recht minderwerthig im Verkehr mit
selbstbewußten kräftigen Völkern. Den Schutz unserer
Rechte und Interessen im Auslände kann uns
Uur eine Flotte gewähren, die der Bedeutung
eines Staates von etwa 55 Millionen euro-
päischen Einwohnern und dem Verkehr der
Zweiten Handelsmacht der Welt entspricht.
Auf dem Kontinent Europas wahrt unser starkes Heer
unsere Rechte gegen Verletzung durch unmittelbare Nach-
barn, darüber hinaus könnte es nur die Seemacht thun.
Dhne mehr Seegeltung können wir keine gute Zukunft für
Unser schnell wachsendes Volk erwarten; das zeigt uns
bas schroffe Auftreten der secmächtigen Nationen in der
Gegenwart und der stetige Rückgang der zur See schwachen
Staaten. Hoffentlich wirken die Ereignisse in Samoa

wenigstens darin nutzbringend, daß nun jeder Deutsche
klar erkennt, wie sehr uns das kurzsichtige Zurück-
bleiben in der Entwickelung der Seemacht in
den letzten Jahrzehnten jetzt schadet. Wir dürfen
die größten Anstrengungen nicht scheuen, um durch möglichst
beschleunigtes Schaffen einer stärkeren Flotte uns gegen
das Zurückdrängen aus der Reihe der aufstrebenden und
selbständig gedeihenden Völker im nächsten Jahrhundert
zu schützen.

Deutsches Reich.
— Die nationalliberale Fraktion des Reichstags hat
am 20. ds. die statutenmäßig vorgeschriebene Wahl eines
Vorsitzenden vorgenommen und Herrn Bassermann mit
diesem Ehrenamt betraut.
— Zu einem entscheidenden Entschlüsse kam am Mittwoch in
zweiter Lesung die Reichstagskommission für das Jnva-
lidenversicherungsgesetz, und zwar über die Bil-
dung eines Gemein- und eines Sondervermögens.
Gegen die Stimmen der Sozialdemokratie wurde diese Be-
stimmung, wie folgt, formulirt:
Jede Versicherungsanstalt verwaltet ihre
Einnahmen und ihr Vermögen selb st ändig. Aus
denselben sind die von allen Versicherungsträgern gemeinsam auf-
zubringende Last (Gemeinlast) und die den einzelnen Versiche-
rungsträgern verbleibende Last (Sonderlast) zu decken.
Die Gemein last wird gebildet durch drei Viertel
sämmtlicher Altersrenten, die Grundbeträge
aller Invalidenrenten, die Rentensteigerungen in Folge von
Krankheitswochen und die Rentenabrundungen.
Alle übrigen Verpflichtungen bilden die S onderlast der
Versicherungs-Anstalt.
Zur Deckung der Gemein last werden in jeder Ver-
sicherungs-Anstalt vom 1. Januar 1900 ab vier Zehntel
der Beiträge buchmäßig ausgeschieden (Gemein-
vermögen). Dem Gemeinvermögen sind für seinen buchmäßigen
Bestand von der Versicherungs-Anstalt Zinsen gut zu schreiben.
Den Zinsfuß bestimmt der Bundesrath für die in Z 20 bestimm-
ten Zeiträume einheitlich für alle Versicherungs-Anstalten. Er-
gibt sich bei Ablauf der in 8 20 bezeichneten Zeiträume, daß das
Vermögen zur Deckung der Gemeinlast nicht ausreicht, oder nicht
erforderlich ist, so hat der Bundesrath für den nächstfolgenden
Zeitraum über die Höhe des dem Gemeinvermögen zu über-
weisenden Theils der Beitrüge unter Ausgleichung der ent-
standenen Fehlbeträge oder Ueberschüsse zu beschließen. Eine
Erhöhung des dem Gemeinvermögen zu überweisenden Theils der
Beiträge bedarf der Zustimmung des Reichstags.
Damit ist die Reform der Alters- und Invalidenver-
sicherung, die die Bildung eines Gemeinvermögens für alle
Anstalten zur Voraussetzung hatte, über ein Haupthinderniß
hinweg und der Verwirklichung um ein ganz erhebliches
Stück näher gerückt.
— Das Militärwochenblatt meldet: Oberst Graf
Moltkc, bisher Militärattache bei der Botschaft in Wien,
wurde unter Belastung seines Verhältnisses als Flügel-
adjutant zum Kommandeur des Leib-Kürassierregiments
Nr. 1 ernannt, Rittmeister v. Bülow zum Militärattache
bei der Botschaft in Wien; Generalmajor v. Deines,
Obergouverneur der kaiserlichen Prinzen, ist zum General-
leutnant befördert.
— In einem Briefe an die englische Wochenschrift Truth
sagt Lloyd Osbo urne, der Stiefsohn des verstorbenen
Romanschriftstellers Stcphenson, der lange auf Samoa lebte:
Die Hauptursache der jetzigen Streitigkeiten auf
Samoa ist die Religion. Chambers ist ein Streng-
gläubiger und befindet sich ganz in den Händen der Lon-
doner Missionsgesellschaft. Daraus erklärt sich seine Ent-
scheidung zu Gunsten Tanns. Es kann nicht nachdrücklich genug
betont werden, daßinderAngelegenheitMataafa-
Tanu Deutschland völlig im Rechte ist, und
die Haltung des deutschen Generalskonsuls Rose durchaus
lobenswerth ist. Wir Engländer und Ameri-

kaner haben uns auf die grausamste und traurigste
Weise ins Unrecht gesetzt. — Dieses freimüthige
Eingeständniß eines Engländers, der die Verhältnisse
näher kennt und nicht durch die Brille der englischen
und amerikanischen Hetzprcsse sieht, wird hoffentlich zur
Beseitigung der falschen Vorstellungen in England und
Amerika beitragen.
— Der amerikanische Kaufmann Mooses in
Samoa, ein alter Freund Mataafas, schreibt in einem
vom 23. März datirten und in Newyork veröffentlichten
Briefe, die Mataafa-Leute seien bereit gewesen, sich den
Anordnungen des Admirals Kautz zu fügen; sie gaben
ihre Gefangenen frei unter der Bedingung, daß sie nicht
bewaffnet würden. Aber der englische Konsul
M axs e begann damit, die zurückgekehrten Tan ei-
le nt e zu bewaffnen, die sich brüsteten, sie würden
die Mataafa-Leute mit Hilfe der Kriegsschiffe bezwingen.
(Damit hat der Konsul sich schwer gegen die Samoa-Akte
vergangen, welche Lieferung von Waffen und Munition
an die Eingeborenen untersagen. Red.) Die Mataafa-Leute,
die so unerwartet gereizt wurden, beschlossen zu kämpfen,
indem sie erklärten: unsere Sklaven sollen uns nicht be-
herrschen. Indessen haben die Mataafa-Leute nicht ein
einziges Haus der Europäer zerstört, obwohl sie einen
Theil von Apia in ihrem vollen Besitze hatten, während die
Geschütze der „Porpoise" alles, was sie treffen konnten,
zerstörten. Mooses schreibt weiter, zur Unterjochung der
Samoaner würden 10 000 Mann erforderlich sein. Die
Samoaner seien tapfer im Gefecht für eine gerechte
Sache; er hoffe, daß dies bald cingesehen und gewürdigt
werde.
Deutscher Reichstag. Berlin, 20. April. Das Haus
setzt die Berathung der Ge werbeno belle fort.
Abg. Dr. Hitze (Centr.) hält den Antrag Bassermann nur
für die Consequenz der bereits bestehenden Bestimmungen. Es
werde keine Schwierigkeiten machen, in der Kommission sich da-
rüber zu einigen. Redner begrüßt auch freudig dcu Antrag des
Frkrn. Hehl zu Herrnsheim als erneuten Vorstoß gegen die
Mißstände in der Hausindustrie. Der Antrag dürfte zu einer
Resolution führen. Die Controle im Confectionsgewerbe würde
sich nur durch Controls der Arbeitsausgabebücher der Prinzipale
ermöglichen lassen. Eine unmittelbare Controle der Musarbeiter
sei unmöglich. Seine Partei stehe im Prinzip auf drin Stand-
vunkte des Regierungsentwurfs. Zu weit gehen-jedoch die' Be-
stimmungen über die einstündige Mittagspause und die Arbeits-
dauer. Ein gleichzeitiger Ladenschluß sei bei der Zustimmung
von zwei Dritteln der Interessenten vielleicht durchführbar. Be-
sondere Berücksichtigung verdienten die Schreiber und Bureau-
arbeiter bei Rechtsanwälten. Eine weitere Ausbildung der Lohn-
bücher und -Zettel sei sehr erwünscht. Die betreffenden Bestim-
mungen würden hoffentlich noch in dieser Session verabschiedet.
Abg. Lenzmaun (Freist Vp.): In den Anträgen drängten
sich gute und schlechte Bestimmungen. Wir werden abwartcn,
ob die von der Kommission gezogene Bilanz mehr an Vorzügen
enthält. Manches im Gesetzentwurf ist absolut gut, so die
generelle Vereidigung der Bücherrevisoren und die Bestimmung,
daß für Kleider- und Wäschekonfektion Lohnbücher und Arbeits-
zetiel vorgeschrieben werden. Die Lage der Handlungsgehilfen
und Lehrlinge gegenüber den Prinzipalen ist auf dem Gebiete
der Kraftausnutzung gradezu unerträglich. Vollständig verfehlt
sei die Bestimmung über die Mittagspause. Die zweistündige
Mittagspause sei das Mindestmaß. Der Ladenschluß wäre für
die einzelnen Branchen gesondert zu bestimmen. Eine sehr be-
denkliche Bestimmung enthalte der Artikel über Schlachthaus-
zwang, der unter Umständen eingeführt werden könne. Bei Con-
cesstonszwang für Gesinde-, Theater- u. st w.,-Agenten werden
wunderliche Blüthen gezeitigt werden. Bei den Theateragenturen
müsse man unterscheiden zwischen niederen Stellenvermittlern und
solchen, die für Institute mit höherem Kunstinteresse arbeiten.
Als Redner auf die Geldgier der Agrarier bei der Stellenvermit-
telung zu sprechen kommt, wird er vom Präsidenten aufge-
fordert, zur Sache zu sprechen. Sehr unglücklich sei die Fassung
der Bestimmungen über die Hausarbeit. Die Polizei sei zur
Kontrolle nicht sachverständig genug. Redner hat gegen den An-
trag Bassermann nichts einzuwenden und ist mit der Kommissions-

Der Herrgotthändler.
^ Eine Hochlandsgeschichte von Friedrich Dolch.
(Fortsetzung.)
„Du mein Gott, was is das," jammerte die Sennerin;
(-Wenn aber der Hagcnbacher stirbt? Oder wenn er sein
Angreifer in der Dunkelheit net erkannt hat?"
Ja, nachher steht's auf jeden Fall schlimm um den Hies,"
"Widerte achselzuckend der Jäger. „Jetzt heißl's halt ab-
flwrten! Wenn der Hagenbacber auch nix ausz'sagen weiß,
M Vom G'richt werd'n die Wahrheit schon herausbringen,
(scher jetzt wert? ich mach'n, daß ich hinunterkomm' I Du
^srsi wohl allerhand brauch'n für den Kranken — der Doktor
f^rd derweil schon alles zusammengerichtet hab'n — und ick
wert? Dir nachher die Sach' heut' Nachmittag heraufbringen."
. Er drückte dem Mädchen die Hand und sprang dann leicbt-
Wig den Pfad hinab. Vroni btickte ihm noch einen Augen-
^Uck nach und kehrte dann wieder in die Hütte zurück, um
"vch dem Kranken zu sehen. —
, . Ungefähr vier oder fünf Wochen mochten dahingegangen
seit dem Mordanfalle aus der Alm. Der Verletzte hatte
inzwischen längst wieder von seinem Lager erhoben; die
^Pfwunde war wunderbar rasch geheilt und der Arzt, der
??er jetzt nur mehr sehr selten auf die Alm kam, stellte bal-
°>ge Genesung in Aussicht. Den größten Theil des Tages
Hagenbacher un Freien; aus einen Stock gestützt,
nhlenderte er langsam hinüber zu der Viehherde und tätschelte
Ms Kühen, die sich zutraulich zu ihm drängten, die breiten
Mffnen, öderer saß, wenn das Gestein der gegenüberliegenden
Msivände iu der Abendsonne erglänzte, aus der Bank vor
M Hüttenthüre und starrte nachsinnend in das Glühen und
ollmählige Erlöschen hinauf.
^ saß er eines Abends wieder einmal vor der Hütte und
Milderte mit der Sennerin, die hinter ihm aus den Hütten-
wnster blickte. Vroni batte die Stirn in Falten gezogen,
enbacher aber saß, ein Bein über das andere geschlagen

und das Kinn rn die Hand gestützt, regunglos und starrte trübe
vor sich nieder aus den Boden-
„Wie kommst auch g'rad heut' auf so traurige Gedanken,"
nahm Vroni nach einem kurzen Stillschweigen das Gespräch
wieder auf. „Du wirst ja jetzt bald wieder ganz g'sund sein
und Deine Leut' daheim werden sich freu'n, wenn's Dich wie-
der seh'n —"
„Meine Leut'l" seufzte aber der Herrgotthändler tief auf.
„Ich Hab' nur weitschichtige Verwandte und die thäten sich
net zu Tod grämen, wenn ich sterben thät. Freilich, mein
gutes Weib, wenn noch leben thät, aber die is bald schon
zwanzig Jahr' todt. Und mein Kind, meine Tochter — die
müßt' jetzt schon so groß sein wie Du! Ich weiß net, mir
wird immer sonderbar z' Muth, wenn ich Dir in d' Augen
schau- Da steigt die alte Zeit wieder vor mir auf, und ich
denk' mir, so könnt' jetzt auch meine Tochter sein, so lieb und
schön, wenn-aber wir wollen 's lieber gut sein lassen,
wir woll'n kein Wort mehr davon red'n."
„Du hast — eine Tochter g'habt?" sagte Vroni zögernd.
„Davon hast wir nie erzählt! Wenn's Dick net z' hart an-
greist, möcht' ich wohl mehr davon hör'n. Hast sie — hast sie
verlor'n? Wohl frühzeitig g'storben?"
„Net g'storben," erwiderte aber der Herrgotthandler fast
undörbar- „Doch das is eine gar traurige G'schicht', allein
wenn Du's höre» willst^
„Mußt mrr meine Neugierd' net übel nehmen, ich Hab'
schon mein' Grund dabei." rief das Mädchen hastig. „Aber
wart ein bisl, ich komm gleich hinaus zu Dir auf d' Bank!"
Sie verschwand vom Fenster »nd kam gleich darauf eil-
fertig aus der Hütte.
„So jetzt erzähl'." sagte sie, neben Hagenbacher auf der
Bank Platz nehmend. „Und wenn D' fertig bist, nachher
sollst meine Lebensg'schichl' auch hör'n."
„Also es is jetzt g'rad zwanzig Jahr her, begann der
Alte. „Da bin ich auf meiner Handelsreise zum ersten Mal
in diese Gegend 'kommen. Damals bin ich mit einem Fuhr-
werk, einem Blachenwagen, in der Welt 'ruing'reist und Hab'
sogar Weib und Kind bei mir g'habt. Meine Agath' is

nämlich schier alleweil kränklich g'wesen und hat in meiner
Heimath net bleiben woll'n. weil sie dort gar so mutterseelen-
allein immer g'wesen is mit ihrem Kind, und weil sie die
Sehnsucht und d' Sorg um mich alleweil noch kränker ge-
macht hat. So bin ich denn her'gangen und Hab ein Rösserl
'kauft und ein' Blachenwagen, und Hab' mei gutes Weib und
mein klein's Töchterl mitg'nommen auf die Reis'. Ein Jahrl
vielleicht sind mir so miteinander 'rumgezogen. Es war freilich
diemal eine rechte Fretterei, aber wir hab'n uns doch trotz-
dem ganz glücklich g'sühlt dabei, weil wir doch wenigstens
alleweil beieinander hab'n sein können. An ein'm schönen
Sommermorg'n also is 's gwesen, wie wir nach Niederau
'kommen sind. Wir haben dort beim Straßwirth eingestellt
und ich Hab' meine Geschäften abg'macht. Nachmittags sind wir
wieder fort und hab'n herüber woll'n nach Leitenhofen. Du
kennst ja das kleine Gemeindehölzel, durch das die Landstraß'
sich zieht — das Hölzl, mein' ich, zwischen Niederau und
Leitenhosen. G'rad mitten in dem Hölzl sind wir g'wesen,
da stürzt mir auf amal mein Roß z'samm', als wenn's der
Blitz 'troffen hält', streckt die Füß von sich und rührt und
biegt sich net mehr. Mein Weid schreit laut auf und auch
mein Töchterl -- 'S is kaum erst ein Jahr alt g'wesen —
hats hellauf 's Weinen ang'fangt. Ich bin wie der Wind
vom Wag'u und übers Roß her. Da aber hat nix mehr
g'holfen; 'S mauslodt g'wesen, wahrscheinlich hat's der Schlag
troffen g'habt. Was jetzt ansangen? Mein Weib is auch
g'rad' an dem Tag wieder schlechter d'ran g'wesen, und wenn
ich auch's Kind 'tragen hätl'.hätt' sie sich doch net fortschleppen
können bis nach Leitenhosen. Auch hält' ich ja doch mein'
Wag'n mit all die Maaren net ganz allein auf der Land-
straßen steh'n lassen können. ,Jch will g'schwind nach Leiten-
hosen hinemlauten,' sag ich zu mein'm Weib, .und Hill' her-
beihol'». Bleib nur da aus 'm Wag u und fürchl' Dich net,
ich bin bald wieder z'ruck? D'rauf mach' ich mich aus'n Weg
und laus', so g'ichwind mich die Füß trag'n, nach Leitenbosen.
Ein Stündel später bin ich schon wieder z'ruck nm'm Knecht
vom Lorfwirth und mit zwei Roß'- Kannst Dir mein'«
Schreck vorstell'n, wie ich iu den Blachenwagen schau und
 
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