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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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1,4.

Mittwoch, dko 17. Moi

I8SS.

Zur „Los von Rom-Bewegung" in Oesterreich.
Wien, 15. Mai. Zur „Los von Rom-Bewegung"
berichtet der hiesige Korrespondent des Berl. Tagebl., daß
om gestrigen Sonntag in Wien mehr als hundert
Personen zur protestantischen Kirche übertraten.
Wie die Reichenberger deutsche Volkszeitung meldet, wurde
der protestantische Pfarrer Heinrich Schneider, der in
der letzten Zeit in Langenau bei Hohenelbe weilte, aus
Oesterreich aus gewiesen, da sich seine Anwesenheit im
Jnlande mit Rücksicht auf das öffentliche Wohl als un»
zulässig darstellte.
Die bedeutungsvollste Kundgebung zur dreißigjährigen
Jubelfeier des Volksschulgesetzes in Oesterreich
war die gestrige Kundgebung in Brünn, an der die ge-
sammte deutsche Bürgerschaft und Lehrerschaft Brünns und
die Bürgermeister aller deutschen Städte und Gemeinden
Mährens theilnahmen. Der Brünner Rcichsrathsabgcordnete
Freiherr d'Elvert sagte in seiner Rede: Die Auf-
forderung zur nationalen Erziehung unserer deutschen
Jugend ergeht an die Lehrer und auch an die deutschen
Priester. Wenn unser Klerus erst einmal einsehen gelernt
bat, daß die Veredelung und Vertiefung des Notional-
gefühlcs eines der wichtigsten Elemente der Erziehung ist,
dann wird der deutsche Priester es zu pflegen bemüht sein.
Dann wird er auch die Rechte seines Volkes vertheidigen
und damit sich der vollsten Werthschätzung seiner Volks-
genossen erfreuen. Weil wir von der hohen nationalen
Mission des deutschen Priesterstandes durchdrungen sind,
kann nicht oft genug, nicht laut genug der Ruf ertönen:
„Gebt uns deutsche Priester!" (Stürmischer
Beifall.)
Der Obmann des deutschen Wählervereins, Baumeister
Joseph Jelinek, erklärte, daß es die Pflicht aller frei-
heitlich gesinnten Deutschen sei, in einer Zeit, wo unser
Staat unter dem Einflüsse der Klerikalen steht, treu zur
freien Schule zu stehen. Ein tief beschämendes Gefühl
beschleicht uns bei dem Gedanken, daß die unserer Schule
feindlichen Faktoren Unterstützung finden bei einem Theile
unserer Volksgenossen (Rufe: Pfui! Volksverräther!) und
bei dem durch gewissenlose Streber irregeleiteten Theile
ber Bewohnerschaft der Residenzstadt (Pfuirufe) von Wien,
dem alten Herzen des Habsburgerreiches, von dem einst
ein Meer von Licht ausstrahlte, und wo heute die tiefste
Finsterniß herrscht, von Wien, dessen Bürgermeister (Rufe:
Pfui Lueger!), von Rom glücklich heimgekehrt (Heiterkeit),
keinen Anlaß findet, den heutigen Tag festlich zu begehen.
(Abermals Pfuirufe.)
Man sieht aus diesen Angaben, daß die „Los von
Rom-Bewegung" in Oesterreich ihren Gang weitergeht.

Wochen-Chronik.
(Vom 7. bis zum 13. Mai.)
Mai 7.: In Karlsruhe findet eine Landesversamm-
lung der badischen Freisinnigen statt.
„ 8.: In O e st e r r e i ch dauern die Uebcrtritlc von Katho-
liken zum Protestantismus oder Altkatholizismns fort.
„ S.: Der Prager Landtag vertagt die Entscheidung
darüber, ob den deutschen Abgeordneten, die alle dem
Landtag fern bleiben, das Mandat abzusprcchen sei.
„ 10.: Der Reichstag beginnt die zweite Bcrathung des
neu bearbeiteten Invalidenversicherung s-
ge setz es.
, 12.: Der badische Landtag wird vom Grob-
Her z o g mit einer Thronrede geschlossen. Die Thron-
rede fordert die Landboten auf, statt schroffe Gegensätze
hervorzukehren, mit der Regierung zusammen für das
Wohl des Landes zu arbeiten.
„ 12.: Im b ad. l a n d st ä nd i s ch e n Ausschuß wird

Eisenbahnschuld beträgt nur 325 Millionen. Die
Amortisationskasse besitzt 27 Millionen Vermögen.
Mai 13.: Das Kaiserpaar hat sich vom 3. bis zum 13. Mai
im Reichsland aufgehalten. Von der Stadt Schlett-
stadt erhielt der Kaiser die Burgruine Hohkönigsburg
zum Geschenk.

Deutsches Reich.
— Ein amerikanischer Konsulatsbericht meldet,
daß es nur eine Differenz von 50 Cts. per To. sei, die
die Vereinigten Staaten daran hindert, mit der Kohle n-
und Kokeseinfuhr aus Deutschland nach der
Schweiz zu konkurriren. Im Jahre 1897 hat die
Schweiz 12180 473 Quintals (1 Qintal gleich 220,46
Pfund) Kohlen im Werthe von 32 337 667 Frcs., 1225 057
Quintals Kokes im Werthe von 4 290195 Frcs. und
2 576 299 Quintals Briketts im Werthe von 7126 282 Frcs.
importirt, somit zusammen für 43 754154 Frcs. Kohlen
oder nach amerikanischem Gelde für 8 444 550 Doll. In
1898 importirte die Schweiz von Deutschland 998 601 To.
Kohle und 102 644 To. Kokes und nahm damit 7,1 Proz.
der Kohlen- und 4,8 Proz. der Kokesausfuhr Deutschlands.
Der betreffende Konsul empfiehlt Versuche mit Lieferung
von amerikanischer Kohle nach der Schweiz, und zwar sollte
dafür ein Centraldepot nicht in Mannheim, sondern in dem
nur 50 Kilometer von Basel entfernten Kehl am Rhein
geschaffen werden, wohin die Kohle von Rotterdam auf
Frachtschiffen billig und bequem transportirt werden könnte.
Von dort ließe sich die Kohle in gleicher Weise nach Basel
befördern, und cs würde sich die Einrichtung einer „Frei-
zone" für den Vertrieb entweder in Basel selbst oder in
Hüningen empfehlen.
— Der Antheil der deutschen Flagge am Suez-
kanalvcrkehr bezifferte sich in der lctztjährigen Cam-
pagne auf 10 pCt. gegen den englischen mit 63 pCt.
Die Zahl der verkehrenden Schiffe war 3503 mit einem
Gesammttonnengehalt von beinahe 13 Millonen brutto.
An Kanalgebühren kamen 12 Milk. Fr. mehr als 1897
ein, wie denn überhaupt das vorige Jahr in Bezug auf
Kanalverkehr und Kanalertrog ein Rekordjahr ist. Vor
30 Jahren, als der Kanal erst eröffnet wurde, passtrten
denselben binnen Jahresfrist ganze 10 (!) Schiffe mit einem
Rohtonnengehalt von 10 557.
— Die Durchschnittslöhne für erwachsene männ-
liche Arbeiter in dem oberschlesischen Montan-
revier haben sich nach den neuesten statistischen Ver-
öffentlichungen von rund 775 Mk. im Jahre 1895 auf
rund 866 Mk. im Jahre 1897, also im Laufe von drei
Jahren um 91 Mk. oder rund 12 Prozent, gesteigert.
Wieder eine drastische Illustration der Verelendungstheorie
der Sozialdemokratie!
— Der frühere protestantische Geistliche Paul Göhre,
der seinerzeit drei Monate lang als Fabrikarbeiter beschäf-
tigt war und über seine Erlebnisse ein interessantes Buch
schrieb, hat sich von den National-Sozialen getrennt und ist
ganz zu den Sozialdemokraten übergegangen, zu denen er
sich schon lange hingezogen fühlt. Er ist einer jener
Schwärmer, die sich hingebcn möchten für die „Armen
und Bedrängten". Solche Leute in ihrem überquellenden
Gefühl richten gewöhnlich nur Unheil in der Welt an.
Deutscher Reichstag. Berlin, 16. Mai. Fortsetzung
der Berathung des Jnvalidenversichcrungsge-
s e tz e s.
Bei Z 20s, der über die Gemein- und Sonderlasten der Ver-
sicherungsanstalten Bestimmungen enthält, liegt ein Antrag Richter
(freis. Volksp.) vor, den ganzen Paragraphen zu streichen. Abg.
Zehnter (Centr.) und Müller-Fulda (Centr.) wünschen eine
andere Vertheilung der Gemein- und Sonderlasten.

Abg. v. Standy (kons.): Seine Partei widerstrebe niemals
den Zielen des Gesetzes. Weitgehende organische Aenderungen
seien nöthig. Seine Partei sei bereit, ihre Wünsche zurückzustellen,
wenn dafür die Gewähr geboten werde, daß die nothlcidenden und
gefährdeten Anstalten sicher gestellt würden.
Abg. Zehnter (Centr.) erklärt, sein Antrag bezwecke,
die bisherige Grundlage des Gesetzes aufrecht zu erhalten. Parti-
cularistische Absichten lägen ihm fern.
Staatssekretär vr. Graf v. Posadowsky führt aus: Un-
zweifelhaft wäre die Reichsanstalt längst gegründet worden, wenn
nicht bei der ungeheueren Ausdehnung die praktische Ausführung
unmöglich würde. Nicht nur Bayern, sondern auch Württemberg
erklärten, daß sie auf dem Standpunkte der Vorlage ständen. Es
müsse eine allgemeine Reichslast angenommen werden.
Abg. Richter (freis. Volksp.) meint, aus der Freizügigkeit
könnten die Gründe für den geplanten Ausgleich nicht hergenommen
werden. Große Mißbräuche bezüglich der Prüfung der Jnvalidi-
tätsansprüche würden sich aus der neuen Einrichtung ergeben.
Die Gründe für die schlechte Lage der ostpreußischen Anstalten
seien noch lange nicht geklärt.
Abg. Molkenb uhr (Soz.) hebt hervor, daß gerade die
Altersrenten die Anstalten am meisten belasten.
Abg. Lehr (ntl.) meint, es sei wichtig, die Gemeinlasten nicht
zu hoch werden zu lassen, um das Interesse der Anstalten an der
Versicherung aufrecht zu erhalten.
Abg. Schmidt-Elberfeld (freis. Volksp) betont, es ent-
spreche dem Grundgedanken des Gesetzes, die Gemeinlasten auf
das ganze deutsche Reich zu vertheilen. Er beantrage, den An-
trag Müller-Fulda dahin zu ändern, daß das Vermögen der ein-
zelnen Anstalten denselben bis 19(0 erhalten bleibe.
Regierungsrath Beckmann bittet um Wiederherstellung der
Regierungsvorlage und empfiehlt den Antrag Richthofen.
Abg. Roestcke (wildlib.) spricht für die Commissionsfaffung.
Z 20s wird in der Commissionsfassung mit dem Abänderungs-
antrag Müller-Fulda angenommen; die anderen Anträge werden
abgelehnt.
Als Präsident Graf Ballestrem darauf vorschlägt, über
den zurückgesetzten 8 8 abzustimmen, erheben die Abgeordneten
Richter (freis. Volksp.» und Singer (Soc.) dagegen Ein-
spruch, weil er nicht auf der Tagesordnung stehe. Nach längerer
Geschäftsordnungsdebatte kommt cs zur Abstimmung, in der 88
unverändert angenommen Wird. Ebenso angenommen 8 16, be-
treffend die Wartezeit, mit einem Unterantrag v. Richthofen, der
bei Zwangsversicherungen 4V0 Beitragswochen festsetzen will.
Wenn nicht mindestens für 100 Wochen Beiträge geleistet sind.
Morgen 1 Uhr Weiterberathung.
Baden. N.O. Der lib. Abg. Dr. Binz hatte bei Be-
rathung der neuen Grundbuchordnung angeregt, daß für
die Rathschreiber Vorträge über die neue Materie gehalten
werden. Wie verlautet, sind die Amtsgerichte und auch
die Rathschreiber selbst mit den Arbeiten zur Anlegung des
neuen Grundbuches so beschäftigt, daß zur Zeit eine Aus-
führung des berechtigten Wunsches unthunlich erscheint.
Sobald aber die Arbeiten zum Abschluß gelangt sind, wird
die Regierung der Anregung entsprechen. Um Mißver-
ständnissen vorzubeugen, sei erwähnt, daß die neue Grund-
buchordnung nicht mit dem 1. Januar 1900 in Kraft tritt,
sondern erst dann, wenn durch die Regierungsverordnung
die Anlage des neuen Grundbuchs für abgeschlossen er-
klärt ist.
F.O. Die deutsche Volkspartei hat für den Wahlbezirk
Eberbach-Buchen den Hauptlehrer Ihrig, der
dem Bezirke entstammt, als Landtagskandidateu aufgestellt.
Es ist indeß zu erwarten, daß die Lehrerschaft, die ein
begreifliches Interesse an der Aufstellung einer Standes-
kandidatur hat, sich nicht an den demokratischen Wagen
spannen läßt und ihre politische Vergangenheit, sowie ihre
politische Uebcrzeugung diesem Interesse opfert.
ö. dl. Karlsruhe, 16. Mai. In den nächsten Tagen er-
wartet man eine Reihe von juristischen Ernennungen,
darunter die Besetzung des Postens eines Landgerichtsdirektors
am kiesigen Landgericht. Demnächst findet auch die Uebernahme
des Dienstes als Direktor des Verwaltungshofes durch den hier-
her versetzten bisherigen Landeskommissär in Konstanz, Geheim-
rath Engelhorn, statt, während der bisherige hiesige Amtsvor-
stand, Geh. Oberregierungsrath v. Bodman, bekanntlich den
Posten als Landeskommissär in Konstanz übernimmt.

Josephiueus Glück.
1) Erzählung von A. von der Elbe.

(Nachdruck verboten.)

Der Landgerichtsrath Steinberg saß an seinem Frühstücks-
tische, den die Tochter schon verlassen hatte. Er lehnte sich
M seinen bequemen Armstuhl zurück, zog behaglich blaue
Dampfwolken aus einer langen Pfeife und blickte, in an-
genehme Träumerei verloren, durch ein nahes Fenster in den
sommerlich grünen, vom Schein der Morgensonne durch-
flimmerten Garten hinunter.
Das eintrelende Mädchen brachte die Morgenzeitung und
einen Brief. Ah, irgend etwas Neues I
Der alte Herr liebte Anregungen. Er war seit Jahren
Pensionirt, wollte Ruhe haben, litt aber doch unter dem
Mangel an Beschäftigung und war ein eifriger Neuigkeits-
läger geworden. Ein Brief aber bot ihm die Aussicht auf
etwas Besonderes. Hastig griff er danach und vertiefte sich
mit gespannter Miene in die Zeilen.
Es war ein Brief seines alten Freundes, des Landgerichts-
direktors von Delbitz, mit dem er lange Zeit beim selben
Gerichte gestanden hatte.
Bis vor zwölf Jahren batten die Familien in einem
Hause gewohnt und den Garten getheilt. Dann war Delbitz,
wit gewünschter Verbesserung, versetzt worden. Steinberg
hatte bald darauf leinen Abschied genommen und sich hier, in
einem geräumigen aber altmodischen Landhause, nahe der
Großstadt, zur Ruhe gesetzt.
Die Stadt war seitdem noch mehr herangerückt, prächtige
Allen wurden drüben und zu beiden Seiten erbaut, neben
keiner aber befand sich ein io großer Garten, wie der, den
Weinberg voll Stolz pflegte.
Der Rath hatte den alten Freund lange nicht gesehen, sich
aber immer für ihn und seine Familie interessirt. Nun schrieb
Delbitz:

^ »Du weißt, daß mein Sohn Bruno mir durch ein flottes
-^ugendleben allerlei Sorgen bereitet hat. Jetzt ist er als

Assessor an das Landgericht Eurer Stadt versetzt worden,
i Er ist 28 Jahre alt und ich boffe, daß er sich so ziemlich die
^ Hörner abgelouscn haben wird. Möchtest Du ihm Dein
^ solides und gediegenes HauS öffnen —"
Ja, das wollte Steinberg. Und er wollte es in weiterem
Umfange, als der Freund dachte.
Nach kurzer Ueberlegung ries er in das Nebenzimmer:
„Jose! Hör' mal. komm mal her, liebes Kind!"
„Gleich Vater." Ein Stuhl wurde gerückt, und im nächsten
Augenblick erschien die Tochter im Rahmen der Thür.
Josephine Steinberg war ein schlankes Mädchen mit etwas
geneigter Kopfhaltung. Ihr schmales, blasses Gesicht schien
verblüht, zeigte aber einen ansprechenden Ausdruck von Sanft-
mut!) und Güte. Das braune Haar lag schlicht gescheitelt an
den Schläfen und die ernsten grauen Augen blickten den
Vater fragend an. Sie trug noch die unkleidsame Halbtraucr
um ihre vor etwas über einem Jahre verstorbene Mutter
und hielt eine Nähterei in der Hand.
„Du hast einen Briet?' fragte sie und setzte sich auf ihren
i verlassenen Platz am Frühstückstische nieder.
„Ja, denke Dir, endlich einmal wieder von meinem alten
! Freunde, dem Landgerichtsdirektor von Delbitz."
„Ach, von Delbitz! Wie geht es den Mädchen?
' „Es scheint allen gut zu gehen. Er schreibt besonders von
Bruno."
„Von Bruno? Der wilde Junge ist letzt ia wohl irgend-
wo Referendar?"
„Nein, er ist schon als Assessor hierher versetzt, und der
! Vater bittet, wir möchten uns seiner annehmen."
„Wie ich den von früher kenne und wie ich gehört habe,
! daß er Assessor geworden ist," sagte Josephine mit schwachem
! Lächeln, „so wird er sich aus unserem ruhigen Gesellschafts-
Verkehr wenig machen. Wir sehen ja fast gar keine muntere
Jugend bei uns." . . .
Der alte Herr räusperte sich und zögerte ein wenig, bevor
er seiner Tochter auseinandersetzte, daß er eigentlich mehr zu
thun denke, als dann und wann eine Einladung ergehen zu
' lassen. „Ich möchte." erklärte er der Tochter, „der alten

Freundschaft zur Liebe, Bruno für die erste Zeit seines Hier-
eins als Gast ausnehmen. Delbitz ist nickt vermögend. Ich
veiß nicht, wie er's möglich gemacht hat, Töchter auszustatten
and Söhne studieren zu lassen. Mir gereicht es zur Genug-
huung. der liebenswürdigen Familie meine unverändert herz-
iche Gesinnung zu belhätigen." , , .
Er wußte, daß Josephine wenig Freude an seinem Plan
,aben werde. Sie konnte die niederdrückenden Folgen einer
chweren Pflege der über alles geliebten Mutter und deren
Lod nicht überwinden, und das Leben im Hause war noch
ingesponnen in stille, gleichmäßige Gewohnheiten, die den
fiath, ohne daß er sichs eingestand, langweilten. So erschien
ne Aussicht auf eine Abwechslung ihm immer verlockender
md er vertheidigte seinen Plan, den jungen Assessor für die
rsten Wochen bei sich aufzunehmen, mit allen Gründen einer
Iten Freundschaft für die Familie Delbitz. ....
Josephine war unangenehm betroffen. Nicht daß sie mit
er Zeit gleichgültig gegen die alten Freunde geworden wäre.
So lange cs ihrer Mutter Zustand erlaubte, hatte man sich
ann und wann gegenseitig besucht. Bruno freilich hatte sie
eit seinem sechzehnten Jahre nicht gesehen- Sie wußte aber
on seinen Schwestern, daß er durch ungeregeltes Leben und
Schuldenmachen den Seinen Kummer und Verlegenheit be-
eilet hatte.
Ein gewisses prüdes, altjüngferliches Gefühl in ihr wehrte
ch nun gegen einen solchen Hausgenossen und sie versteckte
,re eigentlichen Empfindungen vor sich selbst hinter der
Sorge für des VaterS Ruhe und Behagen.
„Du denkst Dir das Zusammenleben mit solchem mngen
Sausewind leichter, als es sein mag," sagte sie ablehnenden
wnes. „Das Gastzimmer liegt hier oben neben Deiner
Schlafstube, kommt der Assessor spät nach Hause, wirst Du
ffiört werden, und Mamas Zimmer neben mir, können wir
an doch unmöglich überlassen." Das Mädchen wurde blaß
:i dem Gedanken an eine solche Entweihung.
„Nein, nein." beruhigte sie der Vater, „wir haben aber
)ch unten im Hause allerlei Gelaß."
 
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