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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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Telephon-Anschluß Nr. 82.
11.

Lkkitaz, den 13. Januar

Telephon-Anschluß Nr. 82.
I8S9.

Deutsches Reich.
— Der Kaiser empfing am 12. ds. im Berliner
Schlosse den Fürsten Herbert Bismarck.
— Eine Erklärung des Staatssekretärs Tirpitz in
der Sitzung der Budgetkommisston des Reichstags vom
11. d. lautet:
Ich möchte daran erinnern, daß die verbündeten Regierungen
einen Flottenplan vorgelegt haben, dessen Durchführung auf
sieben Jahre bemessen war. Durch das Entgegenkommen des
Reichstages ist diese Zeit auf sechs Jabre verkürzt worden. Nach
den Verhandlungen, die in der Budgetkommisston und im Plenum
geführt sind, habe ich die Supposttion, daß die verbündeten Re-
gierungen jetzt wieder einen neuen Flottenplan einbringen wollten,
nicht für ernsthaft genommen und daher im Plenum nicht darauf
geantwortet. Ich brauche auch nur auf den vorliegenden Etat
hinzuweisen, in welchem fast auf jeder Seite das ernsthafteste
Bestreben hervortritt, Seitens der Marincverwaltung die be-
schlossene Limitirung auf das Strengste innezuhalten. Da aber
in der Kommission der Wunsch nach einer Erklärung der ver.
kündeten Regierungen noch einmal o» mich herantritt, so erkläre
ich ausdrücklich, daß an keiner Stelle in irgend einer Weise die
Absicht hervorgetrcten ist, einen neuen Flottcnplan vorzulegen,
daß im Gegentheil bei allen in Betracht kommenden Stellen die
festeste Absicht besteht, das Flottengesetz auszuführen und die
darin vorgesehene Limitirung innezuhalten.
- Wie der Schwab. Merkur meldet, wurde zum evangelischen
Seelsorger in Kiaut schon von der Reichsregierung Stadt-
Vikar Wilhelm in Backnang ernannt.
— Es gibt einen schuldenfreien deutschen
Bundesstaat! Aus dem Fürstenlhum Reuß ä. L.,
einem der vielgeschmähten Kleinstaaten, kommt die interessante
Nachricht, daß, während schon im vorigen Jahre daselbst
die Grund- und die Einkommensteuer je um einen Termin
ermäßigt worden sind, kürzlich der Rest der Staatsschulden
des Landes ausgeloost worden ist. Reuß ä. L. ist der
einzige Staat im deutschen Reiche, der vollständig schulden-
frei dasteht.
Deutscher Reichstag. Berlin, 12. Jan. Das Haus
tritt in die erste Lesung der Militär Vorlage ein.
Kriegsminister v. Goßler: Es gilt, mit einem Schlage
den Vorsprung einzuholen, den andere Staaten erreicht haben.
Wir gedenken an der fünfjährigen Periode festzuhalten, womit
wir einem Wunsche des Hauses entsprechen. Von Rußland ist
infolge des Manifestes des Zaren ein Angriffskrieg nicht zu er-
warten. Zudem ist unsere Kriegsmacht so stark geworden, daß
wir ohne Nervosität der Zukunft entgegen sehen können. Bei
Aufstellung der Vorlage ist die äußerste Sparsamkeit beobachtet
worden, natürlich soweit sie angebracht ist. Die letzten Kriege
haben die Erfahrungen bereichert. Danach dürfen namentlich
die Armeecorps nicht zu groß werden, während es anderseits
möglich bleiben muß, kleinere Truppenverbändc zu größeren zu-
sammenzuschließen. Diesem Zwecke dienen die geforderten General-
commandos. Die Bildung neuer Divisionen beim I. und XIV.
(badischen) Corps scheint mit dem bisher Gesagten im Wider-
spruch zu stehen, ist aber aus taktischen Gründen geboten. Wir
hätten gern ein neues Armeecorps gebildet, scheiterten aber an
der Geldfrage. Die Cavallerie soll um drei Regimenter ver-
mehrt werden. In den Einzelheiten der Organisation ist die
wichtigste Aeildcrung bei der Feldartillerie einzuführen, deren
bisherige Formation dem neuen vervollkommneten Material nicht
entspricht. Die Artillerie beherrscht jetzt das Gefechtsfeld. Bei
den Eisenbahn- und Telegraphentruppen müssen Aenderungen
theils aus dienstlichen, theils aus taktischen Gründen vor-
genommen werden. Die zweijährige Dienstzeit soll
beibehalten werden, lim durch die Begrenzung der
Dienstzeit die Kriegstüchtigkeit nicht zu gefährden, mußten die
vierten Bataillone eingeführt werden. Früher hatten wir einen
verstümmelten dritten Jahrgang, der vielfach ungünstig wirkte.
Jetzt sind die Jahrgänge gleichmäßig zusammengesetzt. Wir
können den Abgang stets ersetzen. Eine gute Armee hängt aber
von dem Kern ab, an den sich die anderen Jahrgänge anschließen.
In der Vorlage sind Vorschläge gemacht worden, durch Ver-
günstigungen Leute zum Dienen im dritten Jahre zu bewegen.
Hilft das nicht, so tritt ein Gesetz ein und bestimmt den
Procentsatz, der im dritten Jahre dienen muß.
Redner weist sodann auf die starke Vermehrung der schon vor-
bestraft in das Heer Eintretenden hin und versichert schließlich,
daß die Vorlage nur aus dem Bcdürfniß herausgewachsen sei.
Er werde die Begründung in der Commission abgeben, deren i

! Beschlüsse, wie er hoffe, zum Heil Deutschlands ausschlagen wer-
den. (Beifall rechts und im Centrum.)
Abg. Richter (freis. Vp.): Beim Militär kommt es doch
nur darauf an, ob sich die Soldaten während der Dienstzeit
straflos führen oder nicht. Unter der zweijährigen Dienstzeit
haben die Strafen abgenommen. Die Erfahrungen der letzten
Kriege waren uns nicht erforderlich. Das deutsche Heer ist ja
vorbildlich gewesen für viele andere Staaten, z. B. Japan, das
im Kriege mit China seine Tüchtigkeit erwiesen hat. Eine so
große Heeresvermehrung habe ich nicht erwartet. Ein paar
Tausend und ein paar Millionen werden ja in jedem Jahre
gefordert; ober 26 000 Mann mit der Erhöhung des Ordinariums
um 28 Millionen und des Extraordinariums um rund 133
Millionen war nicht zu vermuthen. Das Organistren nimmt
kein Ende, es wird eine Unruhe in die militärischen Formationen
hineingebracht, die ihnen schadet. Gegenüber dem Zickzackkurs
in militärischen Dingen finde ich cs hedenklich, schon heute zu
bestimmen, welche Formationen cintreten. Die Bedeutung der
Kavallerie habe sich vermindert, trotz der Träume von gewaltigen
Attacken. Eine solche sei im Manöver wohl ein Vergnügen
(Heiterkeit), doch bliebe im Ernstfall nicht Roß noch Reiter am
Leben. Auch in den Grenzdistrikten habe die Kavallerie keine
große Bedeutung; die Russen z. B. würden in Ostpreußen nicht
weit kommen. Auch die Jäger seien nichts anderes mehr als
Infanterie. Man nehme diesen damit nur das beste Unter-
offiziermaterial. Die Stärke der Grenzbataillone sollte man ver-
mindern, »m für andere Bataillone Mannschaften zu gewinnen.
Die Bataillone im Innern "seien viel zu stark. Die Abkomman-
dirungen zu ökonomischen Dienstleistungen und zur Küche entzögen
dem Heere 1000 Unteroffiziere und 4000 Mann. Auch die 30 000
Burschen führten lediglich ein lustiges Leben. Er habe einmal von
einem solchen eine Schilderung feines Lebens gehört, daß er sich
unwillkürlich sagen mußte: Frei ist der Bursch! (Große Heiterkeit).
Deutfchlands Aushebungen seien von 1893—1898 von 200000
auf 269000 Mann gestiegen, wobei von den Einjährigen noch
abgesehen wird. Das Material werde aber bald einmal fehlen,
wie Frankreich ja schon minderwertiges Material eingestellt
habe. Die Armee verliere infolge dessen jährlich 1 Prozent an
Tuberkulose. Dagegen stehe Rußland noch lange nicht an der
Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Der Vorschlag des Zaren sei
nur eine sentimenrale Anwandlung. Rußland hätte aber seinen
Blick nach Osten gewendet, wo es große Aufgaben hat. Die
Vorlage sei also nicht mit Rücksicht auf das Ausland entstanden,
sondern aus Liebhaberei für Neuformaiionen. Der Landwirth-
schaft entziehe man alljährlich viele tausend Mann, während
man anderseits mit Mühe einige wenige Italiener ins Land zu
bringen suche. Die Reichsschulden hätten sich nicht vermindert;
die neuen Anleihen würden erhöht, tzinanzminister Miguel wird
im Abgeordnetenhaufe bei seiner Etatsrede vor neuen dauernden
Ausgaben warnen. Wenn er nur hierher käme und seine Rede
hier hielte! (Große Heiterkeit.) Wenn der Kriegsminister glaubt,
ein großer Staat könne nur durch ein starkes Heer aufrecht er-
halten werden, so meine Redner, das Wichtigste sind gesunde
und geordnete Finanzen.
Abg. Frhr. v. Stumm (Reichsp.): Richters Ausführungen
seien nicht zutreffend. Das Manifest des Zaren sei durchaus
ernst zu nehmen. Redner halte die Erhöhung der Friedens-
präsenzstärke für dringend erforderlich. Von Frankreich könne
jeden Tag ein Brand ausgehen. Der Zweibund sei dem Drei-
bunde numerisch überlegen. Wenn immer auf das Steigen der
Reichsschuld hingewiescn werde, warum wurde denn nicht die
Tabaksteuer bewilligt, die allein viele Millionen gebracht hätte S
Unsere Ausgaben für das Heer seien immer noch niedriger, als
die anderer Großmächte. Vorbehaltlich geringer Aenderungen
Würden seine Freunde der Vorlage zustimmen.
Abg. Dr. v. Levetzow (d.-kons.) verlangt genaue Prüfung
der Vorlage. Seine Partei halte es für nötyig, das Reich auf
jeden Fall gegen äußere Angriffe sicher zu stellen. Das Erfor-
derliche könne nur die Militärbehörde beurtheilen. In der Kom-
mission müsse noch Manches aufgeklärt werden, da in der Vor-
lage Manches dunkel und unverständlich sei. (Hört! hört! links.)
In der Vorlage seien auch gewisse Zukunftspläne enthalten. Sie
werde die zweijährige Dienstzeit in suspenso lassen, weil man
über ihre Wirkung noch nicht klar sei. Ich vermuthe weiter, daß
auch die Linke über ihre Wirkung durchaus nicht klar ist. Es
wäre ein Leichtes, die zweijährige Dienstzeit festzulegen. Dem
Theil der Vorlage, der sich auf die Artillerie beziehe, stimmen
wir zu. Ich habe aber Bedenken gegen die neuen Kavallerie-
Regimenter mit vier Schwadronen. Ich schlage vor, die Vorlage
wegen der engen Verbindung mit dem Mililäretat der Budget-
kommission zu überweisen. (Beifall.)
Morgen 12 Uhr Fortsetzung.
Schluß 5 Uhr.

Baden. LO. Karlsruhe, 12. Jan. In der heu-
tigen Sitzung der D ut ationscom missio n hat das
Centrum seine Ansprüche für den katholischen Religions-
theil auf 325 000 Mark limitirt. Es stimmten 8 Com-
misstonsmitglieder für und 5 gegen diese Quote; 2 ent-
hielten sich der Abstimmung. Mit 13 Stimmen bei zwei
Enthaltungen wurde der Zuschuß für die evangelische
Geistlichkeit auf 275 000 Mk. festgesetzt. Für die Gehalts-
skala 1800, 2250 und 2600 in Verbindung mit den
Dienstaltersstufen stimmten 9, dagegen 5 Commissions-
mitglieder, eines enthielt sich der Abstimmung. Die Re-
gierung hat sich bislang noch nicht bestimmt zu diesem
Commissionsbeschluß geäußert. Für den zur Annahme ge-
langten Antrag stimmten außer dem Centrum die Abge-
ordneten Weygoldt (lib.) und Mampel (Antis.). Der Ab-
stimmung enthielten sich die Abgg. Heimburger (Demokr.)
und Geiß (Soz.-Dem ). Zum Berichterstatter wurde Abg.
Hug (Centrum) bestimmt.
"f" Mannheim, 11. Januar. Beißenden Spott
und Hohn ergießt das hiesige Zentrumsblatt auf die
badischen Freisinnigen in einer Polemik gegen die
hiesige freisinnige Neue Bad. Landeszeitung. Dieses Blatt
hatte in einem ihm von einem freisinnigen Führer zu-
gegaugenen Artikel der allerdings etwas sehr späten Er-
kenntniß Ausdruck gegeben, daß das Zentrum eine kon-
fessionelle Partei sei und daß es, wie die Vorgänge in
Württemberg lehren, die politischen Fragen nur vom kon-
fessionellen Gesichtspunkte aus betrachte. Weiter hieß es
in dem Artikel: „Wenn freiheitliche Rechte nicht mit dem
Zentrum errungen werden können, so muß man eben sehen,
sie ohne dasselbe, unter Umständen gegen es zu erringen."
Darauf antwortet das hiesige Zentrumsblatt höhnisch wie
folgt: „Ei, ihr Herren, so scheert Euch doch! Wenn Ihr
Glück habt, bringt Ihr es im badischen Parlament viel-
leicht sogar zu einer zweibeinigen Fraktion. Nur Muth!
Wer hält Euch denn!" Ob die Freisinnigen aus dieser
brutalen Behandlung, die ihnen das Zentrum zu Theil
werden läßt, die richtigen Lehren bei den kommenden Land-
tagswahlen ziehen oder ob sie die zweifelhafte Rolle des
Hausirers in den Witzblättern, der vorne herausgeworfen
wird und zur Hinterthür wieder hereinkommt, spielen wer-
den, bleibt abzuwarten.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben den
Finanzpraktikanten Rudolf Deecke von Karlsruhe zum Se-
kretär beim Evangelischen Oberkirchenrath ernannt, dem
außerordentlichen Professor an der Universität Freiburg,
Dr. Salomon Re cken d orf. die etatmäßige außerordentliche
Professur für semitisch-orientalische Philologie an genannter
Universität, dem außerordentlichen Professor an der Univer-
sität Heidelberg. Professor Gattermann, die etatmäßige
außerordentliche Professur für organische Chemie an genannter
Universität übertragen.
— Buchhalter Ludwig Klaiber beim Finanzamt Stock-
ach wurde in gleicher Eigenschaft zum Finanzamt Emmen-
dingcn und Buchhalter Mnil Sternheimer beim Finanz-
amt Emmendingen in gleicher Eigenschaft zum Finanzamt
Stockach versetzt.
— Prüfung. Im Monat April l. I. wird eine Prü-
sung für Justizaktuare abgehalten werden, falls sich
hierzu Theilnehmer in genügender Anzahl melden. Sie wird
sich auf diejenigen Jncipienten beschränken, die bis dorthin
bereits einen zweijährigen Vorbereitungsdienst hinter sich
haben.

Ausland.
Frankreich. Paris, 12. Jan. Die Criminalkammer
des Kassationshofes vernahm du Paty de Clam,
wobei Locw den Vorsitz führte.

Das Bachstelzchen.
10) Novelle von Martha Renate Fischer.
tFortsetzung.)
Aennchen bebte am ganzen Leibe und stammelte: „Wenn
er nur fort käme."
„Was sagst Du?"
Es erfolgte keine Antwort.
„Ich habe nicht verstanden."
Aennchen blieb stumm.
„Nun?!!" sagte die Frau scharf.
„Ich wollte fragen, was ich soll!" Und das Mädchen
stand bebend auf.
„Das ist nun schon erledigt. Komm! Du brauchst was
Warmes — einen Tropfen Kaffee und frische Strümpfe."
„Ich dank' schön — mir ist warm."
„Komm nur in die Küche."
Aber Aennchen blieb an der Thüre stehen.
Ihr Gesicht sah so verzweifelt aus, als stünde sie hier in
Ketten und Banden und sähe das größte Unglück sich zutragen,
stände gefesselt.
. Und plötzlich legte sie den Arm vor ihr Gesicht, wartete
einen Augenblick mit geducktem Kopfe, bückte sich dann pfeil-
schnell nach ihren Pantoffeln und lies davon, — wie der Vogel
wiegt — über Wege, Gräben, leer gehackte Felder.
Wandels sah sie herbeieilen, hob den Kops und lachte.
Der Knecht drehte sich um und sagte ein gehäisiges Wort.
Das Wort pflanzte sich zwischen den Hacke.:den fort.
Wanders mochte einen Laut aufgefangen haben; denn sein
Gesicht verfinsterte sich -
, Zur Frühslückszeit kam Plötzlich die Mutter und brachte
ein^rullenpacket.
Sie sagte: „Du hast ja heute kein Frühstück mitgenommen."
„Aber gewiß."
»So sol" — Sievertheilte das Mitgebrachte an Aennchen
Bbd einen siechen jungen Hacker. Er hieß Schalk, hatte
ttanke Lungen, und jeine Mutter wartete von Nacht zu Nacht,

daß er sterben sollte. Dann sprach die Frau mit Dem und
Jenem und beobachtete.
Es war ein hartkalter Oktobertag. der die Wangen kräftig
und froh rörhete. Hier aber flog scharfe Fieberhitze.
Wanders stand vor dem Knecht aufgepflanzt. Wechselte
er den Platz, so lief ihm irgend ein Wort nach. Nun blieb
er steif vor dem aufsässigen Menschen stehen.
Wenn der Knecht pausirte und sich aufrichtete, so heftete
er einen unbeirrten und herausfordernden Blick auf den
Herrn. Hin und wieder ruckte er plötzlich mit seiner Hacke,
als wolle er zuschlagcn. „ ^ ^
Die Farbe in Wanders Gesicht wechselte, lief alle Schat-
tirungen von Bleich und Roth durch.
Ueber die Erde schlich eine Gewaltthat — ein nnsicht-
bares Thier wuchs fürchterlich au und holte zum Sprunge
aus.
Die Mutter fragte sich: Ist er denn das wirklich, der sich
da so unmenschlich im Zwange hat? Ja was fällt ihm ein?
Er soll die Kanaille herunter hauen. Und ihre heftigen Ge-
danken zwischen Furcht und Eifer ziehen ihn der Schwäche.
Durch den Fieberdruck tönte Wanders Stimme: „AuS-
treten!" ein lauter, scharfer Befehlston. dem der Knecht so-
gleich Acht gab; denn er richtete sich empor. „Austreten!"
dröhnte Wanders Stimme wieder. „Geh zurück und buddle
nach, was drin geblieben ist!" Das war die Arbeit der alten
Frauen und der Kinder, die auch ein paar Groschen ver-
dienen wollten. ^
Wanders stand steil-fest und fixirte den Knecht der sich
nicht rührte. Und plötzlich schmeckte er Galle, Rost. Blut
und die Luit wurde schwarz mit schreienden bunten Flecken.
Er ließ seinen Stock fallen, allzu schwach war ihm die ge-
fährliche Waffe, stürzte sich aus den Menschen, packte ihn bei
der Kehle mit seinen Fäusten. Er überfiel seinen Widersacher
che dieser nur Athen, schöpfen konnte.
Und er hatte einen Helfer — eine Hand fuhr angstschnell
in des Knechtes Taschen und schleuderte ein aufgeklapptes
Messer heraus. Dazu rief eine schluchzende Stimme: „Du

Thier! Du Thier! Du hättest sollen ohne Zunge und ohne
Augen aus die Welt kommen!"
Furchtbare Athemstöße — Gurgeln — Ringen — Wanders
horchte und stierte — es werde krachen — knirschen.
Und die Ringenden taumelten und wanden sich.-
Wanders taumelte dem Knecht nach.-Dessen Gesicht sah
grauenvoll aus, als sei die Gewaltthat schon geschehen.-
Und die Leute drängten heran, schrieen, standen unschlüssig,
voll Angst und schaudernder Neugierde.
Da tauchte plötzlich etwas Sonnenlichtes vor Wanders
verworrenem Blicke auf. Er fühlte einen Schmerz an der
Hand, Blut troff ihm zum Gelenke herab.
Die rothschwarze Luft verflog. Wan ders sah einen Fetzen
Tageslicht und ein Helles Antlitz darin. — Seine Finger
lösten sich. — Der Knecht stürzte steif wie ein Pfahl in die
aufgewühlte Ackerkrumme.
Wanders holte tief Athen,, ließ seine Arme sinken, fuhr
mit der Hand über die Stirn.
Er sog nach Luit.
Es war grauenvoll — grauenvoll —
Er sah mit zuckenden Lchpen und lichtmüden Augen um-
her. — Zitterte, was sich seinem Blicke darbieten werde. Um
den Knecht, der wieder aus seinen Füßen stand, hatte sich ein
doppelter Kreis gebildet. Da waren zwölf Paar Fäuste, die
den Menschen halten würden.
Dank! Dank! — Wie leicht hättte er jetzt hier vor ei-
nem tobten Menschen stehen können — vor einem getödtelen
— durch seine Hand umgebrachten.-Dank! Dank! Er
drückte die Hände vor sein Gesicht — wandte sich — tastete
eine Anzahl Schritte hinweg und schluchzte. —
Dazu troff das Blut von seiner Hand.
Und nun verzog sich sein Gesicht zu zärtlich-müdem
Lächeln. Das war ja das Bachstelzchen gewesen — das sich
aus ihn gestürzt und ihn gebissen hatte. Das Bachstelzchen,
das — ihn mit ihrem Hellen Gesicht aus dem Bluttaumeller-
weckt hatte. — Bachstelzchen I — Königin! — Mädelskind l —
— Lieblina! Liebling l-Kleines Bachstelzchen — Sonnen-
strahl — kleines weißes Mädelskind-(Forts, folgt.)
 
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