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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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Durch die Post bezogen
Vierteljahr!. 125
»^schließlich Zustellgebühr.
^rVhon-Anschluß Nr. 82.


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3Ü. Erstes ölalt.

Jnsertionsgebi hr
15 Pf. s.,r die Ispeltige
PetttMe oder deren Raum.
Für hiesife Ge^chäfs- und
Privatanzeiaen bedeutend
ermäßigt.
Gratis-Anschlag
der^Jnscrate auf den Plakat-
tafeln der Hetdelb. Zeitung
und den Plakatsäulen.
Telephon-Anschluß Nr. 82.

Samstag, den 4. Februar

I89S.

Politische Umschau.
Heidelberg, 4. Februar.
Man braucht, so schreibt die Nat.-lib. Korrespondenz,
bicht blinder Verehrer vergangener Zeiten zu sein, um in
"ein letzten Schwcrinstagc (Mittwoch) mit Bedauern zu
erkennen, wie sehr auch schon im neuen Reichstag sich die
hippokratischen Züge des niedergehenden Parla-
mentarismus einprägen. Der „Schwerinstag" ist eine
bedeutsame Einrichtung des konstitutionellen Gedankens;
ss ist der Tag, der. wenn die gesetzgeberische Arbeit noch
drängt, einmal in der Woche einzelnen Fraktionen die
Gelegenheit sichert, was sie an befruchtenden Gedanken und
Anregungen in ihrem Schooße bergen, kraft der Autorität
uis Vertreter des gesammtcn Volkes eindrucksvoll und über-
zeugend zum Ohre des Bundesrathes zu bringen, der in
der Gesetzgebung gleichstehender Faktor des Reichstags ist,
gleich aber nach der deutschen Reichsvcrfassung Träger
^er Souveränität der Einzclstaaten und damit oberstes
^rgan des Reiches. Zur Berathung stand die dritte
Lesung des Jesuitcngesetzes'; gesprochen wurde darüber
'"um, aber muthig beschlossen in einem völlig beschluß-
unfähigen Hause. Obwohl in diesem Hause das Centrum
dik regierende Partei ist und über hundert Mandate ver-
fügt, obwohl die „regierende Partei" selbst den Antrag
betreten hat, waren nicht einmal hundert Abgeordnete ins-
Zksammt anwesend. Und wie wurde trotzdem der Antrag
^treten? Obwohl es so nahe lag, um sich zu sehen und
bie Theilnahmlosigkeit in den eigenen Reihen zu beklagen,
üMrde eine Sprache nach dem Bundesrath hinge führt, die
em konstitutionelles Zusammenarbeiten schließlich zur Un-
möglichkeit macht. Die Natinallib. Korresp. weist dann
."rauf hin, daß ein Centrumsredner es als nicht an-
ü ä ndig vom Bundesrath bezeichnet hat, daß derselbe auf
7^ früheren Beschlüsse des Reichstags hinsichtlich der Auf-
hebung des Jesuitcngesetzes garnicht reagirt hat. Der
Herr scheint nicht zu wissen, daß keine Antwort auch eine
Antwort ist. Man kann doch vom Bundcsrath nicht ver-
engen, daß er den alljährlich wiederkehrenden Antrag
alljährlich mit dem gleichen Ernst abschlägig verbescheidet.
JnOesterreich wird nun ohne Parlament regiert,
^cn Narodny Listh zufolge erklärte Ministerpräsident Grgk
isihun in der parlamentarischen Kommission der Rechten
°rs Abgeordnetenhauses, die einzige, tatsächliche Ver-
fassung zur Vertagung des Reichsraths sei die erwiesene
ortdauernde, vorsätzliche Obstruktion und der Mangel
fr Hoffnung auf Beseitigung derselben. Der Eintritt
besserer Zustände bilde seinen sehnlichsten Wunsch. Die
.Mehrheit habe alles gethan, um das Fortsühren der Arbeit
'm Hause zu ermöglichen. Eine weitere Fortsetzung der
fruchtbaren Thätigkeil des Reichsraths sei schon w-gen
f Parlamentarismus unmöglich. Die Verständigung
Er Nationalitäten sei unerläßlich, aber nur bei
gegenseitiger Willfährigkeit und Versöhnlichkeit aus Grund-
ige der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung möglich. Die
fuer des außerparlamentarischen Zustandes sei unbestimm-
te. So der feudal-klerikale Graf, der heute das Staats-
uder Oesterreichs in seiner Hand hat. Freilich ist es
?"hr, baß die Verhandlungen des Reichsraths durch ab-
fliche Obstruktion der Deutschen unmöglich gemacht
"rden, allein Graf Thun weiß sehr gut, aus welchem
runde die Deutschen zu diesem Verzweiflungsmittel gc-
^'ffen haben. Sie lehnen sich damit gegen die Sprachen-
Erordnung auf, welche in rein deutschen Gegenden die
fome minderwerthiger Natiönchen dem Deutschen gleich-
berechtigt an die Seite setzen will. Eine solche Gleich-
berechtigung ist ein schreiendes Unrecht und die Deutschen

haben Recht, sich dagegen zu wehren. Auch die Herrlich-
keit des Grafen Thun wird ihr Ende nehmen. Ein Minister,
der die Deutschen hcrausfordert, kann sich in Oesterreich
auf die Dauer nicht halten.
Wie der Köln. Ztg. geschrieben wird, ist König
Oskar von Schweden und Norwegen infolge der
fortgesetzten Zwistigkeiten mit dem norwegischen „Bruder
Volke" von einem nervösen Leiden befallen worden,
sodaß er sich bewogen findet, bis zum Sommer dem Kron-
prinzen Gustav (Gemahl der Prinzessin Victoria von Ba-
den) die Regentschaft zu übertragen. Der Regent sieht sich
insofern in eine sehr schwierige Lage versetzt, als die An-
sprüche der Norweger auf eigenes Konsulätswesen u. s. w.
in weiten Kreisen des schwedischen Volkes auf sehr ernsten
Widerstand stoßen, so sehr man auch den dringenden Wunsch
des greisen Königs nach Frieden und seine daraus sich er-
gebende große Nachgiebigkeit gegen Norwegen versteht.
Ernste Konflikte erscheinen keineswegs ausgeschlossen.

Deutsches Reich.
— Auf dem letzten Hofball am Dienstag ist der rus-
sischcBotschaftcr Graf Osten-Sacken von einem Ohn-
machtsanfall befallen worden. Die Kaiserin selbst
theilte der Frau Botschafterin, die sich in einem anderen
Theile des Saales befand, die Erkrankung ihres Gatten
mit und erfuhr, daß der Graf sich nicht wohl gefühlt hatte,
den Ball aber nicht versäumen wollte, um sich noch einmal
beim Kaiser für die Verleihung des Schwarzen Adler-
ordens zu bedanken. Der Unfall ging rasch vorüber. Der
Botschafter fuhr nach Hause und wird einige Tage das
Bett hüten. Es scheint sich um eine leichte Influenza zu
handeln, die schon wieder überwunden ist.
— Dem Reichstag gingen das Hypothekenbank-
gesetz, und ein Gesetzentwurf betreffend das Straf-
gesetzbuch uud unbeeidete Aussagen zu.
— Eine kaiserliche KabinctSordre bestimmt, daß von
der Verleihung eines militärischen Ranges an die Beamten
in Deutsch-Ost afrika für die Zukunft abgesehen wer-
den soll, nachdem mit der fortschreitenden Entwicklung des
ostafrikanischen Schutzgebietes der Wirkungskreis der Civil-
verwaltung gegenüber den Aufgaben der Schutztruppe eine
bestimmtere Abgrenzung erfahren hat.
Deutscher Reichstag. Berlin, 3. Fcbr. Am Bundes-
rathstische Staatssekretär v. Podbiclski, der auf den
Arm eines Dieners, auf einen Stock gestützt, hinkend den
Saal betritt — er war neulich an der Gicht erkrankt —
und Staatssekretär Dr. Frhr. v. Thielmann.
Tagesordnung: Postetat.
Berichterstatter Dr. Paasche (ntl.) legt die Verhandlungen
der Kommission dar.
Abg. Müller-Sagan (freist Volksp.) bringt eine Reihe
von Wünschen, besonders bezüglich des Telephonverkehrs, vor
und verweilt länger bei der Besprechung von Uebelftänden, die
sich durch die Benutzung der Portofreiheit seitens fürstlicher
Badeverwaltungen herausgestellt hätten.
Staatssekretär v. PodbieIski: Er sei bestrebt, die vor-
handenen Ungleichheiten zwischen Inland- und Wcltpostverkehr
möglichst zu beseitigen. Eine neue Fernsprechgebührenordnung
werde dem Reichstage zugehen. Was die Anbringung der Tele-
phonlcitungen anlangt, werde er sich in irgend einer Weise mit
den Städten zu einigen suchen. Schließlich könne er sie aber
nicht an den Mond hängen. tHeiterkeit.) Bezüglich der Tele-
phongebühren stehe der künftige Gesetzentwurf auf dem Boden
einer Durchschnittsberechnung. Dabei sei einzelnen Personen, die
nicht lange an einem Orte bleiben, die Möglichkeit geboten, durch
einen Gesprächzähler den Durchschnittssatz festzustellen. Redner
schildert dann, wie die Verwaltung die statistischen Grundlagen
für den Postanweisungsverkehr erlange. Die Gebühren für den
Checkverkehr werden wesentlich billiger sein können. Wird die
Portofreiheit für gewerbliche Unternehmungen benutzt, so unter-

sucht die Verwaltung stets die Angelegenheit. Berücksichtigt wird
dabei stets der Grundsatz, daß das Bricfgeheimniß zu wahren ist.
Auf Anregung des Abg. Dr. Böckel (d. Reformp.) bemerkt
Staatssekretär v. Podbiclski, bei unfrankirten Briefen
handle es sich nicht um ein von der Postverwaltung zudiktirteS
Strafgeld, sondern um einen Zuschlagsbelrag wegen der erwach-
senden Mehrarbeit.
Abg. Graf v. Stolberg-Wernigerode (kons.) führt
aus: Da die Postverwaltung keine Zuschußverwaltung sei, müsse
man mit einer Herabsetzung der Gebühren vorsichtig sein.
Staatssekretär ».Podbielski bemerkt, mit der Erwähnung
des Wortes „Gesprächzählung" habe er nur gemeint, es gäbe
eine Möglichkeit, die Gespräche der Abonnenten auf dem Amte
zu zählen.
Bei dem Titel Einnahmen, Absatz Zeitungen, erklärt Bericht-
erstatter Dr. P a a s ch e (nat.-lib.), eine Verbesserung des Post-
zeitungswesens sei noch für dieses Jahr angekündigt. Bei dem
neuen Postzeitungstaris handle es sich darum, die Leistung und
Gegenleistung in ein gewisses Verhällniß zu bringen. Natürlich
sollte die Presse als die wichtigste und beste Trägerin der Volks-
bildung nicht zur Einnahmequelle für die Postvcrwaltung ge-
macht werden, aber eine gewisse Sorte von Blättern, namentlich
die großen Anzeigenblätter, machen ihr große Arbeit, die nicht
entsprechend bezahlt wird. Die Besprechung der Angelegenheit
empfehle sich erst, wenn die betreffende Nachtragsvorlage vor-
liege.
Nach Erledigung der Einnahmen wünscht bei dem Titel
„Staatssekretär" der Abg. Dr. Lingens (Centr.) in An-
erkennung des Geleisteten eine weitere Ausdehnung der Sonntags-
ruhe der Postbeamten.
Abg. Singer («oz.) befürwortet eine regelmäßige Beauf-
sichtigung der Postämter wegen der Einhaltung der Sonntags-
ruhe. Redner bespricht sodann ausführlich die Schritte der
Verwaltung gegen die Vereine und Zeitungen der Postunter-
beamten. Unter dem Deckmantel, es seien sozialdemokratische
Bestrebungen, würden die Vereine und Zeitungen zur Besserung
der beruflichen und wirthschaftlichen Lage der Postunterbeamten
unterdrückt. Die Postverwal:ung züchte mit ihrem Verfahren
gegen die Untcrbeamten Heuchler. Die Herren von der Rechten
seien ja cavalleristtsche Behandlung gewöhnt (Heiterkeit), aber
der kosernenmäßige Ton passe nicht in die Beamtenschaft.
(Lachen. Unruhe rechts.) Vizepräsident Schmidt ersucht den
Redner, der sehr laut spricht, sich im Tone zu mäßigen. (Große
Unruhe links.) Nach einem weiteren Angriffe des Abg. Singer
gegen die Hauptverwaltung bemerkt Vizepräsident Schmidt, ich
kann es nicht dulden, daß der Redner sich in diesem Tone über
die Postverwaltuug äußert. (Beifall rechts.) Singer fährt fort:
Ein Beamter sei entlassen worden, weil er gesagt habe: „Macht
was ihr wollt, wählt bloß!", was ausgelegt worden sei, als
habe der Beamte gesagt, wählt Blos, den sozialdemokratischen
Bewerber. (Große Heiterkeit.) Im Anschluß an den genannten
Fall behauptet Redner, die Richter in Braunschweig treiben Ver-
hetzung. bis er vom Vizepräsidenten zur Ordnung gerufen wird.
Auf eine Bemerkung Singers hierüber verbittet sich der Vize-
präsident eine Kritisirung seiner Amtsführung. Singer entgegnet:
Wenn der Staatssekretär pflichttreue Beamten haben will, möge
er sie als Menschen behandeln, nicht als Sklaven.
Staatssecretär v. Podbielski führt aus, fdie gehässigen
Angriffe des Vorredners sind schon durch den Vtcepräsidenten
gerichtet worden. Der Abg. Singer ist kein guter Anwalt der
Unterbeamten. Redner geht dann auf den von Singer an-
geführten Fall ein und betont, daß kein Beamter eine social-
demokratische Gesinnung haben dürfe. (Beifall rechts.) Von
einem Hochmuth der Verwaltung sei durchaus keine Rede, aber
eine blöde Furcht vor dem Gericht des Reichstags, haben wir
nicht. Ein Socialdemokrat kann kein kaiserlich deutscher Reichs-
postbeamter sein. (Bravo! rechts.) Alles, was in der Reichspost-
verwaltung geschieht, werde ich mit meiner Person decken, lieber,
als daß ich es den Unterbehörden überlasse. Gerechtigkeit ist
mein Grundsatz; aber einen so großen Beamtenkörper muß man
mit Festigkeit regieren. Redner legt seine Stellung zu den Ver-
bänden der Assistenten und Unterbeamten dar und erklärt, daß er
den Beamten die Mitgliedschaft verbiete, sobald socialdemokrattsche
Bestrebungen hervorträten. (Lebhafter Beifall rechts.)
Abg. Singer verwahrt sich gegen den Ausdruck, er habe
Thatsachen gefälscht.
Vicepräsident Schmidt erklärt, einen solchen Ausdruck nicht
vernommen zu haben.
Staatssecretär v. Podbielski bemerkt, es habe ihm jede
beleidigende Absicht ferngelegen.
Abg. S ch m i d t - Marburg (Centr.) bringt das Verhalten der
Reichspostverwaltung gegenüber den Militäranwärtcrn zur Sprache
und bedauert, daß man diesen gegenüber sich auf Verjährung be-
rufen habe.

28)

Das Bachstelzchen.
Novelle von Martha Renate Fischer.
(Schluß.)
Kekn ^ sagte der Sohn: „Wenn sie mir nicht in den Weg
p>.jM>men wäre, säße ich jetzt ja wohl im Gefängniß — wer
° auf wie lange-und nun ist sie nicht gut genug.
^ Wir wollen heute nicht mehr drüber reden, Mutter."
sxj "and aus, strich der Mutter sacht über den Rücken, nahm
'»Laterne und ging aus der Stube.
»us^-E Frau blieb jmDunkeln zurück. Sie legte den Kopf
hochgezogenen Kniee.
bej^""n stand sie auf, öffnete den Fensterladen und zog sich
L»r eindringenden schwachen Helle an.
setzte sich.
Stuhl stand flach an der Wand.
And da saß sie zurückgelchnt mir den Händen im Schooß.
dgz ^?n Kopf aber hatte sie leicht gewendet, so daß sie durch
"Uck neuster Nachthimmel erblicken konnte- Dann sah sie
Dächer der Ställe, die in diesem Hofwinkel standen.
Leb-» s ivg an ihrem Geist vorüber, was sie erlebt und vom
t»ag " gelernt batte. Manches stand im Widerspruch zu dem,
A'» gelehrt worden war.
dex^E dachte an ihre Stunden der Arbeit und Muße und
berxi, »"de. Und fing an zu grübeln, was ihr ihre Freuden
sieben natte. Da war manches seine Frucht schuldig ge-
Dn Manches wieder hatte überreich getragen.
"es ??" dachte sie auch an ihre langen Jahre der Angst und
Nah s, Achtens. Und unversehens zerflossen ihre Gedanken
ÄhlxsiE iuhlte nur noch und ließ sich von ihrem Herzen er-

R°bei fiel .
deg M "ergangenen Jahr war Otto's Hauptmann während
^vh»,-Ew"ers durchs Dorf gekommen und hatte sie für ihres
Ulrich» »rau gehalten. Otto hatte sich darüber kirschbraun
llkh^' sind hatte gesagt: „Sieh mal in — solchem Rufe

nun. wir Bauern — daß wir eine Frau heiralhen.

^ die zwanzig Jabre älter ist. Was meinst Du — er hat Dich
gewiß aus Hunderttausend geschätzt?!" Aber sein Gesicht
strahlte vor Stolz, daß er eine junge und schöne Mutter
hatte. _
Als Otto am anderen Morgen wach wurde, war sein er-
ster Gedanke, daß ihn die Mutter nicht geweckt habe. Er riß
das Fenster auf und gewahrte, daß gleichwohl die Wirth-
schaft in Gang war. Schnell zog er sich an und griff zum
Schlüsselbund; denn die Knechte warteten schon mit ihren
Säcken, daß sie Futter bekämen. Als er durch den Flur lief,
sah er, daß die eine Magd Feuer anmachte, die andere klap-
perte im Kuhstall mit dem Ochsenknecht bei der Fütterung.
Er stieg auf den Futterboden, maß die Rationen zu und
ging dann die Ställe durch. Im Kuhstall wurde schon ge-
molken.
Er blieb auf dem Gang stehen und beaufsichtigte. Nach
einer Weile lief er in's Haus, zu sehen, wo die Mutter bliebe.
Ihre Schlafkammer war offen. Otto fand die Frau
weder in den Stuben noch in der Küche. Er ging lauf den
Hausboden und stand hier vor verschlossenen Thüren.
Als er zurückkam, war die Hausmagd schon aus dem Kuh-
stall gekommen und kochte die Leutesuppe. Das besorgte
sonst immer die Mutter. Sie kochte auch den Kaffee für sich
und ihren Sohn selber.
„Wo ist denn die Mutter?" fragte er. ,
„Die hat Bescheed gesagt» dat ick kochen soll un ls fort
gegangen."
„Wo ist sie denn hin?"
„Dat weeß ick nich."
Ist sie schon lange fort?"
„Bei ne Stunde." ^ ^ ...
Das Blut stieg ihm in den Kopf- Die Mutter holte sich
Rath. Sie konnte ihre Angelegenheit mit ihrem Sohne nicht
selber abmachen. Dazu holte sie sich Rath. Das Hätte er
der Mutier nicht zugetraut. Das hätte sie sich und ihm nicht
anthun dürfen.

Er ging auf die Dorfstrabe und spähte hinunter.
Bisher hatten sie so zufrieden und froh mit einander ge-
lebt. und nun war die Frau gleich so feindlich gestimmt, daß
sie keine Mahlzeit mit ihm zusammen mehr einnchmcn mochte,
ohne daß sie ihre Grenze aussleckte. Ja — ja — so war
es jawohl bei den anderen — aber sie — er und seine Mut-
ter — sie hatten immer eine Ausnahme gebildet.
Und während er »och spähte, fiel ihm ein: sie ist bei Erbts.
Ganz kalt lief es ihm über den Rücken. Da wurden sein
Stolz und seine Scham zugleich verletzt, da bei den Menschen,
die nach ihm geangelt batten, seines Kleides wegen. Kaum,
daß seine geraden Glieder ein wenig ins Gewicht fielen. DaS
hätte nur mitgerechnet, wenn er ein schlechter Haushalter ge-
wesen wäre. Da war sie nun hingegangen. Das hätte er
der Mutter nicht zugetraut.
Er ging in die Stube und setzte sich in die Sovhaecke.
War ihm zu Mulhe, wie nach großem Vermögensverlust. Als
ob ihm sein halbes Erbe zu Schaden gekommen wäre.
Und sie hatten immer einig und glücklich miteinander
hausgehalten.
„Aennchen — Bachstelzchen — Du wirst theuer erkauft. —"
„Doch nicht zu theuer-"
Und daß er das so denken konnte: nicht zu theuer erkauft
um den Preis der Mutter —-das schnitt ihm in's
Herz. Denn das war doch wohl das natürlichste Zusammen-
halten.
Der junge Stier kümmert sich nicht mehr um die Kuh,
die ihn zur Welt gebracht hatte. Wohl. Aber der Mensch!
— Auch der Mensch nicht immer. Aber die Wanders! —
Er drückte sein Gesicht in den Ellenbogen der auf dem Tische
lag. Wahrhaftig, seine Augen wurden naß. —
Er hörte, wie die Thür aufging, sprang empor, drehte sich
sogleich um, ehe er noch wußte, wer eingetreten war, und
machte sich mit seinem Taschentuch im Gesicht zu schaffen.
Dann wandte er sich herum.
Am Tische stand die Mutter mit dem großen, schwarze»
Strohhut auf dem Haupte, den sie als Sommerschutz zu
 
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