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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0639

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frei in's Haus gebracht.
Durch die Post bezogen
vierteljährl. 1.25
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Fernsprech-Anfchluß Nr. 82.


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tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Fernsprech-Anfchluß Nr. 82

Xi-. 142.

Mittmch, den 21.Imii

1899.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für das III. Vierteljahr
werden bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den
Agenten, bei den Trägern in der Stadt, sowie in der
Expedition, Untere Neckarftr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen Mk. 1.25 vierteljährlich,
mit Zustellgebühr Mk. 1.65.

Wochen-Chronik.
(Vom 11. bis zum 17. Juni.)
Juni 11.: Die Verlobung des Prinzen Max von Baden
mit der Großfürstin Helene ist rückgängig gemacht
worden.
„ 12.: Die französische Deputirtenkammer nimmt eine Tages-
ordnung an, die ein indirektes Mißtrauensvotum gegen
das Ministerium enthält. Das Kabinet Dupuy
giebt in Folge dessen seine Entlassung.
„ 13.: Baron Christians, der dem Präsidenten der fran-
zösischen Republik den Hut cinirieb, wird zu 4 Jahren
Gefängniß verurtheilt.
„ 14.: Englische Blätter greifen in gehässiger Weise das
Auftreten der deutschen Delegirten — insbesondere
des Prof. Zorn — auf der Haager Abrüstungs-
. und Friedenskonferenz in der Schiedsgerichts-
frage an.
„ 15.: Das preußische Abgeordnetenhaus weist die Kanal-
vorlage auf Antrag des Centrums an die Kommis-
sion zurück.
„ 16.: Der Versuch des französischen Deputirten Poincar 6,
ein Ministerium zu bilden, scheitert.
„ 17.: Soweit die Haager Konferenz die Abrüstung
ins Auge gefaßt hatte, gelten ihre Berathungen für
gescheitert.

Zur Koburger Thronfolgefrage.
Das Koburger Tageblatt gibt seiner Auffassung über
die Erbfolgefrage in folgender sehr realistischer Weise
Ausdruck:
Die Salbadereien der meisten Berliner Blätter über unsere
Thronfolgefrage entspringen nur der Unkenntniß der Artikel-
schreiber über unsere staatsrechtlichen Verhältnisse. Das dem
Staatsgrundgesetz gleich geachtete Domänenabkommen vom Jahre
1855 bestimmt, daß das gesammte Domänengut im Falle des
NichtmehrregierenS der jetzigen Linie an dieselbe als Haus- und
Familien-Eigenthum zurückmllt. Das will so viel sagen, daß,
wenn wir dem Ratbe der Berliner Blätter folgen und mit Zu-
hilfenahme der Reichsgesetzgebung eine neue Dynastie berufen,
bezw. anerkennen wollten, das gesammte Erträgniß der Domänen
(gegenwärtig etwa 1800000 Mk. für das Jahr) dem Lande
völlig verloren gehen würde. Außerdem hätte das vereinigte
Herzogthum noch für die Civilliste der neuen Dynastie auf-
znkommen. In solchen tiefeinschneideuden Geldsachen hört aber
nicht nur dis Gemächlichkeit, sondern selbst der hochgradigste
Mund-Patriotismus auf.
Die Köln. Ztg. meint bitter: Das Reich, das eben
20 Millionen für die Karolinen anlegen wolle, solle eben-
soviel aufwenden, um die englischen Erben in Gotha aus-
zukaufen.
Die Londoner Daily Mail meldet, der koburgische
Staatsministcr habe in der letzten geheimen Landtagssitzung
mitgetheilt, der gegenwärtige Herzog werde wahr-
scheinlich noch in diesem Jahre resigniren,
mehr könne er nicht sagen, bis nach seinen Unterhand-
lungen mit den Interessenten in England. Nach dem
Blatt hängt die ganze Nachfolgefrage von der Frage der
Kronländereien ab. Die Nachfolge des Herzogs von
Albany (sein Vater Herzog Leopold war niemals gesund.
Red.) sei wegen seiner Gesundheit ausgeschlossen, dagegen
sei, falls der Herzog von Connaught für sich und seine
Familie verzichte, die Regentschaft für einen der Enkel des
Prinzen von Wales wahrscheinlich. (Was das Londoner
Blatt da meldet, klingt im ersten Theil nicht sehr wahr-
scheinlich, und was den zweiten anbctrifft, so kommt in

Betracht, daß der Sohn des Prinzen von Wales mit einer
Prinzessin Teck verheirathet ist, die nach dem Gothaischen
Hausgesetze nicht für ebenbürtig gilt, während sie aller-
dings in England als ebenbürtig betrachtet wird. Wie
man sieht, kann die Koburger Thronfolgeangelegenheit noch
zum Aufwerfen von allerlei spitzfindigen Fragen führen.)

Französische Höflichkeit.
Einen bemerkenswerthen Trinkspruch auf den Kaiser
brachte Vizeadmiral z. D. Me »sing beim Regattatag des
Mittelrheinischen Seglerverbandes in Wiesbaden aus.
Der Rhein. Kur. berichtet darüber:
„Wie wir hier versammelt sind, repräsentiren wir die
gediegenen bürgerlichen Schichten, ich mit Ihnen I Wir
stehen ein Jeder aus dem Posten, auf dem uns das Ge-
schick gestellt hat, meist einem Tagewerk gewidmet, das die
ganze Zeit und den ganzen Mann in Anspruch nimmt.
Das läßt uns aber gleichwohl nicht engherzig werden und
nicht verkennen, daß die alten, engen Verhältnisse nicht
mehr auf unsere Zeiten passen. Gerade Sie in Ihren
gesegneten rheinischen Gauen sind darauf angewiesen, Ihre
Produkte in die Welt hinaus zu senden und werden es
deshalb verstehen, daß wir unser Heil nicht mehr erblicken
können in mittelalterlichen Burgen, in engherzigem feudalem
Wesen. Ich glaube, gerade der Kaiser besitzt auch dafür
das vollste Verständniß. Er weiß, welche starke Kraft
und welcher Rückhalt für ihn in dem gutfundirten, selbst-
ständigen Bürgerthnm ruht. Der Kaiser zeigt bei jeder
Gelegenheit, daß er nicht nur Soldat ist, sondern daß sein
Auge auch weiter hinaus schaut. Der Segelsport, den
wir pflegen, soll nicht nur ein sportliches Interesse bieten,
sondern auch zur Stärkung der Volksgesundheit beitragen.
Gerade Sie, unsere Kaufleute, unsere Gewerbetreibenden,
die in der nervenaufreibenden Berufsarbeit ein gut Theil
der großartigen Entwicklung unseres deutschen Handels auf
Ihren Schultern tragen, werden zu würdigen wissen, welch
köstliche Entlastung und Erquickung solch ein Tag auf den
Fluthen unseres Rheines bedeutet. Von diesem Gesichts-
punkte aus bitte ich Sie, die Bestrebungen unseres Kaisers
zu unterstützen, nicht nur auf dem Gebiete des Sports,
sondern auf allen Gebieten, wo immer die Wohlfahrt des
Vaterlandes in Frage kommt!"
Kaum war das Katserhoch verklungen, da ereignete sich
ein hübscher kleiner Zwischenfall. Aus der Reihe der mehr
als hundert Tischgäste tritt ein Franzose auf den Ad-
miral zu mit den in gebrochenem Deutsch vorgebrachten
Worten: „Mein Herr Admiral! Sie haben vorhin „unseres
Kaisers" gedacht in dem Glauben, daß Sie Deutsche ganz
unter sich seien. Ich habe aus vollem Herzen mit einge-
stimmt auf Ihren liebenswürdigen gnädigen Herrscher."
Admiral Mensing bat die Anwesenden, diese Galanterie
mit ihm zu begrüßen „als ein Zeichen der guten, ehrlichen
Gesinnung, die wir leider nicht oft in französischen Blättern
finden, aber regelmäßig, so oft wir einen Franzosen bei
uns begrüßen. Ich konstatire das auch als alter deutscher
Seeoffizier, der die Franzosen von der gleichen angenehmen
Seite in allen ihren Kolonien kennen zu lernen Gelegenheit
hatte. Wenn sich einmal unsere gemeinsamen Interessen
voll ausleben könnten, so könnten wir die mächtigsten
Verbündeten der Welt werden." (Lebhaftes Bravo.)

Deutsches Reich.
— Der dem Reichstage zugegangene Nachtragsetat
für die Karolinen beläuft sich auf 17680000 Mark,
davon 17 215 000 Mark einmalige außerordentliche und
465 000 Mark einmalige und ordentliche Ausgaben. Als

an Spanien zu zahlende Entschädigungssumme werden
16 750000 Mark gefordert, wobei ein Umrechnungskurs
von 67 Mark für 100 Peseta angenommen wird. Für
die Verwaltung der Inseln werden 465 000 Mark ein-
gestellt. Von dem Nachtragsetat sollen 465000 Mark
durch Zuschüsse aus dem ordentlichen Etat und 17 215000 Mk.
aus einer Anleihe gedeckt werden. Dem Etat ist eine Denk-
schrift beigegeben, worin daraufhingewiesen wird, daß das
fast ganz fieberfreie, durch die Seeluft sehr ge-
mäßigte Klima deutschen Familien sehr wohl
gestattet, sich dort für längere Zeit niederzulassen. Neben
Kokosnußanlagen und Pflanzungen der Sago-Palme werden
besonders Baumwollpflanzungen zu führen sein. Von be-
sonderer Wichtigkeit für die wirthschaftliche Erschließung
des Gebietes ist die möglichste Einbeziehung in den
australischen Weltverkehr. Von besonderer Bedeutung hier-
bei ist die große Anzahl sicherer Häfen auf den Karolincn-
und Palau-Jnseln. Die Denkschrift schließt, vom Stand-
punkte der wirthschaftlichen und maritimen re. Interessen
erscheint die Erwerbung gleich nöthig und nützlich. Die
fortdauernden Jahresausgaben für die Verwaltung der
Inseln in den nächsten Jahren sind auf 220 000 Mark
veranschlagt.
— Der bisherige oldenburgische Eisenbahn-Direktionspräsident
v. Mühlenfels, früher Vortragender Rath im preußischen
Finanzministerium, scheidet, der Nattona!-Ztg. zufolge, zum 1. Juli
d. I. aus dem oldenburgischen Staatsdienst wieder aus und kehrt
nach Berlin zurück, um die Redaktion der Zeitung des Vereins
deutscher Eisenbahnvcrwaltungen zu übernehmen. Der Ausschuß
dieses Vereins hat ihn für diese Stellung gewählt, da der bis-
herige Redakteur der Zeitung, der sächsische Oberfinanzrath a. D.
Ledig, als Vorsitzender in das Direktorium der Hartmannschen
Maschinenfabrik zu Chemnitz eintritt und dorthin übersiedelt.
Helgoland, 20. Juni. Der Kaiser, der gestern
Abend auf der Düne landete, nahm dort im Freien das
Diner ein. Die Abfahrt erfolgte Abends 10.30 Uhr.
Heute landete der Kaiser bei herrlichem Wetter um 2 Uhr
Nachmittags wieder auf der Düne und besichtigte unter
Führung des Oberbaudirektors Franzius die Buhneuarbeiten.
Die Abfahrt nach der „Hohenzollern" erfolgte 3.40 Uhr
Deutscher Reichstag. Berlin, 20. Juni. Vor Beginn
der Sitzung ruft Präsident Graf Ballestrem den Abg.
Bebel wegen seiner gestrigen Aeußerung, das Zustande-
kommen der Vorlage werde dem deutschen Reiche zur
Schmach und Schande gereichen, zur Ordnung.
Bei der Weiterberathung des Gesetzentwurfs zum Schutz
des gewerblichen Arbeitsverhältnisses tritt Abg. v.
Levetzow (kons.) für die Vorlage ein.
Abg. Lieber (Centr.) spricht sich dagegen aus. Seine Partei
wolle für die Kommtssionsberathung stimmen, aber nur, um die
aufgerollte Frage der Koalitionsfreiheit zur Wahrheit zu machen.
Im Laufe seiner Rede spricht Lieber von der himmelschreienden
Parteilichkeit in den Urtheilen gegen Arbeiter und wird hierfür
von dem Präsidenten zur Ordnung gerufen.
Abg. Bassermann (natl.) führt aus, seine Partei sei
monarchisch gesinnt, sie sei eine überzeugte Anhängerin der jetzigen
Gesellschaftsform, halte es aber für richtig, dies Gesetz abzulehnen.
Es sei jetzt schon klar, daß das Gesetz nicht zustande kommen
werde, es enthalte eine ungleiche Behandlung der Arbeiter und der
Arbeitgeber. Gerade in Anerkenntniß der Gefahr des Wachsens
der Sozialdemokratie sei die Einbringung eines solchen Gesetzes
älsch, die Sozialdemokratie sei die einzige Partei, die Freude über
die Einbringung des Gesetzes empfinde. Sollte die Regierung
um dieser Vorlage willen den Reichstag auflösen, so würde sie
nicht bloß die ganze Arbeiterschaft, sondern auch weite Kreise der
bürgerlichen Parteien gegen sich haben. Wir sind der Meinung,
daß eine Vermehrung der Strafmittel nicht nöthig ist. Ein Theil
meiner politischen Freunde glaubt allerdings, ein Ausbau des
Z 153 der Retchsgewerbeordnung sei nothwendig, und wünscht
Kommissionsberathungen; ich halte es für richtig, im kommenden
Herbst sofort im Plenum die Vorlage möglichst rasch abzulehnen.
Staatssekretär Dr. Nieberding: Die Anwendung des Groben
Unfug-Paragraphen erfolgt zumeist durch die Schöffengerichte, weil
das allgemeine Rechtsgefübl hier eine Lücke empfindet.

Fürstin Natalie.
Novelle von L. N. Satalin. Aus dem Russischen von
2) Eduard Bansa.
(Fortsetzung.)
Brjänski war es unmöglich, zu der früheren Tagesein-
theilung nach Stunde und Minute zurückzukehrcn; — bald
konnte man das Frühstück nicht zur rechten Zeit einnehmen,
weil die Fürstin von ihrem Morgenspazieraang noch nicht
zurückgekehrt war. bald mußte Mstißlaff Nikolajewitsch seine
Gattin Abends ins Theater oder ein in Konzert begleiten, und
inzwischen lagen seine Arberten unberührt da und harrten der
Erledigung.
Die Sorgfalt und Genauigkeit, mit der er seinen dienst-
lichen Aufgaben nachkam, nahmen soviel Zett in Anspruch,
daß er seine Frau den größten Theil des Tages allein lassen
wußte, was ihm Gewissensbisse verursachte. Oft ging er, sich
don einer Beschäftigung losreißend, in die Zimmer seiner
Gattin, die er entweder in die Lektüre eines Buches vertieft,
oder von Sorgen um die Einrichtung des Hauses gequält,
ontraf. Geduldig hörte er ihre Auseinandersetzungen über
die Form eines Fauteuils oder die Farben eines Teppichs an.
Sollte er dann seine Ansicht über den erwähnten Gegenstand
äußern, so wurde er bisweilen zum Widerspruch gereizt, so
lehr er sich auch bemühte, ihn zu unterdrücken.
Die Dinge, welche das Interesse der Fürstin erregten,
dielt er kaum der Beachtung für werrh, und die Unterhaltung
Wit derselben erschien ihm sehr bald fade. Ueberhaupt ver-
standen sie einander nicht, und wie er auch aus einen ge-
weinsamen Berührungspunkt, in dem ihre Ansichten sich
«reffen konnten, sann, er fand ihn nicht- Er würdigte den
Perstand, die Bildung und das Zartgefühl seiner Frau, und
'vnnte sich an ihrer Schönheit nicht satt sehen. Wenn er sich
ober die Frage vorlegte: „Bist Du denn wirklich glücklich?"
w blieb er sich die Antwort schuldig. —
Der Fürst Mstißlaff Nikolajewitsch fuhr vom Bahnhofe

geradenwegs nach Hause, wo er sich umkleidete, um alsdann
an einem offiziellen Diner theilzunehmen.
Abends in Zarskoje Sselo vermochte die Fürstin Natalie
nicht einzuschlafen, sie nahm deshalb ihr Tagebuch zur Hand
und trug folgende Zeilen in dasselbe ein.
Nataliens Tagebuch.
2. Januar.
Nun bin ich schon zwei volle Monate verheirathet, — und
i wie hat sich das alles zugetraaen? — Wie bin ich, eine arme
Waise, die im Hause ihres Oheims lebte, eine selbständige
Frau geworden? — Eigentlich war es sehr einfach, aber doch
wiederum sehr sonderbar! — Wir lebten den ganzen Sommer
über auf dem Lande. Im September, zur Zeit der Jagden,
trafen Gäste ein, Petersburger Bekannte, meistens Offiziere,
Kameraden meines Vetters, unter denen sich der Fürst
Brjänski befand, ein junger General, der sich sowohl durch
große Klugheit, als auch durch sein männlich schönes Aeußere
vor den übrigen Herren auszeichnete. Vordem hatte ich ihn
nur selten in der Gesellschaft gesehen, aber in der letzten
Saison hatte ich einige Male die Ehre, von ihm zum Walzer
aufgesordert zu werden. Man hatte mir gesagt, er tanze im
Allgemeinen wenig, sondern zöge es vor, auf den Bällen am
Spieltisch zu sitzen, um dort bald seinen Partner zu mustern,
bald über die sich durch die Sä(e drängende, elegante Ge-
sellschaft beißende Bemerkungen zu machen.
Bekanntlich wird man in einer Woche gemeinsamen Zu-
sammenlebens auf dem Lande bekannter untereinander, als
in zwei Jahren bei meist zufälligen Begegnungen in der
Stadt. — So war es auch bei uns. — Brjänski unterhielt
sich oft stunderlang mit mir. und ich fühlte mich wohler in
Gegenwart dieses klugen, stattlichen Mannes, der in seinem
Leben schon vieles gesehen und durchgemacht hatte, als in der
Gesellschaft jener ganzen Heerde von neugebackenen Kornets
und Leutnants. Auch erregte es meine Eitelkeit, daß ein so
ernster und gesetzter Mann mir, einem zweiundzwanzigjähriaen
Mädchen, seine Aufmerksamkeit zuwandte. Er bemühte sich,
beim Diner mein Nachbar zu sein, und ging auch im weiteren

Verlauf des Abends selten von meiner Seite. Wir begegneten
uns, wenn auch sicher unbeabsichtigt, oft im Garten. Er
erzählte mir dann von seinem früheren Leben, sprach über
die Hoffnungen, welche er auf Grund seiner schon jetzt
glänzenden Karriere mit Recht hegen durfte, und machte An-
spielungen. daß auch ein Soldat nicht allein stehen dürfe, daß
eine verständige Frau in vielen Dingen ihrem Mann rathen
und Helsen könne.
Aber meine Ohren waren für derartige Redensarten ver-
schlossen, — ich gestehe, ich ahnte garnicht, was er im Sinn
haben konnte. Doch ich will erzählen, wie ich schließlich
erfuhr, um was es sich eigentlich handelte.
Es war ein warmer Septembertag (Brjänski befand sich
bei uns bereits zehn Lage als Gast im Hause.) — Nach dem
Frühstück ging ich im Park spazieren. Auf einer kleinen Er-
hebung angekommen, setzte ich mich auf die dort befindliche
Bank und blickte gleichgültig auf das sich gelb färbende Laub
der Bäume. Ein schwacher Luftzug bewegte die Zweige eines
Ahorns vor mir, und ich beobachtete theilnahmlos, wie Blatt
auf Blatt zur Erde fiel. „So gehen auch Deine Jahre da-
bin," dachte ich bei mir. — „Und, wenn sie alle abgefallen
sein werden, bleibt ein leerer Stamm stehen, — ein durch-
lebtes Leben; für mich wird es ein Dasein ohne Freude,
ohne Leid, ohne Beschäftigung sein. Niemand wird mir zur
Seite stehen, aus mir wird eine mit sich selbst unzufriedene
alte Jungfer werden."
„Weshalb sehen Sic denn so betrübt aus, Natalie Serge-
jewna?" ließ sich hinter mir die wohlbekannte Stimme
Brjänskis vernehmen. — »Sie scheinen mit ernsten Gedanken
beschäftigt zu sein."
„Ich sab eben auf die herabfallenden Blätter und den fast
entlaublen Ahorn dort, und verglich beides mit meinem
Schicksal."
(Fortsetzung folgt).
 
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