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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0147

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Miüivlich. Len 8. FrliruLr

1899.

Zur Erinnerung an Richard Rothe.
Der 28. Januar 1899 war für eine nicht allzu große, aber
weitverbreitete Gemeinde ein rechter heiliger Erinnernngstaa:
Alle, die einst zu Richard Rothe's Füßen gesessen und die
Wohl alle unvergängliche Eindrücke von ihm mitgenommen haben,
me für ihn mehr als für alles andere Gute Gott den innigsten
Dank sagen, die pilgerten am 100. Geburtstage des seligen,
Maßen guten Meisters im Geiste an sein Grab und priesen das
Glück, die Gotteswelt und Gottes Willen durch Rothe verstehen,
Ebristenthum und Kirche, Wissenschaft und Leben mit Rothe's
Augen sehen gelernt zu haben.
Er war aber auch eine ganz eigene Erscheinung. Ein sehr
«einer schmächtiger Mann mit schlichtem, ziemlich langem, dunk-
>ew Haare, glattem Gesicht, das, abgesehen von der hohen Stirne,
G keiner Weise bedeutende Formen zeigte, aber hinter der Brille
im lebendigen tiefen guten Augen, von dem weißen Halstuche
alles in seinem Acußern sorgfältig sauber, ansvrechend. So
'Ehen wir ihn noch unter den anderen Professoren von Heidel-
r^g nicht nur den theologischen Genossen: Schenkel, Hitzig,
vnndeshagen, dem damals jungen Holtzmann —, sondern unter
°ll den Koryphäen Heidelbergs: Eduard Zeller. Häusser,
Aluntschli, Vangerow, Helmholtz, Kirchhofs, Bunsen u. s. w. —
^wt nur geachtet, sondern von ihnen ausgezeichnet. Wie stolz
waren wir, seine Schüler, beobachtend, daß diese Zierde» deut-
s?kr Wissenschaft, die damals Heidelberg so großen Ruhm ver-
fassten, im Verkehre mit dem unscheinbaren Rothe diesem eine
Mnliche Hochachtung bewiesen, wie wir sie für unfern geliebten
^brer hatten, der uns aus allen Theilen des evangelischen
AEUtsihlands, der Schweiz, Oesterreichs dort versammelt hatte,
si^r er im harmlosen, freundlichen und fröhlichen Verkehr freute
der Freundschaft von Männern, die er selbst so hoch schätzte,
, sk s» aller Bescheidenheit. Hat doch niemals Jemand an ihm
-vch nur einen kleinen Zug befriedigter Eitelkeit, oder der Selbst-
.Verhetzung, oder gar verächtlichen Herabblickens auf andere
°iwerkt.
Ja diese Schlichtheit I Ob auf dem Katheder oder Im Hause:
ur der bescheiden kleine Mann trat einem entgegen, dem es nie
etwas anderes ankam, als auf das, was er eben trieb, der
daÜ?. """ der Sache hingenommen an sich dabei nur insofern
H,w>e. „lg etwa er mit der Autorität des Lehrers der Macht der
d "vrheit im Wege stehen könnte. So, wenn er einmal auf Ge-
k " , kam, deren Eigenartigkeit nicht gleich Gemeingut werden
an« ^ aber meine Ansicht, ich will sie Ihnen durch-
di. vicht ausdrängen, ich kann aber nicht anders" — soweit nicht
k,,,Wahrheit selbst siegt kann er mit seiner Person die Wahr-
a,.' doch nicht ersetzen! Und doch diese Demuth so gar nicht
n>,Mt^' sondern mit einer harmlose» Fröhlichkeit verbunden,
d^, viit einer feinfühligen Rücksicht, die ihn für jedes unver-
s^fve Gemülh unwiderstehlich liebenswürdig machte, daß wir
gen ,?^"isch ?v ihm aufsahen, immer dabei in Ehrfurcht zurück-
durch den steten Eindruck gewaltiger Geistesgröße und
ein! Evr Vollkommenheit bei einer bisher eben in dieser Ver-
tz,»!?"vg ungeahnten tiefen Frömmigkeit. Wir haben noch zu so
gern andern Lehrer mit gespannter Aufmerksamkeit, ja be-
s°n!r aufgeblickt, nicht nur durch die Macht des Verstandes,
hat "" "ach durch den Charakter angezogen. Aber kein anderer
ie w das Wesen der Frömmigkeit offenbart. Wenn uns
kiräsu^ Ehristus Gestalt gewonnen, wenn wir abgesehen von
kdn» ,?v Lehrsätzen und auch abgesehen von der eigentlichen
Pert"E//Een Gedankenwelt das Christenthum in der christlichen
Ilch'"vlichkeit suchen und lieben lernten und uns gelobten, christ-
sifg,, Persönlichkeiten werden zu wollen: das hat doch vor anderen
über uns vermocht, der uns den Beweis gab, daß diese
Hl,„, vlickkeit Wirklichkeit sein kann, in dem uns ein lebendiger
»rtjg ö Jesu Christi selbst erschien, der nur in seiner einztg-
Weise mit einem die innere Bewegung verrathenden
»seinen Erlöser" zu nennen brauchte, um uns davon zu
g,fangen: ja Richard Rothe hat wirklich seinen Erlöser
eigner das war doch eine ganz andere Art der Frömmigkeit,
^boi,» gemeinhin unter diesem Worte verstanden wird, wie sie
körb,'« und -stier, wie sie namentlich die Brüdergemeinde ver-
- Denn da war nichts von der Einseitigkeit, welche die
io d^!?wkeit in der Form des Pietismus unserer modernen Welt
!v s^baßt gemacht und damit die äußere und innere Mission in
?°vz, sE» Mißkredit gebracht hat. Rothe's Frömmigkeit war
°»ri
A»r
d»r

»r^Eltoffen, die ganze Welt ihm Gottes Offenbarung, und
er 'v ihm gar kein Mißtrauen gegen Wissenschaft und Kunst,
"ve Verachtung für das Treiben der Welt, trotz der denk-

^ W°^vv Feinfühligkeit gegen alles Gemeine. Das ist eben
°<>rer "vberbare an diesem Manne, daß er in sich in wunder-
ffiiig.' vber auch wundervoller Einheit alle die Gegensätze ver-
^ c, j^ch das Parteiwesen und die Einseitigkeiten kleiner

Menschen entstehen, und die doch so sicher nicht unversöhnliche
Gegensätze sein können, als in ihnen allen ein ideales Wahr-
heitselement enthalten ist. Ein Snpranaturalist, der an keinem
Wunder an sich Anstoß nimmt und doch alle Willkür aus dem
Begriffe Gottes ausschließt, ein Mystiker im religiösen Gefühls-
leben, der doch keine Unklarheiten durchgehen läßt, ein Frommer,
der an dem Gottesdienste der Orthodoxen und Pietisten innig
sich betheiligt und doch ganz frei von ihrem Parteileben ist. in
der Theologie sowohl der Baur'schen als der Hengstenberg'schen
Schule innerlich fremd, und doch ein musterhafter wissenschaft-
licher Arbeiter, gegen alle kirchliche Mache mißtrauisch, am lieb-
sten still für sich und doch der geistige Urheber und das eigent-
liche Haupt des Protestantenvereins, das angesehenste Mitglied
der Generalsy ehe, des Kirchenregiments, der ersten Kammer.
Und bei dem alle-- war In seiner Seele nicht der oeringste Wider-
spruch, sondern das gar nicht einzudämmende Bedürfniß einer
geschlossenen inneren Einheit, die das Denken ganz ebenso wie
ba« religiöse Gefühl und jedes ungeschmälert umfaßte, in der das
religiöse Gefühl die Quelle war. die aber nur bei ganz folge-
richtig wissenschaftlichem Denken ungetrübt bleiben konnte. Mit
ganz wunderbar prophetischem Blicke hat Rothe in seinem Hauvt-
werk, der „Theologischen Ethik", auf spekulativem Wege die
Darwinsche Entwicklungslehre gewissermaßen vorausgeschaffen,
aber aus Gottes Wesen heraus, alles mit Gottes Geist erfüllt
und die Persönlichkeit in das Centrum gestellt, deren Aufgabe
das Sittliche ist, und deren Kehrseite nun ist das Religiöse: das
Sittliche in seiner Beziehung auf Gott — Das kann hier nicht
näher ausgcfüürt werden. Das praktisch Wichtigste ist die klare
Erkenntniß, daß das Christenthnm sittliche Religion ist und die
Kirche, als die das rein Religiöse vertritt, seinerzeit im Staate
aufgehen wird, der die sittliche» Aufgaben löst, die ja als aus
Gott geflossen zugleich religiöse sind. Religion aber von der
Sittlichkeit getrennt ist nichts Christliches, das Christliche aber
das echt Menschliche. Die Frucht aber seiner Wirksamkeit war
für uns im unbedingten Vertrauen auf (Hott das unbedingte
Freiheitsgefühl. das für sein christliches Denken und Handeln
keine menschliche Autorität erkennt und doch sich willig etn-
ordnet in die Welt, wie sie ist, die scharfe Unterscheidung von
Christenthum und Kirche, von Theologie und Religion, aber für
uns christliche Theologen eine Wirksamkeit in der Welt, im
Vaterlande, und die Gewißheit: bei Richard Rothe liegt der
Wegweiser zur Gesundung von Staat und Kirche.
Das äußere Leben Rothe's ist kurz folgendes: 28. Jan. 1799
in Posen geboren, 1810 nach Breslau, 1817 Student in Heidel-
berg, 1819 in Berlin, 18!0 im Seminar in Wittenberg, 10. Nov.
1823 Trauung daselbst, 1 Dez. Abreise nach Rom. Dort Ge-
sandtschaftsprediger bis 1828, dann Seminarlehrer in Witten-
berg bis Sept. 1837. Dann Professor in Heidelberg, 1849—51
in Bonn, 1854—67 wieder in Heidelberg.
Am 20. August 1867 starb Richard Rothe, erkrankt durch die
aufreibende öffentliche Wirksamkeit, zuletzt ein Opfer seiner zarten
Rücksicht auf seine Pflegerinnen, die zu stören er nicht über das
Herz brachte. Ein Menschenalter schon ist über sein Grab ge-
gangen. aber noch lebt sein Wort und sein Geist, der Geist des
weltüberwindenden evangelischen Christenthums.
Zur Kenntniß Rothe's dienen: 1. Das zweibändige Quellen-
werk: Richard Rothe von Nippold, 1873/74. Stille Stunden,
Aphorismen aus Richard Rothe's Nachlaß, 2. Auslage 1888.
Gesammelte Vorträge und Abhandlungenrc. eingeleitet von Nip-
pold, Elberfeld 1886, 4 Mk. W. Hönig: Nichaid Rothe, sein
Charakter, Leben unv Denken. Berlin, Schwetschke. 1898. 227 S.
kl. 8. 2 Mk. H. I. Holtzmann: Richard Rothe; nebst 3 Beilagen
von Rothe. Evang. Verlag, Heidelberg, 80 Pfg.
W. Ackermann, Pfr. in Wenigenjena.
Kleine Zeitung.
— Berlin, 2. Febr. Frau Bertha Wegner-Zell,
die nach dem Tode der bekannten Jugendschriftstellerin Thekla
von Gumpert die Herausgabe der im Verlage von Carl Flein-
niing in Glogau erscheinenden Jugeudschrifren „Herzblätt-
chens Zeitvertreib" und „T ö ch t er - A l b u m" über-
nommen Hot, ist heute von der gegenwärtig hier weilenden
Großherzogin von Baden in besonderer Audienz
empfangen worden, um derselben den neuesten (44.) Band des
Töchter-Albums zu überreichen, der aus Anlaß des am
3. December 1898 gefeierten sechzigsten Geburtstages der Groß-
berzogin das Bild und die Biographie derselben sowie ein den
Tag verherrlichendes Gedicht der Herausgeberin enthält. Die
Großherzogin empfing Frau Bertha Wegner-Zell sehr huldvoll;
sie sprach sehr eingehend über Jugendliteratur, drückte ihre
Freude über die schöne Ausstattung des Werkes aus und ver-
sprach aus eigenster Initiative, Auftrag geben zu wollen, daß
dasselbe in den Jugend- und Schulbibliotheken Badens ein-
geführt würde.

— Ein deutscher Bäcker in Kiantschou. Der Obermeister
der Bäckerinnung in Insterburg erhielt dieser Tage von seinem
früheren Gehilfen Fritz Teweleit, welcher zur Zeit bei dem
dritten Seebataillon dient, aus Tsingtau einen Brief, in welchem
es heißt: Ich habe mir hier eine Bäckerei angelegt und liefere
Brod für sämmtliche Offiziermessen. Eine Zeit lang lieferte ich
auch der Küche des Prinzen Heinrich Brödchen. Vom Prinzen
Heinrich habe ich eine mündliche Anerkennung erhalten, daß ich
der Erste wäre, welcher in China schmackhafte Brödchen gebacken
hat. Es hält hier nämlich sehr schwer, Weißbrod zu backen,
weil es in China keine Hefe gibt und ich mir von Hopfen und
Malz selbst Hefe machen muß. Wer das nicht versteht, kann
hier überhaupt nicht backen. Die Chinesen essen uur Früchte
und Reis und backen von Reis auch Kleisterbrod zusammen. Ich
nebme für drei Brödchen 10 Pf., diese sind aber kleiner als in
Insterburg.
— Vom verschollenen österreichischen Erzherzog (Johann
Orth.) Wie gemelder, har kürzlich ei» Matrose Namens
Patchurich, der seiner Zeit auf dem Schiffe Johannes Orths
diente, an seine in Castrena wohnenden Angehörigen ein
Schreiben gerichtet, worin ec ihnen mittheilt, daß er sich in
Südamerika aufhalte und wohlbehalten sei. Diese Nachricht
hat die Aufmerksamkeit wieder auf den unglücklichen Erzher-
zog gelenkt, der in der Nähe von Feuerland Schiffbruch er-
litten haben soll, und erweckte die Hoffnung, daß Johann
Orth sich vielleicht doch noch am Leben befinde. Bud. Navlo
veröffentlicht nun ein Schreiben eines pensionirtcn Schiffs-
osfiziers, der einige Daten über den Aufenthalt Johann Orths
in Jquigue mittheilt, wo der Erzherzog zum letzten Male
gesehen wurde. Johann Orth befand sich im Winter 1890
mit seinem Schiffe „Santa Margherita" im Haien von
Jguique. Das Schiff wurde von Kapitän Saich befehligt,
— obgleich auch der Herzog selbst das Patent eines Schiffs-
kapitäns besaß. In Jquigue befaßte sich Johann Orth mit
der Beschaffung von Lebensmitteln und — was besonders
auffallend war — mit der Armirung seines Schiffes, im
Uebrigen lebte er sehr zurückgezogen. So oft er mit fremden
Offizieren zusammenkam, erkundigte er sich eingehend nach
den kulturellen, klimatischen und ethnographischen Verhält-
nissen der Inseln von Polynesien und machte fich wiederholt
aueb Notizen über das Gehörte. Im Laufe des Aufenthalts
in Jquigue erkrankte plötzlich Kapitän Saich, vor dem der
Erzherzog den künftigen Bestimmungsort der „Santa Mar-
gherita" durchaus geheim hielt, und als ob Johann Orth nur
auf eine solche Gelegenheit gewartet hätte, entließ er den
Kapitän mit einer beträchtlichen Endabfertigung und gab Be-
fehl, das Schiff flott zu machen. In der Hoffnung auf eine
gleich hohe Endabfertigung bat auch der größte Theil des
Schiffspersonals um seine Entlassung, die Allen diees wünsch-
ten. erkheilt wurde. Der in Südamerika lebende Matrose
Paichurich, der jetzt ein Lebenszeichen von sich gegeben hat,
dürste diesem entlassenen Personal angehört haben. Nachdem
das Schiffspersonal wieder ergänzt war. fuhr das Schiff ab
und seither wurde Johann Orth von Niemanden mehr ge-
sehen. In Chile soll allgemein die Überzeugung verbreitet
sein, daß sich der Erzherzog auf einer der Südseeinseln ein
neues Heim gegründet habe und noch jetzt dort lebe.
Handel und Verkehr.
Schiffsnachrichten. Norddeutscher Lloyd in Bremen.
(Agenturen in Heidelberg: Josef Münch, Hauptstraße 1, und
C Haas, Hirschstraße 13.) Angekommen sind folgende Dampfer:
«H. H. Meier" am 2. Febr. in Ncwyork, „Sachsen" am 2. Febr.
in Singapore, „Bremen" am 2. Febr. in Suez, „Prinz-Regent
Luitpold" am 3. Febr. in Aden._
Für die Redactiou verantwortlich: F. Montua in Heidelberg
v«»i» HüiLlA, LllnotliÄllälrulA,
llrmptstrssss 124.
Rsiokiraltixss von
kkatoxrapdl«» »II«r ttiinäsr.

ItülisQ aUsin üdvr 1000 Rlutt.

KsiokLts Vollsetiov vor»
Ueiäelderxer ,4 nn lebte« »»4
Lrinnsrnoxvo.

Nupterstlvbe null bl,nullt«-Ullckar von Nvlckstbvrx.
Dusstsilung von Lnnsr- unä icunstgoworbliabsn Oisgerwtrlrnisn.
Ilmtimvu, Mamntiails I. Umzes,
3 Leopoldstraße (Anlage) 3.
Cigarren: Reichhaltige Auswahl erstklassiger deutscher Fabrikate
sowie imvortirte Havanas. — Cigaretten: Hauptniederlage von
Hayden Wwe., Frankfurt a. M„ sowie Russische u. Egypt. Marken
Hierzu Heidelberger Familienblätter Nr. tl.
Inhalt: Stademann und Tochter. Erzählung von °H. Rens.
— Robert Koch und die Malaria-Erforschung. — Ein heimath-
liches Literaturbild. — Vermischtes. — Für den Büchertisch.

1)

Eine Ueberraschung.
Fastnachtsgeschichte von Erich zu Schirfeld.

(Nachdruck verboten.)
, "ne ganz fatale Geschichte!"
W«e die Hände auf dem Rücken zusammen gelegt und
,,(>ti seinem Studirzimmer sinnend auf und ab. Auf
^»i> las ^'bEche laa ein offener Brief. Den ergriff er jetzt
k» «Tat- ." aufmerksam noch einmal durch.
* kein Zweifel," murmelte er, „Dienstag, den 14. Fe-
er ist Heute. Hm hm!" —
kn , er ging er unmuthig auf und ab. Plötzlich blieb
Mg kj^„'Zah nach der Taschenuhr und gina hinaus. Er
«E Dreppx empor und blieb vor einer Thür lauschend
tL>'er-i bockte er.
rief es kläglich.
tz,>.Ach ^at er ein.
^ klgg'Herr PastorI Gott nee. der Herr Postor selbst!"
^ Äbsj^.als ob sie weinen wollte. Vielleicht hatte sie auch
- ,tzr 7;.. ^ ließ es aber gar nicht dazu kommen,
h» ke» v sagte er, „Sie müssen mir rathen und helfen,
s;?'? «ch- die Frau Amtmann Wiedenroth — Sie
Za wghl noch^- mit ihrer Tochter Charlotte —"
natür-
Na.

l? doch." ries"Brigitte, lebendiger werdend, „>
dTJhr>4 die Frau Amtmann nicht kennen!

h ^ rsfruu Au^nlunn rcunci»:
ß ^Ng°s^Schterchen erst, daS Kind mit den Löckchen — wie
'ß.Hkrr Pastor- Nee sowas I — Also die — ja was
^Die Ä' Herr Pastor?"
treffen heute bei uns ein, um uns zu be-
» heißt, nicht eigentlich uns. sondern nur unser»
hat sie an mich verwiesen."
ÄMd Allmächtiger I" schleuderte Brigitte, sich ver-
""h rückte in ihrem Bett zwei Fuß höher.
Mn A,« "e der mit sich beschäftigte Herr Pastor den
'^Mee. Mruf überhört.
"sie Naht nich, Herr Pastor! Uns besuchen! Wo
«-wache Person und noch dazu krank — das Pastor-

haus, zwei Damen und Sie em alleinstehender Mann, auf
keinen Fall geht das, Herr Pastor, Ihr Ruf, Ihre Gemeinde!
Das müßte sich doch die Frau Amtmann allein sagen, daß
das nicht geht." — Brigitte hatte sich ausgerichtet und
schnappte nach Luft. Sie war ganz echausfirt.
„Aber Brigitte," benutzte der Pastor die Erholungspause,
„was fällt Ihnen denn ein! Selbstverständlich wohnen die
Damen irgendwo anderwärts, selbstverständlich. Aber wo?
Sehen Sie, deshalb komme ich zu Ihnen. In dem einzigen
Gastbause des Dorfes ist heute Fastnachtsball, also . ."
„Gott ja." wimmerte nun die treue Haushälterin wieder,
„is ja wahr. Nu grade heute-Fastnacht, wo alle Welt
Pfannkuchen ist und Punsch trinkt. Und ich elendes Wurm
muß hier allein in meinem Bette liegen!"
„Aber seien Sie doch nicht kindisch." mahnte der Pastor.
„Friederike kann Ihnen ja Gesellschaft leisten und einen Grog
brauen. Meinetwegen mag sie vom Bäcker auch ein Dutzend
Pfannkuchen holen . . ."
„Ach, Herr Pastor!"
„Na denn zwei Dutzend! Aber was in aller Welt fange
ich an! Wo bring' ich die Damen unter!"
„Ja so! — Wie wärs denn. Herr Pastor, könnten sie
denn nicht bei Kantors schlafen?"
„Herr Gott, Brigitte!" — Er schlug sich vor die Stirn!
„Natürlich! Auch daran nicht zu denken! Die alte Frau
Kantor Wird das gern thun und Raum hat sie ja im Ueber-
fluß!" — Er wollte davonstürmen, da rief ihn Brigitte
wimmernd zurück.
„Wenn aber Friederike nun auch zum Fastnachtsball
will?"
„Ich dächte gar," rief er, „eine Pfarrersmagd und zum
Fastnachtsball, das wäre!"
Damit eilte er die Trevve hinab. Er zog den Paletot an,
setzte den Hut auf und ging ins Schulhaus.
Die Frau Kantor, eine helläugige, alte Dame mit jungem
Gesicht, empfing ibn voll schuldiger Ehrfurcht und nöthigte
ihn herein. Der Pastor trug sein Anliegen vor und die
Frau Kantor schätzte es sich zur Ehre, so hohen Besuch be-

wirthen und dem Pastor dienen zu können. Dann fragte sie
noch nach diesem und jenem und kam auch auf ihren Fritz,
den jetzigen Kantor zu sprechen. Fritz hatte setties Vaters
Thron bestiegen, schwang das schulmeisterliche Szepter nach
Herzenslust und regierte sein kleines Volk mit Strenge und
Gerechtigkeit. — Und dennoch I So ein richtiger, echter
Schulmeister würde er wohl nie werden, meinte sie, er bat
allerlei andere Dinge im Kopfe. Er fabelte Ge-
schichten zusammen, die nie passirt waren, und schrieb sogar
— Theaterstücke! DaS sagte sie zwar nur dem Herrn Pastor,
der ja auch ein Kind des Dorfes war und seines Vaters
Kanzel geerbt hatte. Als Kandidat hatte er dem Fritz die
Grundelemente der lateinischen Sprache beigcbracht und ihm
das Paradies der schönen Literatur erschlossen. Also war er
ja eigentlich schuld an dem Unglück und mochte nun sehen,
wie er das Unkraut wieder ansrottete. —
Der Pastor lächelte melancholisch.
Was er in dem jungen Freunde geweckt hatte, — ihm
war es nicht b: schieden.
Er erhob sich-
„Lassen Sie gut sein. Frau Kantor," sagte er, die Ver-
geltung bleibt nie ans, denn jede Schuld rächt sich auf Er-
den. Aber seien Sie versichert, ich werde die Folgen zu tragen
wissen!"
Er hatte das scherzend gesagt und verabschiedete sich
lachend mit einem herzlichen Händedruck.
Sein nächster Gang galt dem Bauern Karl Meinecke, der
ihm das Gespann stellte, wenn er Sonntags und auch sonst
von berufswegen in das zu seiner Pfarrei gehörende Nach-
bardorf reisen mußte.
„Lieber Freund," rief er dem auf seinem Hose beschäf-
tigten Bauer schon von weitem zu, „ich muß Euer schönstes
Gespann haben. Heule Nachmittag 3 Uhr müssen wir auf
der Station lei». Ich bekomme Besuch."
Meinecke kratzte sich gewohnheitsgemäß hinterm Ohr, gab
aber schließlich doch nach und um zwei Uhr polterte der alte
Kutschwagen mit den vom Pflügen heimgeholten Gäulen der
Station zu. lFortsctzung folgt.»
 
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