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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0215

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tafeln der Heidelb. Zeitung
und den Plakatsäulm.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82

Xr. 49.

Moillag, de« 27.Kdr««r

1889.

Bestellungen
auf die Heidelberger Zeitung für den Monat März werden
bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den Agenten, bei
den Trägern in der Stadt, sowie in der Expedition, Untere
Neckarstraße Nr. 21, angenommen.
Bezugspreis: monatlich nur 50 Pfg., frei in's Haus
gebracht; durch die Post bezogen für den Monat März,
wenn am Schalter abgeholt, 42 Pfennig, mit Zustellgebühr
15 Pfg. weiter.
Deutsches Reich
— In der Budget-Kommission des Reichstags erklärten
der Berichterstatter Graf Oriolo sowohl wie der Mit-
berichterstatter Müller-Fulda in der schärfsten Weise,
daß es endlich Zeit sei, die berechtigten Wünsche
der Kriegsveteranen zu erfüllen und die ihnen durch
das Gesetz von 1895 in Aussicht gestellte Unterstützung zu
Theil werden zu lassen. Der Streitgegenstand selbst ist
ja bekannt, auch die Thatsache, daß der Reichstag bereits
im vorigen Jahr einhellig eine Resolution angenommen
hatte, welche die Regierung ersuchte, wenn die Mittel des
Jnvalidenfonds nicht ausreichen, anderweitige Reichsmittel
zur Verfügung zu stellen. Ta dies bisher immer noch
nicht geschehen ist und die Aufregung im Lande immer
größer wird, so gingen die Redner aus allen Parteien
ziemlich scharf mit der Regierung in's Gericht und er-
klärten, daß wenn man erneut große Summen für neue
militärische Organisationen bewilligt haben wolle, man auch
die wenigen 100 000 Mk. beschaffen müsse, die zur Deckung
dieses allgemein anerkannten Bedürfnisses nothwendig seien.
Obgleich die Kriegsverwaltung sich dabei gegen den vom
Grafen Oriola gemachten Vorwurf, daß man unnöthiger-
wcise die Veteranenverbände, die gewiß patriotisch und
loyal seien, chicanire, zu rechtfertigen suchte und obwohl
das Reichsschatzamt auf den Wortlaut des Gesetzes seine
bisherige ablehnende Haltung zu stützen suchte, wurden
doch schließlich die beiden vom Grafen Oriola und Müller-
Fulda gemeinsam eingebrachten Resolutionen einstimmig
angenommen mit folgendem Wortlaut:
Tie verbündeten Regierungen zu ersuchen, 1. die Mittel, welche
zur Gewährung der Beihilfen von 120 Mk. an alle nach dem Ge-
setz vom 22. Mai 1895, Art. 3 als berechtigt anerkannten Veteranen
fehlen, aus allgemeinen Reichsmitteln für das Rechnungsjahr
1899 alsbals durch einen Nachtragsetat anzufordern: 2. noch in
dieser Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen
unter Berücksichtigung der gesteigerten Kosten der Lebenshaltung
den berechtigten Wünschen der Militär-Invaliden, insbesondere
auch in Bezug auf die Versorgung der Wittwen und Waisen,
die Entschädigung für Nichtbenutzung des Civilversorgungsscheines
unter Belastung der Militärpension neben dem Civildienstein-
kommen resp. der Ctvtlpension Rechnung getragen wird.
— Die Kommission des Reichstags nahm unverändert
den Artikel 3 des Bankgesetzes, der den ungedeckten
Notenumlauf betrifft, an.
Deutscher Reichstag. Berlin, 25. Fcbr. Vor Eintritt
in die Tagesordnung gibt der Staatssekretär des Reichs-
marineamts, Staatsminister Contreadmiral Tirpitz, im
Aufträge des Kaisers der Freude der verbündeten Regie-
rungen Ausdruck über die Rettung der „Bulgaria",
die bereits von der Hamburg-Amerikalinie für verloren
gehalten worden sei. Kapitän und Schiffsmannschaft hätten
bei dieser Gelegenheit eine außerordentliche Bravour und
große Tüchtigkeit an den Tag gelegt. (Beifall.) Hiermit
sei wiederum ein Beweis für die große Leistungsfähigkeit
und Zuverlässigkeit unserer Handelsflotte erbracht, der jedes
deutsche Herz mit Stolz und Freude erfüllen muß (Beifall),
besonders auch mit Rücksicht auf die Ausdehnung unserer
überseeischen Beziehungen. Es sei ihm eine besondere
Freude, dies hier vor dem Reichstag aussprechen zu kön-

nen und zu bekunden, daß die Kriegsmarine mit der
Handelsmarine Freud' und Leid theile. (Beifall.)
Abg. Dr. v. Levetzow (cons.) erklärt, daß die Be-
thätigung des Staatssekretärs über das tapfere Verhalten
der Mannschaft der „Bulgaria" das Haus mit Freude er-
fülle. Der deutschen Mannszucht sei es zu danken, daß
eine große Zahl Menschenleben gerettet und ein schönes
deutsches Schiff vor dem Untergang bewahrt worden sei.
Dieser neue Beweis deutscher Tapferkeit müsse jedes pa-
triotische Herz erfreuen. (Beifall.)
Präsident Graf Balle st rem erklärt: Ein verehrtes
Mitglied des Hauses hat den Gefühlen der Freude Aus-
druck gegeben, die wir Alle empfinden. Ich stelle dies fest.
(Beifall.)
Es folgt die zweite Berathung des Etats der Reichs-
eisenbahnverwaltung. Nach erfolgter Berichterstattung
über die Commissionsverhandlungen spricht Präsident Graf
Ballestrem den Wunsch aus, daß in der Erörterung möglichst kurz
und sachlich gesprochen werde.
Abg. Risf-Straßburg (Hospitant der freis. Ver.) kann den
Eisenbahnctat nur zum Theil mit Genugthuung begrüßen und
bringt eine Reihe von Beschwerden über die Verwaltung der
Eisenbahnen in Elkaß-Lothringen vor, insbesondere sei der Persouen-
und Frachttarif herabzusetzen.
Staatsminister Thielen dankt dem Vorredner für das Lob
und die Anerkennung der Reichseisenbahnverwaltung, aber auch
für die Kritik, die er in maßvoller Form vorgebracht habe. Die
Kritik sei für die Eisenbahn so nothwendig, wie der Sauerstoff
für die Menschen. Der Vorredner habe zugegeben, daß das An-
lagekapital sich vortrefflich verzinse; das sei auch erforderlich.
Daß aber das Reich dem Reichsland noch etwas extra zukommen
lassen müsse, könne er nicht anerkennen, denn das Reich habe
genügend Zuschüsse geleistet, auch zu den Bahnen, die nur im
Landestilteresse gebaut worden seien. Ueber die Verbesserung des
Personentarifs könne man verschiedener Ansicht sein. Nothwendig
sei die Vereinfachung des Tarifs ohne Verbilligung. Die Kilo-
meterbeste könne er nicht für praktisch erklären. Sehr oft würden
bei starkem örtlichen Verkehr die Reisenden mit Kilomcterheften
keine Plätze mehr bekommen.
Abg. Delsor (Elf.)' Zugegeben sei, daß ein Vergleich der
Eisenbahnverwaltung zwischen jetzt und vor 1871 zugunsten der
Verwaltung ausfalle (hört, hört!). Das Verhältniß könnte aber
noch viel besser sein, wenn der Schwerpunkt der Verwaltung von
Berlin nach Straßburg verlegt werden würde, denn sie sei in
Berlin zu nahe beim Finanzministerium.
Minister Thielen: Die Generaldirektion in Straßburg
sei in der Lage, gewissen Beschwerden allein abzuhelfen. In zwei
Punkten hätte allerdings der Chef der Verwaltung und das
Reichsschatzamt ein Wort mitzurcden: 1. bei Erhöhung der Be-
amtengehälter, die jetzt schon viel günstiger wären, 2. bei der
Frage der Bahnsteigsperre. Die Einführung dieser Maßregel
werde wohl zuerst wie in Preußen und Bayern sehr viel Wider-
spruch begegnen. Nach 3—4 Jahren werde man aber die Ein-
führung für berechtigt halten. Eine Finanzmaßregel sei sie nicht.
Der Hauptgesichtsvunkt sei die Fürsorge für die Beamten. Im
Jahre 1897 seien 7, im Jahre 1898 8 Schaffner auf den elsässischen
Bahnen getödtet worden; auf den preußischen Staatsbahnen sei
seit Einführung der Bahnsteigsperre kein, einziger Schaffner um-
gekommen. Demgegenüber könnten die mit der Bahnsteigsperre
verbundenen Unbequemlichkeiten nicht in Betracht kommen.
Abg. de Schmid (Els.) führt Klage über den Kohlentarif
im Elsaß.
Staatsminister Thielen erklärt diesen Tarif für durchaus
nöthig und gerechtfertigt, das Tarifabkommen sei eine Folge des
Vorgehens der badischen Verwaltung. Er bestreite, daß das
Reichsland dadurch bcnachtheiligt worden sei.
Abg. Hauß (Els.): Die Reichseisenbahnverwaltuug verhalte
sich gegenüber den Forderungen der Oeffentlichkeit aus nichts-
sagenden Gründen ablehnend. Dies sei für Elsaß-Lothringen
namentlich bezüglich des Personentarifs festzustellen. Die Ver-
günstigungen der Eisenbahnverwaltung würden ungleichmäßig
vertheilt, wofür Redner verschiedene Beispiele anführt.
Abg. Dr. Pa a sch e (ntl.)': Es sei zu wünschen, daß die Ver-
treter von Elsaß-Lothringen sich auch an anderen Verhandlungen
ebenso eifrig betheiligen mögen wie an der heutigen. Im übrigen
sei es ein Jrrthum zu glauben, die Eisenbahnen von Elsaß-
Lothringen brächten einen nennenswerthen Ueberschuß ein. Dieser
Ueberschuß decke kaum eine 3prozentige Verzinsung des Anlage-
kapitals.
Stach einigen Bemerkungen des Abg. Bol ty (ntl.) und persön-

lichen Bemerkungen des Abg. Wet teils (Els.) werden die fort-
dauernden Ausgaben bewilligt.
Montag Weiterberathung.
Baden. Karlsruhe. 25. Fcbr. Das Ministerium
des Innern beabsichtigt, die Kosten für die zu errichtenden
Handwerker kümmern, die sie für jede auf 10 bis
12 000 Mark schätzt, den Kreisen zu überweisen. Es
werde den Kreisen, die so viel für die Landwirthschaft
ansgeben, damit auch einmal Gelegenheit geboten, etwas
für das Kleingewerbe zu thun. Da der Staat für
jede Handwerkerkammer 5000 Mark Kosten zu bewilligen
bereit ist, so würde die Summe, die der einzelne Kreis zu
den Kosten beizutragen hat, die Höhe von 12 bis 1500
Mark nicht überschreiten. Der andere Weg sei die Ueber-
weisung der Kosten auf die Gemeinden, die dann berechtigt
seien, diese Kosten wieder auf die einzelnen Handwerks-
betriebe abzuwälzen. Doch würde dieser Modus sehr um-
ständlich und such mit Kosten verknüpft sein, weshalb die
Regierung glaubt, den Kreisen diesen Vorschlag machen zu
sollen. Es sollen vier Handwerkerkammern errichtet werden,
nämlich in Konstanz, Freiburg, Karlsruhe und Mannheim.
Badischer Landtag. L. 0. Karlsruhe, 25. Febr.
119. öffentliche Sitzung der Zweiten Kammer.
Zur Berathung steht der Gesetzentwurf betreffend die
freiwillige Gerichtsbarkeit und das Notariat.
Den Belicht der Justizkommission erstatttet im Anschluß an
den eingehenden Druckbericht Abg. Dr. Reich ardt. Er be-
antragt, den Entwurf mit den von der Kommission beschlossenen,
unwesentlichen Abänderungen anzunehmen und die von den
Waisenrichtern eingereichten Petitionen durch deu vorliegenden
Gesetzentwurf für erledigt zu erklären.
In der Diskussion ergriffen die Abgg. Dr. Wilckens, Geck,
Kopf, Venedey, Gesell, Dr. Binz, Frank und Fieser
das Wort und gaben ihrer Befriedigung über den vorliegenden
Gesetzentwurf Ausdruck. Nur der Abg. Pfisterer erklärte,
gegen den Entwurf stimmen zu wollen, da er ein Unrecht darin
erblicke, daß die Waisenrichter und die Gemeindewaisenräthe in
Zukunft keine Bezahlung mehr erhalte».
Von mehreren Seiten wurde dem Wunsche Ausdruck gegeben,
daß die Wechselproteste den Gerichtsvollziehern übertragen und
daß diese auch zur Einziehung der Wechselgelder ermächtigt
werden.
Geh. Oberreg.-Rath Dorner dankt für die wohlwollende
Aufnahme des Gesetzeniwurfs und bemerkt hinsichtlich der Auf-
nahme der Wechselproteste durch die Gerichtsvollzieher, daß durch
den § 37 Abs. 2 des Gesetzentwurfs bereits das weitestgehende
Entgegenkommen geübt woroen sei.
Der Antrag des Abg. Fieser auf sn bloo Annahme des
Entwurfs wird angenommen; ebenso in namentlicher Ab-
stimmung das ganze Gesetz.
Schluß der Sitzung 12 Uhr. Nächste Sitzung: Montag.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Mit Entschließung Großh. Generaldirektion der Staats-
Eisenbahnen wurde Expeditionsassistent Wilhelm Söhn er in
Hornberg nach Jmmendu gen versetzt.
Karlsruhe, 25. Febr. Um halb 8 Uhr empfangen
die Großh. Herrschaften den Professor Dr. Schäfer von
der Universität Heidelberg, welcher dann einen Vortrag
über das Zeitalter der Entdeckungen und den deutschen
Scehandel hält. Hierzu ist eine große Anzahl von Per-
sonen eingeladen.

Ausland.
Frankreich. Paris, 25. Febr. Dem Figaro zufolge
befinden sich unter den in dem Lokale der Patrioten-
liga confiscirten Papieren an höhere Offiziere oder
Generäle adressirie Briefe mit der Aufforderung, einen
Staatsstreich zu machen. Die Regierung, welche wisse,
daß diese Offiziere über jeden Verdacht erhaben seien, lege
den Briefen keine Bedeutung bei.
Paris, 25. Febr. Das Journal und das Petit
Bleu veröffentlichen eine Unterredung mit General Roget,

Der erste Maskenball.
4) Novelle von I. Leopold Schicner.
(Fortsetzung.)
Er wollte den nächsten Tanz mit ihr tanzen und durch
einen absichtslosen Zug mit der Hand über ihren Rücken sich
Gewißheit verschaffen. Ein MaSkenschcrz gestattet so manche
Freiheit, welche die strenge Etikette verbietet.
Fehlte der Höcker, so fehlten auch die Sommersprossen,
Und sie war schön wie sie geistreich war. Ja, ihr Geist, der
so anspruchslos ihr von den Lippen floß, war es. der ihn an
diese Unbekannte fesselte.
Er liebte zum erstenmal in seinem Leben. Bisher war
er talt an den Schönheiten der Residenz vorübergegangen,
sie war die erste, die ihn allein durch den Zauber ihres
Wesens, durch den Reiz ihrer Sprache entzückt hatte.^Ünd
liebte sie ihn nicht auch? Sie kannte ihn, wie sie gesagt,
liebte ihn vielleicht längst, ohne daß er es wußte. Aber
Warum denn dieses Versteckspielen? Freilich war er ein
„lustiger Bruder," sie batte gesagt, sie kenne ihn und wolle
ihn auf die Probe stellen. Sie liebte ihn doch wohl nicht,
denn wahre Liebe prüft nicht, sie liebt um ihrer selbst willen.
Er ging in Gedanken den großen Kreis der ihm bekannten
Damen durch. Darunter war auch nicht eine, die annähernd
so viel Geist in der Unterhaltung zu entwickeln verstanden
hätte, keine, die auch nur eine Spur von einem Hocker ge-
zeigt hätte, er verwickelte sich immer mehr in Gedanken.^
Da plötzlich entstand eine Bewegung im Saal. Seine
Freunde stürzten aus dem Nebenzimmer, er folgte ihnen. Es
war zwölf Uhr. Die Musik intonirte. Sämmtliche Festtheil-
vehmer rissen sich die Masken vom Gesicht. Ein Ausruf
allgemeiner Ueberraschung erscholl. Hier hatte jemand ge-
glaubt, einein Bekannten gegenüderzustehen, und sah in ein
fremdes Gesicht, dort glaubte ein anderer, eine bekannte
Dame zu finden und überzeugte sich, daß er einen Bekannten
»n Damentracht vor sich hatte. Allgemeiner Jubel herrschte.
) Nur einer lies wie besessen durch den Saal, ohne Rück-
sicht auf die ihm in den Weg Tretenden. Fast unhöflich stieß

er sie zur Seite, um rasch von einer Ecke des Saales in die
andere zu gelangen.
Wo war die Spreewälderin? Er fand sie nicht. Er
fing von neuem an zu suchen nach der Zigeunerin, sie gab
ihm vielleicht Auskunft, aber auch sie war nicht zu finden.
Er fragte seine Freunde, er fragte die ihm zunächst Stehen-
den, aber keiner konnte ihm den Verbleib der Gesuchten an-
zeigen.
Der Verzweiflung nahe, rannte erLaus dem Saale zum
Portier und erfuhr hier das Schreckliche, daß vor einigen
Minuten drei Damen, in große Mäntel gehüllt, das Haus
verlassen hatten. Er fragte nach der Richtung, die sie An-
geschlagen und wollte ihnen folgen, aber auf die Einrede des
Mannes stand er davon ab. die ältere Dame hatte dem
Kutscher zugerufen, schnell zuzufahren.
Zerknirscht, unzufrieden mit sich selbst kehrte er in den
Saal zurück, durchwanderte ihn nochmals nach allen Rich-
tungen, fragte hier und da — alles vergebens. Er konnte
den Gedanken nicht fassen, daß sie wirklich fort äst, sie, die
seine Seele erfüllte und all' sein Denken. Jeden Augenblick
hoffte er, sie in den Saal zurückkehren zu sehen in blendender
Schönheit. Er nahm seinen Platz so, daß er den Eingang
beobachten konnte, aber die Gesuchte erschien nicht.
Das Fest erreichte sein Ende und niedergeschlagen, tief-
traurig mußte er den Heimweg antreten.
II.
Man giebt unserer Zeit so oft das Prädikat „materia-
Misch" und hört die Klage, daß jedes ideale Streben aus der
Welt verschwunden, daß der Sinn nur auf materiellen Besitz
gerichtet und die ideellen geistigen Güter, die Reinhaltung
unserer Empfindungen und Gefühle von egoistischem Streben
würden erst in zweiter Reihe geachtet.
Solche und ähnliche Gedanken erfüllten den blonden
Locken köpf, der an einem Fenster in der Bellevuestraße der
Residenz saß und die Zeitung las.
Plötzlich warf sie die Zeitung unwillig von sich und nahm
eine Stickerei vor.

Der Lockenkopf batte leicht schelten über die Zeitverhält-
niffe der Gegenwart. Einem Wesen wie sie, umgeben mit
dem ganzen Zauber einer neunzehnjährigen Schönheit» frei
von jeder äutzeren Sorge, gebildet nach allen Regeln der
modernen Erziehung, voll Witz und Geist, mußte, als sie
aus der Pension heimgekehrt, so manches, von dem sie sich
in ihrer klösterlichen Abgeschiedenheit mit jugendlicher Ein-
bildungskraft eine ganz andere Vorstellung gemacht hatte,
als sie in Wirklichkeit fand, Unwillen und Verachtung Her-
vorrufen. ,
_ (Fortsetzung folgt.)
Stadt-Theater.
Heidelberg, 27. Februar.
„Don Cesar", Operette von Dellinger.
Mit einer Operette spielt unsere Bühne ;edesmal einen Trumpf
aus, der einen fetten Stich verlangt; zumal die gestern wieder
aufgenommene, deren Held so populär ist, daß ihn ein Theil des
Publikums regelmäßig mit Applaus begrüßt, steht in bestem An-
denken und kann ihrer Zugkraft noch lange sicher sein.
Der alte Operettcngeist hat sich freilich recht verflüchtigt, und
darf man bei der „bunten Ruhe" mit der Oper kaum erwarten
eine jener flotten, clectrisirenden Aufführungen zu erleben, die
einst eine Spezialität der Heidelberger Bühne waren.
Jener Geist der Operette hat noch immer einzelne Vertreter,
die sozusagen die alte Schule repräsenttren- Herr Stettiner machte
in dieser Beziehung die Honneurs der carrikirendcn Muse mit
seinem grotesken, unermüdlich lustigen Archivar. Auch Fräulein
Sander sorgte, obgleich stimmlich recht indisponirt, für die
grellere Farbe der Operettenkomik. In einstigem Fahrwasser be-
fand sich auch Herr Diener mit seinem intriguanten Minister.
Entschiedenes Operettentemperament besitzt Frl. Freytag.
Das Unstäte ihres Gesangstones fällt in dem leichten Genre
weniger auf, fast gar nicht, wenn sie mit so viel Frische und
Munterkeit singt und spielt, wie es bei ihrem beifällig aufgenom-
menen Pueblo der Fall war.
Herzlich gefreut hatte man sich auf den Karlsruher Gast Herrn
Bussard, der in der Operette so gut wie in der Oper Bescheid
 
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