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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0423

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Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xi-. 94. Erstes Klsit. Samstsg, den 22. April

1899.

Politische Umschau.
Heidelberg, 22. April.
Die Reichstagskommission, der die Vorlagen
und Initiativanträge zur Hebung der Sittlichkeit überwiesen
worden sind, hat letzten Donnerstag den sogenannten
Arbeitgeberparagraphen angenommen, der in dem
zu der Regierungsvorlage cingebrachten Zentrumsantrage
stand und dahin geht, daß Arbeitgeber oder Dienstherren
und deren Vertreter mit Gefängniß bis zu einem Jahre
bestraft werden, welche ihre Arbeiterinnen und Gesinde
unter „Mißbrauch des Arbeitsverhältnisses" durch An-
drohung von Nachtheilen, Lohnverkürzung, Zusage und
Gewährung von Arbeit, Lohnerhöhung oder anderen aus
den Lohnverhältnissen sich ergebenden Vortheilen zur Dul-
dung oder Verübung unzüchtiger Handlungen verleiten.
Dafür stimmten 13 Mitglieder der Kommission, dagegen 8,
und zwar nur Konservative, Nationalliberale und Frei-
sinnige. — Die gute Absicht dieser Bestimmung ist bisher
von keiner Seite in Zweifel gezogen worden; mit einer
solchen Bestimmung erreicht man aber das erstrebte Ziel
uicht. Die Arbeits- und Dienstverhältnisse sind so verschieden,
daß sie nicht ohne Unterscheidung zur Grundlage eines
neuen Sittlichkcitsvergehens gemacht werden können. Die
Worte „Mißbrauch des Arbeitsverhältuisses" gehen zu
weit, besonders bedenklich aber ist, daß nicht Unbescholten-
heit auf Seite der Verleiteten erfordert wird, und beschol-
«ene Personen daraus eine Gelegenheit zu Denunziationen
und Erpressungen herleiten könnten. Das waren die
Gründe, die im vorigen Jahre bereits die Regierung da-
gegen geltend gemacht. Aus dem Reichstag aber wurde
weiter als höchst bedenklich bezeichnet, daß ein solches
Vergehen als ein Offizialdelikt behandelt werden soll, wo-
durch also jeder beliebige Dritte in die Lage versetzt wird,
vus unlautersten Motiven auf Jahre hinaus mit der An-
zeige zu drohen oder Erpressungen zu verüben. In Folge
dessen hat auch am 9. März der Staatssekretär vr. Nieder-
ung im Reichstag ausdrücklich erklärt, daß die verbündeten
Regierungen sich auf die Eingangs erwähnten Bestimmungen
»unter keinen Umständen einlassen werden". Wir heben
dies schon jetzt hervor, um zu konstatiren, wer die Schuld
wagt, wenn diesmal wieder der Versuch, im Interesse der
Sittlichkeit die strafgesetzlichen Handhaben zu vermehren,
lcheitern sollte.
Wie das czechische Blatt Narodny List! zu berichten
^eiß, habe der Sectionschef Stummer zur Lösung der
Sprachenfrage in Böhmen bereits einen Gesetz-
entwurf ausgearbeitet, welcher auf Grund des § 14 ein-
geführt werden soll. Der Entwurf stellt fünf Zonen
vuf: eine einsprachige deutsche, eine einsprachige
ezechjsche, eine vorwiegend deutsche, eine vorwiegend
ezechische und eine gemischtsprachige mit nationaler
Minderheit von mehr als 25 vom Hundert. In
der einsprachigen Zone wäre die Verwaltung ein-
wrachig, jedoch wäre bei jeder Behörde ein der zweiten
Landessprache kundiger Beamter anzustellen. In der vor-
wiegend deutschen Zone wäre das amtliche Verfahren
grundsätzlich deutsch, es würde aber von einer größeren
Anzahl Beamten die Kenntniß der czechischen Sprache ge-
ordert. Prag wäre unter die gemischtsprachigen Bezirke
"wt doppelter Amtirung einzureihen. Ehe man nicht mehr
von dxm Entwurf kennt, kann man nicht über ihn ur-
teilen; soviel ist immerhin klar, daß die Regierung mehr
swd mehr eingesehen hat, wie gefährlich es ist, die Rechte
d^r Deutschen durch Sprachenverordnungen st la, Baden!
dwt Füßen zu treten. _
Deutsches Reich.
— Wie schon kurz gemeldet wurde, weilt zur Zeit in
Erfinder französische Dragonerleutnant de Tinan, der mit
wer Prinzessin von Chimay verheirathet ist. Der Leut-
M, der in Berlin mit großer Auszeichnung behandelt
. wd, verkehrt sehr viel mit dem ihm befreundeten früheren
wischen Militärbevollmächtigten in Paris, Oberst und
^wgeladjutant v. Schwartzkoppen, Kommandeur des
Kaiser Franz-Regiments. Dieser lud den Leutnant de
Wan, der bereits mit einer Einladung des Kaisers
A Tafel beehrt worden ist, am Montag Mittag vor der
^ varmirung der Garnison durch den Kaiser persönlich ein,
w Gefechtsexerciren auf dem Tempelhofer Felde beizu-
^twen; auch befand sich Leutnant de Tinan in Begleitung
^ Obersten v. Schwartzkoppen und des französischen
h aitärbxbMMchtjgtem Oberst Graf de Foucauld, unter
stell ^Mieren, die am 14. d. Nt. den Kompagnievor-
jungen bei dem 1. Gardcregiment in Potsdam zusahen,
in^vant de Tinan gedenkt am 26. d. M. wieder nach
^>2 zurückzureisen.
Die Reichstagscommission für das P o st-
d, sstz beschloß mit Zustimmung des Staatssecretärs
A Vodbielski nach dem Antrag des Abgeordneten Dr.
1. (»tl.), daß die Privatpostanst alten am
1900 einzugehen haben und daß von diesem
hz??we an keine neuen errichtet werden dürfen. Die
^wlte Entschädigung der Privatpostanstalten ist nach der
gx^ruiigsvorlage auf das Achtfache des jährlichen Rein-
tz. wis festgesetzt. In der Erörterung erwähnte der
gP^Esecretär, unter den weiteren in Aussicht genommenen
"Wichen Tarifreformen befinde sich der Gedanke der

Ausdehnung des Fünf-Pfennig-Briefportos
aus das ganze Reich.
— Das Schneidemühle! Tageblatt meldet, daß der
Feldwebel Al brecht vom 129. Infanterieregiment in
Bromberg unter der Anschuldigung des Landesver-
raths nach Spandau gebracht worden sei.
— Ein seltenes Jubiläum, das von besonderer Bedeutung
für die Geschichte des deutschen Zeitungswesens ist, beging am
20. April die Ienais che Zeitung. Sie feiert ihr 225jähriges
Bestehen, zugleich aber begeht die Zeitung als zweites und be-
sonderes Jubelfest, daß sie an diesem Tage ebensolange in dem
Besitz der Jeuaischen Familie Neuenhahn ist, und als drittes, daß
diese Familie an diesem Tage ihr 275jähriges Jenenser Bürger-
jubiläum begehen kann. In voller Unabhängigkeit hat die
Jenaische Zeitung für die nationale und liberale Sache zu des
Reiches Wohlfahrt allewege gestritten und sich in der deutschen
Presse als eine der ältesten Zeitungen und die älteste unter den
Thüringer Zeitungen eine hervorragende Stellung erworben, ge-
tragenvon Traditionen, die in einer von echtem Bürgersinn erfüllten
Familie eine Generation det andern als gern übernommene Pflicht
überliefert hat.
Eisenach, 21. April- Heute Vormittag sind der
Herzog von Sa chs e n - Kobu r g und Gotha und der
Herzog von Connaught zum Besuch des Kaisers
auf der Wartburg eingetroffen.
Baden. Schwetzingen, 21. April. In einer Ver-
trauensmännerversammlung des Bundes der Landwirthe
wurde als Kandidat des 44. Wahlkreises (Schwetzingen)
für die im Herbste stattfindenden L andtag s neuw ahlen
Herr Professor Treiber von Plaukstadt aufgestellt. Herr
Treiber, der politisch der nationalliberalen Partei angehört,
war bereits vor 4 Jahren im hiesigen Wahlkreise gemein-
samer Landtagskandidat der Nationalliberalcn und des
Bundes der Landwirthe. Er unterlag damals nur mit
wenigen Stimmen dem demokratisch-ultramontanen Gegeu-
bewerber Eder von Brühl. Die Verhältnisse sind diesmal
günstiger, da der große Fabrikort Neckarau, welcher ^
sozialdemokratische für Eder eintretende Wahlmänner und
V- natioualliberale Wahlmänner stellte, inzwischen
Mannheim einverleibt worden ist und mit dieser Stadt jetzt
wählt. Wie es heißt, wollen die Ultramontanen diesmal
nicht wieder die Geschäfte der Demokraten besorgen, sondern
sie beabsichtigen, einen eigenen Kandidaten aufzustellen und
zwar in der Person des Herrn'Oüeramtsrichters Schmidt.
Ob die Demokraten unter diesen Umständen auf die Auf-
stellung eines Kandidaten verzichten, ist noch nicht bekannt.
Herr Eder soll keine Lust tragen, wieder zu kandidiren.
Endlich sei noch erwähnt, daß die Sozialdemokraten sich
ernstlich der Hoffnung hingeben, den Wahlkreis erobern zu
können, da seit den letzten Wahlen die industrielle Bevöl-
kerung in diesem Wahlkreise ganz enorm gewachsen ist.
Badischer Landtag. * Karlsruhe, den 21. April.
(136. Sitzung der Zweiten Kammer.) Am Regie-
rungstisch Ministerialrath Glöckner. Um halb 10 Uhr er-
öffnet Präsident Gönner die Sitzung. AuS den Mitthei-
lungen, welche der Präsident macht, ist zu ersehen, daß
mehrere an das Haus gelangte Petitionen zurückgezogen
sind. Von der Petitionscommission wurde beschlossen, die
Resolution des Eisenbahnreformvereins, welche sehr wich-
tige Fragen berühre, vor Schluß des Landtags nicht mehr
zu beratheu. Uebrigens scheine der Gegenstand nicht ge-
eignet für eine Verhandlung in diesem Hause. — Hierauf
wurde in die Tagesordnung eingetreten.
Abg. Wittu m (natl.) berichtet namens der Petitionskommission
über die Petition mehrerer Thierschutzvsreinebetreffend> die Tötung
der Schlachtthiere ohne vorhergegangene Betäubung. Am Schluß
der. Petition wird das Ersuchen gestellt, die Kammer möge bei der
Regierung beantragen, daß für das ganze Großherzogthum eine
Verordnung, welche das Schlachten der Thiere ohne vorhergegangene
Betäubung verbietet, erlassen werde. Die Kommission stellte fol-
genden Antrag: „Die Kammer wolle über die Petition mehrerer
badischer Thierschutzvereine, Verbot der Tödtung nach der Schächt-
methode ohne vorhergehende Betäubung betreffend, zur Tages-
ordnung übergehen."
Abg. Birkenmayer (Centr.) erklärt, er stimme dem Antrag
der Kommission zu, da nicht mehr viel zu sagen sei.
Abg. Pfisterer (Antis.) spricht über das Schächten der
Thiere und erklärt schließlich, unter allgemeiner Heiterkeit, er
glaube nicht, daß diese Methode abgeschafft werde, weil das Haus
unter jüdischem Einfluß stehe.
Abg. Stockhorner (cons.) bittet darauf zu dringen, daß die
Grundsätze der Verordnung vom 29. März 1889 schärfer als bis-
her gehandhabt werden, damit durch das Schächten keine Thier-
quälerei entstände.
Hierauf theilt Präsident Gönn er mit, daß ein Antrag einge-
gangen sei, unterzeichnet von den Abgg. Mamvel, Pfisterer und
v. Stockhorner, dahingehend, daß die Petition der Regierung zur
Kenntnißnahme überwiesen werde.
Abg. Geck (Soz.) tritt dem Kommissionsantrag bei.
Abg. Mampel (Antis.) giebt eine theologische Abhandlung
darüber, ob das Schächten rituell oder religiös sei.
Ministerialrath Glöckner führte aus: Da durch erste
Autoritäten festgestellt sei, daß das Schächten keine Thier-
quälerei sei, so hätte die Großh. Regierung keine Veranlassung,
neue Gutachten einzuholen, da dadurch die israelitische Bevölkerung
nur beunruhigt würde.
Abg. Flüge (wild) stimmt dein Antrag auf Uebergang zur
Tagesordnung bei.
Abg. Schüler (Centr.) ist mit seinen Gesinnungsgenossen
auch mit denjenigen in anderen Ländern in Uebereinstimmung,
wenn er sich gegen Erlaß eines Schächtverbotes als einen Ein-
griff in religiöse Gebräuche ausspreche. Wenn der Herr Abg.
Pfisterer habe aussprechen wollen, daß seine Freunde im Hause
ihre Ueberzeugung auf jüdischen Einfluß hin gefaßt hätten, dann
müsse er dagegen nachdrücklich protesliren. So wenig wie sich die
Katholiken Eingriffe in ihre religiösen Rechte gefallen lassen
würden, so wenig wollen sie solches den Juden zngemulhet sehen.
Er habe nicht das zweifehafte Glück, in einem Orte geboren zu
sein, wo Juden wohnen, wie sein Freund Birkenmayec. (Heiter-
keit.) Der Antisemitismus habe übrigens viel wirksamere An-
griffspunkte, um gegen die Juden vorzugehen. Redner verliest

eine Erklärung der Rabbiner-Konferenz, welche berechtigt ist, i"
einer religiösen Frage ihre Stimme zu erheben. Die Opferthiere
im jüdischen Tempel mußten auf gleiche Art wie heute gefesselt
und gekostet werden, weil sich die Thiere ordentlich ausblute n
sollen, denn es war eben das Blut, dessen Opfer sich Gott im
Alten Testament Vorbehalten hat. Alles, was gegen das
Schächten vorgebracht wird bezieht fick auf die Fehler, die
Mißbräuche und die Ungeschicklichkeit, welche dabei Vorkommen,
das giebt aber in keinem Fall einen Grund zur Verwerfung einer
ganzen Sache.
Die Abgg. Venedey und Heimburger sind der Ansicht,
daß rituelle Vorurtheile gegen die Gebote der Menschlichkeit und
des Thierschutzes gegebenenfalls zurücksteben müßten.
Abg. Dr. Wilckens verwahrt sich zunächst, gleich dem Abg.
Schüler, gegen die Aeußerung des Abg Pfisterer, wornach das
Haus sich in dieser Angelegenheit durch die jüdische Bevölkerung
beeinflussen lasse. Die Kammer treffe ihre Entscheidung nur nach
sachlichen Rücksichten. Ausschlaggebend sei die Frage, ob in dem
Schächten eine Aergerniß erregende Thierquälerei zu erblicken sei.
Wenn man zur Bejahung dieser Frage zu gelangen habe, so könne
das Schächten nicht aufrecht erhalten werden, selbst apf die Gefahr
hin, daß mit dem betreffenden Verbot ein Eingriff in rituelle
Einrichtnn gen erfolge Die petitionirenden Vereine, welche zweifel-
los von guten Absichten erfüllt seien, hätten die Auffassung, daß
die erwähnte Frage in bejahendem Sinne zu beantworten sei.
Mit Rücksicht auf das im Kommissionsbericht niedergelegte und
von der Großh. Regierung heute weiter beigebrachte Material
werde man aber zu einer Verneinung der Frage kommen müssen.
Jedenfalls führe das Schächten an und für sich nach den vor-
liegenden Gutachten einen schmerzlosen Tod des Thieres herbei.
Dagegen könnten allerdings durch die Vorbereitungen des Schächt-
Aktes (Niederwerfen und Fesseln des Thieres) Quälereien ent-
stehen. Diese könnten aber vermieden werden, wenn der mini-
sterielle Generalerlaß von 1889 mir der erforderlichen Strenge
gehandhabt und nöthigen Falls noch weiter ausgestaltet werde.
Nach den ihm gewordenen Mittheilungen scheine indeß dieser Erlaß,
namentlich beim Schächten in den Landorten, nicht immer Beachtung
zu finden, weshalb gewiß Jedermann damit einverstanden sein
werde, daß er Seitens der Regierung nachdrücklich in Erinnerung
gebracht werde. Für die rationellste Schlachtmethode halte er
(Redner) das Schächten nicht. Die Tödtung des Großviehs unter
Anwendung der Schußmaske, mit welchem Verfahren im Heidel-
berger Schlachthause sehr gute Erfahrungen gemacht worden seien,
werde wohl den Vorzug verdienen. Allerdings fetze dieses Ver-
fahren ein geübtes Personal sowie große Vorsicht in der Hand-
habung des Apparates voraus, wofür wahrscheinlich nur in grö-
ßeren Schlachthäusern die nöthigen Garantien gegeben seien. Zu
Gunsten dieses Verfahrens das Schächten zu verbieten, erscheine
aber nur dann als angängig, wenn man zu der Ansicht kommen
müßte, daß letzteres unter allen Umständen eine Thierquälerei mit
sich bringe. Da dies nicht der Fall sei, erübrige nur die Annahme
des Kommissions-Antrags.
Präsident Gönner: Es ist von zwei Seiten Verwahrung
gegen eine Aeußerung des Herrn Abg. Pfisterer erfolgt, sodaß ich
dem Hause die Erklärung schuldig bin: Wenn der Abg. Pfisterer
die Selbständigkeit des Urtheils der Kollegen hätte in Zweifel
ziehen wollen, so würde ich dies als durchaus unzulässig bezeichnen
müssen.
Abg. Mampel (Antis.) hat sich durch die bisherigen Dar-
legungen von seiner Ansicht nicht abbringen lassen. Die Petenten
seien keineswegs etwa von seiner Partei beeinflußt. Die Agitation
gegen das Schächten sei älter wie die antisemitische Bewegung.
Im Jahre 1897 habe ein Mitglied dieser Herren (deutet auf die
Nationalliberalen) eine große Agitation gegen das Schächten ent-
faltet und sogar einen Artikel im „Landwirtschafts-Kalender" da-
gegen verfaßt, wavon der Redner eine Probe verliest.
Abg. Pfisterer (Antis.): Viele Juden halten die mosaischen
Gesetze nicht. Redner hat sich gewundert, daß man im hohen
Hause so für eine Bevorzugung der Juden eintrete . . .
Präsident Gönner: Will denn der Herr Abgeordnete wirk-
lich den bereits gerügten Vorwurf noch einmal erheben?
Abg. Pfisterer: Es ist mir nur so herausgefahren (H eiter-
keit). Er habe auch ein Jahr mitgeholfen bchn Schlachten und
könne bezeugen, daß mit dem Vieh roh umgegangen werde beim
Schächten u- s. w. Dem Abg. Wilckens bemerke er, daß gerade
in der Stadr große Sorglosigkeit beim Tödten der Thiere an den
Tag gelegt würde. Hahnen werden lebendig gebraten . . . (Ge-
lächter) n. s. w.
Ministerialrath Glockner: Die Fallmatratze im Karlsruher
Schlachthof ist nach einem Bericht der Sachverständigen als unnöthig
in Wegfall gekommen.
Abg. Schmid: Es sei ganz richtig, daß er vor nun 3
Jahren einen Aufsatz gegen das Schächten im landw. Vereins-
kalender „Der Landwirth" gebracht habe. Was ihm damals bei
einer privaten literarischen Arbeit die Feder geführt habe, das
sei keiner antisemitischen Neigung entsprungen, sondern es sei ledig-
lich der Ausdruck seiner innersten Ueberzeugung gewesen. Er
habe dabei den Humanitären Zweck verfolgt, Stimmung gegen jede
Art von Thierquälerei, speciell auch gegen eine solche beim
Schlachten, in die Oeffentlichkeit zu bringen. Als eine Thier-
quälerei habe er das Schächten nach seinen dabei gewonnenen
Eindrücken damals angesehen.
Abg. Heimburger (Dem.): Pfisterers Vorwnrs vom
jüdischen Einfluß auf das Haus sei ihm eigentlich unwichtig er-
schienen, er hätte aber erwartet, daß Pfisterer dem Hause eine
Erklärung abgeben werde .
Abg. Wilckens (nat-lib.) muß Pfisterer gegenüber seme
Ausführungen wegen der ländlichen Schächtunqen aufrecht erhalten.
Abg. Pfisterer (Antis.) will sprechen, wird aber vom
Präsidenten Gönner darauf hingewiesen, daß dies nur zu
einer persönlichen Bemerkung geschehen könne. Dazu erhalte er
später das Wort.
Es erfolgt nun Abstimmung über den Antrag Stockhorner
n. Gen. auf Ueberweisnng der Petition an die Regierung. Der-
selbe wird mit allen gegen 3 Stimmen, (v. Stockhorner, Mampel
und Pfisterer) abgelehnt und hierauf der Kommisfionsantrag auf
Uebergang zur Tagesordnung mit allen gegen die 3 vorgenannten
Stimmen angenommen.
Abg. Psisterer (Antis.) zur persönlichen Bemerkung: Er
habe mcht das ganze Haus beleidigen wollen, sondern nur einen
großen Theil. . . (Schallendes Gelächter.)
Präsident Gönner: Da der Herr Abgeordnete den von
ihm erhobenen unzulässigen Vorwurf gegen Mitglieder des Hauses
ausdrücklich bestätigt, rufe ich ihn zur Ordnung. (Anhaltende
^Schluß der Sitzung "/.12 Uhr. Nächste Sitzung Montag, 24.
d. M., Nachmittags 4 Uhr. Tagesordnung: Denkschrift über die
direkten Stenern. Berichterstatter Abg. Gießler.

Ans der Karlsruher Zettnng.
— Seine Königliche Hoheit der Groß Herzog haben dem
strksarzt Medizininalnth Heinrich Fin ck in Heidelberg das
leikcenz 1. Klasse des Ordens vom Zährfiiger Löwen verliehen
 
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