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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0471

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^ Erscheint täglich.
sonntags ausgenommen.
PretS
mit Fcnnilienblättern
. monatlich 50 Pf.
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WMrgtt


Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Insertionsgebühr
15 Pf. für die Ispaltige
Petitzerle oder deren Raum.
Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der'Jnserate auf den Plakat-
tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäule«.
Fernsprech-Anschluß Nr. 92

Xr. 104.

DinilkrstW, dtil 4. Mai

1899.

Bestellungen
vuf die Heidelberger Zeitung für die Monate Mai und
Turn werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarstr. 21, fortwährend angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen für die Monate Mai
Und Juni, wenn am Schalter abgeholt, 84 Pfg., mir
Zustellgebühr Mk. 1.14.
Der englisch-russische Vertrag über China.
Im englischen Unterhause sowohl wie im
Oberhause machte die Regierung am 1. d. Mittheilung
über den englisch-russischen Vertrag über China-
3m Oberhause führte der oberste Leiter der englischen
auswärtigen Politik, Lord Salisbury, auf eine Anfrage
des Lord Kimberley hin Folgendes aus:
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich in Uebereinstimmung mit den
Wünschen der russischen Regierung handle, wenn ich hier auf die
Angelegenheit eingehc. Ich konnte das nicht feststellen, doch denke
sch, sobald der Wortlaut vorliegt, ihn auf den Tisch des
Hauses legen zu können. Die allgemeine Tendenz des Abkommens
üt die, daß es ein Eisenbahnabkommen betreffend unsere
beiderseitigen Operationsgebiete in China daistcllt. England ver-
pflichtet sich, einen Bahnbau nördlicb der Großen Mauer durch
Engländer oder Andere weder zu unternehmen, noch zu ermuthigen;
Nutzland unterzieht sich genau der gleichen Bestimmung bezüglich
des Jangtsebeckens. Einige genauere Bestimmungen gelten der
dach Riutschwang zu erbauenden Bahn, die namentlich einen
Streitgegenstand gebildet hat. Es liegt mir sehr daran, daß es
dicht den Anschein gewinne, als ob ich den einzelnen Bestimmungen
des Abkommens übertriebene Wichtigkeit beilegte, aber ich lege
datürlich dem Umstaude sehr große Wichtigkeit bei, daß das Ab-
kommen unterzeichnet ist, weil mir dies als ein Zeichen guter
Gesinnung zwischen den beiden Regierungen erscheint, die sehr zu
wünschen ist. Was noch mehr zu wünschen ist, ist, daß zwischen
Nußland und England gute Gesinnungen allmählich heranwachsen
wögen. Das gegenwärtige Abkommen wird von Werth sein, in-
dem es die Mög tichkeit einerKollision zwischen den beiden
Negierungen in jenem fernen Welttheil verhütet, und ist daher
wn Pfand für ein künftiges Einverständuiß für lange Zeit. Ich
Wisse, daß es zu künftigen Abmachungen über andere
Gegenstände führen wird. (Beifall.)
Eine ähnliche Erklärung gab der erste Lord des Schatzes
Balfour im Unterhaus ab. Er erklärte:
Der allgemeine Zweck des Abkommens mit Rußland sei, dafür
?u sorgen, daß Großbritannien den Eisenbahnunternehmungen
Nußlauds in der Mandschurei keinen Widerstand entgegensetze,
"Uch nicht andere Nationen zum Widerspruch gegen dieselben er-
wuthige, und daß andererseits Rußland hinsichtlich des Jangtse-
beckens die gleichen Verpflichtungen eingehe. Der volle Wortlaut
bcs Abkommens werde sofort nach Eintreffen desselben dem
Hause vorgelegt werden, derselbe enthalte besondere Vereinbarungen
rum Schutze der Niutschwangeisenbahn. (Beifall.)
Auch von russischer Seite liegt eine Kundgebung über
den Vertrag vor. Das Reutersche Bureau meldet aus
Petersburg: Die zwischen England und Rußland abge-
schlossene Vereinbarung betreffend China hat nicht die
Horm einer Konvention, sondern besteht in einer Note, von
welcher Duplikate zwischen dem Minister des Aus-
wärtigen Grafen Murawjew und dem englischen Botschafter
Scott ausgetauscht wurden. In der Einleitung der Note
wird erklärt, daß beide Länder Übereinkommen, die Integrität
Und Unabhängigkeit Chinas aufrechtzuerhalten. Die Note,
Welche kurz ist, enthält keine Bezugnahme auf die Einfluß-
svhären, sondern trifft Vorkehrung gegen einen etwaigen
Interessengegensatz bezüglich des Ausbaues der Eisen-
bahnen in der Mandschurei und am Jangtsekiang.
In Deutschland steht man offiziös dem als einen so
siroßcn Erfolg Englands in die Welk hinausposaunten Ver-
mag nicht ohne feine Ironie gegenüber. Die Köln. Ztg.
weidet aus London zu dem Abschluß der englisch-russischen
Verständigung in Sachen Chinas: Urtheilsfähige Kreise
halten bis auf Weiteres an der Ansicht fest, in dein Ab-
kommen erkenne England zu Gunsten Rußlands alles an,
was bisher streitig gewesen sei; es sichere England nur,
was ihm auch ohnehin sicher gewesen sei; es laufe daher
beiderseits nur auf Anerkennung der vollendeten Thatsache
Hinaus, und es enthalte für die Zukunft keine andere Frie-
bensgewähr als die bisher unbestimmte Hoffnung, daß
Rußland sich so lange in China mit dem heutigen Besitze
begnügen und an die neuen Abmachungen halten werde,
Ws es an anderen Punkten die Hände zu voll habe oder
wr seine inneren Unternehmungen geldbedürftig sei.
Wie man dem Berl. Tagebl. aus London telegraphirt,
wrhält sich die öffentliche Meinung dem Abkommen gegen-
über sehr rcservirt. Wo ist die Politik der offenen Thür
ücblieben? fragt das eine Blatt. Die meisten erklären, daß
wst weitere Angaben über den Inhalt des Vertrags nöthig
^wn, ehe man ihn richtig würdigen könne. Uebrigens hat
Salisbury selber, als er vor einigen Tagen bei einem Fest-
Mn zum ersten Male von dem Vertrag redete, sich ziem-
kleinlaut über ihn ausgesprochen. Das Wichtigste und
Aierthvollste daran, so meinte er, sei, daß er überhaupt
abgeschlossen worden sei. Das kann man von jedem Ver-
bog sagen.

Wochen-Chronik.
^ (Vom 23. bis zum 29. April.)
Npril 23.: Der erste nationalltberale Kandidat für die im Herbst
stattfindenden badischen L an d t a g s w a h le n wird
offiziell aufgestellt und zwar für den Wahlbezirk
Weinheim in der Person des Landwirths Müller
in Hciligkreuz.
» 23.: Kapitän Coghl an von dem amerikanischen
Kriegsschiff „Raleigh", das vor den Philippinen war,

spricht sich in der Trunkenheit in einem New-Aorker
Klub unziemlich über Deutschland aus. Er erhält
von seinen Vorgesetzten Befehl, an Bord seines Schif-
fes zurückznkehren.
April 24.: Der Kaiser trifft in Karlsruhe ein und reist von
dort nach Kaltenbronn weiter.
„ 26.: In der zweiten badischen Kammer findet eine lebhafte
Debatte über den Centrumsantrag betreffend die un-
bedingte Zulassung von Orden statt. Der An-
trag wird trotz energischer Einsprache des Staats-
ministers mit 32 gegen 25 Stimmen angenommen
und sodann eine von dem konservativen Abgeordneten
v. Stockhorner beantragte Resolution mit 34 gegen
24 Stimmen, worin die Regierung aufgefordert wird,
einzelne Männerklöster zu genehmigen.
„ 26.: Der ehemalige österreichische Minister Graf Hohen-
wart, der an der Zerrüttung des österreichischen
Staatswesens einen großen Theil der Schuld trägt,
stirbt.
„ 26.: Die Amerikaner haben bei Calumpit auf den
Philippinen die Hauptmacht der Armee Agui-
naldo's entscheidend geschlagen.
„ 27.: Der Kaiser trifft von Kaltenbronn wieder in
Karlsruhe ein.
„ 28.: Der Staatssekretär der Reichspost verfügt, daß
vom 1. Mat ab für den^ Briefoerkehr Deutschlands
mit den deutschen Schutzgebieten die ein-
heimischen Portosätze gelten sollen.
„ 28.: Der Kaiser reist von Karlsruhe nach Wiesbaden.
„ 28.: Die ansständischen Philippiner suchen um Ein-
stellung der Feindseligkeiten und Verhandlungen zur
Beendigung des Krieges nach.
„ 29.: Lord Salisbury erklärt auf dem Jahresfestessen
der Akademie der Künste, England sei zu einem
befriedigenden Abkommen mit R u ß l au d bezüglich
der chinesischen Frage gelangt.

Deutsches N e i ch.
— Der Kaiser schenkte dem Staatssekretär v. Bülow
zu seinem 50. Geburtstage ein silbernes Schreibzeug mit
seinem Namenszng.
— Der Seniorenkonvent des Reichstages beschloß,
als Vertretung zu der am Sonntag Mittag stattfindenden
Leichenfeier des verstorbenen Reichsgerichtspräsidenlen Dr.
Eduard v. Simson das Bureau des Reichstages zu ent-
senden; auch solle jedem Mitglied des Reichstages die
Betheiliguug freistehen. Die Beerdigung v. Simsons findet
von der neuen Kirche aus auf dem Kirchhof in der Belle-
allianestraße statt.
— Die Reichstagskommission, der die Ge-
werbeordnung zur Vorberathung überwiesen worden
ist, faßte am 2. d. eine Anzahl wichtiger Beschlüsse. Zu-
nächst genehmigte sie die Einführung der Konzessionspflicht
für Stellenvermittler und Gesindevermiether. Mnem Antrag
des Abg. Bassermann, den auch der Abg. Bebel unter-
stützte, wurden Vereinigungen, die den Arbeitsnachweis nicht
zum Zweck des Erwerbs treiben, von der Konzessionspflicht
ausgenommen. Dagegen wurden nach dem Anträge v.
Kardorff die Dctektivgeschüfte der Konzessionspflicht unter-
worfen. Ferner gelangte ein Antrag Hitze zur Annahme,
wonach die Konzession auch dann versagt werden kann,
wenn Thatsachen vor liegen, welche die Annahme recht-
fertigen, daß die mit dem Nachsuchcnden in häuslicher
Gemeinschaft lebenden Personen bei dem Gewerbebetriebe
sich eines Verhaltens schuldig machen würden, welches
gegenüber dem Nachsuchenden die Versagung des Gewerbe-
betriebs rechtfertigen würde. Artikel 4, der die Bücher-
revisoren konzesfionspflichtig macht, wurde angenommen,
ebenso ein Artikel 5, der die Bruchbänder dem Hausirhandel
entzieht. Die Berathung wird Donnerstag fortgesetzt.
— Die Postkommission des Reichstages nahm
die Vorschläge der Unterkommission für den Zeitungs-
tarif entgegen. Danach beträgt die Zeitungsgebühr
1) 3 Pfg. für jeden Monat Bezugszeit; 2) 15 Pfg. jähr-
lich für wöchentlich einmaliges oder selteneres Erscheinen,
sowie 15 Pfg. jährlich mehr für jede weitere Ausgabe in
der Woche; 3) 10 Pfg. jährlich für jedes Kilogramm des
Jahresgewichts unter Gewährung eines Freigewichts vou
1 Kilogramm für jedes wöchentliche Erscheinen, mindestens
aber 40 Pfg. Nach längerer Verhandlung wurden die Vor-
schläge der Unterkommission mit großer Mehrheit angenom-
men. Dagegen stimmten nur die Abgg. Dr. Pachnicke (fr. V.)
und Dasbach (Centr.). Damit ist die erste Lesung der
Postnovelle beendet.
— Reichstagsabgeordneter Justizrath Franzius ist
in Blankenburg an einer Lungenentzündung gestorben.
Er gehörte der nationalliberalen Partei an.
— Ueber eine Unterredung, die der Vorstand
des Central Verbandes der Vereine selbständiger
Gewerbetreibender jüngst mit dem preußischen Finanz-
minister über die Waarenhausfrage hatte, wird
der Voss. Ztg. nachträglich mitgetheilt:
Herr v. Miquel empfahl dringend die Organisation des
Mittelstandes. Das Fehlen dieser Organisation Hab- zum Theil
die heutige Nothlage des Mittelstandes verschuldet. Die Bildung
der Ccntralvereine fand seinen vollen Beifall und er spornte die
Herren an, unbekümmert um links und rechts auf dieser Bahn
forlzuschrcitcn. Wenn erst der Mittelstand -ine Macht im Staate
geworden, dann würden alle Parteien mit ihm rechnen müssen.
Der Staat wolle gerne helfen, aber gegen den Willen der Parteien
lasse sich auf gesetzlichem Wege nichts für den Mittelstand thun.
Deutscher Reichstag. Berlin, 3. Mai. Der Präsident
Graf Balle st rem gibt dem Hause Kunde vom Tode
seines ersten Präsidenten Eduard v. Simson. Graf
Ballestrem schildert kurz den Lebensgang des Verstorbenen,
und die Mitglieder des Hauses erheben sich zu Ehren des
Verstorbenen von den Sitzen.

Es folgt die Berathung des Antrags Lieber betreffend
Errichtung von Arbeiterkammern in Verbindung mit
der Fortsetzung der Berathung des Antrages Pachnicke be-
treffend Errichtung eines Rcichsarbeitsamtes mit mehreren
Zusatzanträgen.
Abg. v. Kardorff (Reichsp.) erklärt: Die vorliegenden
Anträge haben ein Wettrennen der Parteien im Punkte der
Arbeiterfreundlichkeit entfesselt, es wird aber keine dieser Parteien
> das Rennen gewinnen, sondern vielmehr die Socialdemokratie,
die im Hintergründe darauf wartet. Die Regierungen sind an
solchen Anträgen schuld durch ihre Passivität gegenüber der
Socialdemokratie. Leider ist noch nicht einmal das Gesetz zum
Schutze der Arbeitswilligen erschienen. (Lachen links.)
Abg. Büsing (nat.-lib.): Im Namen einer großen Anzahl
meiner politischen Freunde erkläre ich. daß wir nicht auf dem
Boden der Anträge stehen und ihren Inhalt nicht als geeignet
für gesetzgeberische Maßnahmen ansehen können. (Hört, hört!>
Abg. Wiemer (freist Vp.) empfiehlt Ueberweisung aller An-
träge an einen Ausschuß, und zwar an denjenigen für die
Gewerbenovelle.
Abg. Dr. Kropatscheck (const) erklärt sich mit dem Grund-
gedanken des Antrags Heyl einverstanden. Redner hält es für
wünschenswerth, daß sämmtliche Anträge einem Sonderausschüsse
überwiesen würden.
Abg. Molkenbuhr (Soc.): Die Arbeiterkammern würden
in unserer sociale» Entwicklung einen Schritt vorwärts bedeuten.
Mit dem Einwande, daß in den Arbetterkammern Socialisten
zum Worte kommen würden, könne man jede Selbstverwaltung
beseitigen.
Abg. Stöcker beklagt, daß die Reichspartei nicht gesonnen
ist, an der Reformarbeit theilzunehmen.
Gegcn Schluß seiner Rede bemerkte Abg. Stöcker, bei der
wirthschaftlichen Entwicklung im Auslande, in England und
Amerika, werde es in der nächsten Zeit für uns sehr wertbvoll
sein, wenn Arbeitgeber und Arbeiter einigermaßen versöhnt sind.
Abg. Frhr. v. Stumm (Rp.): Was der deutschen Industrie
schon jetzt Macht verleiht gegenüber dem Auslande, ist die Dis-
ciplin. Darum muß bekämpft werden, was diese untergraben
könnte. Die Fühlung mit den Arbeitern wird thatsächlich am
besten mit dem sogen, patriarchalischen Princip gewonnen.
Nach längeren Ausführungen von Stumms und persönlichen
Bemerkungen der Abgeordneten Wiemer und Bassermann wird
die Fortsetzung der Debatte auf morgen 1 Uhr vertagt.
Badischer Landtag. 8.6. Karlsruhe, 3. Mai.
141. öffentliche Sitzung der Zweiten Kammer.
Präsident Gönner eröffnet um 9ß. Uhr die Sitzung.
Abg. Fieser (natl.) begründet die von Abgeordneten aller
Parteien Unterzeichnete Jnperpellation über die Folgen der Ver-
staatlichung der Hessischen Ludwtgsbahn und der Errichtung
einer preußisch-hessischen Betriebs- und Finanzgemeinschaft für
Baden und ob keine Möglichkeit mehr vorliegt, daß der erhebliche
Einnahme-Ausfall von 650000 Mk. für das Land eine Minde-
rung erfährt, und endlich ob Sicherheit dafür gegeben ist, daß
in der Folge nicht noch weitere finanzielle Schädigungen des
Badischen Staates durch die in Betracht kommenden Maßnahmen
eintreten werden.
Fieser bemerkt: Zwar sei offiziös von Preußen aus ver-
sichert worden, daß ein Druck nicht ausgeübt werde. Wie es da-
mit aber gemeint sei. sehe man daraus, daß Preußen durch
Sonderabkommen mit den Pfalzbahnen und Elsaß-Lothringen
allen Verkehr nach Süden in die Hand zu bekommen suche. Das
müsse den Eindruck machen, als sei ein Druck beabsichtigt.
Wenn man beabsichtige, Baden zum Anschluß zu zwingen und
dann Württemberg, so werde die Folge sein, daß alle Parteien
des Hauses dagegen seien. Auch die Nattonalliberalen. die auf
dem Bode» der Verfassung stehen. Wenn die Conventionen
zwischen Baden und Preußen auch auf die Eisenbahnen aus-
gedehnt werden, die von einer großartigen wirthschaftlichen Be-
deutung sind und ein ganzes Heer von Beamten unterhalten, so
müsse sich ja naturnothweudig die Frage aufdrängen, ob wir denn
überhaupt noch ein selbständiges Dasein führen können. Er
habe erwartet, daß man auch in der Berliner Volksvertretung
ein Wort darüber sprechen würde, ob es gut sei, hie Sympathien
eines ihrer werthvollsten Bundesgenossen, de,nn das sind wir
Badener, zu gefährden durch eine rücksichtslose Eisenbahnpolitik
(Beifall).
Minister v. Brauer: In der Interpellation werde Antwort
gewünscht, welche Maßnahmen gegen die Gefahren der Eisenbahn-
gemeinschaft beabsichtigt seien. Der Herr Interpellant habe aber
auch über die angebliche Bedrohung der Selbständigkeit Badens
gesprochen. Er werde sich indeß zunächst an den Wortlaut halten
und knüpfte an die Verhandlung vom Jahre 1897 in diesem
Hause an. Er habe damals darauf hingewiesen, daß die Ver-
staatlichung der Hessischen Ludwigsbahn zur Folge gehabt habe,
daß die seither bestehenden Verträge aufgekündigt wurden; das
habe neue Verhandlungen nöthig gemacht, die damals noch nicht
abgeschlossen waren. Die Verhandlungen haben sich, wie er
vorausgesehen habe, recht lange hingezogen und seien namentlich
von Baden mit einer gewissen Zähigkeit geführt worden. Baden
habe sich mit der Verkehrswerthentziehnng von 950000 Mk. nicht
einverstanden erklärt; ebenso habe Preußen die 330000 Mk., die
von Baden zugestanden werden sollten, abgelehnt. Er gestehe
aber auch offen ein, daß diese Summe nicht ganz den thatsächlichen
Verhältnissen entsprochen habe. Nachdem man sich aber auf die
Mitte der Summen geeinigt habe, könne er sagen, daß Baden von
allen Staaten loyal behandelt worden sei. Wenn man nun frage,
ob noch weitere Maßnahmen möglich seien, so sage er, gottlob
nein. Alle Staaten seien nunmehr für eine gewisse Zeit an die
Abkommen gebunden. Das gelte natürlich nicht für alle Zeiten.
Inwieweit geänderte Verhältnisse und insbesondere neue Linien
und Verschiebungen nach anderen Verkehrscentren auf unsere
Einnahmen steigend oder einschränkend einwirken, sei noch nicht
abzusehen. Diese Verkehrsverschiebungen haben nunmehr einen
gewissen Abschluß erreicht. Die schwebenden Fragen haben eine
günstige und befriedigende Erledigung gefunden und er glaube,
sich hierüber erschöpfend ausgesprochen zu haben. Was nun die
angebliche Bedrohung der badischen Selbständigkeit anlange, so
könne er nur wiederholen, was er im Dezember 1897 gesagt habe.
Es haben niemals Verhandlungen behufs Aufnahme in die
preußisch-hessische Eisenbahngemeinschaft stattgefunden und es seien
auch preußischerseits niemals weder in Wprten noch in Handlungen
Versuche in dieser Richtung gemacht worden. Trotzdem aber
tauchen in der Presse von Zeit zu Zeit immer wieder alarmirende
Gerüchte auf. Er begreife das, wenn es auch bedauerlich sei. Die
preußisch-hessische Bahngemeinschaft habe sich eben als lebens-
fähig und nützlich für beide Theile erwiesen. Nun ertönen auf
der einen Seite die Lockrufe zum Anschluß und auf der anderen
die warnenden Unkenrufe- Aber der Vergleich niit Hessen treffe
nicht zu, denn dieser Nachbarstaat habe niemals ein in sich abge-
schlossenes Bahnnetz gehabt und sei daher niemals zu einer
autonomen Bahnpolitik imstande gewesen. Baden habe aber ein
wohlorganiflrtes Bahnnetz. Es liege also kein Anlaß zur Preis-
gabe der Selbständigkeit vor- Was er sage, gelte natürlich nur
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