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Heidelberger Zeitung — 1899 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.39312#0237

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und den Plakatsäulm.
Fernsprech-Anschluß Nr. 82.

Fr. 54. Wes Klaff. Samstag, den 4. Mär?

I89S.

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auf die Heidelberger Zeitung für den Monat März werden
bei allen Postanstalten, den Briefträgern, den Agenten, bei
den Trägern in der Stadt, sowie in der Expedition, Untere
Ncckarstraße Nr. Li, angenommen.
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gebracht; durch die Post bezogen für den Monat März,
wenn am Schalter abgeholt, 42 Pfennig, mit Zustellgebühr
15 Pfg. weiter. _
Deutsches Reich
— Der Kaiser ernannte gestern den Prinzen
Heinrich zum Chef des Kreuzergesch Waders in
Ostasien unter Entbindung des Viceadmirals v. Diede-
richs von dieser Stellung.
— Gegenüber der Freist Ztg. theilt die Germania wie-
derholt auf Grund zuverlässigster authentischer Informa-
tionen mit, daß ein Kompromiß wegen derMilitär-
Vorlage zwischen dem Ceutrum und der Regierung nicht
abgeschlossen und die angeblichen Details des Kompromisses
aus den Fingern gesogen sind. — Es scheint sich da um
einen Streit nm Worte zu handeln.
— Die Germania meldet: Die Ausschmückungs-
commission des Reichstags lehnte einstimmig den
Entwurf der Stimmzettclurnen von Professor Hildebrandt-
München ab und beschloß ferner einstimmig, das Stucksche
Deckengemälde in der Vorhalle zum Präsidialzimmer dem
Urheber behufs Umänderung zurückzustellen.
Wilhelmshaven, 3. März. Der Kaiser ist an
Bord des „Kurfürst Friedrich Wilhelm" nach Helgo-
land in See gegangen. Dort angekommen, warf der
»Kurfürst Friedrich Wilhelm" vor der Düne Anker. Wegen
hoher See konnte der Kaiser jedoch nicht landen, sodaß
der „Kurfürst Friedrich Wilhelm" die Anker lichtete und
nach der Weser zurückkehrte. Er traf glücklich in Bremer-
haven ein.
Deutscher Reichstag. Berlin, 3. März. Weiter-
berathung des Militäretats.
Abg. Dr. Paasche (nat.-lib.) kommt auf die gestrigen
Ausführungen Bebels zurück. An der zunehmenden Verrohung
der Jugend trage die Irreligiosität Schuld, die von den Sozial-
demokraten begünstigt werde. Die Heranwachsende Jugend wage
cs nicht mehr, ihren Glauben zu bekennen. Die Sozialdemokraten
wüßten es nicht, was sie dem Volk raubten, wenn sie ihm seinen
Gott nehmen. (Bravo im Centrum; Zuruf Bebels: Glauben
Sie denn daran?)
Paasche (forifahrend): Ich würde nicht davon sprechen,
wenn ich es nicht glaubte. Er spricht dann weiter von dem heutigen
Parlamentsbericht des Vorwärts, der die Erklärungen des
Kriegsministers auf die von Bebel angeführten Fälle todt-
lchweige.
Abg. Gröber (Centr.) dankt dem Vorredner für seine
Stellungnahme zur Religiosität. Hoffentlich stände seine Partei
hinter ihm. (Zuruf bei den Nationalliberalen: „Immer!") —
^wmer sei zu viel gesagt. Beim Kulturkampf sei es nicht der
Fall gewesen. Redner spricht ausführlich über die rechtliche Seite
des Falles, wo ein Soldat wegen Bekundung seiner Zugehörigkeit
Sur Sozialdemokratie bestraft worden ist.
Abg. Bebel (Soz.) erkennt an, daß der Kriegsminister seine
Ausstellungen sachlich beantwortet habe. Demgegenüber sei der
Abg. Dr. Paasche päpstlicher als der Papst. Die Vorwürfe
Vaasches gegen die Sozialdemokratie seien nicht berechtigt. Die
Sozialdemokraten dränge» auf Weiterbildung der Massen und
Schutzbcstilnmungen für die Arbeiter. Der Feuereifer des Vor-
redners für die Religiosität habe einen eigenthümlichen Eindruck
Semacht. Nach einer früheren Rede des Abg. Gröber seien
die liberalen Universitätsprofessoren die schlimmeren, die den
schlimmen Sozialdemokraten erst die wissenschaftlichen Lehren
deibrächten.
Abg. Dr. v. Tie bemann (Rp.) erklärt, die Ausführungen
Bebels seien übertrieben, sie verfolgen nur den Zweck, das
deutsche Offizierkorps zu diskreditiren. Allerdings hätte Redner
«icht gewünscht, daß Gröber das Kriegsbeil wieder ausgegraben
hätte mit seinem Hinweis auf den Kulturkampf.

Kriegsminister v. Goßler: Er sei verpflichtet, den An-
gehörigen einer jeden Partei in objektiver Form Auskunft zu
geben; wenn aber Bebel daraus geschlossen habe, daß er mit
seiner Behandlung der Angelegenheiten der Armee einverstanden
sei, so sei das ein Jrrthum. Niemals werde er billigen, daß in
so schroffer Form Urthetle über Personen gefällt werden, ehe er
die Sachlage seinerseits in objektiver Form vorgebracht hätte.
Daß der Unteroffizier Scheinhard nicht erstochen worden, habe
er festgestellt, er sei einem Unglücksfalle zum Opfer gefallen, der
mit schwerer Mißhandlung verbunden gewesen sei. Der Krtegs-
mtnister berichtigt die Ausführungen Bebels über den Halber-
städter und den Elbinger Fall. Bebel habe ferner behauptet, er
bringe seine Beschwerden nur vor, um dadurch Abhilfe zu schaffen.
In Wahrheit aber rufe er dadurch nur Erbitterung hervor. Es
komme ihm darauf an, in die Disziplin eine Bresche
zu legen, das Vertrauen der Untergebenen zu
untergraben. Redner ist überzeugt, daß die Sozialdemokratie
auf solchen Prinzipien beruhe, daß sie von selbst untergehen
werde. (Beifall rechts.)
Abg. Frhr. v. Stumm (Rp.): In den der Direktion der
Post vom Vorwärts gestohlenen Briefen ist nicht zugegeben, daß
er eine Lüge ausgesprochen habe, es sei in denselben nur gesagt,
daß er eine Behauptung des Redakteurs der Post, die sich nachher
als Lüge hcrausstellte, im Reichstag wiedergegcben. Bei der
Rede des Abg. Bebel handele es sich um gewohnheitsmäßig vor-
gebrachte grobe Jrrthümer. (Zuruf Bebel: Frechheit.)
Vicepräsident Schmidt ruft den Abg. Bebel zur Ordnung.
Abg^ Singer (Soc.) erklärt zur Geschäftsordnung: Es sei
bisher Sitte gewesen, wenn Jemandem aus dem Hause von dem
Redner Diebstahl vorgcworfen werde, dies der Präsident rügte.
(Große Unruhe.)
Vicepräsident Schmidt: Wenn eine bestimmte Person be-
zeichnet wäre, hätte er monirt. (Zurufe: Ist geschehen!) Er
werde den Wortlaut nach dem Stenogramm feststellen. Nach dem
Stenogramm habe Frhr. v. Stumm von den vom Vorwärts ge-
stohlenen Briefen gesprochen, nicht von Personen. (Beifall.)
Abg. Singer (Soc.): Drei Redakteure des Vorwärts seien
Mitglieder des Hauses.
Vicepräsident Schmidt verbittet sich die Kritik seines Ver-
haltens. Wenn vom Vorwärts die Rede sei, so sei nicht die
Rede von seinen Redakteuren.
Abg. Stöcker (fraktionsl., cons.) spricht den Sozialdemokraten
jedes Verständniß ab für die Vorbedingungen des deutschen
Heeres. Die Armee erfülle ihre Aufgabe, die vaterländische Ver-
theidigung sei glänzend. Die Selbstmorde in der Armee beruhten
nicht immer auf militärischen Gründen. Die Armee bleibe trotz
alledem die beste Schule des Volkes und das Schwert, das die
Einigkeit schirme. (Bravo.)
Abg. Äebel (Soc.): Die lebhafte Debatte nach seiner Rede
beweise, daß seine Worte gesessen. Rednec geht des längeren
auf die Bemerkungen des Vorredners ein und verlangt obliga-
torischen Fortbildungsunterricht bis zum 18. Lebensjahre; er
verwahrt sich, daß er die Armee in ihrer Gesammtheit ange-
griffen habe.
Abg. Gröber (Centr-): Alles, waS Bebel vorbrachte, sei
bereits in der Oeffentlichkeit bekannt gewesen. Das Centrum sei
stets bereit gewesen, mit den Nationalliberalen Schulter an
Schulter zu kämpfen. Die Nationalliberalcn sollten sich aber
nicht in die Neligionspflege der Katholiken mischen.
Der Titel wird angenommen.
Morgen 1 Uhr: Berathung der Novelle betreffend den bayeri-
schen Milttärsenat; Fortsetzung der heutigen Tagesordnung.
Badischer Landtag. 8. 6. Karlsruhe, 3. März.
Die Erste Kammer nahm heute nach längerer Debatte
das Wasser ge setz in der Kommissionsfassung an. Vor
Eintritt in die Tagesordnung gedachte Vicepräsident Frei-
herr v. Bo dm an au Stelle des durch ein Augenleiden
verhinderten Prinzen Karl der beiden verstorbenen Mit-
glieder des Hauses, des Grafen Leiningen und des
Geh. Raths Prof. Knies, sowie des Fürsten Bismarck
und des Grafen Caprivi, zu deren ehrendem Gedenken
sich das Haus von den Sitzen erhob.
Ü. 6. Karlsruhe, 3. März. 122. öffentliche Sitzung
der Zweiten Kammer.
Zur Berathung stand der Gesetzentwurf betr. die Be-
steuerung des Liegenschaftsvcrkehrs.
Den Bericht der Justizkommission erstattete Abg. Lauck (Centr.).
Er beantragt Annahme des Entwurfs in der von der Kommission
beschlossenen Fassung. Abg. Dr. Wilckens (nat.-l.) rühmt an
dem Entwurf, daß die Regierung den Gemeinden Steuerfreiheit

für Erwerbungen zu öffentlichen Zwecken gewährt habe. Abg.
Ob ktr-her (nat.-l.) äußert Bedenken gegen die ZH 25—27 des
Entwurfs und stellt einen Abänderungsantrag in Aussicht, den
er jedoch nicht einbringt, da sich im Laufe der Debatte keine
Stimme für den Antrag hören ließ. Abg. He im bürg er (Dem.)
ist mit dem Entwurf einverstanden, ebenso Abg. Fi es er (nat.-l.),
der Namens der Justizkommtssion den Antrag auf su bloo-An-
nahme stellt. Abg. Pfisterer (Antis.) plädirt für eine stärkere
Heranziehung der Aktien und Staatspapiere zur Verkehrssteuer.
Abg. Wittum (nat.-l.) theilt die Bedenken des Abg. Obkircher
bezüglich des § 25. Abg. Drees bach (Soz.) erklärt sich
Namens seiner Fraktion mit dem Entwürfe einverstanden und
spricht für Erweiterung des 8 83 Ziff. 6 zu Gunsten von Per-
sonen, die Arbeiterwohnungen erstellen. Im Fall der Weiter-
veräußerung könnte die Accise nacherhoben werden. Finanz-
minister Dr. Buchenberger dankt dem Berichterstatter für
seinen vortrefflichen, sachgemäßen Bericht. Auf die LtegenschastS-
accise könne man noch nicht verzichten, da der Ausfall zu groß
wäre. Im Jahre 1897 habe sie 4044 000 Mk. ergeben; der
Durchschnitt der letzten fünf Jahre betrage 2 955000 Mk. Eine
differentielle Behandlung von Stadt und Land wäre sehr bedenk-
lich ; eher müßte man auf die ganze Accise verzichten. Dem
Verlangen nach Auftheilung der Liegenschaftsacctje zwischen
Staat und Gemeinde müsse er entschieden widersprechen, da es
nicht billig wäre, die steuerkräftigen Gemeinden zum Nachtheil
der ärmeren zu bevorzugen. Gegen die von der Kommission vor-
geschlagenen Aenderuugen habe er nichts einzuwenden. Mini-
sterialdirektor Becker wendet sich gegen die von den Abgg. Ob-
ktrcher und Wittum geltend gemachten Bedenken. Auch bezüglich
der Anträge des Abg. Dreesbach, soweit sie die Erweiterung des
8 33 Ziff. 6 betreffen, bittet er, es bei der Regierungsvorlage
zu belassen. Abg. Hug betont, daß man mit Rücksicht auf den
bedeutenden Ausfall nicht auf die Ltegenschaftsaccise verzichten
könne, wenn sie auch nach verschiedenen Richtungen hin ungerecht
sei. Abg. Flüge erklärt sich für Beibehaltung der Lieg enschafts-
steuer. Nach weiteren Bemerkungen der Abgg. Dr.Wilckens und
Obkircher und des Berichterstatters wird der Antrag auf snbloa-
Anuahme gutgehetßen und das Gesetz einstimmig an-
genommen.
Schluß der Sitzung 1"/. Uhr. Nächste Sitzung: Montag
4 Uhr.

Aus der Karlsruher Zeitung.
— Seine Königliche Hoheit der Groß Herzog haben dem
Lehramtspraktikanten Franz Hieber von Bingen unter Ernen-
nung desselben zum Professor eine etatmäßige Professorenstelle
an der Höheren Mädchenschule in Offenburg übertragen.
A nsland.
Oesterreich-Ungarn. Pest, 3. März. Der bisherige
Ministerpräsident Baron Ban ffy ist an Stelle des ver-
storbenen Grafen Geza Szapary zum Oberhofmeister er-
nannt worden.
Frankreich. Paris, 3. März. Die Kriminalkammer
des Kaffationshofs hat heute entschieden, vor welches Ge-
richt Picquart, den sowohl das bürgerliche wie das
militärische Gericht beanspruchte, zu stellen sei. Der Be-
schluß geht dahin: Picquart und der Anwalt Leblois
sind vor die Anklagekammer zu verweisen hinsichtlich
der Beschuldigung der Fälschung (des sogen, xatit blau),
der Verwendung einer Fälschung und der Mittheilung des
geheimen Dossiers Esterhazy-Dreyfus. Dagegen soll die
Sache wegen des Actenbündels, das die Brieftauben be-
trifft, und wegen der Affaire Boulot bet dem Militär-
gericht anhängig bleiben.
Paris, 3. März. Die Präsidentenwahl im
Senat hatte beim ersten Wahlgang folgendes Exgebniß:
Von 263 Stimmen, worunter zwei ungiltig waren, erhielt
Fallisres 96, Constans 84, Franck-Chauveau 56, Pey-
tral 25. Da keiner absolute Mehrheit erreicht hatte, schritt
man zu einem zweiten Wahlgang, wobei Falliöres 151,
Constans 84 Stimmen erhielt. Fallieres ist somit ge-
wählt. Er ist Senator im Departement Lot-et-Garonne
und gehört der republikanischen Linken an. Er war
Unterrichtsminister im Cabinet Tirard von 1889 und
Justizminister im Cubinet Freycinet von 1890. Seit der

Der erste Maskenball.
8) Novelle von I« Leopold Lchicner.
(Fortsetzung.)
. Mathilde steckte den Brief zu sich. Sie wollte denselben
M der Zeitungsexpedition abgeben.
Sie hatte das Zeitungslokal eben verlassen, als aus der
gegenüber liegenden Restauration ein Herr trat, in das Ex-
veditionslokal eilte und gegen Vorzeigung seiner Legitimation
nie auf 1^. eingeaangenen Adressen forderte-
y, „Eine einzige," antworte höflich der Beamte, der an dem
l-ult saß, wo die Adressen abgegeben wurden, und schob ge-
wohnheitsmäßig die große Hornbrille zurecht. „Sie ist in
Diesem Augenblick abgegeben, Sie müssen der jungen Dame
"cgegnet sein."
. Der Herr hörte nicht auf die freiwillige Auskunft des
Zeundlichen Alten. Schnell nahm er den Brief und eilte auf
"ie Straße.
. .Kutscher I" rief er den in seinen Roman vertieften Rosse-
Nker an, der vor dem Lokal hielt, „sehen Sie die junge
^ome mit dem Sammetmantel und den schwarzen Flechten ?"
.. „Die mit der Notenmappe?" fragte dieser mürrisch zu-
rück, als ob ihn die Störung in seiner Lektüre ärgere.
„ „Dieselbe. Folgen Sie ihr, aber verlieren Sie sie nicht
«Us den Augen."
„Wie weit?"
„Bis ich Halt rufe."
»Ach, Sie steigen 'rin?"
^ .„Freilich! Aber langsam fahren, damit Sie ihr nicht zu
"ahe kommen!"
„Soll geschehen," sagte dieser phlegmatisch, und während
^ langsam seinem kopfhängerischen Gaul die wärmende Decke
vvnahm, fuhr er fort: „Freu Dir, Amy, det jiebt 'ne lang-
lanie Tour."
. „Donner und Doria!" schrie sein Fahrgast, der unter-
dessen eingestiegen war, „beeilen Sie sich doch! Sehen Sie
,enn nicht, daß die Dame sich der Straßenecke nähert? Sie
"vn uns aus den Augen verschwinden l"

„Man nicht ängstlich, Herrchen, wir werden ihr gleich
injeholt haben. Vorwärts. Aller!" ^ ^ ,
Das Gefährt setzte sich in Bewegung. Die Fahrt währte
über eine halbe Stunde und ging durch verschiedene Straßen-
In der Leipzigerstraße vor einer Musikalienhandlung
hatte „Amy" vollauf Muße, sich von seiner ohnehin nicht
anstrengenden Tour zu erholen und sein Herr Gelegnheit, die
interessante Stelle seines Romans, bei der er vorhin unter-
brochen worden war, zu Ende zu lesen.
Auch der Insasse des Wagens benutzte tue Pause, den
Inhalt der „einzigen Adresse" kennen zu lernen. Er hatte
nicht die Hoffnung, daß ihm der Brief selbst nähere Auf-
klärung geben würde, und iah sich auch hierin nicht getäuscht.
„Warte, süßer Schelm," sagte er. „ich finde Dich leichter,
als Du wähnst. Meinen Namen hast Du auf dem Balle
gehört, das nehme ich an. aber Du kennst mich ebenso wenig
näher als ich Dich, daraus möchte ich schwören. Aber ich
werde Dich kennen lernen und dann, wenn Du mir gefällst,
sollst Du mir für Deinen Scherz büßen. Dann lege ich Dir
die goldenen Fesseln der Ehe an, die Du mir zugedacht
hast!" . „ , ,
Er hatte den Brief ein-, zwei-, dreimal gelesen.
„Ich weiß nicht." sagte er. „was ich an dem Brief ernst-
haft und scherzhaft nehmen soll. Jedenfalls enthält er viel
Unwahres. Wenn es wahr ist, daß, was sich liebt, sich neckt,
so muß ich gestehen, daß ihre Laune sie mir nur um so
begehrenswerther macht." ^ „
„Die Schwarze mit der Notenmappe. Herr!" tönte es vom
Kutscberbock. „ ... . .
„Vorwärts, ihr nach," rief der Fahrgast zurück, „aber nicht
zu dicht heran!" ^ ^
„Unbesorgt. Ick werde mich hinter den Frachtwagen eiu-
quctschen, dann kommen wir ihr nicht zu nahe. Sie ist
übrigens nicht übel." fuhr er leiser sort. daß es der Fahr-
gast nicht hören konnte, „hat einen adretten Jang, aber ein
bißchen stolz sieht sie aus. Na vorwärts Alter! rief er
lauter. . ^ .
„Amy" setzte sich wieder m Bewegung. Die Fahrt ging

weiter über die Straße entlang durch das Potsdamer Thor
in die Bellevuestraße.
Jetzt konnten sie nicht mehr weit vom Ziele entfernt sein,
denn die Straße mündete bald in de» Thiergarten ein.
„Der Fahrgast sah von Zeit zu Zeit aus dem Wagen-
fenster, und da der Verkehr in dieser Gegend geringer war
und dem Auge freien Ausblick gewährte, so rief er dem
Kutscker zu: „Langsamerl"
„Wie Sie wünschen," brummte dieser. „Da weg ist sie,"
setzte er hinzu, schwang aber in demselben Moment seine
Peitsche. „Amy" setzte sich in sogenannten Trab, der sich von
seiner bisherigen Gangart durch schnelleres Borwärtskommen
wenig unterschied, aber seinen Fahrgast doch soweit brachte,
daß dieser noch sah. wie die junge Dame mit der Noten-
mappe in dem Hause verschwand.
„Wohin nun?" fragte der Kutscher, sich zurückwendend.
Der Fahrgast rief ihm Straße und Nummer zu, und fort
gings im flotten Trab.
(Fortsetzung folgt.)

Kleine Zeitung.
g. Zeitgemäße Betrachtungen. Man freut sich immer wieder,
— voll Stolz hebt sich das Herz,—hört man die Heldenlieder—
von Männern fest wie Erz; — wie wacker sie bestanden — Ge-
fahr und Graus und Noth, — wie kühnlich sie entwanden —
der Pein sich und dem Tod. — Die kühnen Wtktngrctsen —
im alten Heldenlied, — sie wird man immer preisen — so lang
ein Deutschland blüht. — Doch ist noch nicht erstorben, — das
deutsche Wikingthum, — es hat sich neu erworben — gar hohen
Glanz und Ruhm. — In weiter Erdenrunde — ertönt und
schallet heut — die stolze Ruhmeskunde — von den Bulgaria-
leul'. — Wenn solcher Weise deutsche Art — und Tugend sich
bewähret, — daß laut sie wett gepriesen ward — und füglich
hoch geehret, — so hat in einer andern Sach', — wie's Cenlrums-
dlatt bezeuget, — ein deutscher Geist gezeigt sich schwach, — stm
deutscher Muth gedeuget. — Nicht Noth, noch Sturm, cm
Schrecken reich, — bringt deutschen Muth zum Wanken; —
 
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