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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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Fernsprech-Anschluß Nr.'82.

Fernsprech-Anschluß Nr. 82

M. 112.

Montag, de« 15. Mai 1899.

Die badische Thronrede.
Die Thronrede, womit der badische Landtag am letzten
Freitag geschlossen wurde, hat nicht nur in Baden selbst,
sondern auch in weiteren Kreisen höchste Beachtung ge-
funden. Und sie verdient eine solche, denn sie ist eine
ganz unzweideutige Kundgebung von großer Bedeutung.
Die offiziöse süddeutsche Korrespondenz zitirt in einer
auch in der Karlsruher Zeitung abgedruckten Betrachtung
die markantesten Sätze aus der Thronrede, jene Sätze, in
welchen der Großherzog fordert, daß die Volksvertretung,
statt schroffe Gegensätze hervorzukehren, mit der durch sein
Vertrauen berufenen Regierung zusammen für das Wohl
des Landes arbeite, und sagt dazu: „Diese Worte bilden
ein Programm, dessen gewissenhafte Beachtung die gedeih-
liche Entwickelung der allgemeinen Interessen verbürgt,
dessen Verneinung aber die unaufhaltsame Zersetzung aller
staatlichen Ordnung zur Folge haben muß. Indem ein
Theil der badischen Volksvertretung sich s. Z. nicht damit
begnügt hat, seine Unzufriedenheit mit den gegenwärtig die
Regierungsgeschäfte leitenden Persönlichkeiten zu erklären,
sondern den Versuch wagte, kurz gesagt, den Rücktritt des
Ministeriums zu erzwingen, ist die den Befugnissen der
Volksvertretung gezogene Grenze überschritten und ein ge-
deihliches Zusammenwirken zwischen Regierung und Kammer
in Frage gestellt worden. Nicht leicht mag cs damals
den Mitgliedern des Staatsministeriums geworden sein,
die ersprießliche Fortführung der Arbeiten mit einer solchen
Volksvertretung zu sichern. Aber das Bewußtsein, daß
sie das Vertrauen ihres Allerhöchsten Auftraggebers besitzt
und daß die Erste Kammer, als gleichberechtigter Faktor,
dem Vorgehen eines Theiles der Zweiten Kammer die
entsprechende Korrektur angedeihen lassen werde, mag die
Großh. Regierung zum Ausharren veranlaßt haben. Der
Erfolg hat gelehrt, daß sie damit recht gehandelt hat,
denn es ist gelungen, nachdem die Opposition die Nutz-
losigkeit ihres Vorstoßes erkannte, die großen Aufgaben,
die der Erledigung harrten, in gemeinsamer Arbeit erfolg-
reich zu lösen. Der Boden der Einigung kann von allen
Parteien in der Verfassung gefunden werden. Daß Groß-
herzog Friedrich in feierlicher Stunde darauf hinwies,
wie gerade Er diese Verfassung treu behüte, sollte alle
Bürger veranlassen, fortan mit ganzer Kraft zu wirken
>m Sinne seiner ernsten Worte."
Auch die Bad. Landesztg. beschäftigt sich in einem
längeren Artikel mit der Thronrede. Sie sagt u. A.:
Mit rückhaltloser Offenheit ist der Opposition vom
Thron herab verkündet worden, daß sie auf dem von
ihr eingcschlagenen Wege nichts zu erwarten
hat, und da die Einschüchterung der Regierung des Groß-
herzogs durch die Sozialdemokratie so ziemlich als der
Gipfelpunkt Wackerschcr Staatskunst angesehen werden darf,
Io würde der Opposition jetzt nichts anderes übrig bleiben,
als einen ehrenvollen Rückzug anzutreten, wozu ihr in der
Thronrede überdies die Brücken gebaut sind durch die
Ermahnung: aus die Hervorkehrung schroffer Gegensätze zu
verzichten und mit der durch das Vertrauen des Groß-
herzogs berufenen Regierung zum Besten des Landes zu-
sammen zu arbeiten. Allein das hieße von Herrn Wacker
sinen Verzicht auf das eigene theuere Selbst, auf das bei
ihm bis zur unedlen Leidenschaftlichkeit ausgeprägte politische
Bedürfniß verlangen, das sich gerade in der Hervorkehrung
schroffer Gegensätze überhaupt nur bethätigen und befrie-
digen kann. Wenn das katholische Volk, soweit es dem
Eentrum folgt, heute noch in dem Wahne lebt,
vur mit und durch Herrn Wacker das Ziel seiner
Angeblich sehnsüchtigen Wünsche zu erreichen, so ist in

der Thronrede die völlige Aussichtslosig-
keit solchen Beginnens mit aller Deutlichkeit dargelegt.
Trotzdem muß es als Thatsache hingenommen werden —
und ein am Tage des Landtagsschlusses in den Centrums-
blättern veröffentlichtes und von der gesammten Centrums-
fraktion unterzcichnctcs Manifest bestätigt dies in unzwei-
deutiger Weise — daß die bisherige Centrums-
politik unter Wackers Führung als die angeblich er-
folgreichste unentwegt fortgesetzt werden soll. Im
weitern führt die Landesztg. aus, daß Wackers Politik die
Politik des Bündnisses mit der Sozialdemokratie ist. Löse
sich dieses Bündniß, dann sei Wacker ein politisch todter
Mann. Wir sind an einem Wendepunkt unserer politischen
Entwickelung angekommen. Das badische Volk, soweit es
in den verschiedensten Schattirungen liberal genannt wer-
den kann, hat gesehen, daß weder das schwarze noch das
rothe Gespenst Eindruck bei dem macht, in dessen, treu-
bewährter, fester Hand die Zügel der Regierung unseres
schönen Heimathlandes auf Grund einer geheiligten Ver-
fassung nunmehr seit beinahe einem halben Jahrhundert
sicher ruhen. Soll das badische Land nun, nachdem der
vorübergezogene Spuk gebannt ist, auch fernerhin der
Tummelplatz einer aussichtslosen, ultra-radikalen politischen
Verbrüderung sein?
In nationalliberalcn Kreisen hat man in den letzten
Jahren das Gefühl gehabt, daß die Regierung dem Cen-
trum zu weit entgegen gekommen sei; man hat die Regie-
rung gewarnt und ihr gesagt, daß alles Entgegenkommen
das Centrum nur zu neuen Ansprüchen reizen werde. Das
ist denn auch in vollstem Maße eingetroffen. Der Dank
des Centrums für das Entgegenkommen der Regierung
bestand in der Wahlvcrbrüderung mit Demokratie und So-
zialdemokratie, im Mißtrauensvotum gegen die Regierung
und in der Herausforderung derselben durch geradezu al-
berne Anträge, wie der über die schrankenlose Zulassung
der Orden, oder das zum Abgelehntwerden bestimmte Wahl-
reformgesetz. Nach der Thronrede hat die Regierung einge-
schen, daß sie mit Sanftmuth und Entgegenkommen die
Kampfstimmung des Centrums nicht beschwichtigt. Sie hat
nun in der Thronrede einen scharfen Ton angeschlagen.
Das ist sehr zu begrüßen. Aber so fest wie dieser Ton
der Thronrede, muß auch in der Praxis die Haltung der
Regierung dem Centrum gegenüber und zwar heute und
morgen und alle Tage, in großen wie in kleinen Dingen
sein, wenn ein Erfolg erzielt werden soll. Das ist, was
wir vor Allem zur Thronrede bemerken möchten.

Deutsches Reich.
— Ein Londoner Blatt, der Daily Telegraph,
wußte Folgendes zu berichten:
Der deutsche Kaiser empfing Donnerstag bei Metz einen
Sonderberichterstatter der New-Uorker World und übergab ihm
folgende an das amerikanische Volk gerichtete Botschaft: „Ich bin
aufrichtig erfreut über die einstimmige Befriedigung und Freude,
welche die gegenwärtigen guten Beziehungen zwischen den Ver-
einigten Staate» und Deutschland in meinem ganzen
Reiche verursachen. Das neue Kabel wird viel dazu beitragen,
die beiden großen Nationen enger miteinander zu verbinden, und
helfen Frieden und Wohlwollen unter ihren Völkern zu fördern."
Die Nordd. Allg. Ztg. bezeichnet indessen die obige
Nachricht als eine plumpe Erfindung. Der Kaiser
habe überhaupt mit keinem Berichterstatter gesprochen.
— Auf den Gräbern von St. Privat hat der
Kaiser bei seinem letzten Besuch einen schönen blühenden
Zweig gepflückt und ihn Herrn v. Goßler, dem Kom-
mandeur des 4. Garderegiments zu Fuß, das sich in dem
Kampfe besonders ausgezeichnet hatte, mit folgendem Tele-
gramm gesandt: „Ich habe heute bei Besuch des Schlacht-

feldcs von St. Privat Mich von neuem dankbar der Thaten
Meiner Garde erinnert. Ein Zweig, gepflückt vom Grabe
der Gefallenen, welchen Ich Ihnen zugehen lasse, möge
dem Regiment ein sichtbares Zeichen meines Gedenkens
sein. Wilhelm I. H."
— Die Berliner N. Nachr. vernehmen, der Senioren-
convent des Reichstages habe beschlossen, bis zum 18. Mai
die Durchberathung des Reichsinvalidengesetzes zu ermög-
lichen. Nach den Pfingstferien wird der Reichstag bis
zum 25. Juni Sitzungen abhalten und dann bis Mitte
November vertagt werden. Er wird sich nach Pfingsten
unter Anderm mit dem Nachtragsetat, der Regelung der
Handelsvertragsverhältnisse mit England und der dritten
Lesung des Reichsinvalidengesetzes beschäftigen.
— Von dem unter Leitung des inactiven preußischen
Staatsministers Dr. Frhrn. von Berlepsch stehenden
deutschen Comits für internationalen Arbeiter-
schutz war bekanntlich der Vorstand dieses Comitos be-
auftragt worden, erneut dahin zu wirken, daß die So-
zialdemokratie sich an den Arbeiten dieses Vereins
betheiligen möchte. Der Vorwärts theilt nunmehr kühl
abweisend mit, daß die sozialdemokratische Rcichstags-
fraktion nach abermaliger Beralhung der Frage keinen
Grund gefunden habe, von ihrem Beschluß auf Nicht-
betheiligung abzuweichen. Wenig Entgegenkommen für eine
so artige Werbung!
— Der Volkszeitung zufolge ist die Nachricht verfrüht,
daß die philosophische Fakultät cs ablchnte, den Privat-
docenten Dr. Arons zu discipliniren. Die Facultät habe
sich am tl i ch nochnicht mit der Angelegenheit beschäftigt.
— In der Schell'schen Angelegenheit ist, wie
der Germania aus Würzburg mitgetheilt wird, von Rom
ein weiterer Schritt geschehen. Als Schell seine Unter-
werfung unter das Dekret der Jndcxcongregation dem
Bischof von Würzburg anzeigle, gab er ihm zugleich die
Zusicherung, er werde, wenn Rom ihm einzelne Sätze als
der kirchlichen Lehre widersprechend bezeichne, sich dieser
Entscheidung unterwerfen. Es sind ihm nun einzelne
Hauptpunkte seiner Lehre namhaft gemacht worden, so sein
Gottesbegriff, seine Lehre von der Hölle, von der Sünde;
außerdem wurde ihm eine Reihe von Stellen in seinen
Werken als anstößig bezeichnet. Schell ist, wie weiter be-
richtet wird, vom Nuntius Lorenzelli nach München be-
rufen worden. Die Maßregelung Schells hat in den
denkenden katholischen Kreisen ohne Zweifel ein Gefühl
starker Beklemmung hervorgerufen. Wenn ein tief religiö-
ser und gläubiger Mann von bedeutender Geisteskraft in
dieser Weise gebeugt wird und gebeugt werden konnte,
dann legt die katholische Kirche in der That ein schweres
Joch auf ihre Anhänger, unter dem sie nicht vorwärts
kommen können. Man denkt unwillkürlich an die derzeitige
antikatholische Bewegung in Oesterreich und an die wenig
günstigen Aussichten für die wenigen katholischen Völker,
die heute für den Gang der Weltgeschichte überhaupt noch
in Betracht kommen.
Wiesbaden, 13. Mai. Der Ka iser und die Kai-
serin trafen mit den beiden jüngsten kaiserlichen Kindern
kurz vor 5 Uhr hier ein und fuhren vom Bahnhofe nach
dem königlichen Schlosse. Heute Abend besucht der Kaiser
die Hauptprobe zum „Eisenzahn".
Deutscher Reichstag. Berlin, 13. Mai. Der Nach-
trag sei at ist heute eingegangen.
Es wird die Berathung des Jnoalidenversicherungs-
gesetz es fortgesetzt bei § 4» (Befreiung von der Versicherungs-
pflicht auf Amrag). Der Paragraph wird nach längerer Debatte
mit einem Abänderungsantrage der Abgg. Z e h n t e r (Centc.) und
Lehr (ntl) angenommen, wonach auch diejenige» Personen auf

6)

Casars Frack.
Humoreske von Reinhold Ortman«.

(Fortsetzung.)
In seinem Erstaunen konnte Werner sich nicht enthalten
fragen:
„Diese anderen Blumen da, Sie haben sie von Cäsar Gre-
«ory. Mrs. Taylor?"
-.„Bon ihrem Freunde Gregory — allerdings! So haben
^-ie ihm verratben, daß es meine Lieblingsblumen seien ?"
„Nein — das heißt, ich erinnere mich nicht genau, ob ich
gethan. Er war also bei Ihnen — an diesem Vormittag ?
And er hat mir von seiner Absicht, Sie zu besuchen, nicht ein
Sterbenswörtchen gesagt."
„Vielleicht hat er seine besonderen Gründe — Ihr aus-
neseichiieter Freund. Aber sind Sie garnicht neugierig, zu
"fahren, weshalb ich Sie vorhin nicht empfangen konnte?"
„Wenn es nicht indiskret ist, darnach zu fragen-"
^ ,O, durchaus nicht. Zunächst jedoch muß ich Ihnen leider
^>Yr Autogramm zurückgcben. Es ist mir zu meinem Be-
Mern unmöglich, ihm einen Platz in meiner Sammlung an-
^Weisen."
Mit einem Lächeln von bezaubernder Liebenswürdigkeit
eg , sie dem Doktor das Blatt. Der aber war beinahe
°enso weiß geworden, wie das Papier.
"?^o hoch !" dachte er. „Wozu in aller Welt hat sie mich
«Ilher beschieden, wenn es doch ihre Absicht war, mir einen
^orb ^ geben!"
-. Laut aber sagte er mit mannhaftem Bemühen, seiner
"Mrne einen festen Klang zu geben:
,. »Ich glaube zu verstehen, Mrs. Taylor, warum Sie es
"ui können. Und cs bleibt mir wohl nur noch übrig. Sie
"kgen meiner Kühnheit um Verzeihung zu bitten."
"Skshalb? Daß Sie Ihre wunderhübschen Verse auf
<5: Rückseite eines Mahnbriefes schrieben, war ein Versehen.
^>ne radelnswerthe Kühnheit habe ich nicht darin erblickt."
»Eines Mahnbriefes?"

Er unterzog das Papier, das er achtlos halte emstecken
wollen, erst jetzt einer genaueren Untersuchung, und da ent-
deckte er wirklich, daß es nicht, wie er gestern angenommen,
ein einfaches Blatt, sondern ein auf den beiden äußeren
Seiten unbeschriebener Briefbogen war. Voll banger Ahnung
faltete er ihn auseinander und las in einer ihm völlig unbe-
kannten Handschrift:
„„Geehrter Herr!
Wenn ich mich trotz der sehr ungünstigen Auskunft, die
ich über Sie erhalten habe, doch noch entschließe, Ihnen den
Frack ebenso wie die beiden Anzüge und den Winterpaletot
auf Kredit zu liefern, so geschieht es in der bestimmten Er-
wartung, daß Sie mich nicht mehr lange mit leeren Ver-
sprechungen Hinhalten. Die reiche Partie, die Ihnen nach
Ihrer Erklärung in sicherer Aussicht steht, wird hoffentlich
bald zu Stande kommen. Ich wünsche cs nicht bloß in
meinem, sondern auch in Ihrem Interesse, da, wie ich höre,
außer mir noch viele andere Gläubiger sehnsüchtig daraus
warten. Also machen Sie Ernst mit der Geschichte und ver-
gessen Sie nicht Ihren
achtungsvoll ergebenen
August Kronenwerth.""
Einen Augenblick war Werner Holmfeld in Versuchung,
laut aufzulachen. Dann aber fiel ihm ein, daß die Sache
eigentlich garnicht spaßhaft war, weil er ihr doch irgend eine
glaubhafte Erklärung für diesen Brief geben mußte, und weil
er trotz seiner reichen, dichterischen Phantasie im Erfinden von
Nothlügen niemals ein Meister gewesen war- MrS. Taylor
aber kam seiner Erklärung zuvor.
„Ich gestehe, daß ich indiskret genug gewesen bin, den
Brief zu lesen; aber ich verspreche Ihnen auch, über seinen
Inhalt unverbrüchliches Stillschweigen zu bewahren. Seit-
dem mir Herr Gregory erzählt hat, daß es sein Frack ge-
wesen ist, den Sie gestern getragen, kann ick mir den Zu-
sammenhang der Dinge leicht genug erklären."
Werner fuhr erschrocken zusammen. Dieser unglückliche
Gregory! Was halte er da in seiner Schwatzhaftigkeit an-
gcrichtet! Aber er verdiente vielleicht nicht einmal einen

Vorwurf, denn wie hätte er ahnen sollen, daß der Freund,
dem er sein Eigenlhum anvertraut, in sträflicher Unvorsichtig-
keit die intimsten Geheimnisse seines Privatlebens preisgeben
würde! Hier gab es nur einen einzigen Weg — einen Weg,
den zu beschreiten ihm wahrlich nicht leicht siel, der ihm aber
nach seiner Ueberzeugung durch die Pflichten der Freundschaft
und der Ehre mit aller Bestimmtheit vorgezeichnet war.
Gesenkten Hauptes und mit gepreßter Stimme sagte er:
„Ich fürchte, daß Sie sich dennoch in einem Jrrthum be-
finden, Mrs. Taylor! Dieser Brief ist in der That an —
mich!"
Die schöne Amerikanerin starrte ihn mit großen Augen an.
„An Sie? Nein. Herr Doktor, das ist nicht Ihr Ernst."
„Es muß wohl mein Ernst sein. Ich bin kein wohl-
habender Mann, wie Sie vielleicht angenommen und-"
Er stockte, weil es ihm gar zu sauer ankam, sich gerade
vor diesem angebeteten Wesen als einen leichtsinnigen Schulden-
macher hinzustellen. Sie aber rief lebhaft:
„Da Sie selbst sagen, daß Sie der Empfänger des abscheu-
lichen BrieseS waren, muß ich es wohl glauben. Aber ist es
denn möglich, daß eine Geistesarbeit von dem Werthe der
Ihrigen so unzulänglich belohnt wird? Nicht an Ihnen,
sondern an dem Publikum wäre es, sich deshalb zu schämen."
Da richtete er sich auf, um ihr mit Nachdruck zu wider-
sprechen. Er vergaß, daß er unter den obwaltenden Um-
ständen eigentlich eine Ungeschicklichkeit beginge, wenn er
erklärte, daß er mit dem Ertrage seiner Arbeit vollauf zu-
frieden sei, weil es ihm genüge, sein Leben fristen zu können,
und weil er den Lohn seines Schaffens in Besserem suche
als in gemünztem Golde. Nie hatte sie ihn so schöne und
warme Worte sprechen hören als in diesem Augenblick, wo
er doch eigentlich vor Scham und Zerknirschung hätte ver-
gehen müssen. Und gewiß würde sie ihm von Herzen ver-
ziehen haben, wenn ihr nicht bei einem Blick auf den un-
glückseligen Brief, den er in seiner Erregung achtlos auf den
Tisch geworfen, wieder der Schlußsatz eingefallen wäre, den
sie ihm unmöglich verzeihen konnte.
(Schluß folgt.)
 
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